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KALENDERGESCHICHTEN/053: 05-2015   Weggefährten - ein neuer Freund (SB)



Die Gans betrachtet einen Schulatlas. Im Hintergrund jagen Kinder hinter Schmetterlingen her - Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Was bisher geschah

Das Kamel, die Gans und die kleine Kuh waren zu Gustl Storch gegangen, um ihn um Hilfe zu bitten. Doch leider hatte der Storch selbst gerade ganz üble Laune, weil er sich über seine Frau und seine Kinder ärgerte. Die drei Bittsteller kamen gar nicht dazu, Gustl ihr Anliegen vorzutragen, da er sie schon mit lautem Geschimpfe empfing. Also machten sie sich auf den Rückweg, um die Nacht in der Scheune zu verbringen und Wache zu halten ...


Als sie den Hof von Bauer Sepp erreichten, war es schon dunkel geworden. Edith ging vorneweg, Mäuschen und Doro folgten ihr dichtauf. Der Mond schien durch ein Dachfenster von oben herab in die Scheune, so dass sie einen guten Platz zwischen einem Anhänger voller Rüben und einem Haufen Strohballen ausfindig machen konnten. Irgendwie sah alles um sie herum unheimlich aus.

"Doro, du kannst dich ruhig hinlegen, ich halte Wache. Du brauchst dir keine Sorgen machen. Wir Gänse sind berühmt für unsere Aufpasserfähigkeit und beißen und hauen können wir auch gut. Ich sage dir, mein Schnabel - von dem möchte keiner getroffen werden ...", pries sich die Gans als Beschützerin an.

"Oh, gut, das ist gut, denn ich bin ganz müde und schlapp geworden." Doro gähnte und reckte sich. Dann legte sie sich langsam hin und es dauerte gar nicht lange bis sie tief und fest schlief.

"Edith, ich glaube es ist besser, wenn ich wieder zur Herde zurückgehe, bevor Bauer Sepp morgen früh beim Melken merkt, dass ich fehle", überlegte die kleine Kuh laut, "und dann, oh je, dann würde er anfangen überall auf dem Hof nach mir zu suchen und auch in der Scheune nachsehen, und oh, nein, er würde Doro finden und, nein, also ich muss zurück bevor es hell wird!"

"Das ist wohl so, ja. Aber wer schließt das Tor hinter dir?", fragte Edith besorgt. Doch bevor Mäuschen antworten und bevor Edith noch einen weiteren Gedanken fassen konnte, knackte es draußen vor dem Scheunentor, als wäre jemand auf einen Zweig getreten. Die kleine Kuh und die Gans erstarrten vor Schreck und wagten kaum Luft zu holen. Hinter sich hörten sie die gleichmäßigen Atemzüge des schlafenden Kamels. Das war gut, denn dieser Schreck wäre wohl für das Kamel zu viel gewesen.


Der Mond scheint hell. Die kleine Kuh beugt sich zur Gans hinunter und flüstert ihr zu - Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Leise beugte Mäuschen ihren Kopf hinunter zu Edith: "Was machen wir jetzt?", flüsterte sie. "Wir greifen an!" - "Wie denn?" Die kleine Kuh war ängstlich, "wir wissen doch gar nicht wie groß und stark der da draußen ist."

"Tja, schon richtig, aber er weiß auch nicht wir groß und stark wir sind!", gab Edith zu bedenken. "Das müssen wir ausnutzen. Wir täuschen ihn einfach ...!"

"Pssst!", machte Mäuschen, "nicht so laut!" Die Gans war vor lauter Begeisterung über ihren guten Plan etwas unachtsam geworden.

"Ja, 'tschuldige", flüsterte Edith, "also, du rennst von der einen Seite, ich von der anderen durch das Tor nach draußen und wir machen dabei unheimliche Geräusche - aber nicht so laut, dass Bauer Sepp davon wach wird - und stürmen auf den Eindringling zu, ganz egal ob er riesig oder winzig ist!"

"Ist das dein Plan?" - "Ja, klar oder hast du noch eine bessere Idee?"

"Nein, aber ich fürchte mich. Ich glaube, ich habe noch nie so viel Angst gehabt wie jetzt."

"Das verstehe ich, aber wenn wir Doro beschützen wollen, haben wir wohl keine andere Wahl, oder?"

"Also gut, du gibst das Startsignal, dann stürmen wir hinaus." Mäuschen war es zwar mulmig zumute, aber Edith hatte recht, sie mussten das Kamel vor einer Entdeckung bewahren.

Abermals knackte es in der Dunkelheit und es folgte ein leises "Wusch- wusch-wusch". Edith war entschlossen, genau jetzt anzugreifen und rief: "Los! Jetzt!" Wie besprochen stürzten sie sich von zwei Seiten hinaus ins Dunkle, hinaus ins Ungewisse.

"Hilfeeee, verflucht, verflixt noch mal, was soll das? Stopp, aufhören, ich bin es, Gustl!", klapperte der Storch aufgebracht und ärgerlich.

Sofort hielten Mäuschen und Edith inne und staunten nicht schlecht, als sie tatsächlich den großen Storch vor sich erblickten.

"Was willst du denn hier mitten in der Nacht?", platzte Edith unfreundlich heraus.

"Helfen. Ich will euch helfen. Es tut mir Leid, dass ich heute Nachmittag so unwirsch gewesen bin."

Edith und Mäuschen gaben gleichzeitig ein erstauntes "Ooooh" von sich, und als sie mit dem Staunen fertig waren, meinte Edith viel freundlicher: "Prima, Gustl, wir können wirklich Rat und Hilfe gebrauchen. Zunächst einmal muss Mäuschen bei Sonnenaufgang wieder zurück zu ihrer Herde und jemand muss das Gatter hinter ihr mit dem Haken verschließen, damit Bauer Sepp sich nicht wundert und vielleicht Verdacht schöpft."

"Kein Problem, das kriege ich hin!", versicherte Gustl, "und was noch?"

"Danach kommst du wieder hierher und dann beratschlagen wir, wie wir den Weg in Doros Heimat finden können. Wenn ich nur jemanden kennen würde, der schlau ist und lesen kann. Die Kinder von Bauer Sepp haben nämlich Bücher mit Bildern von der ganzen Welt. Das sind richtig große, dicke Bücher, in denen bestimmt auch Doros Heimat aufgemalt ist", erklärte Edith. Die Gans hatte oft neben den Kindern im Gras gesessen, wenn sie dort über ihren Hausaufgaben brüteten. Meistens dauerte es nicht lange bis sie Schmetterlingen hinterher liefen oder sich auf den Weg zur Pferdekoppel machten. Die Bücher blieben liegen und so hatte Edith ab und an Gelegenheit, einen Blick hineinzuwerfen.

"Da könnte ich mich umhören, vielleicht sogar gleich zu Eulen-Lieschen fliegen, sie ist wirklich sehr klug, oder zu den Raben. Ja, ich denke, wir finden jemanden, der uns weiterhelfen kann", meinte Gustl zuversichtlich.

Fortsetzung folgt ...

zum 1. Mai 2015


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