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GUTE-NACHT/3642: Im Gewächshaus - Der Wunsch (SB)

Gute-Nacht-Geschichten

Im Gewächshaus - Der Wunsch

Erst seit wenigen Monaten hat Mama ein Gewächshaus, in dem sie Tee, Kaffee, Kakao und Kuchen anbietet. Gelernt hat sie eigentlich den Beruf der Gärtnerin. Aber schon immer hegte sie den Traum von einem eigenen Café. Jetzt ist er wahr geworden.

"Enna, kannst du mir mal kurz helfen?", fragt Mama und beugt sich über den Tisch, an dem ihre Tochter an den Hausaufgaben schreibt. Enna stöhnt. Wenn Mama möchte, daß sie ihr kurz hilft, dauert es stets länger als geplant. "Einen Moment, ich will nur diesen Absatz noch zu Ende schreiben!", entgegnet Enna. "Ach komm schon", sagt Mama. Doch Enna mag nicht. Sie ist gerade dabei, über große Veränderungen zu schreiben. So lautet das Thema ihres Aufsatzes. "Kann dir nicht Elenor helfen?", fragt Enna deshalb. "Nein. Oma liest ihr gerade eine Geschichte vor. Und sie ist doch noch so klein." Enna stöhnt noch einmal. Klein sein würde sie in solchen Momenten auch gern. Immer muß sie Mama helfen. Das ist doch glatt Kinderarbeit.

"Nun komm schon. Ich möchte bloß, daß du die Weihnachtsdekoration von den Tischen hier in diesen Karton legst. Die kleinen Elche aus Holz machen jetzt gar keinen Sinn mehr. Die können wir zum nächsten Advent wieder hervorholen und dann neu dekorieren." - "Kann ich das nicht auch später erledigen. Ich bin noch mitten in den Hausaufgaben." Jetzt stöhnt Mama: "Immer wenn ich mal etwas von dir möchte, schiebst du Hausaufgaben vor."

Enna ärgert sich. Mama weiß doch genau, daß sie wirklich Hausaufgaben auf hat und außerdem noch so viel Stoff nachzuholen ist. Schließlich hinkt sie allen anderen Kinder in ihrer Klasse hinterher. Denn der Umzug vor wenigen Monaten hier in diese Stadt hat alles durcheinander gebracht. Wäre sie doch bloß bei Papa auf dem Lande geblieben. Dort brauchte sie nie so viel lernen und auch nicht ständig mithelfen.

Voller Zorn blickt Enna auf die kleinen Elche und nimmt die wenigen, die direkt vor ihr liegen, vom Tisch, um sie lieblos in den Karton zu werfen. "Geht das nicht ein bißchen vorsichtiger?", Mama wirft ihr einen bösen Blick zu. Enna ballt die Faust. "Ach könnte ich doch bloß noch so klein sein wie Elenor", geht es ihr durch den Kopf, "die hört den ganzen Tag Geschichten von Elfen und Gnomen, von Geistern und Feen. Warum liest mir Oma nichts mehr vor? Ach, könnte ich doch wieder klein sein, nein besser noch so klitzeklein, um hier im Gewächshaus einfach ohne Schule und ohne die Familie leben zu können. Keiner denkt dann mehr an mich und keiner vermißt mich. Dann wäre ich endlich frei und könnte tun und lassen, was ich wollte. Das wünsche ich mir so sehr."

*

"Die Gedanken sind frei", so heißt es. Aber sind sie das wirklich? Was, wenn ganz tief empfundene Wünsche plötzlich in Erfüllung gehen?

"Gute Nacht!"

zum 10. Januar 2014