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GUTE-NACHT/3137: Das schmatzende Buch (SB)


Gute Nacht Geschichten

Im Keller der alten Bücherei bei den Kinderbüchern, Zeitungen und dem Bücherflohmarkt lebt Benjamina, die Leseratte. Sie liebt Bücher und stöbert gern darin herum. Wenn am Abend die Besucher und das Personal die Bücherei verlassen haben, kommt Benjamina aus ihrem Versteck hervor. Dann hat sie die Bücherei für sich ganz allein - denkt sie.

"Gähn, ach habe ich lange geschlafen und so schön geträumt. Vielleicht war das ja eine Vorahnung und ich finde gleich wirklich einen vollen Mülleimer. Ich habe nämlich mächtigen Hunger. Mein Magen knurrt schon wieder."

Die Leseratte begibt sich auf den Weg zum ersten Mülleimer im Kellergeschoß. Aber es ist Wochenende. Da wird peinlichst darauf geachtet, daß alle Mülleimer geleert und ausgewaschen werden. Hier soll ja nichts anfangen zu stinken.

Nach dem leeren ersten Mülleimer trottet Benjamina zum zweiten und zum dritten. "Nichts zu holen!", schimpft die Leseratte, "da werde ich wohl wirklich wieder einmal in die große Halle vordringen müssen.

Insgeheim ist das Benjamina gar nicht recht. Hat sie sich doch vor zwei Tagen so sehr erschreckt, daß sie nie wieder die Treppen hinaufsteigen wollte. Der Schreck hat es wohl auch zur Folge gehabt, daß Benjamina zwei Tage und Nächte durchgeschlafen hat.

Mutig wagt sie sich jetzt die Treppe hinauf. Auf der obersten Stufe lugt sie vorsichtig über die letzte Hürde. Die Augen genau in Höhe des Fußbodens der großen Halle späht sie in alle Richtungen. Geradeaus entdeckt Benjamina etwas dunkles Braunes. Das kann nur ein Buch sein. Aber warum liegt es auf dem Fußboden?

Benjamina rührt sich nicht vom Fleck. Immer noch beobachtet sie den Raum vor sich und hält sich so gut es geht verdeckt. Plötzlich ein Schmatzen. Wo kommt das her? Diesmal will sich Benjamina nicht wieder in die Flucht schlagen lassen. Sie horcht genau in die nur spärlich beleuchtete Halle. Das Schmatzen muß von dem Buch her kommen. Aber niemand ist zu sehen. Wie kann das sein?

Benjaminas Neugierde ist geweckt. Sie horcht noch einmal genau hin. Vorsichtig klettert sie über den letzten Stufenrand und schleicht sich weiter vor. Wieder dieses Geräusch. Auch diesmal kommt es von dem auf dem Boden liegenden Buch her.

"Vielleicht versteckt sich jemand hinter dem Buch. Das wäre doch möglich", überlegt Benjamina. Ganz flach auf den Boden gedrückt, kriecht Benjamina zu dem dicken Buch hinüber. Im Moment bleibt alles ruhig. Dann wieder ein Schmatzen. Aber Benjamina bleibt am Buch dran und umrundet es sogar. Nach einem erneuten Schmatzen ist sich Benjamina sicher, daß dieses Geräusch aus dem Buch heraus gekommen ist. Doch wie kann ein Buch schmatzen? Ein schmatzendes Buch hat Benjamina noch nie gesehen und davon auch noch niemals etwas gehört.

Die Gefahr, in der Benjamina gerade schwebt, wird ihr erst jetzt wieder bewußt. Vorsichtshalber kriecht sie ein Stück zurück und versteckt sich hinter einem Tischbein. Gerade noch rechtzeitig. Denn in diesem Moment fliegt der Buchdeckel hoch und schlägt mit einem Knall auf dem Fußboden auf. Benjamina hat also recht gehabt, es ist etwas in diesem Buch, das das schmatzende Geräusch verursacht hat.

Da ein Kopf mit einem Hut. Benjaminas Augen werden immer größer. Wie kann ein Kopf aus einem Buch herauskommen und dazu noch einen Strohhut tragen. Neugierig streckt Benjamina ihren eigenen Kopf hinter dem Tischbein hervor. Da sieht sie, wie sich jetzt auch ein kleiner Körper aus dem Buch herausschiebt. Der Körper gleicht eher einem Wurm mit Ärmchen. Dieser Wurm setzt sich nun auf die Buchkante und läßt sein Schwanzende herunterbaumeln. Mit den kleinen Ärmchen reißt er ein Stück einer Seite des Buches ab und schiebt es sich in den Mund. Da ertönt wieder das schmatzende Geräusch.

Bei diesem Anblick packt die Leseratte die Wut. Sie muß nicht erst ihren Mut zusammennehmen, sie ist jetzt der Mut in Person. Schnell springt Benjamina aus ihrem Versteck heraus und postiert sich in all ihrer Größe vor diesem Bücher fressenden Wurm.

"Wer gibt Ihnen das Recht, hier dieses Buch aufzufressen?", wirft Benjamina dem Wurm an den Kopf. Der zuckt zusammen und versucht sich unter seinem Strohhut zu verstecken. Doch Benjamina will eine Antwort. Da kommt kleinlaut eine Gegenfrage: "Aber was soll ich denn sonst mit diesen Blättern anstellen. Sie schmecken einfach so gut, und stillen außerdem meinen Hunger."

Daß Bücher schmecken können, davon hat Benjamina noch niemand etwas erzählt, und ausprobiert hat sie es selbst auch noch nicht. Wie sollte sie auch. Wenn sie die Seiten auffrißt, kann sie ja nicht mehr lesen, was da gestanden hat. Deshalb fragt Benjamina: "Wissen Sie denn nicht, daß dies ein Buch ist, das sie gerade auffressen wollen?" Der Wurm stellt ebenfalls eine Gegenfrage, vielleicht weil er versucht seinen Gegner hinzuhalten?: "Was ist denn ein Buch?"

Die Leseratte ist sprachlos. Es scheint wirklich jemanden zu geben, der nicht weiß, was ein Buch ist. Da beginnt Benjamina dem Wurm zu erklären, wo wir hier sind und was ein Buch ist.

Doch davon das nächste Mal mehr.


12. Februar 2010

Gute Nacht