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BERICHT/143: Zeitgenössische Kunst - Kirche und neue Avantgard (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz
Monatshefte für Gesellschaft und Religion 7/2009

Zeitgenössische Kunst: Kirche und neue Avantgarde

Von Stefan Orth


Wie steht es um das Verhältnis von Kunst und Kirche? Ein Symposion widmete sich jüngst der Auseinandersetzung der Kirche mit dem aktuellen Kunstschaffen und stellte dabei das unmittelbare Gespräch mit einer Reihe von Künstlern in den Mittelpunkt.


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In Zeiten, in denen im Katholizismus die Fortschritte von vor einem halben Jahrhundert neu verhandelt werden müssen, wirkt die Kombination von Kirche und Avantgarde fast schon anachronistisch.

Unter dem Titel "Neue Avantgarde" stand Ende Mai die Beschäftigung mit dem aktuellen Kunstschaffen im Mittelpunkt, als sich zum sechsten Mal Baureferenten der Bistümer und Architekten, Direktoren der diözesanen Museen, kirchliche Kunstexperten, Künstlerseelsorger und nicht zuletzt Künstler im Katholisch Sozialen Institut (KSI) in Bad Honnef zu einem Symposium trafen, um über den gegenwärtigen Stand des Verhältnisses von Kunst und Kirche zu reden (vgl. auch HK, Oktober 2008, 502ff.).

Erklärtermaßen geht es der Reihe um das Nachdenken über jene Ästhetik, mit der die Kirche ihre Botschaft verkündet. Die Veranstaltungsreihe unter dem Obertitel "Die katholische Kirche in Deutschland und die zeitgenössische Kunst" wurde Anfang des Jahrzehnts von Peter B. Steiner, dem ehemaligen Direktor des Münchener Diözesanmuseums für christliche Kunst in Freising, initiiert.

Nach Tagungen in Berlin (2002 und 2003), Münster (2004), München (2005) und Stuttgart (2006) traf man sich jetzt in der Nähe von Köln, um sich vor Ort mit Kunst im kirchlichen Kontext auseinanderzusetzen, nachdem dort in den vergangenen Jahren weithin beachtete neue Akzente gesetzt wurden (vgl. HK, Oktober 2007, 496ff.). Veranstaltet wurde die diesjährige Tagung vom Erzbistum Köln, der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst, dem für die gesamte Reihe verantwortlichen Verein Ausstellungshaus für christliche Kunst (beide München) und dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz.

Zuletzt standen auf den Symposien neue Andachtsbilder oder die Zukunft des Kirchenbaus ("Neubau - Umbau - Umnutzung") im Mittelpunkt (vgl. die Jahrbücher des Verein Ausstellungshaus 2002/2003 und 2004-2006, in denen die bisherigen Symposien dokumentiert sind). Jetzt widmete man sich unmittelbar der Auseinandersetzung mit dem aktuellen Kunstschaffen und den gegenwärtigen Kunstschaffenden.

Ausdrücklich, so Jakob Johannes Koch, Kunstreferent der Deutschen Bischofskonferenz, in seiner Einführung, gehe es darum, sich dem Anstößigen auszusetzen: das heute etwa darin bestehe, dass sich Künstler wieder als bekennende Ästheten das Recht nähmen, "Schönheit zu vermitteln".


Kunst und Kirche neu aufeinander verwiesen

Da war es nur konsequent, das unmittelbare Gespräch mit einer Reihe von Künstlern in den Mittelpunkt zu stellen. So wurden in Interviewform gewissermaßen exemplarisch drei Künstler vorgestellt und zu ihren Erfahrungen mit kirchlichen Auftraggebern sowie zu ihrer Sicht des Verhältnisses von Kunst und Religion befragt.

Der Österreicher Leo Zogmayer (geb. 1949) bekräftigte die Notwendigkeit einer "ikonoklastischen Wendung" bei der Kirchenkunst. Man dürfe nicht auf Konventionen setzen; die Tradition wiederholen zu wollen, sei eine Form der "Schlamperei", lautete seine provozierende These. Es müsse in einem Sakralraum heute vor allem darum gehen, die vorherrschende Komplexität des Sinnlichen aufgrund der Bilderflut radikal zu reduzieren.

Von Jacques Gassmann (geb. 1963), der Anfang der neunziger Jahre als junger Künstler mit seinem Apokalypse-Zyklus bekannt geworden ist, wurden vor allem gefällige Orgelprospekte vorgestellt. Wie alle anderen anwesenden Künstler auch betonte Gassmann die besondere Aura, die es so reizvoll mache, in und für Kirchenräume zu arbeiten.


Besonders interessant waren die Ausführungen von Michael Triegel (1968), der als Ungetaufter inzwischen mehrere Auftragsarbeiten für Kirchen übernommen hat. Triegel wird wie Neo Rauch, dessen drei jüngst fertig gestellte Fenster über das Leben der Heiligen Elisabeth im Naumburger Dom auf der Tagung mehrfach kritisch kommentiert wurden, zur so genannten Neuen Leipziger Schule gerechnet. Noch Ende des vergangenen Jahres war von Triegel im Dom-Museum Würzburg eine Einzelausstellung mit 62 Exponaten zu sehen - nachdem 2005 sein nackter Christus mit dem Titel "Auferstehung" aufgrund von Protesten aus dem Diözesanmuseum entfernt werden musste.

Seine Werke erinnern auf den ersten Blick an die Malerei in der Renaissance, werden dann aber durch Auslassungen und ungewöhnliche Zusammenstellungen von Motiven markant verfremdet.

Triegel ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich nach der Phase zugespitzter Abstraktion die künstlerische Avantgarde auch wieder zur gegenständlichen Malerei bekennt. Nicht zuletzt werden bei der Kunst dadurch wieder handwerklich-technische Exzellenz und künstlerisches Können wichtiger.

Triegel, der in Erfurt geboren wurde, begründete seine Faszination für die Arbeit in Kirchen damit, dass die Kirchen in der DDR nicht nur ein verbotener Ort, sondern auch ein Hort des Schönen waren. Gerade als Gegenwelt zur Realität hätten sie auf ihn einen besonderen Reiz ausgeübt. In seiner Auseinandersetzung mit dem Rätselhaften und Geheimnisvollen ist ihm daran gelegen, die Konstanten der conditio humana ausleuchten. Es gehe ihm dabei schon darum, dass Unerwartete zu malen. Aber Triegel warnte auch vor einem zu einfachen Avantgarde-Begriff: Nur Innovation sei per se noch kein Kriterium.


Zum Austausch über die zeitgenössische Kunst kam es daneben unmittelbar vor Exponaten von sechs weiteren Künstlern der Jahrgänge 1963 bis 1976 (Silke Rehberg, Lilian Moreno Sánchez, Jörg Herold, Charles Sandison, Slawomir Elsner, Christoph Worringer) und einigen Video-Arbeiten, die in der Ewald-Mataré-Krypta des KSI ausgestellt wurden.

Am folgenden Tag wurde in Köln vor Ort das Domfenster von Gerhard Richter (geb. 1932) auffallend kontrovers diskutiert, bevor mit dem neuen Diözesanmuseum Kolumba, wo derzeit die zweite Ausstellung aus den Beständen des Museums zu sehen ist, eines der anregendsten Beispiele kirchlicher Kunst- und Ausstellungsarbeit besichtigt wurde. Das fein abgestimmte Aufeinanderprallen von jeweils nur einzelnen älteren und modernen Kunstwerken ohne die übliche Beschilderung vor der Architektur von Peter Zumthor überzeugt.


Höhepunkt aber war das Gespräch mit Markus Lüpertz (geb. 1941), scheidender Rektor der Düsseldorfer Kunstakademie, vor seinen Fenstern im südlichen Querschiff der Kölner Dominikanerkirche

St. Andreas, die in den Jahren 2005 bis 2008 fertig gestellt wurden. Die auf den ersten Blick poppig bunten Bilder sind bei genauerem Hinsehen eine eindrückliche Meditation der Themen Kreuzestod und Martyrium, die auf den Makkabäer-Schrein aus dem 16. Jahrhundert Bezug nehmen. Der Maler und Bildhauer, nicht von Selbstzweifeln angekränkelt, erzählte nicht nur vom Entstehungsprozess der Fenster, sondern wollte seine ersten Glasfenster, die erklärtermaßen nicht die letzten bleiben sollten, als Protest gegen die "Verrohung vieler Kirchenräume" verstanden wissen. Angesichts ihrer großen Tradition stehe die Kirche in der Verantwortung, das Gespräch zu suchen und Künstler zu ermutigen.


Die Kirche als Alternative zum Kunstmarkt

Reinhard Hoeps, Leiter der Arbeitsstelle für Christliche Bildtheorie, theologische Ästhetik und Bilddidaktik an der Katholisch-Theologischen Fakultät Münster, kommentierte in seinem Vortrag das Entstehen einer neuen Avantgarde nach dem Zeitalter der Abstraktion. Die damit zwangsläufig verbundene Enttäuschung des christlichen Bildungsbürgertums könne er im Übrigen gut verstehen.

Es sei die große Leistung des Kunsthistorikers und Ausstellungsmachers Wieland Schmied gewesen, mit seinen beiden wichtigen Ausstellungen zu den Katholikentagen in Berlin 1980 und 1990 dafür geworben zu haben, dass man dem Ungegenständlichen und seiner Spiritualität trauen könne. Ohnehin sei die Abstraktion der damaligen Avantgarde theologisch vergleichsweise leicht zu vermitteln gewesen - gewissermaßen als natürlicher Verbündeter im Kampf gegen die Sehnsucht nach einer naturalistischen Ähnlichkeit christlicher Kunst.

Kaum habe man sich aber, so Hoeps, mit der Abstraktion angefreundet, werde schon wieder ein neuer Trend ausgerufen, falle einem die Kunst auf diese Weise in den Rücken. Demgegenüber könne man gerade um angemessener Christusbilder willen auf "gegenständliche Momente" des Gesichts und der menschlichen Gestalt nicht verzichten, erklärte er. Die Kunst biete der Theologie hier durchaus einen originären Erkenntnisgewinn an.


Mit Blick auf den Stand des gegenwärtigen Kunst-Kirche-Dialogs protestierte Johannes Rauchenberger, Leiter des Kulturzentrums bei den Minoriten in Graz, in seinem Eröffnungsvortrag gegen die in den Kirchen viel zu oft anzutreffende "esoterisch angehauchte Befindlichkeitsmalerei".

Dass es um das Verhältnis von zeitgenössischer Kunst und Kirche nicht allzu gut stehe, könne man im Übrigen schon daran ablesen, dass die Abteilung "Ars sacra moderna" in den Vatikanischen Museen aus Prinzip keine lebenden Künstler ausstellt (vgl. das Interview mit der Sammlungsleiterin Micol Forti in: Kunst und Kirche, Nr. 2/2009: Die Kunst zu sammeln, 46-49, hier 49).


Wie Rauchenberger kritisierten auch andere Redner die Folgen des zuletzt immer wichtiger werdenden Kunstmarktes für die Produktion und Rezeption von Kunstwerken. In einem höchst anregenden Abendvortrag illustrierte dies der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich, Professor an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, an Damien Hirsts vollständig von Diamanten überzogenen Totenschädel mit dem Titel "For the Love of God" (übersetzt: "Um Gottes willen").

Der ganz auf den Markt fixierte Kunstproduzent Hirst habe gewissermaßen sein eigenes Schaffen in diesem Kunstwerk zusammengefasst, als er mit dem Hinweis auf die siebenstellige Summe, die allein den Materialwert des Werkes beziffern, unmittelbar in die Preisgestaltung eingegriffen habe.

Heute, so die Kritik Ullrichs, lege es sich fast schon nahe, jedem Ausstellungsstück neben dem Titel und dem Namen des Künstlers auch den gegenwärtigen Wert anzugeben und damit einen einfach anzulegenden Maßstab für gute Kunst zu haben: Oft genug würde die Qualität des künstlerischen Schaffens danach bewertet, welcher Preis mit einem Bild beziehungsweise einem Künstler zuletzt auf einer Auktion erzielt werden konnte.

Hohe Preise aber, so die Pointe, scheinen damit im 21. Jahrhundert das entscheidende Kriterium für Erhabenheit zu sein, und Transzendenz in einer kapitalistischen Gesellschaft folgerichtig vor allem über den Markt generiert zu werden. Nicht ohne Ironie stellte sich freilich am Ende die Frage, inwiefern der zuletzt 50 Millionen Pfund teure Totenschädel nicht auch seismographisch auf die kommende Finanzkrise hingewiesen habe - und somit auf weithin absehbare Zeit Maßstab für das Unvorstellbare bleibe.


Genau deshalb liege Künstlern, wie Triegel bekannte, viel am Dialog von Kunst und Kirche. Während die Wahrnehmung von Kunst heute vor allem über den Kunstmarkt laufe, sei das bei der Kirche anders. Damit werde dann auch eine Möglichkeit gegeben, nicht der Gefahr des Erfolges zu erliegen und sich nur selbst zu reproduzieren.


Gegen die ästhetische Gleichgültigkeit

Peter B. Steiner forderte am Ende die Kirche dazu auf, ästhetischen Fragen insgesamt mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Mit Verweis auf die Sinus-Studie kritisierte er, dass man sich nicht allein am Kunstgeschmack der so genannten Traditionsverwurzelten orientieren dürfe und sich auf diese Weise den Zugang zum Großteil der Bevölkerung verbaue.

Nicht zuletzt deshalb sei es wichtig, die ästhetische Bildung, die lebenslanges Lernen bedeute, schon in der theologischen Ausbildung zu verankern - und zwar als prüfungsrelevantes Fach. Sonst, so Steiner aufgrund eigener leidvoller Erfahrungen, kämen in erster Linie die Seniorenstudierenden. Und wie sollte sich da die so dringend benötigte "Kunsttheologie" weiterentwickeln?

Die Auswirkungen seien nicht zuletzt für die Liturgie von Relevanz, die oft genug unter ästhetischer Gleichgültigkeit zu leiden habe. Schon Geräte und Gewänder für den Gottesdienst dürften nicht einfach aus Katalogen eingekauft, sondern müssten als Werke der Kunst je eigens konzipiert werden.

Rauchenberger hatte bereits daran erinnert, dass schon das Zweite Vatikanische Konzil in der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium vor verunstalteten Formen und künstlerisch ungenügenden, allzu mittelmäßigen oder kitschigen Werken gewarnt hat (Nr. 124).

Bei der Gestaltung von Räumen wie auch von kirchlichen Großereignissen, so Steiner, sei im Übrigen eine "Ästhetik der Überwältigung" (exorbitante Höhe, extreme Lichteffekte, extravagante Materialien, Uniformierung) zu meiden. Nachhaltig plädierte er für eine Ästhetik, die etwa an der frühen Zisterzienserarchitektur oder dem Bauhaus Maß nehme.


Inwieweit damit der vorherrschende Geschmack heutiger Christen getroffen wird, mag man dahingestellt sein lassen. Es ist ja kein Zufall, dass der Begriff "Kirchenkunst" eher abwertende Konnotationen aufweist - ganz im Gegensatz etwa zum Begriff "Kirchenmusik". Die intensive Beschäftigung mit gegenwärtiger Kunst und Ästhetik in der Kirche, für die das Syposium Ende Mai ein hervorstechendes Beispiel war, wird dadurch freilich nur dringlicher.


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Stefan Orth, Redakteur, Dr. theol., geboren 1968 in Duisburg. Studium der Katholischen Theologie in Freiburg, Paris und Münster. 1998 Promotion. Seit 1998 Redakteur der Herder Korrespondenz.
orth@herder.de


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Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
63. Jahrgang, Heft 7, Juli 2009, S. 333-336
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2009