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GUTE-NACHT/3144: Buchstaben statt Milchpulver (SB)


Gute Nacht Geschichten

Im Keller der alten Bücherei bei den Kinderbüchern und Zeitungen liegt Benjamina unter dem großen mit Schnörkeln verzierten Schrank. Die Leseratte schläft noch. Dagegen ist drüben auf dem Tisch mit den Spielen der Bücherwurm bereits erwacht. Heute trägt er einen Würfel wie einen Zylinder auf dem Kopf. Er hat sich zum Ziel gesetzt, die Ratte herbei zu locken und sie dazu zu bewegen, ihn in ein anderes Buch zu befördern. Die Spielanleitung, in der er gerade steckt, ist nicht mehr sehr nahrhaft für ihn. Der Bücherwurm wartet nun auf den Augenblick, da die Ratte erwacht. Dann will er auf sich aufmerksam machen. Am besten kann er das wohl mit Winkgebärden. Denn sein Stimmchen ist ein bißchen zu schwach. Seine Schmatzgeräusche dagegen um so stärker. Doch darauf hat der Bücherwurm noch niemals geachtet.

Endlich erwacht die Leseratte. Verschlafen und gähnend, aber dennoch vorsichtig, kommt sie unter dem Schrank hervor. Sie will auf keinen Fall auf einen Menschen treffen. Die sind in letzter Zeit nicht gerade freundlich zu ihm gewesen. Früher, als Benjamina noch bei Vater und Mutter Eckhardt wohnte, da war alles anders. Doch was nützt es, dieser Zeit nachzujammern. Schließlich bringt das die beiden nicht wieder zurück.

Der bereits ungeduldig wartende Bücherwurm entdeckt die aus ihrem Versteck kommende Ratte. Auf diesen Augenblick hat er sehnlichst gewartet. Die Spielanleitung liegt genau am Rand des Tisches. So kann der Bücherwurm seinen Kopf und eines seiner Ärmchen herausstrecken. Mit dem Ärmchen zieht er sich den Würfelzylinder vom Kopf und schwenkt ihn hin und her. Dazu ruft er noch etwas Unverständliches.

Die Ratte hört das Stimmchen und erschrickt. Glaubt sie doch, es seien Menschen in der Nähe. Schnell huscht sie wieder unter den Schrank zurück und wartet. Dabei betrachtet sie sich diesen von unten. "Was ist denn das?", wundert sie sich. Über ihr in der Ecke ist ein Loch im Boden des Schranks. Benjamina kann nicht widerstehen und klettert hinein.

Sie befindet sich jetzt ganz unten im Schrank. Der Schrank scheint mit mehreren Regalbrettern bestückt zu sein. Im untersten Fach findet Benjamina verschieden große Kartons vor. Einer interessiert sie besonders. Deshalb klettert sie zwischen den Kartondeckeln ins Innere. Dort entdeckt sie kleine Tütchen. Benjamina ist neugierig. Im Schrank ist es so duster, daß sie nicht lesen kann, was auf der Packung steht. Aus diesem Grund schnappt sie sich eines der Tütchen, klettert damit durch das Loch wieder unter den Schrank und lukt von dort vorsichtig unter dem Schrank hervor. Diesmal ist nichts zu hören. So wagt sich Benjamina mit dem Tütchen in die Nähe eines der Strahler, die auch in der Nacht die Bücherei beleuchten. Hier kann Benjamina lesen, was auf der Packung steht: "Milchpulver! Mit Wasser auflösen." Unter der Schrift ist eine Tasse zu sehen.

Benjamina erkennt sofort, daß sie hier etwas Eß- bzw. Trinkbares vor sich hat. "Jetzt habe ich eine Notreserve!", freut sich Benjamina, "da brauche ich nur noch herausfinden, ob mir dieses Milchpulver schmeckt."

Genau in diesem Moment fällt etwas vom Rand des Tisches herunter und landet geradewegs auf dem kleinen Päckchen. Was war geschehen? Benjamina hatte die Tüte mit dem Milchpulver zum Tisch hinüber getragen, wo ein Strahler den Tisch und einen Teil des Fußbodens beleuchtet. Hier hielt sie zum Lesen inne. Oben auf dem Tisch hatte der auf der Lauer liegende Bücherwurm die Ratte mit der Tüte beobachtet und sie mit den Augen verfolgt. Neugierig geworden auf das, was die Ratte mit sich brachte, kroch der Bücherwurm ein Stückchen zu weit aus der Spielanleitung hervor und fiel kopfüber den Tisch hinunter. Zum Glück landete er geradewegs auf dem Tütchen voller Milchpulver. Da die Tüte noch nicht geöffnet und auch nicht beschädigt war, kam der Bücherwurm weich auf und wurde leicht abgefedert. Vor Schreck blieb ihm zuerst die Sprache weg.

Jetzt sitzt er da und die Farbe kehrt in seinen Kopf zurück. Seinen würfelartigen Hut trägt er nicht mehr auf dem Kopf. Den hat er beim Sturz in die Tiefe verloren. Was ihm doch ein wenig peinlich ist. Denn er geht nie ohne Hut aus. Auch ohne Hut erkennt die Leseratte den Bücherwurm sogleich. Nach dem ersten Schreck ist sie froh, ihn hier zu sehen und hofft, daß er nicht gleich wieder verschwindet. Sie ahnt ja nichts davon, daß der Bücherwurm immer nur von Buch zu Buch reist.

Endlich hat der Bücherwurm sich gefaßt, schnappt sich die Tasse auf dem Milchpulverbeutel und setzt sie sich auf den Kopf. Damit fühlt er sich schon gleich wieder wohler. Durch das Wegnehmen der Tasse ist ein kleines Loch in der Milchpulvertüte entstanden. Das weiße Pulver quilt heraus. Obwohl der Bücherwurm die Ratte am meisten interessiert, steckt sie dennoch eine ihrer Krallen in das Milchpulver hinein und leckt sie ab. "Mhm! Nicht schlecht!", findet Benjamina und bietet mit einer Geste auch dem Wurm an, einmal davon zu kosten. "Nein, danke. Das ist nichts für mich", gibt dieser zurück. "Sie sollten es wirklich einmal probieren!", empfiehlt Benjamina. "Nein danke. Ich ernähre mich nur von Buchstaben." - "Dann bedienen sie sich doch bei den Buchstaben auf dieser Tüte", schlägt Benjamina vor. Der Bücherwurm folgt ihrem Rat und ist begeistert. "Was für ein schöner, neuer Geschmack!"

Bücherwurm und Leseratte stärken sich erst einmal. Was dann folgt, steht noch in den Sternen.


22. Februar 2010

Gute Nacht