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MUSIKKOFFER - KOMPONISTEN/011: Wolfgang Amadeus Mozart. So viele Lügen (SB)


W O L F G A N G   A M A D E U S   M O Z A R T

Teil 8

So viele Lügen!



Alles, was wir über den Menschen Wolfgang Amadeus Mozart zu wissen meinen, stammt aus Briefen, die heute noch erhalten sind. Da sind Briefe von Wolfgang an Vater oder Mutter, an die Schwester Nannerl, später an Constanze, seine Frau, oder eben an Freunde. Natürlich sind auch Briefe derjenigen erhalten, die Wolfgang erlebt und die sich über ihn und seine Musik geäußert haben.

Weil Wolfgang so viele wunderschöne Kompositionen geschrieben hat, sind seine Musik und seine Person immer im Interesse musikliebender Menschen geblieben. Für diese haben später zahlreiche Autoren versucht, ein Bild von Wolfgangs Leben zu zeichnen.

Aber jedes Bild, das gemalt wird, jedes Buch, das geschrieben wird, unterliegt dem Urteil des Betrachters. Hätten wir selbst damals gelebt, hätten wir Wolfgang zum Freund oder vielleicht zum Feind gehabt - vielleicht würden wir so manches anders sehen.

Üblicherweise malen wir Lücken, die in den Briefen auftauchen, einfach aus, lesen unsere eigenen Gedanken in Gesagtes hinein, sortieren aus, ordnen und tun kund, was wir für wichtig, richtig oder falsch erachten. Am Ende unterscheiden sich die unterschiedlichsten Bücher nur in der Art der Aufmachung, nicht aber wesentlich vom Inhalt. Selten ist jemand bereit, sich - in diesem Fall eben mit Wolfgang und seiner Zeit - soweit auseinanderzusetzen, daß nicht nur eine Reihe von sich wiederholenden Darstellungen das Ergebnis sind.

Über Wolfgang existieren einige solcher gleichbleibenden Darstellungen. Die Urteile über ihn und seine Frau stehen fest. Zum Beispiel heißt es, daß er nicht einmal `das Brot zum Leben' verdienen konnte. Er habe herrliche Werke geschaffen, sei sehr bescheiden gewesen, habe sogar Musik für Tanzkapellen gemacht - und sei dennoch in Armut gescheitert.

Man redet von der Unvollkommenheit des Menschen Wolfgang im Gegensatz zu der Vollkommenheit seiner Musikwerke. Auch mit seiner Heirat mit Konstanze Weber war nicht nur sein Vater nicht einverstanden. Heute noch wird sie, sage und schreibe, mißbilligt. Konstanze wird als unter Wolfgangs Niveau bezeichnet, ihm unebenbürtig, oberflächlich, vergnügungssüchtig, flatterhaft. Und doch heißt es - und dies ist überall nachzulesen -, daß `Mozart sie liebte', `sie war seine Gefährtin in guten und schlechten Tagen und hielt zu ihm, wenn es darauf ankam'. Wie seltsam, wenn man ersterem Glauben schenkt!

Häßliche Äußerungen sind also gang und gäbe, und es ist schon außergewöhnlich, wenn eines der zahlreichen Bücher die Umstände von Wolfgangs Leben und Zeit weitreichender beleuchtet.

Laßt uns einmal schauen, was Wolfgang in der damaligen Zeit, im Vergleich zum Vater oder seinem Freund Joseph Haydn verdient hat. Da schneidet Wolfgang nicht schlecht ab. Während sein Vater im Jahr von 350 Gulden lebte, bekam Wolfgang im Jahre 1788 schon 800 Gulden gezahlt, und Joseph Haydn, der seit langem im Dienste des Fürsten Esterhazy stand, hatte auch `nur' 1000 Gulden, obwohl er weit älter als Wolfgang war. Wenn wir auch nicht wissen, wieviele Gulden man damals für die verschiedenen Dinge bezahlte, so können 800 Gulden nicht wenig gewesen sein, denn 1000 Gulden entsprachen ungefähr 40.000 Mark. Ob damals oder heute, ein solcher Betrag war nicht wenig.

Auch ist bekannt, daß Wolfgang 1790 ein Angebot aus London erreichte. Man lud ihn ein, ein halbes Jahr als Gast nach England zu kommen und zwei Opern zu schreiben, wofür er 2400 Gulden erhalten sollte. Wer jedoch ein solches Angebot ausschlagen kann - und das hat Wolfgang getan - der kann nicht `gehungert und gefroren' haben.

Was Konstanze betrifft, so gibt es zahlreiche Briefe, aus denen hervorgeht, wie liebevoll Wolfgang sich ihr gegenüber geäußert hat. Doch auch hier gibt es Autoren, die es besser wissen wollen. Diese Autoren meinen wohl, Wolfgang besser gekannt zu haben, als dieser sich selbst. Wie vermessen!

Im Dezember 1791 starb Wolfgang schließlich im Alter von nur 35 Jahren. Auch hierüber gibt es verschiedenste Schilderungen. Den meisten Äußerungen nach soll Wolfgang depressiv, vom Hunger geschwächt und von Krankheit gezeichnet gewesen sein. Ein Brief Wolfgangs an seine geliebte Konstanze vom Oktober 1791 - also nur zwei Monate vor seinem Tod - läßt wieder einmal eine ganz andere Sicht entstehen:

Gleich nach Deiner Abseeglung
(Anm. d. Red.: nach deiner Abreise)
spielte ich mit Herrn Mozart,
(Anm. d. Red.: dies sagt Wolfgang
scherzhaft über sich selbst)
der die Oper bei Schikaneder geschrieben
hat, zwei Partien Billard. Dann verkaufte
ich für 14 Dukaten meinen Klepper. Dann
ließ ich mir durch Joseph den Primus rufen

(Anm. d. Red.: Wolfgang nannte den Kellner
seines Stammlokal Joseph)
und schwarzen Koffe hollen, wobey ich eine
herrliche Pfeiffe Toback schmauchte;
dann Instrumentierte ich fast das ganze Rondo
vom Stadtler.

(aus: Stefan Schaub:
Erlebnis Musik - Eine kleine Musikgeschichte,
dtv/Bärenreiter 1993, Seite 144)

So bleibt es nicht zuletzt jedem von uns überlassen, was er mit den verschiedenen Schilderungen anfängt. Aber unsere Unwissenheit sollte uns in Grenzen verweisen und beim Urteilen vorsichtig werden lassen.

Was mich betrifft, so halte ich Wolfgang Amadeus für einen der faszinierendsten Menschen, die gelebt haben. Wenn es heißt, er sei wohl der herzlichste, der liebevollste Künstler gewesen, der über diese Erde dahinging, so kann ich mir das durchaus vorstellen.

14. März 2014