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KALENDERGESCHICHTEN/035: 11-2013   Kellergespräche (SB)


Buntstiftzeichnung: © 2013 by Schattenblick

Jonathan, Rupert und Käpt'n Carlo

Kellergespräche

Rupert und Käpt'n Carlo waren im Dorf mit Herrn Becker unterwegs. Zu Beginn des Spaziergangs hatte Rupert im Garten Jonathans Zauberbesen im Gras liegend entdeckt. Am liebsten hätte er sofort mit der Suche nach dem Mäuserich begonnen, doch musste er das Ende ihres Ausfluges abwarten.

Eine Horde Kinder umzingelte Herrn Becker und den Papagei. Sie stellten eine Menge Fragen, etwa in solcher Art: "Was isst denn ein Papagei? Kann der auch weg fliegen? Kommt er dann wieder nach Hause? Wo schläft er denn? Wohnt er in einem Käfig und wie groß ist so ein Käfig, der muss ja riesig sein?!"

Herr Becker gab geduldig und freundlich Auskunft. Er staunte über so viel Interesse. Zur Freude aller holte Käpt'n Carlo einen kräftigen Schwung und erhob sich vom Arm, flog eine Runde über die Köpfe der Kinder hinweg und kehrte auf seinen Sitzplatz zurück. Die Kinder klatschten, lachten und riefen: "Noch mal, Vogel, flieg noch mal!"

"Nein, nein, wir müssen jetzt nach Hause, vielleicht treffen wir uns ein andermal, wir werden öfter ausgehen", unterbrach Herr Becker das Bitten und Betteln. Alsdann setzte sich das Dreiergespann in Bewegung. Rupert überholte Herrn Becker und Käpt'n Carlo im schnellen Lauf, wendete, kam springend zurück, rannte wieder vor und stoppte plötzlich. "Rupert, bist du denn von Sinnen, was ist in dich gefahren? Geht es dir zu gut?" Nachdenklich blickte Herr Becker auf seinen Hund. "Na, ja, vielleicht bin ich zu streng. Rupert komm mal her." Als sein Hund artig neben ihm Platz machte, kraulte er ihn sanft an den Ohren: "Nun, lauf schon vor, mein Bester, wenn du unbedingt toben willst, lauf zu!"

Das ließ Rupert sich nicht zweimal sagen. Hastig sprang er auf seine Pfoten und rannte los. Im Nu war er vor ihrem Haus angekommen, sprang über die Gartenpforte und suchte die Stelle, an der er den Besen entdeckt hatte. Hoffentlich lag er noch dort. Rupert schnüffelte und schnüffelte, kein Besen zu riechen, kein Besen zu sehen! "Oh, nein, verdammt", fluchte er erschrocken. Er setzte sich kurz hin, um nachzudenken. "Ich muss jetzt ganz ruhig bleiben, gleich werden die anderen beiden kommen und mich mit ins Haus nehmen wollen. Ich muss den Besen vorher gefunden haben, also, los! Wozu hast du so eine gute Nase? Wenn der Besen noch hier ist, findest du ihn", sprach Rupert leise zu sich selbst. Dann begann er wie wild, die Rasenfläche abzusuchen, immer die Nase dicht über dem Gras. Da, er hatte ein Spur.

Ja, ganz deutlich, er roch den Besen und einen Hauch von Jonathan. Quer über den Rasen bis an das Kellerfenster folgte er dem Geruch. Dann hob er den Kopf und sah den Besen am Rahmen des nur wenig geöffneten Fensters lehnen. Er jauchzte laut auf und wusste doch im gleichen Moment nicht, was er nun als nächstes tun könnte. "Kann der Besen mir sagen, wo ich Jonathan finde? Kann ich ihn verstehen? Weiß er überhaupt, wo sich der Mäuserich aufhält? Was hilft es, ich werde ihn einfach fragen", entschloss er sich, und gerade als er seine Stimme erheben wollte, hörte er Herrn Becker und Käpt'n Carlo durch die Gartenpforte kommen. Sie quietschte laut genug und kurz darauf erreichte ihn der Ruf seines Herrchens: "Rupert, wo steckst du? Komm her, wir gehen ins Haus!"

"Wo ist Jonathan?", zischte Rupert noch schnell seine Frage an den Besen, bevor er gehorsam zur Haustür trabte.

Nach diesem ausgiebigen Morgenspaziergang räumte Herr Becker noch ein wenig auf. Er wusch ab, saugte den Teppich im Wohnzimmer, schüttelte sein Bettzeug und stellte lauter Kleinigkeiten wieder an ihren Platz zurück. Als er damit fertig war, hätte er eigentlich schon mit den Vorbereitungen für das Mittagessen beginnen können. "Oh je, Rupert", sagte er laut und wohl genauso zu sich selbst wie zu seinem Hund, "ich habe doch glatt vergessen, Eier und Mehl einzukaufen. Heute wollte ich mir ausnahmsweise mal Pfannkuchen mit Blaubeeren zubereiten. So ein Mist! Ich werde kurz alles nötige besorgen müssen." Er kramte sein Portemonnaie aus der Schublade, steckte es ein, schnappte sich seine Jacke, einen Einkaufskorb und mit einem "Seid brav und macht keinen Unsinn" verließ er das Haus.

Sofort rannte Rupert ins Wohnzimmer zu Käpt'n Carlo. "Endlich! Endlich können sprechen. Also, ich hab den Besen gesucht, an der Stelle, wo ich ihn gefunden hatte, doch er war nicht mehr dort, sondern lehnte am Kellerfenster." So kurz und knapp hatte er noch nie Bericht erstattet, aber er hatte das deutliche Gefühl, keine Zeit verlieren zu können.

"Am Kellerfenster, so, so. Und, hast du überprüft, ob es verschlossen ist oder ob eine Möglichkeit besteht, dort hinein oder hinaus zu gelangen?", erkundigte sich der Käpt'n.

"Ja, durch einen kleinen Spalt könnten auf jeden Fall der Besen oder auch Jonathan hindurch passen."

"Nun, lass mich überlegen: Wir können nicht sicher wissen, was der Besen uns mitteilen will oder ob er das überhaupt vorhat. Auch haben wir keine Kenntnis darüber, ob und wie er mit uns sprechen wird. Da wir aber annehmen können, dass sein Auftauchen hier bei uns im Garten nicht zufällig ist, ist es uns erlaubt zu vermuten, dass....."

"Oh, Käpt'n Carlo, bitte! Kannst du vielleicht etwas schneller überlegen?" seufzte Rupert.

"Geduld, wir brauchen einmal mehr einen guten Plan, einen durchdachten Plan! Ich habe eine Idee. Können wir von hier aus in den Keller gelangen?"

"Ja, klar, das geht. Komm mit!", rief Rupert im Laufen. Carlo breitete seine Flügel aus, glitt hinab und folgte Rupert hüpfend und flatternd in den Flur. Rupert stand vor der Kellertür. Mit seiner Schnauze umfasste er den Griff, zog ihn hinunter, worauf sich die Tür öffnete und so konnte er sie durch ein paar Schritte im Rückwärtsgang aufziehen.

"Prima, du bist ja ein perfekter Einbrecher!", lobte der Papagei.

"Das Licht musst du aber anmachen. Sieh, die alte Lampe, zieh einfach an der Schnur, die dort baumelt", forderte Rupert ihn auf.

Der Papagei flatterte in die Höhe, packte die Schnur mit dem Schnabel und zog daran. Sofort wurden die Kellertreppe und der Kellerraum durch eine nackte Glühbirne erhellt.

"Du kannst dich auf meinen Rücken setzen und halt dich gut fest!", schlug Rupert vor, denn auf der Treppe nach unten war es einfach zu eng, um fliegen oder flattern zu können.

Käpt'n Carlo nahm diesen Vorschlag dankend an und so gelangten sie beide in den Keller. Tatsächlich, das Fenster stand einen Spalt offen. "Meinst du, es gelingt dir, das Fenster weiter aufzuziehen?", wollte Rupert wissen.

"Ich denke schon", und noch während der Papagei antwortete, breitete er seine Flügel aus, schlug zweimal kräftig in die Luft, erhob sich und packte mit einer Kralle den Fensterhaken, an dem er mit einem Ruck zog. Alsbald kam frische Luft und Licht in den Raum. Am Rahmen des Fensters lehnte immer noch der Besen. Rupert und Käpt'n Carlo sahen sich ratlos an. Keiner wusste, wie man mit einem Zauberbesen redet.

Rupert und Käpt'n Carlo im Keller beim Zauberbeseb - Buntstiftzeichnung: © 2013 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2013 by Schattenblick

"Was kann 's schon schaden, ich frag ihn einfach, ob er weiß wo Jonathan ist!", raunte Rupert leise zu Carlo hinüber. Er stellte sich auf seine Hinterpfoten und legte die Vorderen auf den Fenstersims, um möglichst nahe bei dem Besen zu sein. "Hallo, du bist doch der Besen, der immer mit Jonathan zusammen ist? Kannst du uns sagen, wo er ist, ob er wieder zu uns zurückkommen will, ob ihm was passiert ist, sollen wir helfen, oder ..."

"Ich glaube, dass dies zunächst genügend Fragen sind", mischte sich Käpt'n Carlo ein. Dann war es still, nichts geschah. Der Besen rührte sich nicht.

"So ein Mist, ich wusste, dass er uns nicht versteht, Mist, so ein Schlamassel. Ich hatte mich schon so gefreut. Jetzt ist alles vergebens ...", schimpfte Rupert enttäuscht.

"Psst, leise, sei still, sofort!", mahnte der Käpt'n.

Rupert hätte sich beinahe verschluckt, brachte aber keinen Ton mehr hervor, sondern lauschte.

"Mit euch zu sprechen ist wirklich nicht leicht, ihr unaufmerksamen, zappeligen Schnatterer! Ich brauche eure Hilfe. Es geht um Jonathan."

"Razumpadau, was war denn das? Hast du auch was gehört?", erschrocken blickte Rupert zu Käpt'n Carlo hinüber.

"Gehört wohl eher nicht. Wenn ich es recht bedenke, war mir, als spräche jemand direkt in meinem Kopf."

"Genau wie bei mir, ja, das trifft es, ich hab 's direkt im Kopf gehört. Was hat er in deinem Kopf gesagt?", wollte Rupert wissen.

"Moment, ich bemühe mich, es genau zu erinnern: 'Mit euch zu sprechen ist wirklich nicht leicht, ihr unaufmerksamen, zappeligen Schnatterer! Ich brauche eure Hilfe. Es geht um Jonathan.'"

"Ja, ja, genau, genau, ganz genau! Das hat er auch zu mir gesagt."

"Nun, ja, ich habe eben ein sehr gutes Gedächtnis ..."

Rupert unterbrach ihn: "Ja, ja, schon gut. Wir können ihm also unsere Fragen stellen und warten dann einfach ab, was der Besen dann sagt, oder, oder ... wie heißt das denn, was er da macht? Kopfdenken, ja, vielleicht, also dann warten wir einfach ab, was der Besen uns kopfdenkt, okay?"

Käpt'n Carlo schüttelte amüsiert den Kopf und lachte leise. "Ja, so wird es gehen. Also frage ich ihn jetzt: "Hallo Besen, kannst du uns bitte sagen, wie wir helfen können. Wo ist Jonathan?"

Wieder war es ganz still. Diesmal hielten sie aber Schnauze und Schnabel und warteten aufmerksam ab. Alsbald meldete sich der Besen in ihren Köpfen: "Jonathan war gemeinsam mit Majon auf dem Weg zu deinem Haus, Rupert. Kurz bevor sie den Garten erreichten, wurden sie überfallen. Ein riesiger Kater sprang von einem Zaun hinunter und fauchte grauenerregend. Jonathan griff mich fest, drückte mich in seiner Hand und sprach einen Zauber, eben den, den er auch bei Herrn Becker angewandt hatte. So schafften wir es gemeinsam den Kater erstarren zu lassen. Aber Jonathan konnte nur noch drei Schritte weit gehen, sank langsam ins Gras und schlief tief und fest ein. Er war total erschöpft. Erst vom Rennen und der Angst, dann vom Zaubern. Majon ist nicht stark genug, um Jonathan zu verstecken - und ehrlich gesagt, weiß ich auch nicht, wo wir ihn draußen vor der Katze verbergen könnten."

"Wie lange wirkt der Zauber noch?" - "Ja, wie viel Zeit bleibt uns noch?", wollten Käpt'n Carlo und Rupert gleichzeitig wissen.

Wieder mussten sie einen Moment warten bis die Antwort vom Besen kam: "Das ist das Problem. Da Jonathan bereits schläft, muss ich jetzt den ganzen Zauber allein bewirken, ich bin aber schon ziemlich fertig, ich glaube, ich falle gleich um und in dem Moment kann der Kater sich wieder bewegen", keuchte der Besen kopfdenkender Weise.

"Schnell, sag uns, wo wir Jonathan finden, schnell", brüllte Rupert. Er war außer sich vor Sorge und dieses blöde Kopfdenken-Gespräch war ganz schön umständlich - und viel zu langsam.

"In Nachbars Garten unter einer Baumwurzel, ich glaube es handelt sich um einen Birnbaum", breitete sich die Antwort in ihren Köpfen aus.

Der Besen wirkte erschöpft und rutschte ein Stückchen weiter nach unten. Nun war höchste Eile geboten. Rupert und Käpt'n Carlo machten kehrt, der Papagei sprang auf Ruperts Rücken und der auf die ersten Treppenstufen ...

In dem Moment knallte die Haustür zu und Herr Beckers fröhliches Rufen erreichte sie: "Rupert, ich bin wieder da, habe alles bekommen, was ich für die Pfannekuchen brauche, und Bananen für den Käpt'n habe ich auch noch mitgebracht." Herr Becker stellte die Sachen auf den Küchentisch, rief noch einmal nach seinem Hund, ging in die Stube, schaute im Bad nach und rief auch noch die Treppe hinauf in sein Arbeitszimmer. Nirgends fand er die beiden. Dann ging er über den Flur zurück, um wieder in die Küche zu gehen und entdeckte die offen stehende Kellertür.

Ungläubig versuchte er es noch einmal: "Rupert, Käpt'n Carlo, seid ihr etwa im Keller? Das glaub ich jetzt aber nicht, was macht ihr denn da?"

Nun war guter Rat teuer. Wie in aller Welt sollten sie ungesehen und absolut, total schnell das Haus verlassen, um Jonathan zu retten?

Fortsetzung folgt ...

zum 1. November 2013