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KALENDERGESCHICHTEN/109: 01-2020   Spuk und Tränen - und was nun Gespenst ... ? (SB)


Die Familie sitzt am Essenstisch, Vater zeigt nach oben und die Tochter sieht die fliegende Teekanne neben dem Tisch - Buntstiftzeichnung: © 2020 by Schattenblick

Rumtrums Laune war unerträglich für ihn selbst, aber auch für seinesgleichen. Fluchend und um sich spukend trampelte er mit seinen Stiefelchen so feste auf den Boden, dass ihn ein Ruck bis hinauf in seinen Kopf heftig aufbrüllen ließ: "Verflucht, verdammt, ich platze gleich, ich langweile mich, niemand, den ich ärgern kann, niemand ist hier, der vor mir erzittert oder schreiend davonläuft!" Rumtrum war überzeugt, dass es seine Aufgabe als böser Hausgeist sei, die Bewohner desselben zu piesacken oder gar so in Angst und Schrecken zu versetzen, dass sie fluchtartig ihr Heim verließen. Doch die Zeiten hatten sich geändert. Die wenigen Hausgeister, die es noch gab, waren müde geworden und taten eigentlich gar nichts mehr, außer unheimliche Geschichten ihrer niederträchtigen und furchterregenden Vorfahren zu erzählen. Rumtrum war stets ganz ergriffen und fühlte sich den alten Geistern sehr verbunden. Oft war er so aufgewühlt und voller Tatendrang, dass er es kaum aushalten konnte. Leider war er an dieses Haus gebunden. Hausgeister können sich nicht einfach in ein anderes begeben, sie sind so etwas Ähnliches wie die Seele des Gebäudes und zwar für alle Zeiten - und so wartete er schon seit langer, viel zu langer Zeit darauf, dass neue Mieter hier Einzug hielten.

Tatsächlich fand sein quälendes Warten ein Ende, als eine Familie eines verregneten, kalten Tages sich wirklich niederließ. Innerhalb einer Woche war es Vater, Mutter, Großmutter und zwei Kindern gelungen, sich häuslich und sehr gemütlich in ihrem neuen Heim einzurichten. Was die Kinder anbelangte, richtete sich der Neunjährige in einem Zimmer im Dachgeschoss ein, seine kleine Schwester, die gerade mal sieben Jahre zählte, zog es hingegen vor, den kleinen Raum neben dem der Großmutter zu beziehen.

Rumtrum war hocherfreut, was ergaben sich hier für vielfältige Möglichkeiten Schabernack zu treiben. Kinder sind besonders gut geeignete Wesen für Schrecknisse. Sie schrien, weinten oder rannten, suchten ein Versteck unter der Bettdecke oder Schutz bei ihren Eltern. Ja, das war so ganz nach Rumtrums Geschmack. Doch er war auch ein Genießer und wollte nicht sogleich mit dem Unfug beginnen, vielmehr genoss er die Zeit und malte sich die allerschönsten Gemeinheiten aus.

Zunächst wollte er die Familie beobachten, damit er noch ein paar Ideen zum Erschrecken sammeln konnte. Eines Abends hatten es sich die beiden Kinder am Kamin neben der Großmutter gemütlich gemacht. "Bitte Großmutter, erzähl uns eine Geschichte", bettelte das Mädchen. "Ja, aber ein schön unheimliche", forderte der Junge.

Da begann die alte Frau mit ruhiger Stimme zu sprechen und die anfangs noch recht harmlose Geschichte wurde immer abenteuerlicher. Gebannt lauschten die Kinder - und nicht nur sie, auch Rumtrum hörte aufmerksam zu. Aber was erzählte die Alte denn da? Rumtrum war erschrocken, was wirklich nur selten oder eigentlich noch nie geschehen war.

Sie wusste über all die Schandtaten der Hausgeister zu berichten, über die fliegenden Teller und Tassen, die hüpfenden Betten, die schlagenden Türen und Fenster, die schwebenden Möbel, das laute Kreischen und Quietschen, das Poltern und das Erscheinen von Lichtgestalten, die sich durch Wände und Türen schlichen. Wie konnte das sein? Hatte sie gelauscht, wenn die alten Hausgeister ihm von vergangenen Zeiten erzählten? Nein, das wohl nicht. Ratlos kehrte er auf den Dachboden zurück und befragte seinesgleichen.

"Wir haben es dir doch schon gesagt, die Zeiten haben sich geändert. Die Menschen benutzen einen Fernseher und darin werden Filme gezeigt, in denen wir mitspielen - natürlich nicht wir selbst, aber aus all den unheimlichen und schrecklichen Erlebnissen, die wir verursacht haben und die vielen Menschen so große Angst eingejagt haben, dass sie beinahe den Verstand verloren haben, wurden Filme gedreht. Viele konnten einfach nicht anders, als all das was ihnen widerfahren war, anderen zu berichten. Manche glaubten ihnen, andere belächelten sie und hielten sie für abergläubisch oder etwas verrückt. Aber als Stoff für Bücher und Filme, die bei den Lesern und Zuschauern schauriges Gruseln bewirken sollen, waren unsere Schandtaten bestens geeignet."

"Das heißt, es fürchtet sich niemand mehr vor mir, weil man glaubt, es gibt mich gar nicht wirklich?", bestürzt sah Rumtrum die Alten an. "Oh, nein, so ist es auch nicht. Kinder und Ängstliche kannst du wohl erschrecken, doch werden sie alsbald von jenen damit getröstet, dass es in Wirklichkeit keine Hausgeister gibt", erklärte einer und fügte hinzu, "ganz gleich was du auch für Poltern und Rumpeln anstellst, es wird sofort nach einer natürlichen Erklärung gesucht, damit alles wieder seine Ordnung hat. Probiere es ruhig einmal aus."

Rumtrum wartete bis die Familie am Abendbrottisch versammelt war und begann ein fürchterliches Gepolter auf dem Dachboden. Sofort sah der Vater seinen Sohn an, was denn bei ihm im Zimmer umgefallen sei, dass es so laut poltere? "Nichts, Papa, es liegt alles auf dem Fußboden, da kann nichts fallen", behauptete der Junge.

"Das kann nicht sein, geh hoch und sieh nach! Oder willst du mir weismachen, es sei ein Gespenst im Haus," lachte der Vater laut. Rumtrum war erbost, versuchte es aber gleich noch einmal. Diesmal ließ er die Teekanne vom Tisch fallen. Das musste nun aber doch wirken. Aber nein, die Mutter schimpfte ihre Tochter, sie solle doch besser aufpassen, so eine Kanne koste viel Geld. Das Mädchen verteidigte sich, doch es half nichts.

"Die Kanne fällt doch nicht von allein vom Tisch! Sag lieber die Wahrheit, dann ist alles nicht so schlimm und ich bin auch nicht mehr böse", versuchte die Mutter sie zu ermuntern. Doch sooft das Mädchen auch erklärte, dass sie die Kanne nicht vom Tisch geworfen habe, ihr wurde nicht geglaubt. Als Rumtrum noch einige andere Gemeinheiten ausprobierte, musste er immer wieder hören, dass eine Erklärung für seine Taten gefunden wurde, stets mit der letzten, sicheren Begründung, dass Geister und Gespenster nur in Büchern und Filmen vorkämen. "Es fühlt sich irgendwie komisch an, wenn es einen nicht gibt", dachte Rumtrum.

Weitere Abenteuer mit Rumtrum folgen ...


8. Januar 2020


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