Schattenblick →INFOPOOL →KUNST → FAKTEN

ARCHITEKTUR/032: Ein Gespräch mit dem Architekten Christoph Mäckler (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion - 05/2010

"Räume der Verinnerlichung"
Ein Gespräch mit dem Architekten Christoph Mäckler


Wie gehen wir mit Kirchen um, die heute von Gemeinden nicht mehr benötigt werden? Was bedeuten Kirchengebäude überhaupt für eine Stadt - und damit auch für Stadtbild und Stadtplanung? Wie müssen Kirchen im 21. Jahrhundert gebaut werden? Über diese Fragen sprachen wir mit dem Frankfurter Architekten Christoph Mäckler, der auch Professor an der Technischen Universität Dortmund und Direktor des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst ist.


HK: Herr Professor Mäckler, Ende März wurde das Augustinermuseum in Freiburg, mit dessen Umbau Sie beauftragt wurden, wiedereröffnet. Wo lagen die Herausforderungen für einen Architekten, einen ehemaligen Kirchenraum museumstauglich zu machen?

MÄCKLER: Das Augustinermuseum ist zu einem großen Teil in einem Kirchenraum untergebracht, der schon vor rund 200 Jahren säkularisiert wurde und eine wechselvolle Geschichte hat. Man findet heute nur noch ein paar Utensilien, etwa ein Weihwasserbecken, aber ansonsten ist von der ursprünglichen Funktion des Raumes nicht mehr viel zu sehen. Das Kirchenschiff selbst hat hundert Jahre lang das Stadttheater beinhaltet und wurde dann Anfang des 20. Jahrhunderts wieder zurückgebaut, indem alle Eingänge zugemauert und der Kirchencharakter wieder hergestellt wurden. Das ist alles ein Stück Geschichte, von der wir Vieles erhalten haben. Sie hat aber nur noch bedingt etwas mit dem ehemaligen Kloster zu tun. Ein Klostergebäude ist in sich geschlossen, damit aber im Grunde ungeeignet, ein Museum aufzunehmen. Wir haben deshalb jetzt das Portal des ehemaligen Stadttheaters aufgegriffen und das Haus wieder zur Stadt hin geöffnet.

HK: Worin bestand dann der besondere Reiz dieses Projektes der neuen Nutzung für einen ehemaligen Kirchenraum?

MÄCKLER: Ich bin in der katholischen Kirche aufgewachsen. Für mich als Katholiken sind solche Räume schon deshalb etwas Besonderes. Vor allem aber beeindruckt hat mich in Freiburg der gotische Kreuzgang, der sehr gut erhalten ist. Alles Alte haben wir, so weit es ging, erhalten. Zweitens haben mich die Münsterfiguren sehr begeistert. Wir haben sie etwas verstaubt und letztlich wenig repräsentativ auf einem Teppichboden in den ehemaligen Ausstellungsräumen im Keller vorgefunden. Diese Skulpturen habe ich zum Thema des Augustinermuseums gemacht. So wurde jetzt der große Zentralraum mit den Prophetenfiguren, den Wasserspeiern und anderen Bildnissen ausgestattet. Das Augustinermuseum erscheint nicht zuletzt dadurch wie ein Diözesanmuseum. Mit den schönen Münsterskulpturen ermöglicht es ein beispielloses Bild von der Kirchenkunst des 13. und 14. Jahrhunderts. In Colmar gibt es den Isenheimer Altar von Matthias Grünewald, in Basel die moderne Kunst und in Freiburg werden jetzt die Steinmetzarbeiten des Münsters zu sehen sein.


"Im Kirchenraum Geborgenheit empfinden"

HK: Inwieweit war die sakrale Wirkung gewollt, die der weitgehend umgestaltete Raum, unterstützt durch die Lichtführung, weiterhin ausstrahlt?

MÄCKLER: Durchaus. Die Zeit des Mittelalters hat etwas sehr Mystisches. Wenn wir heute in das Freiburger Münster gehen, das ja wunderbar erhalten ist, empfindet man im Kirchenraum eine große Geborgenheit. Sie haben dort die Möglichkeit, sich zurückzuziehen und zu besinnen, die es in vielen modernen Kirchen nur noch wenig oder gar nicht mehr gibt. Das hat mich immer schon gereizt und begeistert. Jene Atmosphäre sollte sich auch im Augustinermuseum wiederfinden lassen. Die Figuren kommen aus einer sehr spannenden Zeit noch vor der Reformation und bilden zusammen mit den Glasmalereien den Rahmen für einen solchen Eindruck - auch wenn die Leute das vielleicht nur unbewusst wahrnehmen. Natürlich ist dadurch auch kein Kirchenraum entstanden, sondern ein modernes Museum für Sakralkunst.

HK: In Deutschland stehen beide Kirchen momentan gleichermaßen vor dem Problem, nicht zuletzt aufgrund zurückgehender Kirchensteuereinnahmen über die Schließung von Kirchen nachdenken zu müssen. Wie sinnvoll sind da die unterschiedlichen Möglichkeiten einer Umnutzung alter Kirchengebäude?

MÄCKLER: Kirchen werden nicht in erster Linie wegen mangelnder Kirchensteuereinnahmen geschlossen, sondern weil die Menschen sie nicht mehr aufsuchen. Grundsätzlich ist es sehr schwierig, Kirchen überhaupt zu schließen. Aber wenn man den Schritt gehen muss, sollte man sich die Kirchen heraussuchen, die am wenigsten dafür geeignet sind, in ihnen den Glauben zu praktizieren. Natürlich ist es wichtig, dass man alte Kirchen, die früher im Zentrum der Städte standen, erhält. Anders sieht es aus bei neueren Kirchen am Rande der Stadt in irgendwelchen Siedlungen.


"Bei neuem Bedarf wird man irgendwann auch wieder Kirchen bauen"

HK: Warum sollte man auf diese Kirchen leichter verzichten können?

MÄCKLER: Vor allem in den fünfziger und sechziger Jahren, aber auch bis in unsere Zeit hinein, hat man Kirchen gebaut, die nicht recht geeignet sind, die Liturgie zu feiern. Es war ein großer Fehler, Kirchen wie Diskussionsräume auszustatten. Und wo Kirchen als Mehrzweck- oder als Versammlungsräume gebaut worden sind, kann man diese dann heute auch so nutzen. Solche Gebäude kommen aus einer Zeit, in der es der Kirche gut ging und überall neue Kirchen gebaut werden konnten. Dass sich dies geändert hat, ist nicht weiter dramatisch. Irgendwann wird es der Kirche auch wieder besser gehen. Es gab in allen Jahrhunderten ein Auf und ein Ab: Das muss man ganz gelassen sehen.

HK: Aber was macht man mit diesen Kirchen in den damaligen Neubausiedlungen konkret? Soll man sie einfach abreißen, wenn sie nicht mehr benötigt werden oder man sie nicht mehr finanzieren kann?

MÄCKLER: Das muss man sich dann im Einzelnen sehr genau überlegen. Aber warum soll man die nicht abreißen? Auch das gab es in allen Jahrhunderten und irgendwann wird man wieder welche bauen, wenn ein neuer Bedarf dafür da ist. Da darf man nicht zimperlich sein; es hat wenig Sinn, sich damit herumzuplagen. Nicht sinnvoll ist es auch, Diskotheken oder Ähnliches in alten Kirchengebäuden unterzubringen.

HK: Gilt das für alle Kirchen aus der besagten Zeit? Sie machen immerhin einen größeren Teil des kirchlichen Immobilienbestands aus.

MÄCKLER: Natürlich hat man in den beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg auch wunderschöne Kirchen gebaut, aber eben gleichfalls sehr viele hässliche. Selbst aus der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gibt es einige gelungene Beispiele, die etwa als Zentralkirchen gebaut worden sind. Die Wallfahrtskirche "Maria, Königin des Friedens" in Neviges von Gottfried Böhm ist für mich eine der Kathedralen des 20. Jahrhunderts. Es gibt auch gelungene Kirchen von Johannes Krahn oder auch von Rudolf Schwarz, auch einige von meinem Vater Hermann Mäckler, der 25 Kirchen im Bistum Limburg gebaut hat. Viele der Kirchen, die in diesen Jahren errichtet worden sind, entsprechen aber nicht mehr unserer Zeit.

HK: Inwiefern haben sich die Vorstellungen und Ziele ihrer Bauherren überlebt? Warum entsprechen diese Kirchen nicht mehr den heutigen Anforderungen?

MÄCKLER: Die Fronleichnamskirche von Rudolf Schwarz in Aachen beispielsweise ist als zeitgeschichtliches Dokument weiterhin sehr wichtig. Aber dieser helle, weiße Raum ist kein Raum der Verinnerlichung, kein Raum, in dem man gut beten kann. Der spätere Kirchbau nach dem Zweiten Weltkrieg war natürlich auch eine Reaktion auf die Zeit des Nationalsozialismus, die man versucht hat, bewusst hinter sich zu lassen. Man wollte in der Zeit des Wiederaufbaus nach vorne schauen, mehr Offenheit, mehr Demokratie auch in die Kirche hineinbringen, was dann natürlich auch zu anderen Kirchenbauten geführt hat. Und da gibt es dann eben wenig gute und viele weniger gute Ergebnisse.


"Die Kirchen müssen dafür sorgen, dass ihre Gebäude erhalten bleiben"

HK: Wolfgang Huber hat als EKD-Ratsvorsitzender mehrfach darauf hingewiesen, dass es aus Gründen der Symbolik problematisch sein könne, Kirchen abzureißen. In der Not sei es besser, diese gewissermaßen kontrolliert zur Ruine werden zu lassen - natürlich auch in der Hoffnung, dass man in zwanzig oder dreißig Jahren wieder an die frühere Tradition wird anknüpfen können.

MÄCKLER: Bei jenen Neubauten wäre das falsch. Sowohl die katholische wie auch die evangelische Kirche haben nach dem Zweiten Weltkrieg viel zu viele Kirchen gebaut. Da sind zwei Herzen in meiner Brust: Es ist bedauerlich, dass wir in einer Zeit leben, in der es viel Verfall gibt, dem man gerne Einhalt gebieten will. Auf der anderen Seite müssen Institutionen wie die beiden Kirchen schauen, dass sie sich auf ihre Aufgaben konzentrieren, damit sie auch wieder wachsen können.

HK: Das Problem beschränkt sich allerdings nicht auf die viel gescholtenen Betonkirchen aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die sich meist in reinen Wohnsiedlungen befinden. Betroffen sind einerseits oft genug auch die Innenstädte mit einem Überangebot an Kirchengebäuden, andererseits verfallen in den neuen Ländern viele alte bemerkenswerte Dorfkirchen, um deren Rettung sich teilweise auch Nicht-Christen in Kirchbauvereinen bemühen.

MÄCKLER: In den Städten sollte man die architektonisch wertvollsten und historisch bedeutsamen Kirchen erhalten und die anderen zusperren. Die Situation in den neuen Ländern ist eine andere. Wo die Kirche identitätsstiftendes Bauwerk im Dorf ist, sind möglicherweise denkmalpflegerische Akte gefordert. Es ist gut, wenn sich da Leute engagieren. Dabei ist es in erster Linie eine Aufgabe der Kirchen, dass sie dafür sorgen, dass ihre Gebäude erhalten bleiben. Das Bauwerk vor Witterung schützen - und dann bleibt es solange stehen, bis man wieder eine Nutzung findet.

HK: Lässt sich das angesichts der großen Zahl flächendeckend überhaupt so ohne weiteres leisten? Die Kirchen selbst kommen da sowohl mit Blick auf ihre Mitglieder als auch auf ihre finanziellen Möglichkeiten rasch an ihre Grenzen.

MÄCKLER: So groß ist der Aufwand oft gar nicht. Unsere Zeit baut sehr billig. Bei älteren Kirchengebäuden hingegen müssen Sie im Grunde nicht sehr viel machen, um ein Gebäude zu erhalten. Sie brauchen nur dafür zu sorgen, dass das Haus vor Feuchtigkeit geschützt wird. In den neuen Bundesländern wurde die Bausubstanz deshalb oft so schwer beschädigt, weil man die Dächer nicht repariert und die Wasserabläufe nicht in Ordnung gehalten hat. Dann gibt es Durchfeuchtung, Fäulnis, Schimmelbildung und schließlich Verfall. Wo der Schwamm im Gebäude ist, ist es vorbei und das Gebäude verrottet. Wenn aber der Bau keine Feuchtigkeit abbekommt, wird er halten. In der Regel haben diese Gebäude auch meterdicke Mauern. Schwieriger ist es schon, diese Gebäude zu beheizen.

HK: Sie haben in Dortmund ein Institut mitgegründet, das sich dezidiert der "Stadtbaukunst" verschrieben hat. Was bedeuten Kirchen für den Städtebau überhaupt? Worin besteht der Mehrwert eines Kirchenbaus für das städtische Gepräge?

MÄCKLER: Die Kirchen mit ihren Kirchtürmen waren immer das Zentrum einer städtischen Ansiedlung, um das sich die Gesellschaft als Gemeinschaft organisiert hat. Zuerst war der Kirchenbau das identitätsstiftende Bauwerk in der Stadt, im 19. Jahrhundert wurden hierzulande mit dem Aufkommen des Bürgertums auch viele große Rathäuser gebaut, heute sind es die Bürohochhäuser, die hervorstechen. Angesichts dieser Entwicklung der vergangenen 200 Jahre muss man sich eingestehen, dass es nicht immer der Kirchturm ist, der Identität stiftet. Frankfurt hat jede Menge Bürohäuser, die markante Hochhäuser sind und der Stadt ein klares Profil geben - wobei man selbstverständlich auch nicht auf den Turm des Bartholomäus-Doms verzichten wollte, nicht zuletzt aufgrund der großen Geschichte.

HK: Wie hat sich denn im Laufe dieser Entwicklung von den Kirchen als ersten urbanen Kristallisationszentren bis zur Skyline, die aus Hochhäusern besteht, der Städtebau verändert?

MÄCKLER: Früher war die Kirche als Institution Baumeister. Heute hat man das Gefühl, dass sich vor allem die Architekten als Baumeister verstehen. Sie inszenieren sich dabei jedoch in erster Linie selbst. Frühere Kirchengebäude sind über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte entstanden. Die Pläne wurden immer wieder überarbeitet. Es gab mehrere Bauphasen und oft mehrere Kirchenbaumeister, die mit ihren Dombauhütten an den neuen Kirchen gearbeitet haben. In dieser Tradition war es lange selbstverständlich, städtebauliche Ensembles zu bauen. Wichtig sind da natürlich der Umgang mit typischen Materialien und ein Gefühl für Proportionen. Das hat mit Handwerk zu tun und ist heute leider weggefallen. Die Selbstinszenierung in der Architektur ist demgegenüber eine Katastrophe, weil sie den Städtebau zerstört.


"Architekten schaffen heute eher Kunstwerke als Bauwerke"

HK: Warum gelingt eine Stadtplanung im großen Stil nicht mehr, wie sie gerade angesichts des raschen Wandels in den Städten notwendig wäre?

MÄCKLER: Das hat etwas zu tun mit jener Eventarchitektur. Architekten schaffen heute eher Kunstwerke als Bauwerke. Sie arbeiten als Künstler und versuchen, unsere Gesellschaft mit ihren Kunstwerken zu beglücken. Keiner will aber die vermeintlichen Kunstwerke sehen, ohnehin wird man nur einen Bruchteil als wirkliche Kunstwerke bezeichnen können. Der Städtebau müsste wieder dahin geführt werden, wo er herkommt: aus der Idee der Gemeinschaft. Die Häuser müssten sich dieser Gemeinschaft und ihrer Geschichte, dem Typus und dem Ort mit seinen Farbgebungen und Formen mehr unterordnen, so dass auch wieder gelungene Ensembles entstehen. In der Demokratie gibt es in vielerlei Hinsicht Regeln dafür, was man machen darf und was nicht. Dazu sollten auch die Fragen des Städtebaus gehören, der dieses Gemeinsame, das wir haben, wieder spiegeln muss. Im Städtebau haben wir jedoch überhaupt keine Regeln mehr dafür. Dabei müssten Grundsätze entwickelt werden, Schönheit und Funktion wieder zusammenzubringen.

HK: Vor kurzem fand an der Katholischen Akademie des Bistums Mainz zusammen mit der Architektenkammer Rheinland-Pfalz eine Tagung unter dem Titel "Baustelle Heimat" statt. Inwieweit können Architekten und Stadtplaner überhaupt dazu beitragen, dass Städte ihren Menschen zur Heimat werden?

MÄCKLER: Natürlich kann man das. Man wird diese Aufgabe irgendwann auch wieder offensiv angehen. Zuletzt hat sich die Bevölkerung verstärkt gegen spektakuläre Neubauten gewehrt: etwa in München, wo nach dem Willen der Bürger Hochhäuser der Frauenkirche nicht zu nahe kommen dürfen. In Aachen sollte auf dem Katschhof zwischen Dom und Rathaus eine Glaskiste hingebaut werden. Immerhin rund 80 Prozent haben sich bei einem Bürgerentscheid mit überwältigender Mehrheit dagegen ausgesprochen. Die Bevölkerung wehrt sich mit Recht. Es ist doch ein Problem, dass es beispielsweise in der Moderne keine gestalteten Plätze mehr gibt. Ein Platz wie die Place des Vosges in Paris oder die Piazza Navona in Rom haben sich fest in unsere Erinnerung eingeprägt - und dies nicht nur, weil sie eine gleichmäßige einprägsame Form haben oder möglicherweise baugeschichtlich von Bedeutung sind. Diese Plätze haben sich in ihrem Äußeren seit Generationen nicht geändert. Der Ort hat damit eine eigene Identität, einen Wiedererkennungswert, der für das Wohlbefinden des Menschen von unmessbarem Wert ist.

HK: Ihr Institut für Stadtbaukunst hat jüngst in Düsseldorf einen ersten groß angelegten Kongress zu diesen Fragen veranstaltet. Mit welchem Ergebnis?

MÄCKLER: Das Thema der Veranstaltung hieß "Die Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt". Die Schönheit ist das, was wir als Gestalt bezeichnen: Wie gestalte ich einen Platz mit seinen Häusern? Kann da jeder jede Farbe nehmen, kann da jeder jedes Material nehmen? Oder muss es da eine gewisse Einheitlichkeit geben? Die Lebensfähigkeit der Stadt hat aber auch etwas damit zu tun, ob wir den Einzelhandel in der Innenstadt stärken und inwieweit im Vordergrund stehen darf, dass die Stadt verkehrsgerecht ist. Es muss wieder in unsere Köpfe, dass die unterschiedlichen Disziplinen wie Verkehrs- und Grünplanung, die gesamte Stadtplanung wie auch die Architektur das gemeinsame Ziel haben, Stadt zu bauen: eine identitätsfähige Stadt. Dann werden sich die Leute auch wieder wohler fühlen. Um dieses Thema kommen wir gar nicht herum, nicht zuletzt mit Blick auf die Überalterung unserer Gesellschaft, aufgrund derer die Leute wieder in der Stadt leben wollen.


"Es ist eine großartige Aufgabe, eine Kirche zu bauen"

HK: Was heißt das für so spektakuläre Stadtbauprojekte wie etwa die Hamburger Hafencity, wo im großen Stil Stadtentwicklung betrieben wird?

MÄCKLER: Die Hafencity ist in erster Linie ein Konglomerat aus Klamauk-Architektur. Das sind Einkaufszentren, ein paar Kneipen und ein bisschen Wohnen und ansonsten Büros. Das Ganze fällt völlig auseinander, weil einzelne Gebäude mit auffälliger Architektur nebeneinander gestellt werden. Das ist keine Stadt und wirkt künstlich. Es gibt auch nur wenig Bezüge zum konkreten Ort. Die Speicherstadt des Hafens hat, weil aus einem Material gebaut, mehr Identität als die Hafencity. Die Architekten des Büros Herzog & de Meuron sind die Einzigen, die das verstanden haben, weil sie die Elbphilharmonie auf einen ehemaligen Speicher aufsetzen. Identität wird hier geschaffen, weil der Sockel mit diesem Material die Hamburg-Bezüge deutlich macht. Die Hafencity als solche könnten Sie auch nach Dubai setzen. Das ist eine Architektur, die völlig ortlos ist. Weil sie aber keine Ortsgebundenheit hat, ist sie trostlos.

HK: Welche Alternativen gibt es zu einem solchen Vorgehen, wenn man nicht einfach die Vergangenheit rekonstruieren will?

MÄCKLER: Wir müssen die Städte, die es gibt, weiterbauen - auf der Grundlage dessen, was heute in unseren europäischen Städten an qualitätvoller Architektur zu finden ist. Wir haben viele wunderbare alte Städte. Aber wir haben es bis heute nicht geschafft, das architektonische und städtebauliche Niveau wiederzugewinnen, das wir im 19. Jahrhundert oder noch Anfang des 20. Jahrhunderts hatten. Interessanterweise sind Altbauten heute auch auf dem Markt viel wertvoller als Neubauten, obwohl jene oft genug für ganz andere Bedürfnisse gebaut worden und in mancher Hinsicht eigentlich unpraktisch sind.

HK: Was bedeuten diese Entwicklungen im Städtebau für Kirchgebäude im 21. Jahrhundert? Sie haben mit einem Entwurf am Wettbewerb für die neue Trinitatiskirche mitten in Leipzig teilgenommen, der beim Publikum auch auf großes Interesse gestoßen ist. Wie kann man als Architekt auf die Vorlieben einer sehr traditionellen Formensprache eingehen, ohne einfach historische Stile zu kopieren?

MÄCKLER: Es ist eine großartige Aufgabe, eine Kirche zu bauen - auch wenn ich selbst leider noch nicht dazu gekommen bin. Die Erwartungen der Menschen spiegeln die Tatsache, dass die Gebäude, die der Bevölkerung angeboten werden, nicht ihren Bedürfnissen entsprechen. Wenn man die Forderung ernst nimmt, dass das alte Zentrum von Frankfurt mit Fachwerkhäusern wieder aufgebaut werden soll, muss man sich auf der anderen Seite vor Augen halten, wie schwierig das Wohnen in diesen Stadtvierteln früher war: mit engen Straßen und viel Dunkelheit, niedrigen Deckenhöhen. Natürlich ist es völlig absurd, sich ein Fachwerkhaus neu zu bauen, im Stile der alten Zeit, und dabei zu glauben, etwa mit winzigen Fenstern heutigen Wohnbedürfnissen gerecht werden zu können. Trotzdem kommt das heute an.

HK: Gilt das genauso auch für die Erwartungen der Menschen an neue Kirchen?

MÄCKLER: Dass es Leute gibt, die eine neo-neogotische Kirche haben wollen, hat damit zu tun, dass sie nostalgisch zurückblicken in eine Zeit, in der alles vermeintlich besser war. Ob das wirklich so war, sei einmal dahingestellt - deshalb gibt es zumindest diese Rückwärtsgewandtheit. Aber selbst, was die Kirchen früher betrifft, muss man unterscheiden. Der Kölner Dom beispielsweise wirkt auf mich unglaublich kalt und viel zu überdimensioniert. Wie in der jüngeren gibt es auch in der älteren Geschichte Gebäude, die keine echte Ausstrahlung haben.


"Der Schnelligkeit und Hektik heute muss etwas entgegensetzt werden"

HK: Was ist daraus zu lernen, wie Kirchen heute beschaffen sein müssen, um Menschen anzuziehen?

MÄCKLER: Wir benötigen Räume, die Zurückgezogenheit, Innerlichkeit und Besinnung gewähren. Das geht in einem lichtdurchfluteten hellen Raum eigentlich nur schlecht. In vielen Kirchen ließe sich durch die richtige Beleuchtung, etwa auch durch mehr Kerzenlicht, durch die richtige Atmosphäre für die liturgische Feier viel erreichen - und man hätte auch mehr Zulauf.

HK: Wie sensibel sind Architekten heute überhaupt angesichts der spezifischen Anforderungen an einen Kirchbau, insbesondere mit Blick auf die Tatsache, dass es sich um einen liturgischen Raum handelt?

MÄCKLER: Nicht jeder Architekt kann eine Kirche bauen. Man sollte sich schon mit dem Glauben auseinandergesetzt haben. Vielleicht muss er einem sogar auch etwas geben, damit man überhaupt nachvollziehen kann, wie ein solches Gebäude auszusehen hat. Kenntnisse der Liturgie gehören deshalb zu den Basics, aber man sollte auch Ahnung von der kirchlichen Baugeschichte mit den großen Kathedralen haben.

HK: Neben Umnutzungen und Neubauten gehören heute zu den wichtigsten Arbeiten von Architekten an Kirchen die Neugestaltung des Innenraums. Inwieweit darf man in einen gewachsenen Kirchenraum eingreifen, um den liturgischen Vollzügen besser gerecht zu werden?

MÄCKLER: Das gab es zu allen Jahrhunderten. Kirchen sind immer wieder umgebaut worden. Wir haben alte Hallenkirchen oder gotische Dome in Barockkirchen umgebaut, und wir haben Barockkirchen auch wieder zurückverwandelt. Das darf man nicht so eng sehen. Aber auch hier sollte man natürlich vorsichtig sein. Der Schnelligkeit und Hektik heute muss etwas entgegensetzt werden. Eine Kirche ist da ein Ort der Ruhe. Da mag der Boden noch so abgeschrabbelt und die Bänke noch so abgewetzt sein. Man liebt das, weil es alt ist - und weil man weiß, dass Generationen von Menschen auf diesen Bänken gesessen und gebetet haben. Solche Orte mit möglicherweise heruntergekommener Einrichtung haben deshalb etwas sehr Faszinierendes - gerade in einer Zeit, die so sehr von Umwälzungen bestimmt ist.


Christoph Mäckler (geb. 1951) ist Architekt in Frankfurt am Main (www.chm.de) und hat seit 1998 den Lehrstuhl für Städtebau an der Fakultät Architektur und Bauingenieurwesen der Technischen Universität Dortmund inne. 2008 gründete er dort das Deutsche Institut für Stadtbaukunst (www.dis.tu-dortmund.de). In Frankfurt hat er letztes Jahr den Opernturm fertiggestellt und baut derzeit das Hochhaus "Zoofenster" in Berlin. Ende März wurde das Augustinermuseum in Freiburg wiedereröffnet, mit dessen Umbau Mäckler beauftragt wurde.


*


Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
64. Jahrgang, Heft 5, Mai 2010, S. 231-235
Anschrift der Redaktion:
Hermann-Herder-Straße 4, 79104 Freiburg i.Br.
Telefon: 0761/27 17-388
Telefax: 0761/27 17-488
E-Mail: herderkorrespondenz@herder.de
www.herder-korrespondenz.de

Die "Herder Korrespondenz" erscheint monatlich.
Heftpreis im Abonnement 10,29 Euro.
Das Einzelheft kostet 12,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2010