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KALENDERGESCHICHTEN/055: 07-2015   Weggefährten - Verständigung ... (SB)



Das Kamel liegt gemütlich im Gras uns blickt etwas unsicher auf den Jungen, der ihr freundlich die Hand entgegenstreckt - Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Was bisher geschah ...

Die Gans hatte es sich vor der Scheune gemütlich gemacht und ließ sich die Sonne auf ihr Gefieder scheinen. Nach kurzer Zeit wurde sie schläfrig und döste vor sich hin. So wartete sie auf die Rückkehr des Storchs, der etwas weiter nördlich im Land ihren entfernten Verwandten einen Besuch abstattete, um zu erfragen, ob es in dem Land, in das sie fliegen oder aus dem sie stammen, auch Kamele gibt. Sollte dies so sein, sollten sie sich mit Doro auf den Weg dorthin machen.


Das Kamel hatte sich wieder unter die Kuhherde gemischt und lag auf der Weide, wo es von dem hohen Gras ziemlich gut verdeckt wurde. Es hatte keinen Hunger, aber später würde es wohl gerne etwas trinken. Der Bach, der sich hinter der Weide entlang schlängelte, führte frisches, klares Wasser. Aber jetzt hieß es erstmal noch verborgen bleiben. Doro genoss die Sonne, den leichten Wind und war froh, nicht mehr in der Scheune sein zu müssen. Genüsslich legte sie ihren Kopf aufs Gras. Doch dieses Wohlgefühl wurde plötzlich gestört. Ein Rascheln und ein leises Knacken von trockenen Zweigen ließ Doro aufschrecken. Durch das Gras hindurch blickte sie auf einen Jungen, ziemlich groß, dünn und von schlacksiger Statur.

"Hallo Kamel, wie kommst du denn hierher? Das ist ja ein Ding. Sieht ganz so aus, als würdest du dich verstecken. Du bist doch das Kamel aus dem Zug, mit dem auch ich nach Deutschland gekommen bin? Ja, sicher, sonst gibt 's hier ja keine." Der Junge schien nicht wirklich eine Antwort von Doro zu erwarten, aber er lächelte freundlich und streckte seine Hand aus, um Doros dichtes Fell am Hals zu kraulen. Dann strich er auch noch sanft mit der Hand unter ihrem Kopf entlang und über ihre Nüstern.

"Huuh, das fühlt sich wunderbar an. Woher weiß der Junge nur, was mir gut gefällt, er kennt mich doch gar nicht?" Sie sah ihn sich genauer an und irgendwie bot er einen vertrauten Anblick. Gleichzeitig fürchtete sie sich aber, denn von kleinauf lernte ein Kamel, also ein echtes Wildkamel wie sie eines war, Menschen lieber aus dem Weg zu gehen.

"Hey, du brauchst vor mir keine Angst zu haben. Ich werde dich nicht verraten, denn ich bin selbst auf der Flucht. Weißt du, mein Vater will, dass ich in Deutschland zur Schule gehe und ganz viel lerne, damit etwas aus mir wird. Tja, und das bedeutet, dass ich ein Geschäftsmann werden soll. Aber eins sage ich dir, niemals, niemals, das wird nicht geschehen. Weißt, Kamel, ich liebe die Steppe, das weite Land, den Himmel über mir - ich will nicht in einem Büro vor einem Computer sitzen, eingesperrt mit tausend Handys am Ohr. Nein! Nicht mit mir! Deshalb bin ich sofort abgehauen. Ich will wieder zurück nach Hause. Doro drehte sich zu ihm um und sah ihn mit ihren großen, hübschen Augen verständig an. "Ja, du verstehst mich, will mir scheinen", seufzte der Junge erleichtert und struwwelte ihr Fell kräftig, was ihr sehr behagte.

In der Zwischenzeit war Gustl zurückgekehrt. Nachdem er vor Edith gelandet war und sie vor Schreck laut zischend ihren Schnabel beinahe in seine Brust gerammt hätte, um sich gegen einen vermeintlichen Feind zu wehren, bat sie ihn um Verständnis.

"Tja, tut mir leid, ist reine Selbstverteidigung. Ich muss schnell sein, schnell zuschlagen, ich kann ja nicht wegfliegen - also muss ich kämpfen, verstehst du?"

"Ja, sicher", tat er mit einem leichten Flügelschlag ihre Erklärung ab. Er fand es nur allzu verständlich und sprach gleich weiter: "Lass mich berichten, was ich erfahren habe. Deine Verwandten sind irgendwie merkwürdig und leider auch bockig oder stur. Jedenfalls habe ich sie so freundlich wie es mir möglich war, gefragt, wo sie denn im Winter hinfliegen. Eine Gans schimpfte, dass mich das nichts anginge, warum ich so neugierig sei, gleich darauf schalt mich eine andere, dass ich als Storch doch wissen müsse, dass man sein Reiseziel nicht jedem x-beliebigen Fremden preisgibt, das wäre viel zu gefährlich. Na ja, das ging immer so weiter und ich muss dir sagen, Edith, die Gänse waren ganz schön eingebildet und da wurde es mir zu bunt. Ich flog direkt zu dir zurück. Und hier bin ich wieder."

"O je, ich hatte keine Ahnung, dass sie so unfreundlich sind. So ein Mist aber auch - alles scheint viel schwieriger zu werden, als ich es mir vorgestellt hatte."

Edith raffte sich auf, schüttelte sich, reckte ihren Hals und blickte ratlos in die Weite, über die Felder, bis ihr Blick schließlich auf der Kuhherde landete. Sie suchte Doro, die sie aber nicht entdecken konnte.

"Mann, hat Doro sich gut versteckt, ich kann sie gar nicht sehen!"

"Warte, ich flieg mal eben in die Höhe, hab da eine bessere Sicht auf alles." Kaum hatte Gustl das gesagt, flog er auch schon ein kleines Stück, rief dann, dass er sie ausfindig gemacht habe, dass aber jemand neben ihr stehe, den er nicht kenne, ein Junge.

"Oh, hoffentlich verrät er Doro nicht, o nein, lass uns sofort zu ihr gehen und sehen, ob wir helfen können!" Edith straffte sich, trippelte eilige Schritte und rief Gustl zu: "Außerdem sollten wir uns sofort mit ihr besprechen, wie es nun weitergehen soll, was wir unternehmen wollen und all so was - außerdem ...", pustete sie und blieb kurz stehen, " ... bin ich neugierig, wer der Fremde neben ihr wohl sein mag."

Gustl flog voraus und Edith watschelte hastig über den Hof zur Koppel, unterm Gatter hindurch und kämpfte sich durch das hohe Gras bis sie Doro erreichte. Mutig schritt sie auf sie und den Jungen zu, der dem Kamel das Fell kraulte. Edith fand, dass alles nicht bedrohlich aussah und entspannte sich.

"Hallo Doro, du hast Besuch bekommen, wie ich sehe. Wer ist das?", fragte sie sofort.

"Das weiß ich leider auch nicht. Aber er hat erzählt, dass er mich aus dem Zug her kennt, mit dem ich - und auch er - in dieses Land gekommen bin. Dann hat er noch gesagt, dass er auch auf der Flucht ist und wieder nach Hause will - ist das nicht toll?", freute sich Doro. Aber ihre Freude währte nicht lange, bekümmert blickte sie zu Edith: "Leider kann ich dem Jungen nicht sagen, dass ich gerne mit ihm mitkommen möchte, er versteht mich ja nicht. Ich befürchte, dass er einfach weiterzieht und mich zurücklässt. Soll ich ihm einfach hinterherlaufen?" Was Doro außerdem noch Sorgen machte, sagte sie lieber nicht laut. Sie hatte nämlich Angst, und ohne Edith noch viel mehr, so viel mehr, dass sie wahrscheinlich keinen Schritt tun würde. Sie seufzte: "Oh, Edith, was soll ich nur tun?"

"Sei nicht traurig, Doro, du hast eigentlich riesiges Glück. Ich wohne schon mein Leben lang unter Menschen und habe gelernt, ihre Sprache zu sprechen. Ich kann den Jungen alles fragen und ihm alles erklären. Das wird toll, das ist super, oh, ich freue mich für dich. Stell dir vor, Doro, wir gehen in deine Heimat zurück." Edith breitete vor Vergnügen ihre Flügel aus und flatterte hin und her.



Das Kamel steht in der weiten, flachen Graslandschaft, im Hintergrund ein Gebirge und oben in der Luft fliegt die Gans - Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

"Du kommst mit mir?" Erstaunt, total überrascht und nicht ganz sicher, ob sie richtig gehört hatte, wartete sie auf die Antwort.

"Ja, klar, was denkst denn du? Wenn dein Land wirklich so groß ist, dann gibt es dort auch genügend Platz für mich, um fliegen zu lernen. Ganz sicher komme ich mit!", beteuerte die Gans und Doro wäre vor Freude fast geplatzt.

"Los, dann frag den Jungen alles, was wir wissen müssen ..."

"Stopp, halt, so einfach ist es nun auch wieder nicht. Menschen sind meistens etwas verwirrt und ängstlich, wenn ein Tier mit ihnen spricht - nicht, dass sie die Worte nicht verstehen würden, aber sie können nicht glauben, dass eine Gans wie ich mit ihnen spricht - das macht sie ganz verrückt. Manchmal rennen sie weg und schütteln ihren Kopf wie wild, wozu auch immer das gut sein soll. Deshalb muss ich ganz behutsam vorgehen", erklärte Edith.

Fortsetzung folgt ...

zum 1. Juli 2015


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