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PFLANZEN/056: Die Amazonas Riesenseerose - von der Natur gelernt ... (SB)



Um was für eine Pflanze mag es sich handeln, an deren langer Wurzel, die tief in einen See hinab reicht, am oberen Ende sich ein riesiges, rundes Blatt befindet? Es schwimmt auf der Wasseroberfläche und schaut aus wie ein Teller oder ein Tablett, auf dem sich wie zur Dekoration eine weiße oder rosa Blüte befindet. Mit der hat es noch eine besondere Bewandtnis. Bei dieser gigantischen Wasserpflanze handelt es sich um die Amazonas Riesenseerose. Sie ist nicht nur gewaltig groß, sondern weist auch eine ganze Reihe an Eigentümlichkeiten auf.


Auf der Zeichnung befindet sich im Vordergrund eine Blüte, dahinter ein großes rundes Blatt - Grafik: Walter Hood Fitch, lithography, 1851 [Public domain], via Wikimedia Commons

Amazonas Riesenseerose
Grafik: Walter Hood Fitch, lithography, 1851 [Public domain], via Wikimedia Commons


Wozu dient ihr großes Blatt?

In den Jahren um 1840 wurde diese beeindruckende Pflanze von dem deutschen Botaniker Richard Schomburgh in Guyana entdeckt. Sie wächst ursprünglich auch noch in Brasilien und Bolivien. So ist es zu vermuten, dass die dort lebenden Menschen schon lange vorher von dieser Pflanze Kenntnis hatten. Zunächst war ihr Entdecker von der Größe des Blattes, aber auch noch viel mehr von der Blattunterseite fasziniert. Sie weist ein Art Gitterstruktur mit Längs- und Querverstrebungen auf, die dem Blatt mit seiner enormen Größe eine hohe Stabilität verleiht. Die Zwischenräume sind mit Luft gefüllt, was ein Untergehen des Blattes verhindert. Man kann es sich als eine Art Luftkissen vorstellen. Um sich vor Fraßfeinden zu schützen, wachsen an den Verstrebungen bis zu 3 Zentimeter lange, kräftige Dornen.


Längs- und Querverstrebungen laufen auf die Mitte des Blattes zu, auf ihnen befinden sich zudem Stacheln zum Schutz vor Fraßfeinden - Foto: 2013 by Jojona (own work) [CC BY-SA 3.0 unported (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Im Zwischenraum der Verstrebungen befindet sich Luft
Foto: 2013 by Jojona (own work) [CC BY-SA 3.0 unported (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons


Als diese Pflanze später nach Europa gebracht wurde, waren Wissenschaftler und Techniker von dem Aufbau des Blattes begeistert. Man fand heraus, dass es aufgrund dieser bestimmten Struktur in der Lage ist, eine Last von bis zu 60 Kilogramm zu tragen. Bei dem Bau des gigantischen Kristall-Palastes in London nahm man diese Bauweise als Vorbild für die Konstruktion, die man später gemeinhin als Leichtbauweise bezeichnete. Fertiggestellt und eröffnet wurde der Kristall-Palast zur Weltausstellung 1851 in London.


Ein riesiges langgestrecktes Palastgebäude aus Glas und Stahl - Grafik: 1851, by Dickinson Brothers (Urheber)[Public domain], via Wikimedia Commons

Der Kristallpalast in London
Grafik: 1851, by Dickinson Brothers (Urheber)[Public domain], via Wikimedia Commons


Die Riesenseerose selbst braucht das große Blatt, um möglichst viel Sonnenlicht einzufangen. Unter dem dichten Blätterdach des Waldes im Amazonasgebiet, wo man diese Wasserpflanze auf den Nebenflüssen des Amazonas und auf Seen findet, ist Sonnenlicht rar. Da ist es sinnvoll, so viel wie möglich davon zu speichern. Es kommt vor, dass die gesamte Oberfläche eines Sees mit den Blättern dieser Seerose bedeckt ist. Damit sie sich nicht überlappen, sich also nicht eins über oder unter das andere schiebt, haben sie einen kleinen nach oben gebogenen Rand gebildet, der das verhindert. Befestigt sind sie jeweils an einer sieben bis acht Meter langen Wurzel, die bis tief unten in den Seegrund reicht. Auf jedem dieser Blätter entwickelt sich schließlich eine einzige Blüte, die aber nur für zwei Tage zu sehen ist. Das scheint wenig Zeit, um sich um die Fortpflanzung zu kümmern. Doch die Riesenseerose entwickelte eine beeindruckende Art, wie sie ihre dringend benötigten Bestäubertiere anlocken kann.


Mehrere große Riesenseerosenblätter schwimmen auf der Wasseroberfläche eines Beckens in einem Gewächshaus - Foto: 2012, by LordToran (own work) [Public domain], via Wikimedia Commons

Im Gewächshaus bleiben die Blätter der Riesenseerose etwas kleiner
Foto: 2012, by LordToran (own work) [Public domain], via Wikimedia Commons


Eine Blüte als Käfer-Falle

Die ungefähr 40 cm im Durchmesser große Riesenseerosen-Blüte wird nicht vom Wind oder von fliegenden Insekten bestäubt, sondern von Käfern. Dabei handelt es sich um einen ausgeklügelten Vorgang. Die große, weiße Blüte öffnet sich das erste Mal in der Abenddämmerung für eine Nacht. Dabei setzt sie einen kräftigen Blütenduft frei, der stark fruchtig bis etwas streng riecht. Zudem erhöht die Riesenseerose ihre Temperatur im Blüteninneren um etwa 10° Grad im Vergleich zur jeweiligen Außentemperatur. Durch die Wärme verdampfen die Duftstoffe viel besser und lassen sich weit verbreiten. Von diesem Duft wird eine Vielzahl von nachtaktiven Käfern angelockt. Landet einer von ihnen auf einer Blüte, so kriecht er hinein. Entweder schließt sich die Blüte dann sofort oder aber erst in der Morgendämmerung. Wenn sich dann immer noch ein Käfer darin aufhält, wird er von der sich schließenden Blüte gefangen. Da es sich bei dem Käfer um ein tageslichtscheues Tier handelt, wird vermutet, dass es ihm nicht viel ausmacht, die helle Tageszeit im Inneren der Blüte zu verbringen.

Dort sind nun die Staubblätter geöffnet und entlassen eine Menge Pollen. Die Käfer werden im Folgenden über und über mit diesen leicht klebrigen Pollen bedeckt. Ob sie sich auch zu einem Teil von dem Pollen ernähren? Das ist wohl anzunehmen, denn sie werden von der Pflanze angelockt mit der Aussicht auf leckere Nahrung, die aus Pollen oder Nektar besteht. Sie haben also ausreichend Gelegenheit sich satt zu fressen. Am Abend jedenfalls öffnet sich die Riesenseerosen-Blüte wieder und das kleine Tier kann die "Käfer-Falle" verlassen. Sowohl er als auch die Blüte haben sich in dieser Zeit verändert. Der Körper des Käfers ist mit Pollen bedeckt, die Blüte hat ihre Farbe hin zu rosa-lila gewechselt und verströmt nun keinen lockenden Duft mehr. Der Käfer interessiert sich nun für die weißen, duftenden Blüten. Fliegt der jetzt mit Pollen beladene Käfer auf eine weitere weiße Blüte, klettert hinein und läuft über ihre Narbe, so bestäubt er sie mit dem mitgebrachten Pollen.

Seerosen gehören zu den ältesten Blütenpflanzen auf der Erde. Wie und warum sie sich überhaupt vor ungefähr 140 Millionen Jahren entwickelt haben, blieb auch für Charles Darwin ein Geheimnis. Neueste Untersuchungen gaben jedoch Hinweise darauf. Um das genauer zu beschreiben, bedarf es eines weiteren Kapitels. Auf jeden Fall hat das fein abgestimmte Zusammenspiel von Insekten (speziell diesen Käfern) und der Riesenseerose das Überleben ihrer Art über viele Millionen Jahre gesichert.

Fortsetzung folgt ...



Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde:

https://amazonas.de/riesenseerose-pracht-fuer-zwei-naechte/

https://www.kabeleinsdoku.de/themen/natur-und-mensch/wissens-clips/182-fakten-ueber-das-weltgroesste-blatt-wussten-sie-eigentlich-clip

https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/braunschweig_harz_goettingen/Riesenseerose-blueht-aber-nur-fuer-zwei-Naechte,aktuellbraunschweig2868.html


7. Februar 2020


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