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MALEREI/048: Natur & Wissenschaft in der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts (Unijournal Trier)


Unijournal Heft Nr. 2/2009 - Zeitschrift der Universität Trier

Natur & Wissenschaft in der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts

Von Jun.-Prof. Dr. Ulrike Gehring


Das 2006 an der Universität Trier initiierte Forschungsprojekt untersucht den Einfluss (natur-)wissenschaftlichen Denkens auf die niederländische Landschafts- und Marinemalerei des 17. Jahrhunderts. Ihm liegt die These zugrunde, dass die allseitige Öffnung des Bildraumes und das Absenken des Horizontes - nicht wie in der kunsthistorischen Forschung bislang vermutet - auf eine authentische Wiedergabe der sich selbst repräsentierenden Natur abzielt, sondern dass (natur-)wissenschaftliche Strukturprinzipien in sinnstiftende Verfahren der Malerei übertragen werden.


Die Welt geriet nicht aus ihrer Bahn, als Giordano Bruno 1584 seine Vermutungen über die Unendlichkeit eines ewigen, aus unzähligen Sonnensystemen bestehenden Universums niederschrieb. Ins Ungleichgewicht kam sie erst, als Galileis Teleskopbeobachtungen 1608 den empirischen Beweis für Brunos Thesen erbrachten und die kopernikanische Theorie zu einer optisch verifizierbaren Wissenschaft wurde. Künstler, Ingenieure und Kartographen begannen eigene Beobachtungen anzustellen und die Baugesetze der Natur konstruierend zu beschreiben. Folgenreich wurde diese Entwicklung für die Malerei in dem Moment, da die Rationalisierung des astronomischen Raumes auch den Blick auf das Diesseits veränderte und die irdische Landschaft sich ins Grenzenlose ausdehnte. Beispiele hierfür finden sich insbesondere in der flämischen Historienmalerei, die ab 1618 dazu überging, militärische Erfolge in topographisch-analytischen Landschaftsprospekten zu verorten; das dargestellte Terrain war dabei von Landvermessern genau kartiert und im Dienste der Bildpropaganda visualisiert worden.

Über die historisch mehrfach belegte Allianz zwischen Landvermessern, Kartographen und Künstlern erklärt sich der methodische Zugriff des Trierer Forschungsprojektes, das erstmals auch militärkartographische Quellen für die Entstehung der Landschaftsmalerei fruchtbar macht. Die Auswertung populärwissenschaftlicher, in niederländischer Sprache verfasster Handbücher hat ergeben, dass sich im 17. Jahrhundert ein standardisiertes Verfahren zur Landschaftsaufnahme herausbildet, das zugleich Eingang in die Historienmalerei findet. Des Weiteren konnte bereits nachgewiesen werden, dass dieses "militärische Fernerkundungssystem" ab 1650 seine zivile Umsetzung in den holländischen Panoramen findet. Unendlichkeit wird auch hier durch eine tiefenräumliche Staffelung endlicher Landschaftsprospekte suggeriert. Hinzu kommen die laterale Öffnung des Bildraumes sowie das Herabsenken der sphärisch gekrümmten Horizontlinie. All dies geschieht genau zu der Zeit, in der sich in Europa auch eine geographische Raumvorstellung herausbildet, die nicht mehr in Strecken (Itineraria), sondern Räumen (Landkarten, Globen) denkt.

Die ersten auf der Analyse von etwa 400 Übersichtslandschaften basierenden Ergebnisse wurden im Rahmen einer von der DFG finanzierten Fachtagung (Entdeckung der Ferne, 05./06. Dezember 2008, Bischöfliches Priesterseminar Trier) sowie im Niederlandeforum des Deutschen Kunsthistorikertages 2009 in Marburg intensiv diskutiert und bestätigt. Das Projekt wird im Jahr 2010 eine fächerübergreifende Erweiterung durch den Einbezug von Literaturwissenschaft, Theologie, Geschichte und Physik erfahren.


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Quelle:
Unijournal 2/2009 - Zeitschrift der Universität Trier, S. 34
Jahrgang 35/2006
Herausgeber: Der Präsident
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Unijournal erscheint dreimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2010