Schattenblick →INFOPOOL →KINDERBLICK → GESCHICHTEN

GUTE-NACHT/3556: Eine außergewöhnliche Bande - Teil 31 (SB)


Gute-Nacht-Geschichten

Eine außergewöhnliche Bande



Die vier Wanderer, die vor nicht allzulanger Zeit aus der Scheune vertrieben wurden, warten darauf, daß auch der Bauer die Scheune verläßt. Denn Willi hat einen seiner Schuhe verloren und will ihn zurück.

"Ich wußte schon, warum ich meine Schuhe immer an den Füßen behalte", schimpft Willi vor sich hin. "Aber wieso hast du es heute Nacht nicht getan?" fragt Paule. "Ich hatte die Schuhe ja an, aber heute morgen lagen sie plötzlich im Heu", Willi wundert sich selbst.

"Da, da", sagt plötzlich Hugo und weist in Richtung der Scheune. Alle Vier sehen, wie der Bauer mit dem Traktor fortfährt. "Das ist unsere Gelegenheit", meint Willi. Doch Erna hält ihn zurück: "Warten wir wenigstens noch fünf bis zehn Minuten. Vielleicht ist es eine Falle? Vielleicht kommt der Bauer zurück." Clever, diese Erna. Die anderen nicken zustimmend.

Nach der abgesprochenen Wartezeit - der Bauer kehrt nicht wieder um - sagt Erna: "Wir gehen jetzt zurück in die Scheune und suchen deinen Schuh. Du bleibst hier und wartest." Doch Willi protestiert. Aber Erna läßt nicht locker: "Du willst doch nicht ohne Schuhe laufen. Außerdem brauchen wir einen Wachposten hier, falls der Bauer doch noch zurückkommt. Dann kannst du pfeifen. Das kannst du am lautesten."

Das mit dem Pfeifen ist eher eine Ausrede, denn das Motorengeräusch des Traktors würden sie sicher nicht überhören. Aber Erna weiß, wie schnell Willi in der Eile in etwas hineintreten könnte ohne Schuh und dann könnte er vielleicht nur noch humpeln. So ziehen Erna, Paule und Hugo los, den zweiten Schuh zu suchen.

Leider kehren sie ohne Erfolg nach einer halben Stunde zu Willi zurück. "Keine Spur von einem Schuh", sagt Erna wahrlich enttäuscht, "ich glaube, den hat der Bauer mitgenommen, um sich an uns zu rächen." - "Habt ihr auch alles abgesucht?" fragt Willi. "Das kannst du glauben", bestätigt Paule. "Ich schlage vor, wir ziehen los und besorgen dir in der Stadt neue Schuhe", sagt Erna. Willi protestiert. Doch Erna läßt nicht locker: "Wenn wir ausnahmsweise mal mit dem Daumen reisen und nicht mit den Füßen, holst du dir keine Blasen und wir sind schneller in der kleine Stadt da vorne." - "Wer will uns denn von hier schon mitnehmen?" sagt Willi entmutigt, "der olle Bauer vielleicht?" - "Da vorn muß eine Straße sein", läßt Erna nicht locker, "wir haben mehrere Autos vorbeifahren hören." - "Also gut, dann laßt uns aufbrechen, bevor es dunkel wird", stimmt Willi zu.

Bis zur Straße ist es wirklich nur ein kleiner Weg. Doch schon dreimal ist Willi in irgendetwas hineingetreten. Willi flucht. Dann erreichen sie die mehrfach befahrene Straße. Wenn ein Auto vorbeikommt, halten alle vier Wanderer den Daumen hoch. Doch kein Auto hält an.

"Verflixt", schimpft Willi. Da gibt der sonst schweigsame Hugo etwas von sich: "Nur Erna soll trampen." Auch ohne, daß Hugo weitere Worte verliert, wissen alle was gemeint ist. Wenn so ein Auto erst einmal anhält, besteht vielleicht auch die Chance, daß der Fahrer alle vier Kumpane mitnimmt, wenn sie ihm nur die Situation erklären. Doch auch das nächste und das übernächste Auto halten nicht an. Dann aber stoppt das dritte.

Erna springt gleich hin und erklärt die Lage. Aber die Autofahrerin winkt ab: "Für vier habe ich keinen Platz, nur für höchstens zwei Personen." Kurzerhand bespricht sich Erna mit ihren Kumpanen und sie kommen schnell zu dem Schluß, daß Erna und Willi schon einmal vorfahren sollen und daß sich alle vier spätestens morgen an der Kirche des nahen Ortes treffen wollen. Das ist abgemacht.

Die Frau fragt ihre beiden Mitfahrer ein bißchen aus, wo sie herkommen und wo sie hinwollen. Erna beantwortet die Fragen und bittet die Frau auch, sie an einem Schuhgeschäft herauszulassen. Die willigt ein. Es dauert nur eine Viertelstunde und schon sind Erna und Willi da, wo sie hinwollten, vor einem Schuhgeschäft. "Wollen wir hoffen, daß die da drin nicht herzlos sind", spricht Erna sich und Willi Mut zu. Doch sie erhalten nur eine Abfuhr. "Wir sind doch keine Kleiderkammer!" schimpft der Ladeninhaber und weiter faselt er etwas von Sachen aus zweiter Hand. Erna nimmt all ihren Mut zusammen und spricht einen vorbeigehenden Passanten an. Der meint: "Ich habe auch keinen einzelnen Schuh in der Tasche. Aber hier um die Ecke ist ein Second-Hand-Laden, vielleicht habt ihr da mehr Glück.

Erna läßt Willi auf einer Bank Platz nehmen. "Das besorge ich allein", sagt sie und ist auch schon entschwunden. Glücklicherweise hat auch der Zweite-Hand-Laden geöffnet. Erna geht hinein und spricht mit der Besitzerin. Dieses Mal wird sie freundlicher behandelt. Doch einen einzelnen Schuh gibt es auch in diesem Laden nicht. Außerdem ist die ganze Ware von privaten Personen nur in Kommission genommen. Da hat Erna eine Idee. Ein bißchen schwer fällt es ihr schon. Aber es geht wohl nicht anders. Aus ihrem Rucksack holt Erna die goldenen Damenschuhe hervor. "Ich habe leider nicht genug Geld, um ein Paar Herrenschuhe zu kaufen. Aber wenn sie diese hier nehmen und mir dafür ein Paar Herrenschuhe geben, das wäre uns eine große Hilfe."

Eigentlich wollte die Ladenbesitzerin Erna möglichst schnell wieder loswerden, nachdem sie ihr Anliegen vorgetragen hatte. Als Erna jetzt aber die goldenen Schuhe hervorholt, ist die Frau hinter der Theke begeistert. Sie läßt es sich bloß nicht anmerken. Denn sie weiß, daß sie gleich ein Schnäppchen machen wird.

"Welche Schuhgröße sollen denn die Herrenschuhe haben, die sie benötigen?" Erna weiß es gleich, sie hatte unter dem einen Schuh, der Willi noch geblieben war, die Schuhgröße entdeckt. "Dreiundvierzig." - "Mhm, da habe ich nur dieses eine Paar hier." Die Verkäuferin holt das älteste Paar hervor, daß sie in dieser Größe im Laden stehen hat. Aber Erna ist glücklich. Die Schuhe haben keine Löcher und sehen auch sonst noch ganz passabel aus. "Gut, ich nehme sie", sagt Erna und steckt die Schuhe ein. Noch einmal streicht sie über die goldenen Damenschuhe und sagt leise: "Es hat wohl nicht sollen sein, daß ich mit euch nach Italien reise. Aber dort am Strand kann ich auch mit den Badelatschen auskommen." So verläßt Erna den Second-Hand-Laden und dreht sich nicht mehr um. Auch die Frau des Ladens verläßt bald ihr Geschäft. Denn die Kirchenglocken haben bereits die sechste Stunde am Nachmittag eingeläutet.

Guten Nacht



zum 1. April 2012