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BERICHT/008: Gefesselte Kunst - Eine Revolution läßt niemals auf sich warten ... (SB)


... denn wer wartet, kommt stets zu spät

"The next revolution will not be funded" - Public Event am 8. Februar 2012 in Berlin

Von Stefan Kroll
Vorstellung des Panels am 8. Februar 2012 - Foto: © 2012 by Schattenblick

Jürgen Bock, Diedrich Diederichsen, Gertrud Sandqvist, Simon Thompson, Ruth Wilson Gilmore
Foto: © 2012 by Schattenblick

"The next revolution will not be funded" - der Titel der einzigen öffentlichen Veranstaltung des Kongresses "radius of art" wartet mit einer provokanten, das zur Debatte gestellte Thema der Kulturförderung ironisch konnotierenden Ankündigung auf, die zur Dekonstruktion auffordert. Kann eine Revolution, die herrschende Verhältnisse ihrem immanenten Anspruch gemäß vollständig umstürzt und nicht nur reformiert, überhaupt gefördert werden, oder wäre dieses Anliegen nicht gerade dadurch gegen sich selbst gekehrt? Letzteres liegt auf der Hand, wird der subjektive Kampf um Befreiung doch durch Sponsoren, die außerhalb stehen und sich nicht umsonst von der mit Revolutionen einhergehenden Gefahr freihalten, ganz anderen Interessen überantwortet. Hier drängt sich das Beispiel jener "bunten" Revolutionen auf, deren Subjekte ohne äußere Unterstützung nicht gegen die eigenen Oligarchen und Diktatoren hätten bestehen können. Notgedrungen bleibt der Horizont möglicher gesellschaftlicher Veränderung dann auf Ziele beschränkt, die den Geldgebern zu paß kommen mögen, die von ihnen geförderten Aufständischen jedoch weit unterhalb der Schwelle einer sozialen Revolution in institutionelle Strukturen einbinden, die die Misere der Verelendung und Unterdrückung fortschreiben.

Der unlängst verstorbene Rap-Poet Gil Scott-Heron warnte mit dem zum geflügelten Wort gewordenen - und bei der Wahl des Veranstaltungstitels Pate stehenden - Refrain "The Revolution Will Not Be Televised" potentielle Revolutionäre davor, sich vom Konsumismus der weißen, kapitalistischen Kulturindustrie vereinnahmen zu lassen. Was wirklich revolutionär ist, läßt sich nicht auf Zelluloid bannen, lautete die Botschaft seines emblematischen, lange vor dem Eroberungszug des HipHop zu funkigem Rhythmus gesprochenen Textes. Es taucht in den Formen und Kategorien dieses Verwertungsinteresses nicht auf, weil das gänzlich andere in keiner Weise mit den herrschenden Verhältnissen wesensverwandt ist. Scott-Heron propagierte Ende der 1960er Jahre eine Vollständigkeit der Negation des Bestehenden, die seitdem nichts an Wirkmächtigkeit eingebüßt hat, sondern ein zentrales Problem jedes ernstzunehmenden Kampfes um gesellschaftliche Veränderung anspricht. Sich von etwas nicht lösen zu können, das erklärtermaßen negiert werden soll, resultiert in der Stärkung dessen, was es zu überwinden gilt. Die Geschichte der Neuen Linken vom epochalen Aufbruch vor einem halben Jahrhundert bis zur Ankunft in den Agenturen kapitalistischer Macht und der Seßhaftigkeit des arrivierten Bürgertums illustriert die Ambivalenz eines Aufbegehrens, das sich die Option der Rückkehr ins sichere Nest von Anfang an offenhielt.

Wenn die nächste Revolution nicht gefördert wird, dann findet sie auch nicht statt, lautet die - je nach Interessenlage - gute oder schlechte Nachricht. Wenn gesellschaftspolitische Veränderungen ausschließlich im Rahmen bestehender Institutionen und Strukturen vollzogen werden sollen, bleiben die Dinge aus herrschaftskritischer Sicht bestenfalls so, wie sie sind, oder treiben katastrophaleren Umständen zu. Wie wirksam Reformen unter den Bedingungen kapitalistischer Vergesellschaftung ihrem Anspruch gerecht werden können, ist angesichts mehrerer synchron verlaufender globaler Krisen, die nicht zuletzt die geringe Reichweite demokratischer Willensbildung und die hochgradige Bereitschaft der Politik dokumentieren, gravierende Probleme zu alternativlosen Sachzwängen zu verabsolutieren, unschwer auszuloten.

Gelingt es nicht, revolutionäre Entwicklungen brutal zu unterdrücken oder auf weniger blutige Weise zu kooptieren, dann wird es keine aus der Sicht der Herrschenden in ihrem programmatischen Scheitern nurmehr zu bilanzierende Aufstände mehr geben. Welche Form auch immer eine Revolution annähme, deren Sachwalter die Angst vor den staatlichen Repressionsapparaten verloren hätten und sich den gut ausgebauten Strategien des Co-Managements gegenüber immun zeigten, ob sie sich als anfangs kaum wahrnehmbares Netz von Rissen im Gefüge etablierter Ordnungen zu einer unumkehrbaren Woge der Veränderung auftürmte oder als jäher Aufstand simultan an verschiedenen Orten der Erde losbräche, sie wäre den auf das Interesse, stets das Vertraute und Bewährte eigener Vorteilsnahme zu reproduzieren, zurückgeworfenen Personen und Institutionen so ungreifbar, wie es eine antizipatorische Negation des Bestehenden nur sein könnte.

Die nächste Revolution ist stets die letzte, mithin gescheiterte, da eine unumkehrbare Revolution im originären marxistischen Sinne einer Umwälzung aller Verhältnisse, "in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist", schlechterdings nicht stattgefunden hat. Jede Überlegung zu Form und Gestalt einer solchen Veränderung muß daher spekulativ bleiben, was nicht heißt, daß utopische Entwürfe nicht fruchtbar zu machen wären für praktische Handhabungen in der Bewältigung sozialer Kämpfe. Innerhalb eines Horizonts, der von den Nützlichkeitserwägungen und Zweckbestimmungen einer Kulturförderung bestimmt ist, deren Empfängern im Zweifelsfalle ausgetrieben werden muß, was der Notwendigkeit einer solchen Bemittelung den Boden entzöge, über Revolution zu sprechen scheint allerdings kaum in der Absicht zu erfolgen, den Anschluß an diese Kämpfe herzustellen. Der Titel der gut besuchten abendlichen Veranstaltung in der Berliner Zentrale der Heinrich-Böll-Stiftung sollte daher ganz ironiefrei für bare Münze genommen werden. Mit revolutionären Bestrebungen treibt man keine Späße, wenn sie auch nur entfernt den Mut und die Unbescheidenheit aufwiesen, die die tätige Überwindung herrschender Verhältnisse voraussetzt.

Vortrag Diedrich Diederichsen - Foto: © 2012 by Schattenblick

Diedrich Diederichsen mit Moderatorin Gertrud Sandqvist
Foto: © 2012 by Schattenblick

Diedrich Diederichsen plädiert für künstlerische Freiräume

So stieg der an der Akademie der bildenden Künste Wien Theorie, Praxis und Vermittlung von Gegenwartskunst lehrende Kulturwissenschaftler und frühere Popjournalist Diedrich Diederichsen denn auch mit der nüchternen Feststellung in seinen Vortrag ein, daß man von der Kunst keine Revolutionen erwarten könne. Der dem abendlichen Event vorangestellten Frage des Einflusses der Kunstförderung auf die Originalität und Eigenständigkeit künstlerischer Produktivität hielt Diederichsen ein Plädoyer gegen die Verabsolutierung von Erfolgsmaßstäben als Kriterium des Funding entgegen. Wer Nützlichkeit zur Basis der Förderung erhebe, unterminiere die Gültigkeit von Qualitätskriterien, die in einem nicht geldwertorientierten Sinne an künstlerische Werke anzulegen wären.

Dabei lag es Diederichsen fern, Kulturförderung als Instanz, die das Problem einer ökonomisch als nicht suffizient erachteten und die Kulturschaffenden dem modernen Prekariat überanwortenden Kunstproduktion kompensiert, aus gesellschaftskritischer Sicht zu verwerfen. Er beschränkte sich darauf, verschiedene Strategien des Funding anhand des Gegensatzes von Tauschwert und Gebrauchswert gegeneinanderzuhalten. So übten die Sammler von Kunstwerken maßgeblichen Einfluß auf die pekuniäre Bewertung von Kunst aus, die, auch wenn sie nicht als Spekulationsobjekt fungiere, in ihrem Gehalt vom Interesse der Sammler geprägt werde. Demgegenüber stärkten progressive Förderstrategien das Gegenteil, den Gebrauchswert von Kunst.

Dabei verwahrte sich Diederichsen gegen die allgemeine Annahme, daß der Gebrauchswert eines Kunstwerks sich nicht vom Gebrauchswert jedes anderen Objekts unterscheide. Seiner Ansicht nach werde der Gebrauchswert eines spezifischen Kunstwerks von seiner sozialen Relationalität bestimmt, was er als Forderung dechiffrierte, daß Kunsteinrichtungen mehr projektorientierte und sozial bedeutungsvolle Prozesse und Interventionen initiieren sollten. Dabei warnte er vor der Überbewertung einer Transgression, die als Kernqualität künstlerischer Produktivität ausgemacht werde, was sie nicht sei, was er wiederum nicht als als Argument gegen eine erweiterte Idee von Kunst verstanden wissen wollte. Nicht Kriterien als solche seien das Problem, sondern die Kraft, die sie entwickeln, wenn sie normativ werden.

Der Referent hatte einige Mühe, sich selbst von der normativen Wirkung der Kategorien freizuhalten, die er in seinem Vortrag verwendete. So erwies sich der vermeintliche klare Antagonismus von Tausch- und Gebrauchswert bei der Anwendung dieses auf den Doppelcharakter der Arbeit nach Marx zurückgehenden Begriffspaares auf die Prozesse und Ergebnisse künstlerischen Schaffens als unscharf bis konvergent. Die Frage nach der Definition des Wertes von Kunst beantwortete Diederichsen mit deren Temporalität, die sich nicht nur in Archiven und in der Kunstgeschichte darstelle, sondern zur differenzierten Betrachtung jeglicher Form des Gebrauchs beitrage. Dieser habe eine endliche Temporalität, der Tausch hingegen sei endlos, was als Referenz auf die dem Kapital eigene Bewegung, sich fortwährend verwerten zu müssen, verstanden werden konnte.

Indem Diederichsen die Möglichkeit, neu darüber nachzudenken, wie man Zeit und Temporalität - etwa als Schleife, als Endlosigkeit, als lange Dauer, als Bruch oder Unterbrechung - wiedererfahren könne, als einen der wichtigsten Vorteile der ästhetischen Erfahrung von Kunstwerken hervorhob, verblieb er in einer kategorialen Bedeutsamkeit, die das bloße Erleben fremdbestimmter Prozesse nicht transzendieren kann. Daß die subjektive Zeiterfahrung kausal determiniert ist und die darin strukturell verankerte Letztbegründung stets aus dem schöpft, was bereits vergangen und damit bekannt ist, verweist auf die Zirkelschlüssigkeit einer Erkenntnis, die zu überwinden das Anliegen von Kunst wäre, wenn sie denn beanspruchte, eine Bresche in die hermetische Struktur gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Ordnungs- und Deutungssysteme zu schlagen.

Der von Diederichsen gewählte Ansatz, den Imperativ der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft, der die Verwertbarkeit jeglicher Produktivität diktiert, in Frage zu stellen, hätte angesichts des gerade Künstler betreffenden Widerspruchs, originäre individuelle Arbeit vergleichbar und evaluierbar zu machen, die Möglichkeit einer Kritik eröffnen können, die über die spezifischen Probleme der Reproduktion der Arbeitskraft des Künstlers hinaus an die konstitutiven Bedingungen der herrschenden Gesellschaftsordnung rührte. So lange abstrakte Arbeit zur einzig gültigen Instanz menschlicher Produktivität verabsolutiert wird, kann auch Kunst nicht frei davon werden, selbst als antagonistischer Entwurf affirmativen und legitimatorischen Zwecke unterworfen zu werden.

Diedrich Diederichsen - Foto: © 2012 by Schattenblick

Widerspruchsfreiheit nicht im Angebot ...
Foto: © 2012 by Schattenblick

Indem Diederichsen ausführte, daß das Kriterium des Gebrauchs auch absurde und groteske Kunst, die sich ihrer Deutbarkeit widersetzt, dem Interesse eines allgemeinen Nutzens verfügbar macht, leuchtete er die Grenzen des Versuchs, einer solchen Inzwecknahme zu entkommen, aus. Daß es bei derartigen Kunstformen um antisoziale und asoziale Position gehe, wie er erklärte, hebt das Problem ihrer Verfügbarkeit nicht auf. Worin dieses im besonderen besteht, führte Diederichsen mit dem Resümee aus, daß die skandalöseste Art, über Kunst zu befinden, insbesondere in den Milieus, in denen über ihre Förderung entschieden wird, Konsum sei.

Damit leitete er über zu einer Kritik des allgemeinen Verständnisses von partizipativer Kunst. Im klassischen Kontext der Kritik an der Kulturindustrie galt es als revolutionär, mobilisierende und aktivierende Kunstwerke unabhängig von ihrer spezifischen Zielsetzung zu produzieren. Heute würden diese mobilisierenden Effekte jedoch zur Konsumentenmobilisierung oder als Therapie für Burn-Out-geschädigte Erwerbstätige verwendet, was zudem die voyeuristische Ästhetik der Reality TV-Formate vorangebracht habe. Zugunsten des für Diederichsen offensichtlich überkommenen Konzepts von der kulturindustriellen Befriedung gesellschaftlicher Widersprüche könnte allerdings auch ins Feld geführt werden, daß eine partizipative, also die Rezipienten und Aktivisten einbeziehende Kunst gerade aufgrund der Verkehrung emanzipatorischer Ziele in ihr Gegenteil die Absicht verfolgen sollte, neue Potentiale kritischer Handlungsfähigkeit zu erschließen.

Ein Element der konformistischen Einbindung künstlerischen Schaffens liegt sicherlich in einer Sprache der Affirmation, die den technokratischen Jargon administrativer und gouvernementaler Dispositive nicht nur durchdrungen, sondern auch undurchdringlich gemacht hat. So beruht der hoch gehandelte Begriff der Partizipation auf einer Teilbarkeit des Subjekts, das den rebellischen Stolz, das Angebot der Inklusion abzulehnen, mit dem Entzug materieller Lebensmöglichkeiten zu bezahlen hat. Der Verweigerung der nicht minder als Ausdruck gesellschaftlichen Fortschritts angesehenen Forderung der Integration folgt die Bezichtigung, verdächtige Parallelgesellschaften zu bilden, auf den Fuß. In der Arbeitsgesellschaft produktiv zu werden ist das Maß gelingenden Lebens, und wer dies ohne Not verweigert, muß dafür schlimmere Gründe wie etwa eine staatsfeindliche Gesinnung haben. In einer von der Ratio des Verwertungsprimats eingekapselten Gesellschaft etwas augenscheinlich sinn- und zweckfreies zu tun, das sich auch auf den zweiten Blick nicht als heimlicher Produktiv- und Legitimationsfaktor zu erkennen gibt, läuft folgerichtig Gefahr, stigmatisiert und sanktioniert zu werden.

Auch in der abschließenden Betrachtung des Verhältnisses von Autonomie und Heteronomie in der Kunst plädierte Diederichsen dafür, künstlerisches Schaffen vom Tauschwertprimat freizuhalten. Nur so ließen sich auch politische Funktionen der Kunst aufrechterhalten, die ganz andere Vorstellungs- und Sichtweisen eröffneten. Diederichsen empfahl, sich in einer Situation der Unterdrückung nicht auf die Seite des Feindes deines Feindes zu schlagen, sondern beide hinter sich zurückzulassen. Das Dilemma, dem heteronomen und instrumentellen Charakter des Nützlichkeitsanspruchs nicht entkommen zu können ließe sich nur dialektisch aufheben, im Verhältnis der relativen Freiheit der Austauschbarkeit und ihrer Qualität von Unbestimmtheit zur Adäquatheit eines spezifischen Objekts in einer spezifischen Situation.

Anstelle einer Förderkultur, die eine Art neues Mikrounternehmertum hervorbringe, da die Künstler die Ergebnisse ihre Arbeit aufgrund zeitlich befristeter Fördermöglichkeiten schon im Planungsstadium vorwegnehmen müßten, solle das Funding permanente und stabile Laboratorien künstlerischer Produktivität schaffen. In diesen solle die von Diederichsen der gegenwärtigen Kunstproduktion angelastete standardisierte Vorhersagbarkeit und partizipatorische Dummheit, der in ihr herrschende Zwang, als Künstler bestimmte Ideen der Geldgeber jeden Tag an immer anderen Orten performativ zu inszenieren, zugunsten der kreativen Entwicklung künstlerischen Denkens und Schaffens überwunden werden. Diese Möglichkeit sei es wert zu verteidigen, auch wenn es schwierig wäre, sie inhaltlich zu bestimmen, so sein Appell an die im Publikum sitzenden Kulturmanagerinnen und -manager.

(wird fortgesetzt)

Exponat im Foyer der Heinrich-Böll-Stiftung - Foto 2012 by Schattenblick

Der Wert ... als soziales Verhältnis nicht so rätselhaft, wie er scheint
Foto 2012 by Schattenblick

28. Februar 2012