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GUTE-NACHT/3599: Der kleine Nachtwächter wandert weiter (SB)

Der kleine Nachtwächter wandert weiter

Gute Nacht - Geschichten vom kleinen Nachtwächter

Der letzte Tag auf der Burg bricht an. In der Nacht haben Rebell und der kleine Nachtwächter sämtliche Plätze unten im Ort aufgesucht, mit denen sie etwas verbindet. Selbst bei dem großen Rohr, welches sie einmal auf ihrem Gang vor dem Regen schützte, hielten sie kurz an und stiegen noch einmal hindurch.

Am Morgen kamen sie müde zur Burg zurück. Nur drei Stündchen wollten sie sich auf 's Ohr hauen. Dann wollten sie packen.

*

Der Wecker klingelt. Nun ist es soweit. Die wenigen Habseligkeiten der beiden sind schnell in dem Rucksack des kleinen Nachtwächters verstaut. Anschließend durchstreifen sie zum letzten Mal gemeinsam die Burg und schauen in jeden Winkel, lassen auch den Turm, den Stall und den Garten nicht aus. Vom Apfelbaum fällt gerade eine noch recht grüne Frucht herunter, wie ein Abschiedsgeschenk. Der kleine Nachtwächter steckt ihn ein.

"Laß uns jetzt noch einen Tee trinken", schlägt er vor. Rebell folgt ihm in die Küche. Dort aber liegt kein Feuerholz und so unterläßt es der kleine Nachtwächter, Tee zu kochen, und setzt sich lieber mit einem Glas Wasser an den Tisch. Auch Rebell trinkt Wasser aus seinem Napf.

"Haben wir noch etwas vergessen?", überlegt der kleine Nachtwächter. Da fällt ihm ein, daß er Anton schreiben muß. Denn wenn sein Freund hier auf der Burg auftaucht und er nicht mehr da ist, weiß Anton ja nicht, wohin er ihm folgen soll. So setzt der kleine Nachtwächter einen Brief für Anton auf. Diesen schreibt er dann gleich noch einmal ab. Warum? Nun, den einen Brief schickt er nach Afrika, wo Anton sich noch immer aufhält. Den zweiten Brief steckt er ebenfalls in einen Umschlag, schreibt Antons Namen darauf und stellt ihn in der Küche auf das Regal. Da kann sein Freund ihn finden wenn er kommt, falls der erste Brief ihn in Afrika verfehlt haben sollte.

Einmal im Schreiben begriffen, fallen dem kleinen Nachtwächter noch andere Personen ein, von denen er sich verabschieden möchte - der Postbote und der Tierarzt, der Bäcker und der Schmied, ganz zuletzt auch der Bürgermeister. Noch immer hat der kleine Nachtwächter dessen Brief nicht gelesen. Er liegt wie zuvor unter dem Bett im Schlafgemach.

"Ich werde mich auch vom Bürgermeister verabschieden", sagt der kleine Nachtwächter, "am besten Auge in Auge. Wir holen uns im Kaufmannsladen noch einiges für die Reise, können uns da gleich persönlich von den Kaufleuten verabschieden und suchen im Anschluß den Bürgermeister auf. Der hat ja heute Sprechstunde."

Und so begeben sich die beiden zum letzten Mal in den Ort, werfen alle geschriebenen Briefe in den Postkasten beim Kaufmannsladen ein und wollen sich von den Kaufleuten verabschieden. Seltsamerweise ist heute nur eine Aushilfe im Laden und ein Abschied nicht möglich.

So stapft der kleine Nachtwächter zum Rathaus. Auch der Bürgermeister ist nicht anwesend. Seine Schreibkraft verrät, er sei beim Zahnarzt. Sie wünscht ihrem Vorgesetzten insgeheim, daß ihm ein Zahn gezogen werden muß. Denn er war heute wieder besonders schlecht gelaunt und hat all seinen Ärger an ihr ausgelassen. "Das geschieht ihm bloß recht", denkt sie bei sich.

Der kleine Nachtwächter überlegt, ob er für den Bürgermeister noch eine Notiz hinterlassen soll, doch da bellt urplötzlich Rebell, natürlich nicht in der Rathausschreibstube. Dahinein durfte er nicht mitkommen. Das besagt das Schild an der Rathaustür.

Rebell sitzt indess vor dem Rathaus und eine Krähe neckt ihn. Sie fliegt ihm um die Nase, was ihn arg ärgert. Selbst mit Bellen läßt sie sich nicht vertreiben. Aber schließlich kann er ja nicht einfach hinter ihr herlaufen, er soll doch vor der Tür auf sein Herrchen warten. Da aber ist der kleine Nachtwächter auch schon zur Stelle und der Abschied vom Bürgermeister vergessen.

"Komm Rebell, wir kaufen uns beim Metzger noch ein paar Würstchen für die nächsten Tage, und dann gehen wir zum letzten Mal zur Burg zurück."

Der Tag weicht dem Abend, und die Sonne senkt sich dem Horizont entgegen. Die Burg sieht im Abendrot besonders malerisch aus. Doch davon lassen sich die beiden weder beeindrucken noch zurückhalten. Sie wollen ihre Sachen holen und fortgehen. Schnell wird es dunkel.

Kurz überlegt der kleine Nachtwächter, ob sie nicht doch noch eine Nacht hier verweilen und sich ausschlafen sollten. "Aber ich bin ja ein Nachtwächter und der ist nun mal in der Nacht unterwegs!", stellt er fest. Er schnallt sich seinen Rucksack auf, zündet die Laterne an und steckt die Taschenlampe ein. Jetzt kann die Wanderung in Richtung Zoo losgehen.

"Tschüß, ihr alten Mauern!", ruft der kleine Nachtwächter zum Turm hinauf. Eine Antwort erhält er nicht. Mit der Taschenlampe leuchtet er noch einmal die starken Mauern hinauf. Der Strahl hält am Burgfenster inne, hinter dem der kleine Nachtwächter geschlafen hat. Ganz entfernt erinnert ihn das Fenster an einen Brief, der dort oben noch immer ungelesen unter einem der beiden Betten liegt ...

Gute Nacht

Buntstiftzeichnung: © 2011 by Schattenblick


zum 14. September 2012