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GUTE-NACHT/2449: Die verschwundenen Äpfel (SB)


Vom Dachboden will Oma Lotte den Karton mit dem Obsttrockner holen. Denn in diesem Jahr gibt es so viele und große Äpfel, daß neben Saft und Mus auch noch andere Varianten des Einmachens hilfreich sind, die Flut der Äpfel zu bewältigen.

Leonie fragt, ob ein Obsttrockner so etwas wie ein Wäschetrockner sei, bei dem die nasse Wäsche in eine Trommel gesteckt und nach einiger Zeit die trockene Wäsche wieder herausholt wird. "Nein, so ist das nicht. Der Obsttrockner besteht aus vier Schalen, die übereinandergestapelt sind. Zwischen diesen Schalen weht eine Art wärmender Wind. Das Prinzip ist ein bißchen dem Fön zum Haaretrocknen ähnlich.

Oma Lotte schält die Äpfel und schneidet sie in dünne Scheiben. Diese legt sie in die Obsttrocknerschalen. Mit etwas Zitronensaft bestreicht sie die Scheiben, so werden diese nicht braun.

Während Oma Lotte einen Apfel nach dem nächsten bearbeitet, erzählt sie Leonie eine Geschichte.


*


Auf dem Lande lebte einst eine Bauersfrau. Ihr Mann war früh gestorben und so konnte sie den Bauernhof alleine nicht halten. Deshalb verkaufte sie nach und nach das Land und die Stallungen. Zurück blieb ihr ein winziges kleines Haus und ein Wägelchen davor. Zwar waren die Ländereien alle verkauft, das kleine Gemüsebeet und den Obstgarten mit den alten Apfelbäumen aber hatte die Bauersfrau behalten und wollte beides nicht weggeben. Sie lebte von dem, was hier wuchs und verkaufte auf dem Markt, was sie selber nicht verzehrte.

Eines Abends klopfte es bei der Bauersfrau an die Tür. Sie erwartete niemanden und war ganz erstaunt, einen Fremden vorzufinden. "Wohin des Weges?" fragte die Bauersfrau. Doch der Fremde antwortete: "Ich würde gern bei euch übernachten, denn es sieht nach Regen aus." Die Bauersfrau hatte noch ein kleines Stübchen unter dem Dache frei. Dort lagerte sie immer ihre Äpfel vor dem Winterfrost ein. Sie bot dem Fremden an, hier die Nacht zu verbringen und sich auch ruhig an den Äpfeln zu laben. Der Fremde nahm es dankbar an. Am nächsten Morgen verabschiedete sich der Fremde von der Bauersfrau und schenkte ihr für die freundliche Aufnahme einen Wunsch. Sie könne sich wünschen, was sie wolle. Sie solle nur mit Bedacht wählen.

Die Bauersfrau wollte es erst gar nicht glauben. Dann aber überlegte sie, was sie denn gebrauchen könne. Sie war glücklich mit dem, was sie hatte. Nur manchmal, wenn es Herbst wurde, fand sie ihr Haus viel zu klein für die vielen Äpfel, die sie von ihren Bäumen erntete. Deshalb wünschte sich die Bauersfrau ein schönes großes Haus.

Zuerst geschah nichts. "Da hab ich mich aber schön ins Bockshorn jagen lassen", dachte die Bauersfrau. Doch als sie dann am nächsten Morgen erwachte, war alles um sie herum viel größer geworden. Die Bauersfrau ging durch alle Räume und schaute sich um. Endlich kam sie auch zu der Dachkammer. Auch sie war viel größer als zuvor. Aber was war das? Hier lagerten jetzt keine Äpel mehr, nicht ein einziger. Schnell ging die Bauersfrau in den Garten. Doch der Garten war verschwunden, denn das Haus war so groß, daß für das Gemüsebeet und die Obstbäume kein Platz mehr auf dem verbliebenen Grund und Boden der Bauersfrau war. Das erklärte auch, warum in der Dachkammer nicht ein einziger Apfel mehr zu finden war.

"Wo sind denn meine geliebten Bäume und die Äpfel geblieben?" fragte sich die Bauersfrau. Doch sie fand keine Antwort. In der nächsten Nacht schlief sie unruhig, denn sie hatte Hunger, konnte sie sich doch nicht an ihren Äpfeln laben. Sie träumte und da erschien ihr der Fremde wieder. "Ach, hätte ich mir doch nie etwas gewünscht", sagte sie da zu ihm.

Am nächsten Morgen fühlte sich die Bauersfrau irgendwie erleichtert und zu ihrer Überraschung fand sie ihr Haus und ihren Garten wieder in dem kleinen, aber gemütlichen Zustand vor. Jetzt war auch die Dachkammer wieder voller Äpfel. Sogleich nahm die Bauersfrau den Allerdicksten und biß herzhaft hinein. Niemals wieder wollte sie sich etwas anderes wünschen, als das was sie bereits ihr eigen nannte, wenn nur die Äpfel immer so schön in ihrem Garten wuchsen.

11. Oktober 2007

Gute Nacht