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BERICHT/140: Kulturhauptstadt 2010 - Menschen für Porträtserie gesucht (RUBENS)


RUBENS 16. Jahrgang, Nr. 135 vom 1. Juli 2009
Nachrichten Berichte und Meinungen aus der Ruhr-Universität Bochum

108 für 2010
Kulturhauptstadtjahr: Mischa Kuball und die Ruhr-Uni suchen Menschen für eine außergewöhnliche Porträtserie

Von Arne Dessaul


Zusammen mit Mischa Kuball hat die Ruhr-Uni ein großes Projekt für das Kulturhauptstadtjahr begonnen: "100 Lichter/100 Gesichter", das zum Themenfeld "Stadt der Kulturen" von Ruhr.2010-Direktorin Asli Sevindim gehört. Der Düsseldorfer Künstler (auf dem Campus sind zwei Lichtinstallationen von ihm am Bibliotheksgebäude zu sehen) möchte Personen bzw. Familien aus dem Umfeld der RUB porträtieren, die jeweils eine der 108 im Ruhrgebiet - und zugleich auch an der RUB - vertretenen Nationen repräsentieren. Dabei arbeitet Mischa Kuball eng mit dem International Office, den Kunstsammlungen und Kanzler Gerhard Möller zusammen. Er besucht die Menschen in deren Wohnungen und schenkt ihnen eine Lampe. Mit dieser Lampe werden sie gefilmt und fotografiert. Vor allem aber möchte Mischa Kuball mit den Menschen ins Gespräch kommen und ihre Lebensgeschichte hören. Die Porträts werden 2010 in den Kunstsammlungen der RUB (Campusmuseum. Sammlung Moderne) ausgestellt. Über das Projekt sprach Arne Dessaul mit Mischa Kuball und Dr. Friederike Wappler, der Wissenschaftlichen Leiterin der Sammlung Moderne der Kunstsammlungen.

RUBENS: Herr Kuball, Frau Wappler, wie läuft die Suche nach Teilnehmern für das Projekt?

KUBALL: Das Projekt hat ja gerade erst mit einer Auftaktveranstaltung in der International Lounge begonnen. Das hier ist übrigens das erste Interview, das ich dazu gebe. Wir haben keinen Druck, denn wir haben etwa anderthalb Jahre Zeit und wollen uns in aller Ruhe auf die Gespräche vorbereiten. Wir haben aber schon jetzt über 25 feste Zusagen.

RUBENS: So viele?

WAPPLER: Man darf nicht vergessen, dass es unterschiedlich viele Vertreter der einzelnen Länder gibt. Mal sind es 500, mal nur eine Person. Es wäre schade, wenn wir nicht mit Menschen aller Nationen ins Gespräch kommen würden.


Vielfalt statt Idealbild

RUBENS: Ist die Hemmschwelle nicht ohnehin sehr groß, sich mit seinem Privaten in der Öffentlichkeit zu zeigen?

KUBALL: Wahrscheinlich wird man genau das beobachten können: wie weit diese Öffnung schon Teil der kulturellen Identität ist. Das haben wir schon bei den ersten Gesprächen hier an der RUB gemerkt. Da hat zum Beispiel eine Studentin aus Südkorea gesagt: Was soll denn an meiner Geschichte interessant sein? Wir überlassen das natürlich später den einzelnen Teilnehmern, wie viel sie von sich erzählen. Aus Erfahrung bei einem ähnlichen Projekt bei der Biennale in Sao Paulo 1998 weiß ich, dass man da mit jeglicher Art von Überraschung rechnen muss: also auch mit Menschen, die beim Vorgespräch sehr zurückhaltend waren und sich dann beim eigentlichen Gespräch total öffnen. Oder umgekehrt.

RUBENS: Sie beeinflussen das nicht?

KUBALL: Natürlich nicht. Es geht uns nicht darum, mit unserem Projekt irgendein Idealbild für Integration zu zeigen. Es geht um die Vielfalt der Lebensgeschichten, die natürlich wiederum exemplarisch für die unterschiedlichen Arten von Integration stehen.

RUBENS: Ist das die Grundidee?

KUBALL: Ein Teil davon. Ebenso wichtig ist mir die enge Zusammenarbeit mit der Ruhr-Uni. Sie steht für so vieles: Sie ist die erste neu gegründete Uni in der Bundesrepublik. Dazu noch in einer bildungsfernen Gegend. Andererseits verfügt sie, was für deutsche Hochschulen außergewöhnlich ist, über eine Kunstsammlung. Und sie zeigt in der Zusammensetzung der Studierenden, dass das Ruhrgebiet eine multikulturell geprägte Region ist. Hier sind Studierende aus insgesamt 108 Nationen vertreten.

RUBENS: Das ist verbrieft?

WAPPLER: Das hat das International Office der RUB herausgefunden.

KUBALL: Als ich dem Projekt einen Namen gegeben habe, kannte ich die genaue Zahl nicht. Mit 100 war ich aber nahe dran. Jedenfalls ist die RUB die ideale Partnerin: beim Finden der Teilnehmer und als Ausstellungsort.


Die Lampe als Symbol

RUBENS: Ein Kernpunkt der künstlerischen Arbeit ist die Beziehung Mensch-Licht. Wie sehen die Lampen aus, die Sie eigens fürs Projekt entworfen haben?

KUBALL: Es ist eine Stehlampe mit Metallfuß und Glaskugel. Sie ist zunächst einmal ein symbolisches Tauschobjekt, Lampe gegen Geschichte sozusagen. Die Lampe bleibt ja hinterher beim Porträtierten. Es ist aber auch eine Lampe, die keinen konkreten Nutzen hat. Sie ist etwas zu hoch, sie ist etwas zu hell und sie steht immer genau da, wo schon ausreichend Licht ist. Eingelassen in die Lampe ist ein lateinischer Schriftzug, der aus dem Johannes-Evangelium stammt und auf Deutsch bedeutet: Das Licht kommt in die Welt und die Menschen entscheiden sich für die Dunkelheit.

RUBENS: Noch ein Symbol?

KUBALL: Ja, in dem Moment, wo ich das Licht einschalte, rein mechanisch, bin ich schon in einem Transferprozess: Licht, Erleuchtung, Aufklärung, das Verständnis von Demokratie, von menschlichen Konditionen. Deshalb spielt es auch keine Rolle, ob ein Mensch hinterher einen dreistündigen biografischen Vortrag über sein erfülltes Leben in Deutschland hält oder in zwei Minuten klar umreißt, dass er in Deutschland nicht das gefunden hat, was er sich erträumt hat, als er noch in Bosnien, Griechenland oder Ghana lebte. Das ist ja zugleich eine weitere Idee des Projekts: all diesen Möglichkeiten einen Raum zu geben, in Form von Sprache und in einer künstlerischen Ausdrucksform. Es ist ein künstlerisches Projekt mit einer partizipatorischen Note und kein soziales Projekt mit einer künstlerischen Note. Aufgabe des Projektes ist es auch, ein Vehikel zu sein, etwas, das da draußen existiert - also bis zu 108 verschiedene Formen der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund - zusammenzuführen und visuell mit hohem ästhetischen Anspruch zu präsentieren.

WAPPLER: Und hier setzt die Ausstellungsidee an. Die Porträts werden in den Kunstsammlungen auf dem Campus im Umfeld der Porträtserien präsentiert werden, die sich bereits im Besitz der Sammlung befinden.

KUBALL: Zum Beispiel von Jochen Gerz.

WAPPLER: Und von Christian Boltanski. Beide Künstler arbeiten mit Fotografie, beide reflektieren die Beziehung von Porträt, Sprache und Geschichte. Zudem gibt es in der Antikensammlung eine große Porträtsammlung, die im Dialog zu den modernen Arbeiten steht. Hier fügt sich Mischa Kuballs Arbeit über die Gegenwart des Ruhrgebiets bestens ein.

RUBENS: Das lässt sich schon jetzt absehen?

WAPPLER: Ich habe oft genug mit Mischa Kuball zusammengearbeitet und weiß, dass ich mich auf die Qualität seiner künstlerischen Arbeit verlassen kann.


Digitales Archiv

RUBENS: Es wird sowohl Fotos als Filme geben. Wie wird die Präsentation konkret aussehen?

WAPPLER: Zum einen werden die Porträtfotos zu sehen sein und zum anderen wird man per Computer in ein digitales Archiv gelangen, wo die einzelnen Filme zu den Porträtierten aufrufbar sind.

RUBENS: Die kann man sich je nach Bedarf ansehen?

KUBALL: Ja. Man kann sich allerdings auch darauf beschränken, die Porträts zu betrachten und sich sein eigenes Urteil zu bilden, ohne anschließend zu überprüfen, ob es stimmt oder nicht. Dadurch dass wir recht viel vom Interieur einer Wohnung abbilden, liefern wir bisweilen eine Menge Anhaltspunkte.

RUBENS: Wie das?

KUBALL: Wenn zum Beispiel ein Wandteppich mit der siebenten Sure darauf zu sehen ist, könnte man folgern, dass es sich um Muslime handelt, die gegen die Trennung von Staat und Kirche sind.

RUBENS: Was ist denn noch um die Ausstellung herum geplant?

FRIEDERIKE WAPPLER: Es wird eine umfangreiche Publikation geben, wo sich auch die Geschichten der Porträtierten wiederfinden. Dabei arbeiten wir mit dem renommierten Verleger Christoph Keller zusammen.

MISCHA KUBALL: Außerdem haben wir an der RUB jede Menge
kunstgeschichtliche Kompetenz.

RUBENS: Wird das Projekt auch wissenschaftlich begleitet?

WAPPLER: Es wird gewiss Vorträge geben und Seminare, die sich auf die Ausstellung beziehen. Das Kunstgeschichtliche Institut bietet ja ohnehin regelmäßig museumspraktische Seminare an, die sich ganz konkret mit den Projekten und Fragestellungen der Kunstsammlung auseinandersetzen.


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Teilnehmer gesucht

Mit etwa 5.000 internationalen Studierenden, Lehrenden und Beschäftigten steht die RUB exemplarisch für das Thema "Migration im Revier". Insgesamt sind 108 Nationen hier vertreten. Deshalb realisiert Mischa Kuball sein Projekt ausschließlich mit Mitgliedern der RUB. Wer den Künstler unterstützen möchten, kann eine kurze E-Mail an sarah.stuecken@uv.rub.de senden, im International Office vorbei kommen oder sich in eine in der International Lounge ausliegende Liste eintragen. Zur Anmeldung genügen die Angabe von Name, Wohnort und Heimatland. Zusammen mit der E-Mail-Adresse wird diese Info an den Künstler weitergeben, der sich mit den Teilnehmern in Verbindung setzt. Weitere Infos: Sarah-Amelie Stücken, Soziokulturelle Beratung und Betreuung internationaler Studierender/social tuition for international students, International Office der RUB, FNO 01/176, 0234/32-27676.


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Quelle:
RUBENS 16. Jahrgang, Nr. 135 vom 1. Juli 2009, S. 8
Herausgeber: Pressestelle der Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum
Tel: 0234/32-23999, -22830, Fax: 0234/32-14136
E-Mail: rubens@presse.rub.de
Internet: www.rub.de/rubens

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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Juli 2009