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DESIGN/052: DisKetten & KabelRinge (welt der frau)


welt der frau 6/2010 - Die österreichische Frauenzeitschrift

DisKetten & KabelRinge

Von Christa Langheiter


Alten, scheinbar wertlosen Dingen ein neues Leben einzuhauchen,
das ist das Anliegen von Recyclingschmuck-Designerinnen.
Ein Lokalaugenschein in drei Werkstätten.


Ich gebe Dingen eine Geschichte
Elena Kreuzer sammelt auf Flohmärkten das Rohmaterial für ihre Schmuckstücke.

Elena Kreuzers Schmuckkreationen entstehen mit einem sicheren Griff in ihr Sammelsurium an Fundstücken. Von Stethoskopen über das Gehäuse von Uhren bis zu Bambifiguren kann sich alles an ihren Ketten, Armbändern und Ohrringen wiederfinden.

Der Jagdinstinkt treibt Elena Kreuzer, die vor zehn Jahren aus Russland nach Wien kam, regelmäßig auf Flohmärkte. Stundenlang stöbert die leidenschaftliche Sammlerin nach Kostbarkeiten, die für andere ihren Wert verloren haben, ihr aber Herzflattern bescheren. "Ich finde es grundsätzlich toll, wenn aus Altem Neues gemacht wird. Dinge, die ihre ursprüngliche Bedeutung verloren haben, bekommen einen neuen Sinn, sie erzählen so eine neue Geschichte", erklärt sie.

Altes wird bewahrt und neu interpretiert. Darüber hinaus zählt für Elena Kreuzer auch der ökologische Aspekt: "Es ist unglaublich, was der Bagger am Ende eines Flohmarkts in den Müll befördert. So viele Dinge, die wir nicht mehr brauchen!"

Manchmal weiß sie beim ersten Blick, was aus einem Stück werden soll. "Ein hängender Clown. Daraus muss eine Kette werden." Manchmal springt sie auch in der Nacht auf und sucht in der Fülle ihrer Schätze einen ganz bestimmten Teil. "Es braucht oft nur einen kleinen Teil, damit etwas perfekt zusammenpasst, das jahrelang aufbewahrt wurde." Die Ideen können sie überall überkommen. Im Schlaf ebenso wie beim Kochen oder beim Aufräumen ihres Arbeitsplatzes. "Daher ist er nie aufgeräumt, weil mir währenddessen dauernd etwas einfällt", erzählt sie schmunzelnd.

Für sie ist es selbstverständlich, dass ein Plastikentenkopf perfekt zu Glaskugeln passt. Eine Mickymaus zu alten Perlen. Ein Stethoskop zu alten Spitzen. Und für ihre KundInnen? "Man braucht schon Mut und Selbstbewusstsein, um so etwas zu tragen", sagt sie. "Man muss erwachsen sein. Junge Mädchen brauchen Bestätigung, indem sie alle das Gleiche tragen. Meine KundInnen brauchen diese Bestätigung nicht." Mit ihrem Schmuck unterscheidet man sich von anderen, steht zu seinem Eigenen und fällt auf. "Mit Karaten kann man gar nicht mehr auffallen. Außerdem sieht man nicht, ob sie echt sind oder made in China. Es verrät nicht einmal etwas über das Bankkonto, denn sie können ja geerbt sein", betont sie. So tragen ihre KundInnen selbstbewusst ihren Schmuck auf Bällen, im Theater oder bei der Arbeit im Krankenhaus.

Außerdem hat ihr Schmuck therapeutische Wirkung, meint sie augenzwinkernd. "Wer meinen Schmuck trägt und sich eine Stunde in den Spiegel schaut, fühlt sich augenblicklich besser und braucht keinen Therapeuten mehr."


Alte Disketten sind Kulturgut
Aslihan Atayol rettet alte Technikteile und formt sie zu neuer Schönheit.

Sie liebt alles Technische, sammelt alte Schreibmaschinen und beherrscht zahlreiche alte Handwerkstechniken. Aslihan Atayol sieht die Schönheit unter der Oberfläche von Tastaturen, Disketten und Drähten und bringt sie in ihren Schmuckstücken ans Licht.

Vor einem Jahr hat sie den Sprung ins kalte Wasser gewagt. Die ausgebildete Architektin Aslihan Atayol hat ihren ursprünglichen Beruf hinter sich gelassen und in Wien ein Geschäft für ReDesign eröffnet. Nach fünf Jahren Experimentieren und Designen für sich selbst und Bekannte lebt sie nun ihre Leidenschaft fürs Schmuckmachen und Recyceln professionell und für alle sichtbar aus.

"Es tut weh, wenn etwas Altes verloren geht. irgendjemand hat sich einmal Gedanken gemacht, wie etwa die Tasten einer Schreibmaschine designt werden. Da steckt viel Energie drinnen, die auf dem Müll landet. Oder Disketten. Das ist ein Kulturgut, das die Kids von heute gar nicht mehr kennen." Aslihan Atayol rettet Teile dieser alten Technologien und gibt ihnen einen neuen Wert. Buchstaben von elektrischen Schreibmaschinen, Teile von Disketten, die Drähte aus Kabeln und vieles mehr reinigt sie feinsäuberlich und bearbeitet sie, damit sie dann ein neues Leben auf Ringen, Armbändern, Ohrringen und Halsketten führen.

Das Vorbereiten der einzelnen Materialteile kann eine aufwendige Prozedur sein. Eine Krankenhausabteilung etwa sammelt die Kappen von Infusionen für sie. Die müssen gut gewaschen und getrocknet werden. Dann werden sie klar lackiert, und die Rillen werden abgeschliffen. Die Tasten von Schreibmaschinen entfettet sie mit einem Lösungsmittel, wäscht sie in der Waschmaschine, sortiert die Unbrauchbaren aus, schlichtet und ordnet sie, sonst verliert sie bald den Überblick über ihre Materialschätze. Daher "sind die besten KundInnen diejenigen, die bei meinen Workshops mitmachen. Da sehen sie, wie viel Arbeit das ist".

In ihren Workshops vermittelt sie alte Verarbeitungstechniken, die sie für ihren Schmuck anwendet. Denn die alten Techniken haben es ihr ebenso angetan wie die alten Materialien. Als Architektin ist sie über die Denkmalpflege mit zahlreichen alten Techniken in Berührung gekommen und hat sie selbst erlernt: Schmieden ebenso wie die mittelalterliche Kettentechnik, Perlenknüpfen oder Steineschleifen. So schöpft sie heute aus einem großen Pool an Techniken, die sie passend zu den verschiedenen Materialien einsetzen kann, denn "Ideen zu haben ist zu wenig zum Schmuckmachen. Man muss wissen, wo man öfter das benötigte Material herbekommt, welche Techniken man für welches Material verwendet, und gute Werkzeuge zur Verfügung haben." So kann es mitunter Jahre dauern vom ersten Herantasten an ein Material bis zur perfekten handwerklichen Umsetzung in einem Schmuckstück.


Muss es immer hochkarätig sein?
Haldis Scheicher kennt die Wirkung von Feuerzeugen und Gartenschläuchen, wenn aus ihnen ungewöhnlicher Schmuck werden soll.

Unpathetisch kombiniert Haldis Scheicher Silber mit Gummi, Papier oder Plastik. Das Material stammt aus benützten Alltagsgegenständen. Wer die Herkunft der Materialien nicht kennt, käme nie auf die Idee, welches Leben die Schmuckstücke davor gehabt haben.

Ihre FreundInnen wissen schon, dass Schmuckkünstlerin Haldis Scheicher alles Mögliche - für manche Außenstehende vielleicht Unmögliche - sammelt. So bringen sie als Geschenke nicht Wein und Kuchen, sondern Reste von Gartenschläuchen, Gitarrensaiten oder einen Sack voll Plastikfeuerzeuge, die sie an einem Strand gefunden haben. Die gelernte Goldschmiedin entschied sich in diesem Fall schließlich, den Bodenrand des Feuerzeuges mit der Innenseite nach außen für Ringe und Armreifen, kombiniert mit Silber, zu verwenden. "Ich liebe den Augenblick, wenn die Leute die Schmuckstücke ansehen und raten, aus welchem Material das sein könnte. Meist kommen sie nicht drauf. Wer sieht auch jemals den Boden eines Feuerzeuges von innen?", beschreibt Haldis Scheicher die spannenden Momente mit ihren KundInnen. So bringt sie mit ihren Schmuckstücken aus untypischen Materialien die Leute auch zum Nachdenken. "Muss es denn immer ein Stein sein, der die Wirkung erzielt? Auch ein Feuerzeugteil oder ein Stück Gartenschlauch kann eben eine Wirkung haben."

Der Kontrast der Materialien - echt und unecht - ist für sie zwar reizvoll, aber nicht vorrangiger Beweggrund für den Einsatz von Recyclingmaterial. Eher ist es so, dass sie manche Materialien von ihrer Form oder Farbe her einfach spannend findet. Silber ist für sie ein Gebrauchsmaterial und Kieselsteine, die sie auch sammelt, sind für ihre Arbeit so wertvoll wie für andere Edelsteine.

Recycling heißt für sie auch mehr, als ungewöhnliche Materialien von Alltagsgegenständen zu verwenden. "Es ist nur dann ehrlich, wenn die Dinge wirklich in Verwendung waren. Wenn man daran denkt, eine Recyclingserie zu machen, muss man sich vorher fragen, ob man das Material ausreichend nachbekommt."

Haldis Scheicher reißt gern Dinge aus dem gewohnten Zusammenhang und setzt sie neu zusammen. Gerne macht sie das auch mit Bild- und Wortteilen, die sie aus Zeitungen ausstanzt und hinter Plexiglas zu Ringen verarbeitet. Sie legte Altpapier als Schutz unter die Stanze und stanzte zufällig Papier mit aus. Diese Schnipsel interessierten sie dann weit mehr als das, was sie gerade in Arbeit hatte. "Mir ist bewusst geworden, welche Mengen an Altpapier es gibt. Und dass ich das Leben des Papiers verlängern kann, wenn ich Teile zu Schmuckstücken verarbeite." Und auch in diesem Fall freut sie sich darüber, was die Schmuckstücke bei den BetrachterInnen auslösen, dass die Wort- und Bildteile völlig unterschiedliche Assoziationen wecken.

In letzter Zeit hat sie begonnen, alten Schmuck zu recyceln. Was mit zwei Ketten aus dem Familienbesitz begonnen hat, ist mittlerweile zu einer neuen Leidenschaft geworden. "Es liegt so viel alter Schmuck herum, aus dem man etwas machen könnte. Und es ist spannend, sich dabei zu fragen, wer den Schmuck schon getragen hat und was er schon alles hinter sich hat."


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Juni 2010, Seite 50-54
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2010