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GESCHICHTE/026: Informelle Kunst in der DDR (Marburger Uni Journal)


Marburger Uni Journal Nr. 28 - Februar 2007


Informel oder die real existierende Subkultur

Von Ellen Thun

Informelle Kunst hat es in der DDR nie gegeben, sagt die offizielle Geschichtsschreibung. Die Marburger Kunsthistorikerin Professor Dr. Sigrid Hofer widerspricht: Mit ihrer Arbeit zum Informel in der DDR hat sie einen weißen Fleck auf der kunsthistorischen Landkarte erforscht und gleichzeitig ein Stück Kunstgeschichte neu formuliert.


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Einen Fettfleck, eines Tages zufällig auf einem Stück Aquarellpapier entstanden, fand der Dresdner Maler Hermann Glückner in seiner Form und Platzierung so überzeugend, dass er ihn datierte und signierte. Für andere Arbeiten legte er Schnüre unter nasses Papier und erzeugte so eine Art Blinddruck; er knitterte Papierbögen, die - anschließend mit Farbe getränkt - fein verästelte Gewebe erzeugten. Damit nicht genug: Er zeichnete mit Kerzenwachs und mit Schneiderrädchen, bearbeitete Schleifpapier fast bis zur Auflösung der Materialität und erhob schließlich das Material selbst und den sichtbar gewordenen Schaffensprozess zum eigentlichen Kunstwerk.

Diese Arbeitsweise und die damit verbundene Haltung mussten in einem Land, das den Sozialistischen Realismus als einzig staatstragende Kunstform auf sein Banner gehoben hatte, natürlich auf Sanktionen stoßen. "Wir wollen in unseren Kunstschulen keine abstrakten Bilder mehr sehen", hatte Walter Ulbricht bereits 1951 die offizielle Kulturpolitik der DDR ganz lapidar auf den Punkt gebracht. Gleichwohl handelt es sich bei den eingangs beschriebenen Arbeiten um keine Einzelfälle; vielmehr sind sie Teil einer Kunstbewegung, die sich, obwohl staatlich verfemt, bereits in den Jahren vor Mauerbau und Kaltem Krieg in der DDR formte. Als Ausdruck westlicher Dekadenz geltend, konnte dort die informelle Malerei allerdings lange Zeit nur im Verborgenen blähen und war damit auch der öffentlichen Wahrnehmung entzogen.

Selbst heute noch hält sich in der Kunstkritik hartnäckig die Meinung, es sei unmöglich, dass sich im real existierenden Sozialismus und fernab des Sozialistischen Realismus, klammheimlich eine ganz eigene und autonome Kunstbewegung wie das Informel etabliert haben konnte. Dass aber genau dies und noch dazu auf höchstem Niveau - der Fall war, hat die Marburger Kunsthistorikerin Professor Dr. Sigrid Hofer mit ihrer Arbeit nun eindrücklich dokumentiert. "Wenn ich vom Gegenstand meiner Forschung spreche, dann passiert es mir immer noch, dass die Gesprächspartner mich völlig falsch verstehen und sofort einstimmen: Ja, das ist schon klar, im Osten gab es kein Informel... Und wenn ich sie dann berichtige, ernte ich zunächst nur ungläubiges Staunen." Sechzehn Jahre nach der Wende sei es höchste Zeit, dass die Wahrnehmung der autonomen Kunstbewegungen der DDR durch die Kunstgeschichtsschreibung revidiert werde, erklärt Sigrid Hofer.

Sie selbst war im Jahr 2002 erstmals mit ihrem Forschungsfeld in Berührung gekommen, als sie für das Frankfurter Städel-Museum die Ausstellung "Entfesselte Form. 50 Jahre Frankfurter Quadriga" kuratierte. Diese war der legendären Ausstellung "Neuexpressionisten" gewidmet, mit der vier Künstler 1952 in einer Frankfurter Zimmergalerie das Publikum schockiert, aber auch begeistert hatten.

Bei der Galerie hatte es sich um die Zwei-Zimmer-Wohnung eines kunstbegeisterten Versicherungsangestellten gehandelt, die er abends für Ausstellungen zur Verfügung stellte. Und in dieser Zimmergalerie, die sich kurioserweise binnen kürzester Zeit zu einem Avantgardezentrum entwickelte in dieser plüschigen, etwas muffigen 50er-Jahre-Wohnung, inmitten von Gelsenkirchener Barock, Glasvitrinen und Häkeldeckchen wurden nun die ersten informellen Bilder und zeitgenössische Skulpturen gezeigt. Eine neue Strömung das Informel - war im Westen aus der Taufe gehoben.

"Die Künstler hatten sich quasi an Picasso abgearbeitet, sie konnten ihn nicht übertreffen, sondern mussten sich, um aus seinem Bannkreis zu treten, nun auch von der Abstraktion abgrenzen", erklärt Sigrid Hofer. Hatte sich die abstrakte Kunst vom Gegenstand gelöst, so ging es nun darum, auch die Formen zu sprengen. Dabei ist Informel weniger als Stil oder Richtung, sondern vielmehr als Haltung zu charakterisieren. Die Künstler verzichteten auf Vorzeichnungen, an die Stelle eines vorher festgelegten Herangehens traten das Spontane, der Zufall und der sichtbar gemachte Arbeitsprozess. "Sie wollten keine Regeln anerkennen, keine Regeln vorgeben, sondern inneren Impulsen folgen und im Sinne des psychischen Automatismus schaffen - der Künstler als Seismograf, der auf sein Innerstes hört und diesem Gestalt verleiht, und dadurch gleichzeitig jegliche Formvorgabe und jedes planmäßige Vorgehen negiert", erläutert Hofer das Wesen des Informellen.

Bislang sei die Kunstgeschichtsschreibung davon ausgegangen, dass das Informel als westdeutsches Phänomen vor allem durch den Abstrakten Expressionismus der Amerikaner beeinflusse und durch Demokratisierung, Reedukation und Westintegration weiter voran getrieben wurde. Doch in der Auseinandersetzung mit den Quadriga-Künstlern erschien Sigrid Hofer diese Theorie zunehmend fragwürdig. Sie begann zu recherchieren, untersuchte den Einfluss des Abstrakten Expressionismus und kam schließlich zu dem Ergebnis, dass es zu Beginn der 50er Jahre so gut wie keine amerikanische Kunst in Europa zu sehen gab - erst 1958 stellten die ersten amerikanischen Künstier des Abstrakten Expressionismus in Basel aus. Die Wurzeln des Informel mussten demzufolge nicht in Amerika zu finden sei sondern in erster Linie in den Avantgarde-Bewegungen der Vorkriegsjahre und den europäischen, vor allem französischen Strömungen nach dem Krieg.

So entwickelte sich bei Hofer allmählich "die fixe Idee, dass es trotz Formalismusdebatte und trotz strikter Regulierungsmaßnahmen von Partei und Staat auch im Osten informelle Kunst gegeben haben müsste. Denn auch die Künstler dort haben selbstverständlich aus ihrer Vorkriegsgeschichte geschöpft und auf der Moderne aufgebaut." Diese Überlegungen waren schließlich die Initialzündung für ein neues Forschungsprojekt. "Da war also die Idee... aber meine Skepsis war auch groß, weil die Kunstgeschichtsschreibung die Tatsache so zementiert hatte, dass diese neuen künstlerischen Strömungen im Westen Ausdruck einer wiedergefundenen Freiheit waren und durch die Reedukationsprogramme gefördert wurden. Und in der DDR, die die Künstler in die Pflicht nahm, am Gesellschaftsaufbau teilnehmen zu müssen, galt jeder, der dieses Kunstverständnis nicht mittrug, bereits als subversives Element. Und stand außerhalb des Systems ..."


Subversives nur im Freundeskreis

Während die westdeutsche Informel-Bewegung bereits sehr gut erforscht und dokumentiert ist, fing Sigrid Hofer, als sie mit Studierenden nach den Spuren informeller Malerei in der DDR zu suchen begann, bei Null an. Im Rahmen einer Seminararbeit im Sommer und Winter 2004 konnten die Studierenden zusammen mit ihrer Professorin und der Marburger Kunsthistorikerin Dr. Sigrid Popp ungeahnte Schätze heben. Wer die zum Teil hervorragenden Arbeiten betrachtet, mag kaum glauben, dass bis heute die mitunter drögen Arbeiten des Sozialistischen Realismus die öffentliche Wahrnehmung der DDR-Kunst maßgeblich bestimmen. In diesem Sinne war in der Bildenden Kunst der DDR die Hochkultur sicherlich in der Subkultur zu finden.

Im Januar 2006 schließlich zeigte Sigrid Hofer in Zusammenarbeit mit dem Marburger Kunstverein in der Ausstellung "Gegenwelten Informelle Malerei in der DDR" eine Auswahl informeller Werke. Neben den sieben Künstlern, deren Arbeiten im Mittelpunkt der Ausstellung standen, sind allerdings auch die Werke einer Reihe weiterer Informel-Maler der DDR von der Kunstkritik erst noch zu entdecken. Denn ihre den Augen der Stasi entzogene oder in einem rein privaten Kontext geduldete Arbeit war bislang keiner öffentlichen kunstkritischen Betrachtung zugänglich. Selbst im Freundeskreis zeigten viele Künstler ihre subversiven, weil nicht "linientreuen" Arbeiten nur sehr selektiv. Das überwiegend kleine Format der ostdeutschen Arbeiten ergab sich demzufolge nicht nur aus dem üblichen Papierformat: Kamen ungebetene Besucher, konnte man kleinere Bilder einfach in der Schublade verschwinden lassen.

Die Ergebnisse dieser Ausstellung, die ein Stück weit die bestehende Kunstgeschichtsschreibung revolutionieren wird, sind erst der Beginn einer groß angelegten Studie, die, da ist sich Sigrid Hofer sicher, ein völlig neues Licht auf die Kunst in der DDR abseits der offiziellen Kulturpolitik werfen wird.

Auch im Osten hatte in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch die ganze Vielfalt künstlerischer Positionen, die in der Tradition der von den Nationalsozialisten verfolgten und verfemten Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts standen, gleichberechtigt nebeneinander existiert. Die stilistische Bandbreite reichte von figurativen Arbeiten, die die Formensprache der Neuen Sachlichkeit aufnahmen bis hin zu konstruktivistischen, abstrakten oder surrealistischen Werken. Doch bereits 1948 gab es die ersten Bestrebungen, den gesellschaftlichen Raum künstlerischer Freiheit empfindlich einzugrenzen und die Künstler - mitunter gegen ihren Willen - zu politisieren. Im "Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur und für eine fortschrittliche deutsche Kultur" fielen abstrakte und informelle Tendenzen der Alleinherrschaft des staatlich sanktionierten Sozialistischen Realismus zum Opfer. Die DDR-Künstler sollten fortan "wahrheitsgetreu die Gestalten der patriotischen Bewegung zeigen und mit beißendem Spott und scharfer Satire die Feinde des Volkes und Verräter der Nation geißeln". Weitab von künstlerischer Freiheit sollten die bildenden Künstler "lernen, diszipliniert und exakt ihre künstlerischen Aufgaben zu erfüllen", erklärte Otto Grotewohl in seiner Eröffnungsrede zur Dritten Deutschen Kunstausstellung in Dresden 1953. Nichts dürfe mehr "dem Selbstlauf, der Eingebung, dem Zufall oder der zündenden Inspiration" überlassen werden.

Bereits 1951 hatten die Delegierten auf der 5. Tagung des Zentralkomitees der SED eine "volksverbundene Kultur" gefordert, die den Aufbau des Sozialismus vorantreiben solle, indem sie "Mut und Zuversicht" verbreite. Indem sich die abstrakte Kunst einer inhaltlichen Verpflichtung entziehe, und somit die "Wirklichkeit verunstaltet oder gar abstoßend" wiedergebe, vollziehe sie den völligen Bruch mit dem klassischen Kulturerbe, erklärte etwa der Delegierte Hans Lauter. Ein derartiges Kulturverständnis zerstöre das Nationalbewusstsein, fördere den Kosmopolitismus und bedeute "objektiv eine Unterstützung der Kriegspolitik des amerikanischen Imperialismus". Die Künstler müssten "sofort beginnen, sich umzustellen, um durch ihre Tätigkeit die Menschen zur Erfüllung des Fünfjahrplans zu begeistern".

Nun hatten die Funktionäre auch in Kunst und Kultur das Sagen. Indem die staatlichen Instanzen die abstrakte Kunst mit aller politischen Härte verfolgte, zwangen sie die Künstler, die auch weiterhin an der als staatsgefährdend eingestuften informellen Malerei festhielten, dazu, sich ins Private zurückzuziehen. Alle offiziell nicht anerkannten Künstler mussten um nicht als asoziale Elemente bestraft zu werden - in der Regel noch einen Brotberuf ausüben.

Zu Beginn ihrer Suche nach dem Informel in der DDR stand Sigrid Hofer ohne Anhaltspunkte da. Die ersten Hinweise erhielt sie durch eine Dresdner Galeristin, die ihr Namen von zum Teil schon verstorbenen Künstlern nannte, über die es zunächst so gut wie keine Informationen gab. Als wahre Fundgrube erwies sich schließlich die Kunstbibliothek in Dresden, weil sich dort kleine Broschüren aus den 60er Jahren fanden, in denen - trotz Formalismus-Debatte - auch die ersten Abbildungen informeller Bilder zu sehen waren.

Und nach und nach entstanden immer neue Kontakte zu Sammlern und Zeitzeugen, bis hin zu den Witwen der Künstler und schließlich zu Professor Dr. Werner Schmidt. Als langjähriger Leiter des Dresdner Kupferstichkabinetts nahm er eine Schlüsselposition ein, da er an den staatlichen Kontrollstellen vorbei immer wieder informelle Arbeiten in die Sammlung des Kupferstichkabinetts geschmuggelt hatte.


Polarisierung aufbrechen

Hofers Studierende hatten nun Gelegenheit, das kunstgeschichtliche Feld in der Praxis zu bearbeiten, angefangen bei der Recherche, über das Verfassen von Künstlerbiografien und das Erstellen der Werkverzeichnisse bis hin zur Konzeption und Durchführung einer Ausstellung. "Die Studierenden waren so emsig, so begeistert, etwas herausfinden zu können, dass das ein sehr erfolgreiches Seminar wurde. Wir hatten letztendlich so viel Material, dass wir ausfiltern mussten. Man sah, dass es eine ganz große subkulturelle Strömung gab, die sich in verschiedene Stilrichtungen ausbildete, von denen das Informel nur eine war", erklärt die Professorin.

Es stand also nicht, wie zu Beginn befürchtet, zuwenig Material zur Verfügung, vielmehr musste aus einer Fülle hervorragender Arbeiten eine Auswahl getroffen werden. Die notwendige Beschränkung fiel schnell auf Dresden, weil sich die Stadt als Zentrum des Informel zu erkennen gab. Zudem konzentrierten sich die Forscherinnen auf die Jahre nach dem Krieg, "um die se Polarisierung aufzubrechen - hier die freie Kunst im Westen und dort die andere Kunst unter staatlicher Kontrolle im Osten; auch, um zu zeigen, dass es in der DDR von Anfang an ganz ähnliche Entwicklungen und Strömungen wie in der BRD gegeben hatte, die auf gemeinsame Wurzeln zurückzuführen sind. Nach der Ersten Deutschen Kunstausstellung 1946, die noch gesamtdeutsch ausgerichtet war und viele Strömungen präsentierte, kann man verfolgen, wie die offizielle Kulturpolitik in der SBZ/DDR dann immer restriktiver verfuhr und schließlich nurmehr eine bestimmte Kunst zuließ."

Außerdem wurde der Kreis auf sieben Künstler der ersten Informel-Generation eingegrenzt, von denen schließlich rund 130 Werke in der Ausstellung zu sehen waren.

"Es war ungeheuer spannend", erklärt Sigrid Hofer, "als das ganze Material zum Vorschein kam, das unsere Hypothese stutzte, und das man zum Teil nicht einmal in der ehemaligen DDR kannte. Und vor allem auch zu entdecken, wie ähnlich sich die Strömungen in Ost und West waren." Während das Informel im Westen bereits in den sechziger Jahren von anderen Stilen wie Pop-Art, Environment und Happening verdrängt wurde vielleicht auch weil es als zu subjektiv und unpolitisch empfunden wurde - machte es gerade diese subjektive, sehr innerliche Haltung im Osten hochpolitisch - und das bis zur Wende. Und während das Informei im Westen zunehmend an Bedeutung verlor, erlebte es in der DDR in den 70er Jahren nochmals eine Blüte und wurde von einer zweiten Generation von Malern fortgesetzt.

Dass die Forschung der Marburger Gruppe auch heute noch politisch relevant ist, zeigt die öffentliche Aufregung, die Sigrid Popps Recherchen zur Rolle der Kunstausstellung Kühl in Dresden auslösten. Als einzige private Galerie in der DDR hatte die Kunstausstellung Kühl informellen Künstlern ein öffentliches Forum geboten, das allerdings auch von der Stasi mit Interesse verfolgt wurde. Popps Nachforschungen in der Birthler-Behörde ergaben, dass der Galerist Johannes Kühl in den sechziger und siebziger Jahren ein IM der Stasi gewesen war.


"Subversive" Galerie - vom Regime geduldet

Allerdings wurde beim Aktenstudium auch deutlich, dass er seine Funktion offenbar dazu genutzt hat, sich schützend vor die Künstler zu stellen. Anstatt zu denunzieren, verschleppte er Berichte und lieferte nur solche Fakten, die ohnehin schon bekannt waren. Das Kapitel, das Sigrid Popp dem Thema im Ausstellungskatalog widmete, bedeutet letztendlich eine Rehabilitierung von Johannes Kühl. "Denn jeder", so Hofer, "hatte sich doch gefragt, wieso die DDR in dieser Zeit der strengen Formalismus-Debatte eine private Galerie duldete, die diese subversiven Künstler vertrat." Anstatt diese Sachverhalte zu verdecken und zu tabuisieren, erschien es den Wissenschaftlerinnen richtiger, das tatsächliche Geschehen im Rahmen des historischen Sachverhalt aufzudecken und neu zu bewerten.

Als nächstes Projekt strebt Hofer eine große Gesamtdarstellung der informellen Bewegung in der DDR an, "von den Anfängen bis zur Wende, und das über die ganzen Kunstzentren hinweg". Da dies allerdings nicht auf rein studentischer Ebene zu stemmen sein wird, hofft sie auf finanzielle Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Schon jetzt hat Hofer gemeinsam mit Sigrid Popp begonnen, eine Datenbank anzulegen, die neben Bildern auch Materialien zu Künstlern und Quellen enthält.

Ziel ist, den großen Fundus der informellen Bewegung für die Forschung erst einmal zu sichern und dann auch anderen Wissenschaftlern zugänglich zu machen. Aber die Zeit läuft. Noch leben einige Zeitzeugen, die für die frühen Jahre wichtig sind, sind aber zum Teil schon über achtzig Jahre alt. Auch die Künstler aus der zweiten Generation wie Max Uhlig, Gerda Lepke, Veit Hofmann, Günter Hornig und Eberhard Göschel sind in der Regel zwischen sechzig und siebzig. Hofer muss dieses Projekt jetzt durchführen, wenn sie die Chance nicht vertun möchte sie noch selbst zu ihrer Arbeit und als Zeitzeugen zu befragen.

"Es geht letztendlich auch um die Aufarbeitung der beiden deutschen Staaten und darum, zu zeigen, wie Kunst und Politik jeweils zueinander standen, unter welchen Bedingungen Kunst entstehen konnte und welche Gemeinsamkeiten vorhanden sind. Alles das ist für unser Zusammenwachsen ganz wesentlich. Und auch für die Anerkennung der neuen Bundesländer, für die Anerkennung der Menschen dort, ist es wichtig, ihre große Kulturleistung aufzuarbeiten und in das allgemeine Bewusstsein zu holen", erklärt Sigrid Hofer. Bleibt zu hoffen, dass das ehrgeizige Projekt die nötige Unterstützung findet, denn nur wenn diese - und auch andere - autonome Kunstbewegungen der DDR erforscht werden und ihren gebührenden Stellenwert in der Kunstgeschichte einnehmen, stellt man der repressiven Kulturpolitik der DDR die subversive Kraft freier Kunst gegenüber.

Noch bis zum 8. April ist "Gegenwelten. Informelle Malerei in der DDR" in der Städtischen Galerie Dresden zu sehen. Der gleichnamige Katalog mit 133 Farbtafeln erschien bei Stroemfeld (ISBN 3-87877-968-2, 28 Euro).

Kontakt
Professorin Dr. Sigrid Hofer
FB Germanistik und Kunstwissenschaften
Kunstgeschichtliches Institut
Tel.: (06421) 28 24317
Internet: www.uni-marburg.de/fb09/khi/institut/lehrende/hofer


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Quelle:
Marburger UniJournal Nr. 28, Februar 2007, Seite 20-23
Herausgeber: Der Präsident der Philipps-Universität Marburg
gemeinsam mit dem Vorstand des Marburger Universitätsbunds
Redaktion: Pressestelle der Philipps-Universität Marburg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2007