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GUTE-NACHT/2445: Die Einladung (SB)


Es ist Samstag. Die Eltern von Leonie und Marco sind ins Kino gegangen. Oma Lotte paßt auf ihre beiden Enkelkinder auf. "Daß ihr mir schön brav seid", hatte Mama den beiden noch zugerufen. Marco ärgert sich immer, wenn sich die Eltern amüsieren und sie dürfen bei Oma zuhause bleiben. Dann will Oma immer Brettspiele oder Karten spielen oder etwas anderes Langweiliges anstellen. Fernsehgucken ist dann gestrichen. Aber heute wird er nicht mitmachen. Er geht in sein Zimmer und hört CD. Soll doch seine Schwester sich mit Oma vergnügen. Es ärgert Marco sehr, daß er nicht mit ins Kino durfte. Dabei ist der Film sogar ab sechs Jahre.

Inzwischen backen Oma Lotte und Leonie Pfannkuchen. Leonie findet, daß Oma die leckersten Pfannkuchen der Welt backen kann. Leonie deckt schon einmal den Tisch. Für jeden stellt sie einen Teller hin und legt Messer und Gabel daneben. Ein Glas bekommt auch noch jeder. Oma hat heute wie versprochen kalten Apfelsaft selbst hergestellt. Leonie stellt eine Flasche davon auf den Tisch. Ein kleiner Schaumrand hat sich oben an der Flasche gebildet. Die etwas dickeren Teilchen haben sich hier abgesetzt. Leonie stellt schnell noch Zimt mit etwas Zucker vermischt auf den Tisch und schon sind die ersten Pfannkuchen fertig. Leonie sagt ihrem Bruder Marco Bescheid. Doch der läßt sich Zeit. Inzwischen hat Leonie schon einen Pfannkuchen verdrückt. Oma aber wartet auf Marco und beginnt erst zu essen, als auch Marco seinen Pfannkuchen auf dem Teller hat.

"Was gibt es denn dazu?" fragt er. Leonie reicht Marco das Glas mit dem selbstgemachten Apfelmus. Doch Marco lehnt ab. "Ich esse nur gekauften Apfelmus." Er steht auf und holt sich eine Packung aus der Speisekammer, die er mit der Schere aufschneidet. Leonie schaut zu Oma herüber. Sie sagt nichts. Doch Leonie findet, daß sie traurig ausschaut. Oma hatte sich ja auch jede Menge Arbeit mit dem frischen Apfelmus gemacht. Leonie weiß nicht, ob Marco das Apfelmus wirklich nicht schmeckt oder ob er seinen Ärger nur an Oma auslassen will. Leonie bittet Oma um einen weiteren Pfannkuchen und nimmt auch wieder von dem selbstgemachten Apfelmus. Marco sagt: "Ich weiß gar nicht, wie du sowas essen kannst. Das Zeug wird ja immer dunkler." Oma sagt auch diesmal nichts. Sie geht in die Küche und holt neue Pfannkuchen. "Du bist ganz schön gemein", flüstert Leonie ihrem Bruder zu.

Doch der kümmert sich nicht um seine Schwester. Er setzt Leonies Unmut sogar noch eins obendrauf. Als Oma von dem frischen Apfelsaft den Kindern einschenken will, lehnt er energisch ab. "Ich mag dieses naturtrübe Zeug nicht. Da schwimmen ja noch lauter Stückchen drin herum."

Diesmal hält sich Oma Lotte nicht zurück und erzählt: "Als wir klein waren, gab es keinen Supermarkt um die Ecke, bei dem man alles in mehrfacher Ausführung kaufen konnte. Bei uns gab es nur das, was im Garten oder auf dem Felde wuchs. Das was wir zuviel hatten, verkauften wir auf dem Markt und besorgten uns dafür Sachen, die wir nicht selber hatten. Wir bekamen keine Südfrüchte oder nur sehr selten gab es mal etwas exotisches. Dafür aber freuten wir uns über alles, was wir bei uns selber ernten konnten und wir waren immer froh, wenn die Bäume reichlich Ernte trugen. Vom Frühling bis zum Herbst hatten wir jede Menge zu tun, um für die harte Zeit, den Winter, vorzusorgen. Doch auch im Winter gab es noch jede Menge Arbeit, um überleben zu können."

Marco verdreht die Augen und sagt: "Aber dafür können wir doch nichts!" Oma lächelt: "Das ist richtig, Marco. Und ich hoffe, du kannst dir immer deinen Apfelmus und den Saft im Geschäft kaufen, weil er dir besser schmeckt. Allerdings kann es sein, daß dir auf diese Weise so manche Dinge verborgen bleiben." - "Was sollte mir denn verborgen bleiben?" fragt Marco. "Wenn du das wirklich wissen willst, dann begleite mich die nächsten Tage einfach ein bißchen im Garten und im Haus, so lange du magst."

Mit einem Murren geht Marco in sein Zimmer. Leonie und Oma Lotte schauen sich tief an und schweigen.

6. Oktober 2007

Gute Nacht