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UNTERWEGS/020: "Hänsel und Gretel" im Theater "Die Komödianten" in Kiel (SB)


"Hänsel und Gretel"   nach dem Märchen der Gebrüder Grimm


Premiere im Theater "Die Komödianten" in Kiel am 2. Dezember 2012

Zeichnung: die Hexe mit der Katze auf der Schulter links, Hänsel und Gretel rechts, Grafik von Bruno Giurini

Grafik von Bruno Guirini
Foto: mit freundlicher Genehmigung Theater Die Komödianten, Kiel

Heute ist Premiere und das gleich im doppelten Sinn: Das Stück "Hänsel und Gretel" wird zum ersten Mal aufgeführt - in einem Raum, der ebenfalls das erste Mal dem Publikum der "Komödianten" Einlaß gewährt.

Die Stühle sind bereits von Erwachsenen - Vätern, Müttern und Großeltern - eingenommen. Auf den vielen Kissen vor der Bühne warten die Kinder gespannt auf das Erscheinen von Hänsel und Gretel. Noch werden weitere Zuschauer in den hellen, gemütlichen Raum eingelassen.

Es gibt keinen Vorhang. So können die gespannten Zuschauer in aller Ruhe schon einmal das Bühnenbild betrachten. Die gesamte Wandfläche zeigt einen Wald mit seinen Tieren. Vor dem Wandbild steht plastisch rechterhand das Lebkuchenhaus und linkerhand der Backofen der Hexe.

Der Zuschauerraum geht ohne erhöhte Bühne direkt in den Spielbereich über. Der so geschaffene Raum läd die Kinder geradezu ein, selbst Theater zu spielen. Wie es wohl ist, Hexe zu sein und auf dem Baumstamm auf der Bühne zu sitzen? Das wird gleich ausprobiert.

Endlich ertönt dreimal hintereinander das Zeichen für den Beginn des Stückes. Es wird still im Raum. Das Licht wird gedämpft. Eine Tür links, die bisher wenig Beachtung fand, öffnet sich und Schauspielerin Anke Pfletschinger rappt in dunkler Hose und schwarzem T-Shirt, mit einer Schirmmütze auf dem Kopf und einer dunklen Sonnenbrille auf der Nase als Hänsel herein.

Hänsel rappt - Foto: © 2012 by Schattenblick

Anke Pfletschinger als Hänsel
Foto: © 2012 by Schattenblick

Nach wenigen Augenblicken entdeckt Hänsel, daß er nicht allein ist und will nun von seinen schrecklichen Erlebnissen mit der Hexe berichten. Dazu begibt er sich an den Anfang der Geschichte, was er auch räumlich vornimmt. Hänsel wechselt von der Bühne zum entgegengesetzten Teil des Raumes, der das Elternhaus symbolisiert.

Gerade will Hänsel mit der Geschichte beginnen, da übernimmt Gretel das Wort. Abwechselnd mal als Gretel, dann wieder als Hänsel, berichtet Anke davon, wie die Eltern ihre beiden Kinder zweimal in den Wald geführt und dort zurückgelassen haben, wie Hänsel beim ersten Mal Kiesel und beim zweiten Mal Brotkrumen auf den Weg geworfen hat, damit sie wieder nach Hause finden; wie es das erste Mal mit den Kieseln gelang, zu Vater und Mutter heimzukehren, am folgenden Tag aber die Brotkrumen von Vögeln aufgepickt worden waren und die Kinder so zu der niederträchtigen Hexe, die den beiden nach dem Leben trachtete, gelangten ...

Gretel muß für die Hexe fegen - Foto: © 2012 by Schattenblick

Anke Pfletschinger als Gretel
Foto: © 2012 by Schattenblick


Die Geschichte von Hänsel und Gretel ist sicher den meisten Theaterbesuchern bekannt. Welche Personen kommen in diesem Märchen vor? Da gibt es die Geschwister Hänsel und Gretel und ihre Eltern, die alle große Not leiden. Die Eltern beschließen, sich von ihren Kindern zu trennen und sie sich selbst zu überlassen, egal was ihnen auch immer geschieht. Da der Mann Holzfäller ist und die Frau an seiner Seite das Reisig aufsammelt, liegt für sie nichts näher, als die Kinder in den Wald zu bringen und sie dort zurück zu lassen. Es ist ihnen gleich, welchen Gefahren sie dort ausgesetzt sind und welche Ängste sie durchleben. Auch daß sie dort einer Hexe begegnen, ist Vater und Mutter einerlei.

Anfangs tut die Hexe freundlich, gewährt den Kindern Unterschlupf und Essen, aber Hänsel und Gretel merken bald, daß die fremde Frau nicht ohne Hintergedanken ist.

Wer mitgezählt hat, kommt auf fünf Figuren, die das Stück bestimmen. Aber wieso ist da nur eine einzige Schauspielerin auf der Bühne? Und die scheint nicht einmal verkleidet. Ein Junge fragt sogar, während das Stück längst angefangen hat: "Wann geht es denn endlich los?"

Doch wer aufpaßt und hinhört, kann an den verschiedenen Mimiken und Gesten und der unterschiedlichen Aussprache und Betonung die drei mitwirkenden Personen ausmachen. Ein wenig Verkleidung hilft außerdem. Denn während Gretel ihre blonden Zöpfe zeigt und sich geziert gibt, verwandelt sich die Schauspielerin mit einer Schirmmütze schnell in Hänsel, der mit rappenden und ausladenden Bewegungen sowie einer ruppigen Sprache aufwartet.

Die Eltern kommen nur in den Erzählungen der Kinder vor. Sie brauchen gar nicht anwesend zu sein. Denn das Hauptspiel findet zwischen den Geschwistern und der Hexe statt. Mal mimt Schauspielerin Anke den Hänsel, dann spricht sie als Gretel, und mit einem schwarzen Hexenhut auf dem Kopf und einer spitzen, langen, verwarzten Gumminase im Gesicht, die ihr ansonsten frei um den Hals baumelt, wird Anke zur Hexe.

Die Hexe taucht hinter dem Hexenhaus auf - Foto: © 2012 by Schattenblick

Anke Pfletschinger als Hexe
Foto: © 2012 by Schattenblick

Mit dem Auftritt der Hexe wird es turbulent. Anke wählt sich Kinder aus dem Publikum aus, die ihr helfen. Normalerweise sollen zwei Kinder mitspielen. Weil aber heute Premiere ist, dürfen gleich vier Kinder, zwei Mädchen und zwei Jungen, als Hänsel und Gretel mitwirken. Nur wenn Hänsel oder Gretel etwas zu sagen haben, schlüpft Anke zurück in die Rolle der Kinder. Ansonsten stehen die Kinder ihren Part auf der Bühne. Sie ahnen, daß die Hexe Böses im Schilde führt. Mit einer List zögert Hänsel das scheinbar Unabwendbare hinaus. Aber durch eine weitere List wird die Hexe von Gretel besiegt. Sie stößt die Hexe in den Ofen, wo diese verbrennt. Hänsel und Gretel sind endlich wieder frei. Mit Schätzen beladen, die sie im Haus der Hexe entdecken, finden sie nach Hause zurück und die Not der Familie hat endlich ein Ende. Applaus ist Anke und den mitwirkenden Kindern sicher.


Die Kinder im Saal atmen auf. Das Licht im Raum wird heller. Den Erwachsenen ist anzusehen, daß sie auf das Stück eingestimmt sind und jetzt noch gern weiterschauen würden. Doch für die Kinder ist das 40-minütige Märchenspiel ausreichend lang gewesen.

Die Familien finden wieder zusammen und sind teils geteilter Meinung über das Stück. Während eine Mutter, die mit ihren Kindern direkt vor der Bühne gesessen hat, meint, das Stück sei für ihre beiden Kleinen zu schwer nachvollziehbar gewesen, ist die Großmutter, die ganz hinten im Bereich des sozusagen zweiten Schauplatzes gesessen hat, anderer Ansicht: "Wir haben uns köstlich über den Hänsel amüsiert!"

Ja, Hälse recken allein reicht nicht aus. Das Spiel im hinteren Bereich, welcher das Wohnhaus der Eltern symbolisiert, kann von den Kissen aus nicht wahrgenommen werden. Selbst von den vorderen Sitzplätzen aus ist es schwer mitzubekommen, was sich hinten abspielt. Dennoch hat das Theaterstück allen gut gefallen. Beifall wird geklatscht und hätte noch weiter angehalten, wäre die Schauspielerin noch zweimal mehr aus der Tür neben der Bühne herausgetreten.


Die Kinder und Eltern strömen fröhlich hinaus. Doch jetzt geht im Theater noch nicht das Licht aus. Der Bühnenbildner Giurini erzählt dem Kinderblick, daß er seit 15 Jahren hier im Theater "Die Komödianten" tätig ist. Es ist ihm wichtig, hier zu arbeiten, ohne das gehe gar nicht. Bruno Giurini ist ein alter Hase im Theatergeschäft. Er hat schon viele Jahre vor der Arbeit bei den "Komödianten" bei der Niederdeutschen Bühne mitgewirkt. Der Maler und Grafiker hat ein Herz für Kinder. Es freut ihn, daß die Komödianten jetzt den neuen Raum dazu bekommen haben. So konnten sie das Bühnenbild für "Hänsel und Gretel" direkt auf die Wand malen. Viele Mittel für die Dekoration gäbe es nicht, so wird eben improvisiert. Den Stall für Hänsel zum Beispiel habe er aus Weiden geschnitten und zusammen"geschustert".

Foto: © 2012 by Schattenblick

Bühnenbildner Bruno Giurini mit Enkelkind
Foto: © 2012 by Schattenblick

Nun geht es hinüber zur großen Bühne, hinter der sich in der Umkleidekabine die Schauspielerin Anke Pfletschinger abschminkt. Ja, auch wenn man es nicht sieht, Schminken bringt erst den letzten Schliff für die Wirkung auf der Bühne. Anke freut sich über die gelungene Premiere und ist bereit, der Redakteurin vom Schattenblick einige Fragen zu beantworten.

Für Anke ist es immer genauso spannend vor ihrem Auftritt wie für die Kinder, die zuschauen. Denn sie weiß nie: "Ob die Kinder mitmachen oder nicht."

Auf die Frage, ob das Märchen von Hänsel und Gretel noch einen aktuellen Bezug zu unserer Zeit hat oder ob es unglaubwürdig ist, antwortet Anke: "Ich weiß jetzt nicht, inwieweit Kinder die täglichen Nachrichten mitbekommen, aber daß irgendwelche Eltern ihre Kinder verhungern lassen, das liest man ja leider fast täglich oder wöchentlich in der Zeitung, auch in Deutschland. Ich war jetzt gerade für drei Monate in Indien, wo Armut auch an der Tagesordnung ist. Es ist so erschreckend, deshalb hat es etwas Aktuelles."

Gibt es neben Kinderarmut und Hunger noch mehr Stoff aus Märchen, der auch heute noch aktuell ist?

Auf diese Frage antwortet Anke, daß beispielsweise die Suche nach dem Glück, wie sie in "Hans im Glück" vorkommt, auch heute noch so ist. Es muß alles immer besser und noch toller sein.

Märchen sind also auf keinen Fall verstaubte Geschichten, die keinen mehr interessieren.

Anke Pfletschinger vor dem Schminkspiegel - Foto: © 2012 by Schattenblick

Schauspielerin Anke Pfletschinger
Foto: © 2012 by Schattenblick

5. Dezember 2012