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KALENDERGESCHICHTEN/061: 01-2016   Ungleicher Kampf ... (SB)


Buntstiftzeichnung © 2016 by Schattenblick

Ungleicher Kampf

Seit er seine Blätterhöhle im Frühjahr verlassen hatte, war viel Zeit ins Land gegangen. Die Sonne schien, wohlige Wärme breitete sich aus und ab und zu sorgte ein Regenguss für leichte Abkühlung und frisches Wasser. Daran änderte sich eigentlich nicht viel. Dem Igel behagte es und er ging seinen Angelegenheiten nach. Seine erste Aufgabe bestand darin, etwas zu Essen zu beschaffen. Die zweite gefiel ihm noch viel besser, er verliebte sich in eine rundliche, gemütliche Igelin. Sie blieben zusammen und zogen ihre Kinder groß. Das allerdings bedeutete für den Igel zusätzlich Nahrung für die hungrigen Mäuler seiner Familie zu besorgen. Die Kinder wuchsen und wuchsen. Doch dann regte sich etwas in ihnen. Ein Gefühl? Ein Wissen? Jedenfalls begannen sie damit, unglaublich viel zu essen, sozusagen auf Vorrat. Schließlich stellte sich bei ihnen eine immer größer werdende Müdigkeit ein. Ein Blätterbett, ein gemütlich warmer Unterschlupf, eine kleine Höhle aus Zweigen und Laub, darin wollten sie in der Winterzeit schlafen. Genau so wollten sie es, so sollte es sein.

Aber irgendetwas stimmte nicht. Jeden Tag prüfte der Igelvater, ob es schon kälter geworden sei, ob vielleicht schon erste Vorboten des nahenden Winters zu erkennen waren, wie etwa die silbrig-weißen Krümelchen auf den Blättern und Gräsern. Nichts. Wirklich überhaupt nichts dergleichen zeigte sich. Sorgenvoll sprach er zur Igelin: "Was ist bloß los, gibt es dieses Jahr gar keinen Winter? Will es denn überhaupt nicht kalt werden? Und wenn es nicht kalt wird, wenn die Winterzeit ausfällt, wie können wir dann schlafen und uns ausruhen?" Die Igelin antwortete ganz praktisch: "Mir knurrt der Magen, ich habe Hunger und draußen ist weit und breit nichts Nahrhaftes mehr zu finden. Wäre es da nicht besser diese Hungerzeit zu verschlafen - auch wenn es viel zu warm ist? Du hast so eine schöne Schlafhöhle gebaut. Da gehe ich jetzt mit unseren Kindern hin und mache es mir mit ihnen recht gemütlich." Es dauerte auch nicht lange, bis sie ihren Worten Taten folgen ließ und verschwand. Er möge doch nachkommen, wenn er sich dazu entschließen könne, riet sie ihm.

Doch der Igel war viel zu unruhig. Daß es hin und wieder einen recht milden Winter gab, das wusste er, doch das hier war etwas anderes. 'Vielleicht hat der Winter nur gerade dieses Stückchen Land vergessen? Vielleicht liegt ganz in der Nähe bergeweise Schnee?', überlegte er. Dabei taperte er gedankenverloren immer weiter fort. Er schnupperte hier und da und hielt Ausschau gen Himmel, ob nicht doch Schneeflocken fallen würden. Schneeflocken aber tauchten nicht auf, nur ein blaues Luftdach mit bauschigen Wolken wölbte sich über ihn. Er ließ seinen Blick in die Ferne bis zum Horizont schweifen und dann sah er ihn, riesengroß, einem Nebelschleier gleich, durch den er hindurch sehen konnte. Der Igel trippelte ein paar Schritte zurück, sicherheitshalber. Dieser Nebel wurde weißer und fester und allmählich formte er sich zu einer Gestalt. Ein dicker, ehrfurchtgebietender Riese ragte vor ihm empor. Aus dem, was ein Mund sein könnte, grollte ein dumpfes Schnarren, gefolgt von einem gewaltigen Rülpser. Gebannt blickte der Igel zu der Gestalt auf, die sich nun ganz langsam hinab beugte, der merkwürdige Mund öffnete sich weiter und weiter, kam näher und näher. Der Igel aber wich zurück. Blitzgeschwind kugelte er sich mit einer Rolle rückwärts in einige Entfernung. Dort blieb er eingeigelt liegen und wartete ab.

"Bist du nicht gekommen, um mich zu treffen?" Kalt klirrend drangen die Worte an des Igels Ohr. Der Igel zögerte, ob er sich zu erkennen geben sollte, wagte sich schließlich mit seiner Nasenspitze vor und hob dann sein Köpfchen leicht nach oben, um zu der Gestalt aufzusehen.

"Wer bist du denn? Ich weiß gar nichts davon, dass ich jemanden gesucht habe, oder treffen wollte", erklärte der Igel schüchtern.

"Wolltest du nicht den Winter ausfindig machen?"

"O ja, sicher. Bist du denn der Winter?"

"Genau. Du hast es erraten", lachte der Riese, wobei die Eiszapfen an seiner Nase wackelten.

"Aber warum kommst du dann nicht mehr zu uns? Es ist überall noch so warm. Die Blumen sind ganz durcheinander. Sie wissen nicht recht, ob schon wieder Frühling ist. Na, und ich weiß auch nicht weiter", beklagte sich der Igel.

"Erst musste ich Kräfte für meine Rückkehr sammeln. Diesmal habe ich sehr lange gebraucht, das gebe ich zu. Aber um in deinem Land Einzug halten zu können, war es unerlässlich und nicht schneller möglich."

"Was ist passiert?", wurde der Igel nun neugierig. Der Winter tat im leid.

"Ich wurde vertrieben! Vertrieben von den Menschen, die überall auf der Welt Feuer entfachen in ihren unzähligen Maschinen. Alles wird wärmer und wärmer. Ich sage dir, das kostet mich ganz schön viel Kraft, um dagegen an zu kühlen und selbst wieder richtig kalt zu werden."

"Oh!", staunte der Igel. Davon hatte er nichts gewusst.

"Aber nun bin ich auf dem Weg zu dir. Gedulde dich etwas, dann wird es richtig kalt und Schnee wird fallen. Ich hoffe, noch gerade rechtzeitig anzukommen, damit auch die kleinen Pflanzen Bescheid wissen."

"Danke, Winterriese." Sofort drehte sich der Igel um und schlug den Weg zu seiner Blätterhöhle ein, in der die Igelin und die Kinder schon auf ihn warteten.

Ende

zum 1. Januar 2016


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