Schattenblick →INFOPOOL →KINDERBLICK → GESCHICHTEN

GUTE-NACHT/3531: Eine außergewöhnliche Bande - Teil  6 (SB)


Gute-Nacht-Geschichten

Eine außergewöhnliche Bande



Ein merkwürdiger Zug schlängelt sich den Bürgersteig entlang in Richtung Innenstadt. Er besteht aus einer langen Schlange von Schuhen, die da paarweise hintereinander in die Stadt marschieren. Dem Zug voran geht ein schon sehr altes und verstaubtes Paar Herrenschuhe. Ihnen folgt ein Paar Stiefel, die scheinbar das Kommando angeben.

Der Zug der Schuhe hat ein ganz bestimmtes Ziel. Es geht zum Obdachlosenheim, um dort nach einem vermißten Paar Herrenschuhe Ausschau zu halten. Die Marschierenden wollen die vermißten Herrenschuhe fragen, ob sie weiter mit dem Landstreicher Willi umherziehen oder ob sie lieber wieder bei der außergewöhnlichen Schuhbande dabei sein wollen. Schließlich hat Willi, der Landstreicher, die Herrenschuhe einfach ohne zu fragen mitgenommen.

Der Weg zu Schuh in die Stadt ist weit. Das merken jetzt alle Paare. Sind sie doch bisher stets nur mit dem Auto oder mit dem Bus in die Stadt gelangt. Ausgeruht kamen sie stets mitten in der Stadt an und brauchten dort nur noch ein wenig spazieren zu gehen. Jetzt aber haben die Schuhe noch einen mächtigen Marsch vor sich.

"Wie lange wird es noch dauern?", quengeln die goldenen Damenschuhe, die am meisten unter dem Marsch in die Stadt leiden, wurden sie doch bloß ins Theater oder zum Tanzen angezogen. Da ging man nicht auf einem so harten und rauhen Straßenbelag. Parkett oder Teppich waren angesagt. Aber keiner der Schuhe reagiert auf die Quengelei der Goldenen. Sie alle haben mit sich selbst zu tun. So ein Marsch regt zum Nachdenken an.

Eine halbe Stunde ist bereits verstrichen und eine zweite angebrochen. Noch immer sind die Schuhe nicht im Stadtzentrum angekommen. Da wird es auch den Wanderschuhen zuviel. Schließlich ist dies auch ihr erster langer Gang. Sie kamen direkt aus dem Schuhladen in die Familie, die sie jetzt schon wieder verließen, ohne auf ihre Kosten gekommen zu sein.

"Ich kann nicht mehr!", schimpft der linke goldene Schuh. "Ich auch nicht!", sagt der rechte und prompt bleiben beide einfach stehen. Beinahe wären die hinter ihnen laufenden Paare über sie gestolpert. Geschrei und Gezeter setzt ein. Das bekommt auch der Anfang des Zuges mit und er hält an.

"Was ist denn da hinten los?", fragen die Stiefel. "Wir brauchen eine Pause", rufen die goldenen Damenschuhe. Keiner der anderen Schuhe in der Reihe protestiert. Gern möchten alle ein wenig verschnaufen. "Da vorne kommt eine Bank", sagen jetzt Willis alte Schuhe und schlagen vor, dort für eine Weile zu rasten. Dem stimmen alle zu. Nur die Goldenen brummen vor sich hin, kommen aber mit.

Plötzlich hören die kleinen Turnschuhe jemanden rufen, und je näher die neu formierte Schlange der angestrebten Bank kommt, um so lauter und deutlicher ist der Ruf zu hören. "Da braucht jemand unsere Hilfe!", sagen die kleinen Turnschuhe ganz aufgeregt und tanzen aus der Reihe, überholen alle Schuhe und laufen dem Hilferuf entgegen. Sie achten nicht auf das Schimpfen der Stiefel, die sie zur Ordnung und Vorsicht mahnen.

Direkt neben der Bank, die sie alle jetzt aufsuchen wollen, steht ein Papierkorb aus Metall. Aus ihm scheint das Rufen zu dringen. Zuerst kommt der rechte Turnschuh an der Bank an, gefolgt von dem linken. Beide horchen auf das Rufen und fragen laut: "Wo steckst du, der du Hilfe brauchst?" Da kommt eine nackte Sohle mit einem kleinen Plastikband daran hinter dem Papierkorb hervor. "Wer bist du?", fragt der linke Turnschuh. "Hast du so geschrien?", fragt der rechte. "Nein, ich habe nicht gerufen. Hört ihr es denn nicht. Da ist das Rufen schon wieder. Es ist ein Badelatschen, der da ruft, so wie ich einer bin. Es ist mein Pendant, mein Gegenstück. Er klemmt in dem Papierkorb fest und ich kann ihm nicht heraus helfen."

Die beiden Turnschuhe springen auf die Bank und schauen sich das Ganze von oben an. Da entdecken sie den zweiten Badelatschen und erkennen, daß er genau an einer Stelle des Papierkorbes klemmt, die aufgerissen und zerdellt ist.

"Wie können wir ihn da wieder herausholen?", fragen sich die Turnschuhe. "Ich glaube wir brauchen die Hilfe der anderen Schuhe", sagt der linke Turnschuh, während der rechte sogleich versucht den eingeklemmten Badelatschen zu beruhigen, "warte, gleich kommt Hilfe! Beruhige dich." Doch der Badelatschen jammert weiter. Da rät der kleine Turnschuh: "Schließ die Augen und ruh dich ein wenig aus. Oder schlaf ein bißchen. Wir retten dich so schnell es geht!"

Gute Nacht




zum 29. Februar 2012