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MELDUNG/264: Studie - Das Erfolgsrezept des René Magritte (idw)


Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) - 19.05.2015

Das Erfolgsrezept des René Magritte

Eine aktuelle Studie zeigt, warum abstrakte Kunst das Interesse der Betrachter weckt


Abstrakte Kunstwerke werden von vielen Kunstbetrachtern gerade deshalb so sehr geschätzt, weil sie mehrdeutig und nicht auf Anhieb zu verstehen sind. Das haben Psychologen der Universitäten Bamberg und Mainz jetzt herausgefunden. In einem Experiment ließen sie 39 Probanden 17 Kunstwerke des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts betrachten und beurteilen. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung wurden in der Fachzeitschrift "Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts" veröffentlicht.

In der bisherigen Forschung zu ästhetischem Erleben wurde viel darüber berichtet, dass Menschen vor allem solche Bilder und Skulpturen schön finden, die leicht zu verstehen sind. Warum gelangten dann aber Künstler wie René Magritte oder Pablo Picasso, deren Werke mehrere Interpretationen zulassen und oft nicht leicht zu verstehen sind, zu weltweitem Ruhm und werden hoch gehandelt?

"Die Idee, dass vor allem eine einfache Verarbeitung der Kunstwerke wesentlich für deren Wertschätzung ist, scheint in Anbetracht des hohen Interesses für abstrakte Kunst zu kurz gedacht. Daher wollten wir herausfinden, was hinter der Vorliebe für komplexe und mehrdeutige Kunstwerke steckt", sagt Claus-Christian Carbon, Psychologe und Leiter der Forschergruppe.


17 Kunstwerke des 20. und 21. Jahrhunderts

In ihrer Studie präsentierten die Forscher 39 Probanden im Alter zwischen 18 und 41 Jahren Fotografien und Drucke von 17 Kunstwerken des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts (darunter zum Beispiel "Les Jours Gigantesques" von René Magritte und "Die Steinfrau" von Meret Oppenheim). Die Probanden sollten zunächst jedes Kunstwerk bewerten: wie gut es ihnen gefällt, wie sehr es sie interessiert und wie stark der Eindruck ist, den es bei ihnen hinterlässt. Dann betrachteten die Probanden jedes Kunstwerk ein zweites Mal. Sie beurteilten dessen Mehrdeutigkeit (in der Fachsprache Ambiguität genannt) und wie leicht es ist, diese Mehrdeutigkeit aufzulösen, also das Werk zu verstehen. Außerdem beschrieben sie für jedes Kunstwerk, welche Einsichten sie durch das Betrachten gewonnen haben. Zum Schluss bearbeiteten alle Probanden einen Fragebogen zur "Ambiguitätstoleranz". Dieser gibt Aufschluss darüber, wie gut eine Person Mehrdeutigkeiten und Widersprüche aushalten kann.


Mehrdeutige Kunstwerke regen zum Nachdenken an

Die Ergebnisse zeigen, dass die Probanden vor allem solche Kunstwerke mochten und interessant fanden, die sie als mehrdeutig empfanden und die ihr Nachdenken anregten. Wenn sie den Eindruck hatten, dass die Mehrdeutigkeit leicht auflösbar ist, fanden sie die Bilder dagegen weniger interessant. Allerdings galt dies insbesondere für Personen mit hoher "Ambiguitätstoleranz". Teilnehmer mit niedrigerer Ambiguitätstoleranz mochten mehrdeutige Bilder weniger und fühlten sich von diesen auch weniger angesprochen.


Einfache Interpretationen verursachen Langeweile

"Unsere Ergebnisse erlauben einen neuen Blick auf die Wahrnehmung und Wertschätzung von Kunstwerken. Das 'Problem' beziehungsweise die Mehrdeutigkeit des Kunstwerks muss nicht 'gelöst' werden, um positive Erfahrungen oder ein ästhetisches Vergnügen zu erwecken. Wertschätzung scheint sich aus belohnenden Einsichten zu ergeben und weniger aus einer eindeutigen Interpretation", sagt Claudia Muth, Mitautorin der Studie. Claus-Christian Carbon ergänzt: "Gerade bei der Betrachtung zeitgenössischer und moderner Kunstwerke spielt deren Interessantheit - ausgelöst durch eine gewisse Mehrdeutigkeit, an der der Blick des Betrachters oder der Betrachterin hängen bleibt - offensichtlich eine wichtigere Rolle als deren bloße Schönheit." Vielleicht erzielen abstrakte Gemälde wie das jüngst ersteigerte Werk "Les femmes d'Alger" von Pablo Picasso auch deshalb so viel Geld?


Die Originalstudie finden Sie hier:
Muth, C., Hesslinger, V., & Carbon, C. C. (2015). The appeal of challenge in the perception of art: How ambiguity, solvability of ambiguity and the opportunity for insight affect appreciation. Psychology of Aesthetics, Creativity, and the Arts. Advance online
publication.http://dx.doi.org/10.1037/a0038814.


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Weitere Informationen unter:
http://psycnet.apa.org/index.cfm?fa=search.displayrecord&uid=2015-12662-001

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution599

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs), Dr. Anne Klostermann, 19.05.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Mai 2015

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