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KALENDERGESCHICHTEN/058: 10-2015   Weggefährten - Schicksalsgenossen (SB)



Löwe schreitet würdevoll an den drei Männern vorbei - Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Was bisher geschah ...

Nachdem die drei Weggefährten im Försterhaus von einem Zirkusmitarbeiter, der auf der Suche nach seinem entlaufenden Löwen war, entdeckt wurden, machten sie sich auf den Weg zum Zirkus. Dort war alles im Aufbruch, alle packten, verstauten und räumten, denn der Zug stand schon zur Abfahrt bereit. Es gelang den Dreien unbemerkt in einen Waggon zu gelangen ...

Kamel, Gans und der Junge standen eng beieinander und hörten einen Mann in einiger Entfernung die Tür eines Waggons mit einem lauten Rums schließen. Zuvor rief er: "Alles okay da drinnen?" Lautes Wiehern tönte ihm aufgeregt als Antwort entgegen. Mit schweren Schritten erreichte er die nächste Tür und wieder war seine laute Stimme zu vernehmen: "Alles okay da drinnen?" Diesmal tröteten Elefanten nicht gerade melodiös. Der Mann näherte sich nun dem Waggon von Doro, Edith und Bataa. Was sollten sie ihm antworten? Bataa überlegte kurz und als die Frage kam, brummte er mit möglichst tiefer Stimme: "Alles in Ordnung hier!"

Der Mann schien sich zu wundern und wollte ins Innere des Wagens schauen - hatte er etwas anderes erwartet? In dem Moment brüllte jemand über den Platz: "Der Löwe, der Löwe! Achtung Leute, vom Wald her, er kommt zurück!" Der Mann blickte nicht in den Waggon, ließ die Tür offen stehen und rannte los in Richtung Waldrand. Zwei Kollegen eilten von beiden Seiten auf ihn zu, um ihm beim Einfangen des Löwen zu helfen. Aber sie brauchten gar nicht viel zu tun. Der Löwe schien ganz zufrieden und schritt majestätisch an den drei Männern vorbei. "Ist schon gut, Leute, ich glaub, ich komme allein zurecht, Maxim macht keine Anstalten wild oder ärgerlich zu sein. Ich bringe ihn sofort in seinen Käfig." - "Wie du meinst, Josch, wir haben noch genug anderes zu tun, als Löwen zu bändigen", lachten die beiden.

Bataa riskierte einen Blick aus ihrem Versteck und schrak zurück: "Edith, der Löwe, der, der Löwe ...!" - "Ja, ja, der wird in seinen Käfig verfrachtet, was soll 's. Kein Grund zur Panik!" Sie breitete ihre Flügel aus und schüttelte den Kopf: "Tse, tse, tse, diese Menschen haben vor allem Angst." Doch beim Flügelschlagen stieß sie an etwas Hartes, legte ihre Schwingen wieder dicht an ihren Körper und drehte sich suchend um. Sie staunte nicht schlecht, als sie den Käfig erspähte, an dessen Gitterstäbe sie sich gestoßen hatte. "O je", seufzte sie und ihr verstörter Blick traf den von Bataa. Von Doro war kein Ton zu hören, sie stand reglos und total verschreckt, hatte sich so weit wie möglich in die Ecke verkrochen. Nun war es an Edith, ängstlich zu sein. Die Vorstellung, gemeinsam mit einem Löwen zu reisen, behagte ihr überhaupt nicht.

"Was sollen wir jetzt bloß tun, verflucht, Bataa, Doro, lasst uns sofort hier raus, wir müssen sofort verschwinden, ich will kein Löwenfutter werden, vielen Dank!" Schon hüpfte sie aufgeregt in Richtung Tür, bereit zum Sprung aus dem Waggon. "Nein, Edith, bleib hier, komm zurück, schnell!", rief Bataa ihr hinterher. Die Gans drehte sich um, Bataas Ton ließ keinen Widerspruch zu und so hopste sie hastig zu dem Jungen hinüber und versteckte sich hinter ihm. "Was hast du vor?", flüsterte sie und reckte ihren Kopf Bataa entgegen, der sich gerade zu ihr hinab bückte. "Wir verhalten uns mucksmäuschenstill und drängen uns soweit es geht ins Dunkel der Ecke. Hoffentlich sieht uns keiner." - "Und der Löwe?", sorgte sich Edith "Der wird doch in den Käfig gesperrt, schon vergessen? Er kann uns nicht gefährlich werden!", beruhigte er sie. Doro nickte, brachte aber keinen Ton heraus.

Gebannt warteten sie. Bald schon konnten sie ein lautes Fauchen hören, das mit Sicherheit so viel bedeutete wie: "Nun lasst mich doch endlich mal in Ruhe!" Es musste ein gewaltig großer Löwe sein, denn als er die Rampe, die eilig von zwei Männern aufgestellt wurde, hinauf schritt, erbebte der ganze Waggon unter seinen riesigen Pranken. Jetzt war es soweit, der Löwe stand im Eingang, blickte erstaunt in die Ecke, musterte die drei Gestalten und fauchte abermals schräg und heftig. In dem Moment erhielt er von Josch, dem Dompteur, einen leichten Klaps aufs Hinterteil, woraufhin sich der Löwe in seinen ihm vertrauten Käfig auf der anderen Seite des Wagens begab.

"Ich lass die Käfigtür offen, Maxim, aber benimm dich, einverstanden?" Maxim knurrte leise, aber freundlich, und der Dompteur verriegelte die Waggontür von außen. Die arme Gans rang um Fassung und unterdrückte gerade noch einen Angstschrei, was ihr nur gelang, weil Bataa sie auf seinen Arm nahm und sanft streichelte. Dann drehte er sich zu dem Kamel um: "Doro, du musst jetzt ganz tapfer sein und auf Edith aufpassen, sie ist total verängstigt. Ich werde sie jetzt zwischen deine Höcker setzen."

Das war nun aber doch zu viel für die Gans. Sie und Angst haben, pah! Und ausgerechnet die arme, zitternde und bibbernde Doro sollte auf sie acht geben! Also schimpfte Edith: "Nein, nein, was soll der Quatsch, ich bin wieder ganz die Alte, bin wieder ... das war nur der Schreck. Bataa, ich werde jetzt zu dem Löwen gehen, vielleicht kann ich mit ihm reden!?" - "Bist du sicher? Dann gehen wir aber gemeinsam zu ihm, einverstanden?" - "Klar, dann bist du in meiner Nähe und ich kann dich beschützen!", prahlte Edith angeberisch. "Da bin ich aber beruhigt", lachte Bataa leise.

"Was ist denn das für eine Unruhe da drüben?", genervt fletschte der Löwe die Zähne und sah überhaupt nicht freundlich aus. Bataa hielt inne. Edith aber machte einen langen Hals, streckte sich weit vor in Richtung Käfig und grüßte den Mitreisenden so höflich wie sie nur konnte: "Hallo, schönen guten Tag. Ich bin hocherfreut, dass wir deine Gäste sein und mit dir nach, wo auch immer, hinreisen dürfen, vielen Dank."



Kamel, Bataa, Gans und Löwe im Waggon, die Gans spricht zum Löwen - Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

"Ah ja, ich erinnere mich gar nicht, euch eingeladen zu haben, ich kenne euch ja gar nicht", murrte der Löwe. "Aber das macht doch nichts, das lässt sich schnell ändern. Also ich heiße Edith", dort hinten, dabei zeigte sie mit ihrem Flügel auf das Kamel, "ist Doro und neben mir steht Bataa. Und mit wem haben wir das Vergnügen?"

"Man nennt mich Maxim und ich muss schon sagen, ich bin schwer beeindruckt von dir, kleine Gans. Du scheinst überhaupt keine Angst vor mir zu haben."

"Hmm, ja", druckste Edith, denn so ganz stimmte das ja nicht. "Bataa kennt auch keine Furcht", flunkerte sie dann noch obendrein.

"Wie auch immer, ich bin froh, mal Leute zu treffen, die sich nicht vor mir aus Angst in die Hosen machen. Was ist mit dem Kamel dort hinten, warum kommt es nicht zu mir herüber?"

Edith antworte erst gar nicht, sondern rief Doro zu: "Komm nur, Doro, dann kannst du Maxim begrüßen." Da das Kamel großes Vertrauen zu der Gans hatte, ging sie ohne zu zögern los und gesellte sich zu ihren Gefährten: "Hallo Maxim", grüßte sie den Löwen freundlich und mit fester Stimme, so als würde auch sie sich nicht vor ihm ängstigen.

"Nun, dann können wir es uns recht gemütlich machen, denn die Fahrt wird lange dauern. Zum Glück bin ich pappsatt und total müde. Wenn ich schlafe, wird mir die Zeit auch nicht lang. Ihr könnt euch wie zu Hause fühlen, macht es euch bequem."

"Wo fährt der Zug denn hin?", wollte Edith wissen. "Erst in die Mongolei und dann nach China. Aber sagt mal, wenn ihr beim Zirkus seid, warum wisst ihr das denn nicht? Und überhaupt, welche Kunststücke führt ihr vor? Da bin ich jetzt aber doch neugierig."

Edith fiel so schnell nichts ein, was sie ihm hätte sagen können, deshalb versuchte sie ihn abzulenken: "Warum bist du eigentlich fortgelaufen?"

"Oh, das mache ich oft. Wisst ihr, ich bin es leid, immer diese langweiligen oder total doofen Kunststücke vorzuführen, da bin ich ganz froh, wenn ich mir zur Abwechslung ein bisschen die Gegend ansehen kann, echte Bäume, Wiesen, Flüsse und Sonnenschein, Blumen und Bienen, ach, ja, das ist herrlich", schwärmte Maxim.

"Aber die Männer, die dich gesucht haben, waren ziemlich ärgerlich ..." - "Mag schon sein, Josch aber nicht. Wir haben eine Vereinbarung, ich darf gehen, wenn ich rechtzeitig wieder zurückkomme, darf mich niemals in der Stadt sehen lassen und zwischendurch auch keine Menschen fressen. Tja, das habe ich ihm versprochen. Die anderen Männer wissen nichts davon", erklärte der Löwe und gähnte herzhaft, wobei er sein riesiges Maul weit auf riss und rülpste. "Ich bin müde", säuselte er schlaftrunken, drehte sich um und machte es sich im Stroh gemütlich. Im Nu war er eingeschlafen. Bataa neigte sich zu Edith hinab: "Was hat er gesagt?" - "Wir brauchen dringend eine Zirkusnummer, verstehst du, wir müssen uns etwas ausdenken, Kunststücke oder so etwas ..."

Als Bataa sie verständnislos ansah meinte Edith: "Kommt Leute, wir lassen den Löwen schlafen und drüben in unserer Ecke beraten wir uns."

Fortsetzung folgt ...

zum 1. Oktober 2015


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