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GUTE-NACHT/3135: Aus dem Buch heraus (SB)


Gute Nacht Geschichten

Im Keller der alten Bücherei bei den Kinderbüchern, Zeitungen und dem Bücherflohmarkt lebt Benjamina, die Leseratte. Sie liebt Bücher und stöbert gern darin herum. Am Tag schläft sie und erlebt die Welt um sich her in der Nacht. Nur an diesem Morgen war Benjamina schon wach. Von einem geheimen Platz aus hat sie beobachtet, was in der Bücherhalle vor sich geht, und das hat ihr gar nicht gefallen. Von den Tischen wurden die Bücher mitgenommen. Diesmal nicht nur als Ausleihware, um sie zu lesen und nach Tagen zurück zu bringen. Nein, sie wurden verkauft. Das bedeutet, sie kehren nie mehr zurück. Benjamina legte sich, nachdem sie gesehen hatte, was sie befürchtete, wieder aufs Ohr.

Jetzt am Abend ist sie wieder da. Die Angestellten und die Besucher der Bücherei sind inzwischen alle fort. Nun will sich Benjamina oben in der großen Halle umsehen, ob auch dort Bücher verschwinden. Auf dem Weg zur Treppe nimmt Benjamina einen kleinen Umweg am Papierkorb vorbei, denn ihr Magen knurrt bereits vor Hunger. Leider ist im Eimer nichts mehr zu entdecken. Er wurde bereits ausgeleert.

Ein bißchen ängstlich ist Benjamina schon zumute, war sie doch nicht oft dort oben in der großen Halle. Aber sie meistert die Treppenstufen mit Bravour und spricht sich dabei jede Menge Mut zu. Oben auf der letzten Stufe angekommen, späht Benjamina nach allen Seiten, bevor sie auch die letzte Hürde nimmt. Plötzlich knurrt wieder ihr Magen und zwar sehr laut. Sogar Benjamina erschrickt vor diesem Geräusch. Nichts geschieht. Benjamina ist erleichtert.

Sie stemmt die Vorderbeine in die Hüften und sagt sich: "Hier ist doch niemand mehr. Nicht einmal einen Wachmann gibt es in der Bücherei. Wahrscheinlich weil die Menschen denken, daß es hier keine Schätze gibt. Dabei gehen sie jeden Tag an ihnen reihen- und regalweise vorbei." Wieder knurrt der Rattenmagen. Das ermutigt Benjamina und sie ruft laut: "Hallo!" Schnell duckt sie sich und wartet ab. Es kommt keine Antwort. Benjamina nimmt die letzte Hürde und steht nun im Erdgeschoß auf dem Fußboden. Hier in der großen Halle brennen vereinzelt winzige Nachtlichter.

Benjamina, die Leseratte, läuft nun die Gänge entlang und schaut sich alles genau an. Einen Platz mit Tischen voller Bücher kann sie hier nicht entdecken. Dann besieht sie sich die Regale. Sie sind nicht alle gefüllt. Doch ob sie schon immer so leer waren oder ob auch aus ihnen Bücher abtransportiert worden sind, kann Benjamina nicht ausmachen.

Da meldet sich erneut ihr Hunger. "Ja, ja!", spricht nun Benjamina vor sich hin. Schon schnüffelt sie in die Luft und erwischt einen süßlichen Duft. Er scheint aus einem Nebenraum in die Luft zu strömen. Die Tür zum Nebenraum steht offen. Benjamina läuft schnell hin. Auch hier schaut sie sich um. Plötzlich erinnert sich Benjamina. Es sieht in diesem Raum so aus wie früher in der kleinen Küche der Familie, bei der sie lebte, bevor sie hierher gebracht wurde. Wehmütig denkt Benjamina an ihre beiden alten Leutchen zurück.

Dann erwischt sie wieder der Geruch nach Süße. Er steigt aus einem Mülleimer hervor und entströmt den Schalen einer Honigmelone. Benjamina knabbert die Reste der Melone auf und streicht sich anschließend über den Bauch. "Das war gut!", stellt sie genüßlich fest.

Nun schlendert sie noch einmal durch die große Halle. Diesmal pfeift sie ein Lied vor sich hin. Schließlich ist ja niemand da, der sie hören kann. Doch plötzlich ein Geräusch, als ob ein Buchdeckel auf geklappt worden und auf einen Tisch niedergefallen wäre.

Benjamina zuckt zusammen. Da sie sich bereits an der Treppe ins Kellergeschoß befindet, huscht sie schleunigst diese hinab. Dort unten sucht sie sofort ihr Versteck auf und läßt sich die ganze Nacht nicht mehr blicken.


*


Oben im Erdgeschoß ist aus dem aufgeschlagenen Buch heraus eine dumpfe Stimme zu vernehmen: "Habe ich da nicht ein Pfeifen gehört? Ich dachte schon, mir singt jemand ein Ständchen zum Geburtstag. Da ist wohl wieder einmal mein Wunsch der Vater des Gehörten?" Damit klappt der Buchdeckel wieder zu und es wird still in der Bücherei.


10. Februar 2010

Gute Nacht