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GUTE-NACHT/2390: Warum der Zaunkönig in einem Erdloch lebt (SB)


Den Rahmen und vielleicht zweihundert Teile haben Nele und Oma Ella bereits von ihrem Puzzle gelegt. Während Oma gerade die farblich gleichen Teile in einzelne Töpfchen sortiert, blickt Nele aus dem Fenster in den kleinen Efeugarten. An der Wand entdeckt sie einen winzigen Vogel. Einen solchen hat sie noch nie gesehen. Das teilt sie Oma Ella mit. Jetzt schaut auch Oma in den Garten.

"Das ist ein Zaunkönig", stellt Oma fest, "sieht er nicht wunderschön aus?" Nele nickt und sagt: "Der ist so allein." Wenn sie Spatzen und Meisen im Garten sieht, kommen diese Vögel immer gleich zu mehreren vor. Auch die Schwalben sind stets in Gesellschaft. "Daß der Zaunkönig so allein ist, liegt vielleicht daran, daß er sich immer versteckt hält", erklärt Oma Ella. "Wovor versteckt er sich denn?" fragt Nele. Nun beginnt Oma Ella eine Geschichte zu erzählen.


*


Es war einmal ein kleiner Vogel. Der wollte mit all den anderen Vögeln weit in die Lüfte hinauffliegen. Denn an diesem Tag war ein Wettbewerb zwischen allen Vögeln angesagt. Es sollte herausgefunden werden, welcher Vogel der König aller Vögel sei. Derjenige, der am höchsten hinauffliegen konnte, sollte es werden. Der kleine Vogel war noch sehr jung. Junge Wesen lassen sich so allerhand einfallen, um bei allem, was Spaß macht oder wichtig ist, dabei zu sein. Der kleine Vogel gesellte sich wie die anderen zum Startplatz. Dort wurde er von einigen Vögeln nur belächelt, von anderen gar ausgelacht. "Du bist doch viel zu klein, um unser König zu werden", fanden die einen, während die anderen meinten, der kleine Vogel würde es nicht einmal bis zum Dachfirst des höchsten Hauses im Dorf schaffen. Das ärgerte den kleinen Vogel, denn er liebte das Fliegen über alles und wußte, daß er sehr wohl über die Dächer des Dorfes hinausfliegen konnte. Zwar würde er es nie so weit wie der Adler hinaufschaffen, aber das war ja auch nicht sein Ziel. Er wollte einfach mitfliegen. Jetzt aber, nachdem ihn fast alle ausgelacht hatten, überlegte der kleine Vogel und fand eine List, wie er sich rächen konnte. Sie sollten schon sehen, wie gut er war. Das Startzeichen würde gleich ertönen. Keiner achtete mehr auf den kleinen Vogel. Einige meinten, der Kleine habe wirklich aufgegeben. Doch der Winzling war sehr wohl mit dabei. Er hatte sich in die Nähe des Adlers gestellt, um sich in einem geeigneten Augenblick, in dessen Gefieder zu verstecken. So stieg er beim Start mit dem Adler in die Höhe. Immer höher und weiter hinauf ging der Flug. Der Adler war wirklich der mächtigste Vogel und keiner konnte ihn übertrumpfen. Doch auch ein Adler wird mal müde und gerade als alle ausrufen wollten, das sei ihr neuer König, kletterte der Winzling aus des Adlers Gefieder und schwang sich noch um einen weiteren Meter in die Höhe. Wie erbost war da der Adler und mobilisierte noch seine letzten Kräfte, um dem Winzling den Garaus zu machen. Schnell suchte nun der kleine Vogel das Weite. Doch wo konnte er sich besser vor dem Adler verstecken, als unten auf der Erde. Hier oben in den Lüften war alles frei. Da würde der Adler den Kleinen sich einfach schnappen und auffressen. Nur in einem winzigen Mauseloch konnte sich der Winzling sicher sein, daß ihn der Adler und auch alle anderen Vögel nicht erwischten. Von diesem Tage an versteckte sich der kleine Vogel vor den anderen, die ihn nur noch den Zaunkönig nannten.

31. Juli 2007

Gute Nacht