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GUTE-NACHT/3308: Der einsame Pantoffel wird vermißt (SB)


Gute Nacht Geschichten vom einsamen Pantoffel


"Nur noch drei Wochen bis Weihnachten und ich habe noch nicht alle Geschenke beisammen", überlegt Oma Erna, "am besten ich packe heute schon einmal diejenigen ein, die fertig sind." Oma geht ins Schlafzimmer und zieht unter dem Bett eine Kiste mit Zeitungsausschnitten hervor. Außerdem holt sie aus dem Schrank zwei Tüten. In der einen befindet sich Naschkram, in der anderen steckt ein Schuhkarton. Alles zusammen trägt sie in die Stube.

Mops Bello trottet hinterher und springt auf das Sofa. Dort plaziert er sich neben Oma Erna und betrachtet ganz genau, was Frauchen auf dem Stubentisch ausbreitet. Es könnte ja etwas Leckeres für ihn mit dabei sein.

"Ach du meine Güte", sagt Oma Erna, "das hatte ich ja ganz vergessen." In der Tüte mit dem Naschkram liegt der Beutel mit den Hundekeksen. Die hatte Oma Erna vor Tagen für Bello besorgt. Er soll jetzt in der Vorweihnachtszeit einen Adventskalender bekommen. "Na hoffentlich hat die Schokolade nicht den Geschmack von Hundekuchen angenommen", denkt Oma Erna und findet gleichzeitig, wenn doch, daß dies vielleicht die gerechte Strafe für ihre Kinder sei, weil sie in letzter Zeit doch manchmal recht eigensinnig reagierten. Oma steht auf und holt vom Flurregal den Säckchenkalender herbei, den sie vom Dachboden aus den Weihnachtskisten heraus geholt hat. Schnell füllt sie in jedes Säckchen zwei oder drei Hundekuchen hinein. Dann wird der Kalender in der Küche aufgehängt.

Bello, dem der Geruch der Leckerlies natürlich in die Nase steigt, folgt Oma hinterdrein. Ein Platz zum Aufhängen ist schnell gefunden. Oma nimmt einfach den Kalender des noch nicht abgelaufenen Jahres ab und hängt den Säckchenkalender auf.

"So haben wir auch einen Kalender!", meint sie. Aus der Stube vernimmt sie die Worte: "Das Jahr vor seinem wirklichen Ende schon abzuschließen, bringt Unglück!" Doch Oma achtet nicht auf Opas Gedanken.

Sie öffnet für Bello das erste Säckchen, denn schließlich hat der Dezember ja bereits angefangen. Von nun an wird Bello täglich eines der Säckchen leeren dürfen. "Du wirst dich schnell an den Kalender gewöhnen. Hoffentlich bist du nicht traurig, wenn Weihnachten vorbei ist." Oma beugt sich nieder und streichelt Bello über den Kopf. "Nachher bürste ich dich noch. Aber jetzt wollen wir endlich die Geschenke einpacken. Oma geht zurück in die Stube, während Bello erst noch ein Weilchen auf die Säckchen an der Wand starrt. Da keines herunterfällt, trottet auch er in die Stube, springt mit einem Satz wieder auf das Sofa, legt sich nieder und läßt einen Stoßseufzer hören.

"So, endlich habe ich auch alle Kalenderblätter aus der Zeitung ausgeschnitten. Morgen bringe ich sie zur Druckerei und hole von dort die gebundenen Hägargeschichten ab." Zum rechten Sessel vor dem Fenster gewandt sagt Oma Erna: "Jetzt packe ich die mitgebrachte Nußschokolade ein und mit den Hägargeschichten ist das Geschenk für unseren Sohn fertig." - "Hast du denn auch etwas für mich mitgebracht?", fragt der Unsichtbare? "Was soll ich dir schon mitbringen, was du nicht schon hast? Vielleicht etwas, daß du gar nicht mehr benötigst?" Damit spielt Oma Erna darauf an, daß es schwer ist, einem Geist etwas Passendes zu schenken.

Als nächstes will Oma Erna das Geschenk für Tochter Annette einwickeln. Zuerst kommt auch für sie die Tafel Schokolade an die Reihe. Insgeheim kichert Oma ein bißchen, weil sie an die Hundekuchen denkt. Von dem roten Papier mit den Sternchen darauf schneidet sie ein Stück ab, das ausreicht, um den ganzen Schuhkarton darin verschwinden zu lassen. Doch vor dem Einpacken will sie noch nachsehen, ob auch kein Preisschild mehr am Karton angebracht ist. Sie nimmt einen Schluck zur Stärkung aus ihrer Teetasse und denkt: "Ich werde mir die Pantoffeln noch einmal genau ansehen, ob sie auch in Ordnung sind. Außerdem sollte man sich, bevor man Präsente fortgibt, auch noch selber daran erfreuen."

Aus der Plastiktüte zieht Oma Erna nun den Schuhkarton heraus. Doch was ist das? Darunter liegt noch etwas! Hatte der Verkäufer nur einen Pantoffel in den Schuhkarton gesteckt und den anderen lose in die Plastiktüte geworfen? Oma zieht den einzelnen Pantoffel aus der Tüte heraus. Bello blickt hoch und beginnt freudestrahlend zu bellen. "Oh, das ist ja, das ist doch dein linker Pantoffel!", stößt Oma Erna hervor und blickt vom Pantoffel auf zum rechten Sessel. "Und ich habe die Verkäuferin beschuldigt." Bei diesen Worten fällt Oma die Situation im Laden wieder ein und die Geschichte mit den Schuhen im Schaufenster. Hier verfinstert sich ihre Miene wieder.


*


Im rechten Sessel vor dem Fenster sitzt Oma Erna und flickt den linken, roten Pantoffel, den Bello in seinen ersten Tagen hier im Haus zerfetzt hat. "Aber daß du mir ja nicht wieder den Pantoffel zerbeißt!", ermahnt Oma Erna Bello, der im gegenüberstehenden Sessel am Fenster liegt.

Nachdem der Pantoffel geflickt ist, überlegt Oma Erna, wo bloß das Gegenstück zu dem linken Pantoffel steckt. Eine Ahnung beschleicht sie. Doch kann sie nicht beweisen, daß sie recht hat. Dazu müßte sie erst einmal Gewißheit haben, daß der zweite Pantoffel nicht hier in der Wohnung steckt. "Also fangen wir mit dem Weihnachtsputz an!", beschließt Oma Erna. "Ist der zweite Pantoffel hier in der Wohnung, werden wir ihn finden. Und du hilfst mir suchen!"

Oma läßt Bello an dem linken Pantoffel schnüffeln. "Such, such!", gibt sie die Anweisung. Aber Bello wird nicht fündig. Den ganzen Tag räumt Oma Erna auf, putzt und räumt weiter auf. Aber auch bis zum Abend hin hat sie den zweiten Pantoffel noch nicht gefunden.

Jetzt bleibt nur noch das Schlafzimmer übrig. Mit einem Mopp holt Oma Erna den Staub unter den Schränken und dem Bett hervor. Plötzlich ein unangenehmes Geräusch. Etwas zerkratzt den Boden. Oma Erna schaut genau hin und entdeckt eine Glasscherbe. "Was macht denn die Glasscherbe hier?", fragt sich Oma Erna und ist entsetzt, was wenn Bello an Silvester unter das Bett gekrochen wäre, um sich vor den vielen Krachern zu verstecken.

Oma Erna ist froh, daß sie die Scherbe gefunden hat und wirft sie in den Mülleimer. Hoffentlich liegen nicht noch mehr Scherben herum. Vorsichtig fährt Oma Erna gleich noch einmal mit dem Mopp unter das Bett.

Endlich ist alles aufgeräumt. Oma ist richtig geschafft und total müde. Sie bekommt nicht einmal eine Scheibe Brot hinunter und schläft fast am Tisch ein. Nur weil Bello dauernd bettelt, steht sie endlich auf, gibt ihm einen dicken fetten Knochen und legt sich endlich in ihr Bett. "So viel Arbeit an einem Tag ist doch ein bißchen zu viel für mich", denkt Oma Erna und schläft sogleich ein. Sie bekommt nicht mehr mit, wie Bello in die Stube flitzt, am Nähkasten hochspringt und sich den geflickten Pantoffel herunterholt. Aber keine Bange. Bello zerfetzt ihn nicht gleich wieder. Er nimmt den Pantoffel in sein Maul, kehrt ins Schlafzimmer zurück und springt aufs Bett. Hier kuschelt er sich auf den schönen weichen Pantoffel und will ihn nicht wieder hergeben. Er bewacht ihn wie einen Schatz.


*


Nachdem Oma Erna gestern die ganze Wohnung auf den Kopf gestellt hat, ist heute alles blitzsauber. Nun weiß Oma Erna genau, daß der rechte rote Pantoffel in ihrer ganzen Wohnung nicht zu finden ist. Aber heute am Sonntag, dem zweiten Advent, hat kein Schuhladen offen, auch nicht der mit der seltsamen Krippendekoration.

"Da müssen wir wohl morgen noch einmal einen Sprung ins kalte Wasser wagen", sagt Oma Erna zu Bello, der sich beim Gedanken an Wasser schon im Vorhinein schüttelt, "heute haben wir in der Stadt keine Chance."

Trotzdem aber ist es Zeit mit Bello vor die Tür zu gehen. Oma und Bello schlendern am Flußufer entlang, das geradewegs auch in die Stadt führt. "Ich muß wohl ganz in Gedanken gewesen sein", überlegt Oma Erna, "daß ich gerade diesen Weg eingeschlagen habe." Mit diesen Worten entschuldigt sich Oma bei Bello. Doch der hat Gefallen an dem langen Spaziergang.

Vor dem Schaufenster des Schuhladens bleiben die beiden stehen. Bello springt hoch und stellt sich auf seine Hinterpfoten. Die Vorderpfoten legt er auf dem Schaufenstervorsprung ab. Gleich beginnt er freudig zu bellen. "Ja, auch du erkennst unseren Pantoffel wieder. Morgen gehen wir gleich hierher und lassen uns nicht wieder abwimmeln. Tschüß bis morgen, du Krippenpantoffel." Oma Erna dreht sich um und schlägt den Heimweg ein.

"So mir nichts, dir nichts, werden sie uns ihre Krippe nicht aushändigen. Wir brauchen einen Ersatz!", grübelt Oma Erna. "Doch was nehmen und nicht stehlen!", fällt es Oma Erna spontan ein und sie lächelt geheimnisvoll. Opa hatte diesen Spruch immer auf den Lippen, wenn irgendetwas war. Den ganzen Heimweg überlegt Oma. Doch die Kälte hat wohl ihre Gedanken eingefroren, denn ihr fällt kein Ersatz ein. Erst zuhause hat sie eine Idee und schmiedet einen Plan.


*


An einer Tasse Tee nippend sitzt Oma Erna in ihrem Sessel vor dem Fenster und denkt über die vergangenen Tage nach. Sie heckt einen Plan aus, wie sie den roten Pantoffel wieder zurückerhalten kann. Doch je mehr sie ihn sich ausmalt, um so mehr erkennt sie, wie undurchführbar er ist.

Warum jagte sie plötzlich nur hinter einem einzigen Pantoffel her, der jetzt auch noch im Schaufenster des Schuhladens als Jesuskrippe stand. Hatte sie nichts anderes zu tun? "Nur noch drei Wochen, Bello. Dann ist schon Weihnachten." Bello liegt im Sessel nebendran und schaut hoch. "Wir haben noch jede Menge Plätzchen zu backen und die Geschenke sind auch noch nicht alle fertig. Übrigens Geschenke! Haben meine Kinder überhaupt schon bestätigt, daß sie zu unserem Fest kommen?"

Da klingelt das Telefon und Tochter Annette ist am Apparat. "Ich wollte mal hören, wie es dir geht?", fragt sie und Oma Erna entgegnet: "Du meinst sicher uns?" Eine Pause entsteht. Oma Erna merkt gleich, daß Annette an Bello gar nicht mehr gedacht hat und fügt an: "Ich spreche von Bello und mir!" - "Ja, natürlich", sagt Annette und kommt nun auf den eigentlichen Grund ihres Anrufs zu sprechen: "Hast du noch dein leckeres Fondue-Rezept?"

Oma Erna stöhnt innerlich auf. Immer wenn Annette kommt oder anruft, braucht sie etwas. Das wird schnell klar. Denn nicht nur das Rezept wird benötigt, sondern auch gleich der ganze Topf. Oma Erna sagt zu. "Zu welchem Termin brauchst du den Topf denn?" - "Nunja, zu Weihnachten!"

Oma Erna geht sofort durch den Kopf, was aus ihrem geplanten Fest wird und fragt direkt heraus: "Ach ja, wo wir gerade von Weihnachten reden, weißt du, ob alle meiner Einladung folgen?" Eine Pause entsteht und es scheint, als hätte Annette das Fest ganz vergessen. Doch dann lenkt sie ein und meint, sie würden sicher alle kommen. "Und wann holst du den Fonduetopf ab?", möchte Oma Erna wissen. "Ich komme die Tage vorbei, hab' noch was zu erledigen! Bis dann!" Schon hat sie wieder eingehängt.

Oma Erna legt den Hörer auf. "Schade, daß Opa nicht mehr da ist", denkt sie, lehnt sich in den Sessel zurück und denkt an alte Zeiten, an Sommer- und Wintertage, die sie mit ihm verbracht hat.

Bello hopst von seinem Sessel und springt auf Omas Schoß. Er merkt immer, wann sie ein bißchen Trost braucht.

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Advent 2010