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GUTE-NACHT/2395: Eisberge (SB)


Bei diesen Temperaturen kann niemand sagen, daß es nicht Sommer wäre. Nele und ihre Oma Ella haben das heiße Wetter genutzt und sind ins Freibad gegangen. Nach dem kühlen Naß kehren die beiden auf dem Heimweg noch in der Eisdiele ein. Nele bekommt einen ganz großen Becher und Oma hat heute Lust auf ein gekühltes Stückchen Torte.

Nele erzählt, daß sie von Eis gar nicht genug bekommen kann. "Ich kann ganze Eisberge verdrücken", erklärt sie ihrer Oma. "Das denkt man immer, wenn man nicht mehr als ein Eis vor sich hat", meint Oma, "wart` nur, ich erzähle dir mal ein Erlebnis."


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"Als ich so alt war wie du, lag ich im Krankenhaus in einem Zimmer mit fünf anderen Kindern. Die meisten hatten ihre Mandeln herausoperiert bekommen. Mir selbst waren die Polypen entfernt worden. Das waren nicht etwa achtarmige Tintenfische, wie du vielleicht denkst und auch keine Nesseltiere aus dem Meer. Polypen sind Wucherungen an den Schleimhäuten in der Nase oder an anderen Stellen und meistens ungefährlich. Im Krankenhaus zu liegen und operiert zu werden, ist nicht gerade eine feine Sache, das weiß wohl jeder. Doch trotzdem gab es ein paar Augenblicke, die mir in angenehmer Erinnerung geblieben sind. Bei entfernten Mandeln hilft nichts besser als Eis. Heutzutage bekommen die Patienten Eismanschetten um den Hals gebunden. Das kühlt schön. Damals aber wurde das Eis von innen verabreicht. Du durftest so viel Eis essen, wie du wolltest. Früher gab es für uns Kinder nicht so oft Eis zu essen. Deshalb war ein Eis im Krankenhaus schon ein richtig kleines Trostplaster. Zur Besuchszeit brachten die Angehörigen Eis mit. Eine Woche lag ich damals im Krankenhaus. So war ich auch einen ganzen Sonntag dort. An diesem Tag nun kamen viele Besucher in die Krankenzimmer. An Platz fehlte es darin nicht. Das Krankenhaus hatte riesig große Räume. Wie ein Saal kam mir unser Krankenzimmer vor. Platz fehlte an einer ganz anderen Stelle und zwar in den Mägen der kranken Kinder. Das kam so. Die Eltern aller sechs operierten Kinder in meinem Krankenzimmer brachten allesamt Eis ihren Kindern mit. Da sie aber nicht wollten, daß die anderen Kinder zuschauen mußten, kauften sie jeder gleich sechs Eisbecher - für jedes Kind im Zimmer einen. So kam es, daß alle Kinder gleich sechs Becher Eis erhielten. Doch damit noch nicht genug. Es kamen an diesem Sonntag nicht nur die Eltern, sondern auch Freunde und Bekannte. Diese Besucher hatten fast alle die gleiche Idee wie die Eltern der Kinder. So kam es, daß für jedes kranke Kind in unserem Raum an diesem Sonntag fast zwölf Becher Eis herangeschleppt wurden. Wir Kinder konnten uns also so richtig eissatt futtern und die Besucher halfen auch noch mit, daß alle Eisbecher leer wurden. Dieses Erlebnis konnte ich einfach nie vergessen. Wahrscheinlich auch deshalb nicht, weil eines der Mädchen aus meinem Zimmer mich abzeichnete und mir dieses Portrait schenkte. Meine Eltern rahmten mir das Bild ein und ich habe es bei jedem Umzug stets mitgenommen und immerwieder aufgehängt."

Gute Nacht

7. August 2007

Gute Nacht