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BERICHT/037: Biennale Worpswede - Vergessen macht keine Zukunft (SB)


Polnische Künstlerkolonien gestern und heute

Ausstellungen im Rahmen der Kunst- und Filmbiennale Worpswede


Öl auf Leinwand - Foto: © Tomek Karkonosz

Teresa Kepowicz - Das Leben ist nur ein Traum
Foto: © Tomek Karkonosz

Die erste Kunst- und Filmbiennale, die vom 25. bis zum 28. April 2013 im Künstlerdorf Worpswede abgehalten wurde, ist zwar vorbei, doch sind die in diesem Rahmen präsentierten künstlerischen Arbeiten aus Polen und Deutschland noch bis Ende Mai zu sehen. An vier Tagen wurde dem konzeptionellen Leitmotiv der Schau, die Geschichte und Gegenwart europäischer Künstlerkolonien am Beispiel Worpswedes wie der polnischen Gemeinden Szklarska Poreba, Kazimierz Dolny, Zakopane und Bronowice darzustellen, in zahlreichen Vorträgen und Filmvorführungen Rechnung getragen. Initiiert von Prof. Jürgen Haase, dem Leiter des Wilhelm Fraenger-Instituts, das die Biennale zusammen mit dem Verein zur Kunst- und Kulturförderung Worpswede möglich gemacht hat, wurde ein historischer Bogen über einen Zeitraum von über hundert Jahren geschlagen, der ein Säkulum katastrophaler Vernichtungsfeldzüge einfaßt. Daß insbesondere die beiden Weltkriege das Verhältnis zwischen dem Gastland Polen und Deutschland bis heute maßgeblich bestimmen, war kein zentrales Thema der historischen und kulturgeschichtlichen Dokumentation, was nichts daran änderte, daß es als Unausgesprochenes durchaus präsent war.

Auch vor diesem Hintergrund bietet das Thema Künstlerkolonien einen interessanten Kontrast zu der ansonsten durch das Verhältnis zwischen Staaten bestimmten Deutungsmacht europäischer Geschichte. Unter den rund 120 Organisationen, die in der Europäischen Vereinigung der Künstlerkolonien euroArt zusammengeschlossen sind, um dieses Vermächtnis zu bewahren, verfügen zwar nicht alle Mitglieder mehr über ein aktives Kunstleben, das sich über die Zugehörigkeit zu bestimmten ländlichen Orten und teilweise auch Schulen definiert. Bedeutsam bleibt der Blick auf die Geschichte dieser Orte jedoch auch deshalb, weil die von dort ausgehenden Impulse in einer höchst fruchtbaren Epoche europäischer Kunst- und Gesellschaftsgeschichte zwischen dem ausgehenden 19. und dem beginnenden 20. Jahrhundert angesiedelt waren. Es handelte sich um eine Zeit des Umbruchs, in der die Verwissenschaftlichung und Industrialisierung der Produktionsweisen, die weltumfassende Staatenkonkurrenz des Imperialismus und die stürmische Entwicklung der urbanen Massengesellschaft Herausforderungen ganz neuer Art zeitigten. Das damit konfrontierte Bürgertum versuchte vergeblich, die ihm zum Vorteil gereichende Ordnung in nationalistischem Furor, militaristischer Zucht und neoklassischem Pomp zu sichern. Die Bruchlinien sich verschärfender Klassenauseinandersetzungen, einer von technischen Innovationen wie dem Automobilismus, Filmkunst und Telefonie veränderten Alltagskultur und sozialer wie politischer Emanzipationsbewegungen provozierten in der vom Kitsch der Belle Epoque dominierten Gebrauchskultur ästhetische Gegenpositionen und avantgardistische Strömungen zwischen kulturpessimistischem Rückzug und sozialemanzipatorischem Aufbruch.

Ausstellungskataloge - Foto: 2013 by Schattenblick Ausstellungskataloge - Foto: 2013 by Schattenblick

Foto: 2013 by Schattenblick

Kuratiert von Bozena Danielska und Dr. Przemyslaw Wiater wird im Musem am Modersohn-Haus anhand von Schautafeln und einzelner Exponate die historische Gründerzeit der polnischen Künstlerkolonien erklärt und präsentiert, während die Galerie Altes Rathaus und das Kunstcentrum ART99/Alte Molkerei die Werke zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler Polens zeigen. Wer sich mit den kulturellen und geschichtlichen Wurzeln dieser Künstlerbewegung näher befassen will, findet im zweisprachigen Ausstellungskatalog "Zwischen Oder und Weichsel - 1890-1918 - Das Phänomen der Künstlerkolonien" umfassende Informationen aus der Hand polnischer Kunstexpertinnen und -experten. Unter dem Titel "Zwischen den POL(en) - Polnische Künstlerkolonien in der Kunst- und Filmbiennale Worpswede" erfährt der interessierte Besucher in einem ebenfalls auf Polnisch und Deutsch verfaßten Katalog Näheres über den heutigen Stand der künstlerischen Produktivität in Szklarska Poreba, Kazimierz Dolny und Zakopane. Um auch an dieser Stelle einen Eindruck davon vermitteln zu können, werden hier mit freundlicher Genehmigung durch Dr. Wiater Beispiele für zeitgenössische Kunst aus den Künstlerkolonien reproduziert.

Plastik aus Marmor und Metall - Foto: 2013 by Schattenblick

Bogdan Markowski - Kompozycja I / Komposition I
Foto: 2013 by Schattenblick

Während das Dorf Bronowice in der Stadt Krakau aufgegangen und als Künstlerkolonie von ausschließlich historischer Bedeutung ist, sind in Szklarska Poreba, Kazimierz Dolny und Zakopane neue Generationen polnischer Künstlerinnen und Künstler tätig. Zum Auftakt der Biennale unterzeichneten die Bürgermeister der in der Organisation euroArt zusammengeschlossenen Orte Sklarska Poreba, Kazimerz Dolny und Worpswede ein Kulturabkommen, das den kulturellen Austausch im europäischen Rahmen verbessern soll. Geplant ist unter anderem für nächstes Jahr eine Biennale in Polen, in der auch Kunstwerke aus Worpswede ausgestellt werden. Die Künstlerinnen und Künstler aus Zakopane, das kein Mitglied von euroArt ist, wollen ihrerseits die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen in Sklarska Poreba und Kazimerz Dolny ausbauen, so daß die Biennale auch auf die innerpolnische Kunstszene Auswirkungen haben wird.

Öl auf Leinwand - Foto: © Tomek Karkonosz

Ireneusz Bec - Ohne Titel I
Foto: © Tomek Karkonosz

Lebensreformerische Experimente im Fin de siècle

Daß im ausgehenden 19. Jahrhundert verschiedene Orte Europas wie Barbizon und Pont-Aven in Frankreich, St. Ives im englischen Cornwall, Worpswede in Deutschland, Monte Verità im Schweizer Kanton Tessin wie auch die polnischen Künstlerdörfer zum Ziel einer Art moderner Landflucht wurden, war nicht zuletzt den sich immer drängender stellenden Fragen nach der gesellschaftlichen und kulturellen Zukunft des Menschen geschuldet. So wirkte sich der mit den Ergebnissen naturwissenschaftlicher Forschung überaus erfolgreiche Positivismus auch auf die Geisteswissenschaften und die Künste aus. Er nahm den Stand einer weltanschaulichen Doktrin ein, die nichts gelten lassen wollte, was nicht den für wahr erachteten Ergebnissen ihrer Methodik mathematischer und physikalischer Erkenntnis genügte. Wo mit naturalistischer Akribie und musealisierter Kultur Ordnungsvorstellungen und Verwaltungsinteressen hervortraten, die das Kunstwerk aus den subjektiven, sozialgeschichtlichen und lebensräumlichen Bezügen ihrer Entstehung lösten und jeden visionären Gehaltes beraubten, ließen kulturelle Gegenbewegungen nicht lange auf sich warten. Je fragmentierter und isolierter die Resultate positivistischer Betrachtungsweise erschienen, desto lauter wurde der Ruf nach einer Rückbesinnung auf verloren gewähnte Quellen künstlerischer Bemächtigung.

Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen Künstlerkolonien waren Ausdruck des Versuchs, der als übermächtig empfundenen Technifizierung, Bürokratisierung und Atomisierung des urbanen Lebens Formen gemeinschaftlichen und ganzheitlichen Lebens entgegenzusetzen. Diesen war, da der Rückweg in die feudalistische, vorbürgerliche Ordnung nicht in Frage kam, eine starke Neigung zu Entwürfen sozialutopischer Art eigen. Was aus heutiger Sicht gerne als bloßer Rückzug vom hektischen Getriebe der Großstadt erschöpfter Künstler dargestellt wird, barg Keime einer Zivilisationskritik in sich, die die Ideale der sozialökologischen Bewegung unserer Tage nicht nur vordachte, sondern auch vorlebte. Daß der Wunsch nach gemeinschaftlichen Arbeits- und Lebensweisen mitunter zur Idealisierung einer bäuerlichen Einfachheit führte, die die körperlichen Härten wie die sozialen Probleme ursprünglicher Akkumulation absichtsvoll ignorierten, oder das emanzipatorische Ideal einer Kunst für alle Menschen auch Ergebnisse von bloßem Konsumcharakter hervorbrachte, war stets Gegenstand der Kritik an den mit dieser Entwicklung assoziierten Stilformen des Jugendstils und der Neoromantik.

Gleichzeitig erblühten in der zivilisationskritischen bis technikfeindlichen Gegenbewegung dieser Zeit sozialistische und anarchistische Ideen, die unter Künstlern, Literaten und Intellektuellen auf fruchtbaren Boden fielen. So propagierte der englische Sozialist William Morris eine Einheit von Kunst und Leben, die in der praktischen Konvergenz von Literatur, Malerei, Architektur, Kunstgewerbe und Handwerk, von gemeinschaftlichem Wohnen und Arbeiten ihren Ausdruck fand. Sein reichhaltiges Vermächtnis, das vor allem in dem sozialutopischen Roman "News from Nowhere" überdauert, gehört nicht umsonst zu den historischen Vorbildern heutiger libertärer und sozialökologischer Bewegungen. Morris ist auch deshalb zu erwähnen, weil sich viele Parallelen zwischen seiner Lebenspraxis und der des ebenfalls an neuen Gemeinschaftsformen interessierten Worpsweder Malers Heinrich Vogeler finden lassen.

Öl auf Leinwand - Foto: © Tomek Karkonosz

Michal Smolka - Karuzela z Lukki
Foto: © Tomek Karkonosz

Das Ideal einer naturnahen wie kulturell erfüllten Lebensweise war auch in dem berühmtesten Beispiel eines lebensreformerischen Sammlungspunktes in Europa, dem Berg Monte Verità, präsent. Im Tessin, wo Ende des 19. Jahrhunderts um die russischen Sozialrevolutionäre Michail Bakunin und Alexejewitsch Kropotkin ein Fluchtort für politisch verfolgte Anarchisten entstand, trafen so bedeutende Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts wie Erich Mühsam, Ernst Bloch, Hermann Hesse, Ernst Toller, Hugo Ball oder Gerhart Hauptmann aufeinander, um sich mit den virulenten Problemen der Zeit auseinanderzusetzen. Kultur- und Wissenschaftskritik, Pazifismus, Veganismus, Ökologismus, kollektives Wohnen und Arbeiten, Frauenemanzipation, selbstbestimmte Sexualität - was in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auf dem Monte Verità erdacht und gelebt wurde, verwandelte diesen Ort in ein utopisches Labor von exemplarischem Charakter für soziale Bewegungen bis heute.

Auch wenn das Erproben neuer Lebensformen in anderen europäischen Künstlerkolonien auf weniger spektakuläre Weise als auf dem Monte Verità vollzogen wurde, so waren auch diese getrieben von der Dynamik einer Epoche, die in der Katastrophe der Weltkriege und dem faschistischen Schrecken des NS-Staates kulminieren sollte. Der Versuch, der aufziehenden Barbarei das Bild eines neuen Menschen entgegenzuhalten, produzierte im lebensreformerischen Ideal des engen Kontakts mit der Natur allerdings auch Verklärungen, die die immanenten Grausamkeiten des Fressen-und-Gefressen-Werdens ignorierten, um das Wunschdenken von der friedlichen Harmonie der Natur nicht enttäuschen zu müssen. Daß einige Vertreter dieser Bewegung im Darwinismus wurzelnde rassistische und eugenische Vorstellungen propagierten, die auch im sozialdemokratischen Glauben an die Gültigkeit wissenschaftlicher Produktivkraftentwicklung auf breite Resonanz stießen, steht daher nur bedingt im Widerspruch zu gleichzeitig verfolgten Idealen des sozialen Fortschritts. Hier gingen Wissenschaftspositivismus und Gesundheitskult eine unheilige Allianz ein, die ihre Wirkmächtigkeit in den biologistischen Selektionsstrategien moderner Life Sciences erneut unter Beweis stellt. Von daher ist die Kritik am rückwärtsgewandten, bisweilen auf dem braunen Grund der Blut-und-Boden-Ideologie aufschlagenden Charakter lebensreformerischer Ideen begründet. Sie neigt aber auch dazu, in Bausch und Bogen zu verdammen, was über emanzipatorische Ansätze auf der Höhe der Zeit verfügen konnte.

Künstler aus dem Riesengebirge - Foto: © Tomek Karkonosz

Marian Wiekiera - SdOstateczny
Foto: © Tomek Karkonosz

In der Bildenden Kunst stand der Naturalismus zwar am Anfang der ästhetischen Moderne, brachte in der kulturellen Umwälzung des Fin de siècle jedoch schnell impressionistische, expressionistische und symbolistische Stilformen hervor. In der für die Künstlerkolonien signifikanten Landschaftsmalerei, die in der Abkehr von historisierenden und heroisierenden Bildinhalten und der Besinnung auf das unmittelbar Geschaute den Schritt in eine neue künstlerische Subjektivität wagte, spürte man in Milieustudien auf dem Land der Verwurzelung des Menschen in seiner Heimat wie in einem Geisterglauben nach, der im Falle des Riesengebirges vom Rübezahlmythos dominiert wurde. Das war nicht per se gegenaufklärerisch gemeint, sondern folgte im historischen Kontext des ausgehenden Feudalismus und des ihn beerbenden, nicht minder widersprüchlichen Bürgertums der Identitätssuche zwischen tradierten Lebensformen und urbaner Massenkultur.

So wirkte der humanistischen Idealen verpflichtete Friedrichshagener Dichterkreis um Gerhart Hauptmann, Wilhelm Bölsche und Bruno Wille als Keimzelle der Künstlerkolonie Schreiberhau, dem heutigen Szklarska Poreba. Der große Kreis an Künstlern, Literaten und Intellektuellen, die in der beeindruckenden Naturlandschaft des Riesengebirges die Nähe zur Natur zelebrierten, indem sie dort zusammenkamen oder gleich ganz hinzogen, war stark von den sozialistischen und freidenkerischen Ideen der Zeit bestimmt. Das hielt einzelne seiner Mitglieder allerdings nicht davon ab, naturmystischen Schwärmereien zu folgen oder in der Kulturkritik Friedrich Nietzsches elitären Obsessionen zu frönen.

Plastik aus patiniertem Gips - Foto: © Tomek Karkonosz

Agnieszka Topolnicka-Mielecka - Ohne Titel
Foto: © Tomek Karkonosz

Gerhart Hauptmann widmete das sozialkritische Bühnenstück "Die Weber", das er an diesem Ort verfaßte, dem Widerstand der bis aufs Blut ausgebeuteten schlesischen Textilarbeiter. Obwohl ein Opponent des preußischen Militarismus, bejahte er die deutsche Aggression des Ersten Weltkriegs, um sich nach der Niederlage auf die Seite der Republik zu schlagen und Zuflucht im pazifistischen Klima des Monte Verità zu suchen. Kurz vor seinem Tod machte ihm der Präsident des Kulturbundes der DDR, Johannes R. Becher, das Angebot, die Ehrenpräsidentschaft dieser Kulturorganisation zu übernehmen. Der 80jährige Dichter soll dies begeistert bejaht und auch dem Angebot der Sowjetischen Militäradministration, aus dem nun in Polen liegenden Agnetendorf in die SBZ zu übersiedeln, zugestimmt haben. Der damalige Oberkommandierende der Westgruppe der Roten Armee, Marschall Schukow, wollte eigens einen Sonderzug zur Verfügung stellen, um die Übersiedlung Hauptmanns nach Berlin zu bewerkstelligen. Obwohl Hauptmann die innere der äußeren Emigration vorgezogen hatte, war er für die Sowjets eine kulturelle Größe, gehörte doch kein geringerer als der junge Wladimir Uljanow Lenin zu den Bewunderern des Verfassers der "Weber". Als Hauptmann am 6. Juni 1946 verstarb, fand der Sonderzug Verwendung bei der Erfüllung seines Wunsches, auf der Insel Hiddensee, ein für die Geschichte der Künstlerkolonien ebenfalls bedeutsamer Ort, beigesetzt zu werden. Diese Begebenheit wurde, wie der Zeitzeuge und Journalist Klaus Steiniger berichtet, später in dem Dokumentarfilm "Hauptmann-Transport" verarbeitet.

Der Begründer der Arbeiter-Wanderbewegung und Vordenker der Ökologiebewegung, Curt Grottewitz, war ebenso häufig in Schreiberhau anzutreffen wie der Schriftsteller und Anarchist John Henry Mackay, ein einflußreicher und radikaler Anhänger der Lehren Max Stirners. Auch die Dichter Julius und Heinrich Hart gehörten dem Kreis der im Riesengebirge versammelten Künstler und Intellektuellen an, überwarfen sich jedoch mit dem Friedrichshagener Dichterkreis, um mit der Neuen Gemeinschaft in Berlin-Schlachtensee eine anarchistisch-kommunistische Kommune ins Leben zu rufen, der unter anderem Gustav Landauer, Martin Buber, Else Lasker-Schüler und Erich Mühsam angehörten.

Kontakte zwischen Schreiberhau und Worpswede wurden unter anderem durch den Künstler Heinrich Vogeler geknüpft. Er fand dort Anregungen für sein Interesse an sozialreformerischen Arbeits- und Lebensformen, die ihn zu einem der für sozialutopische Entwürfe der Zukunft interessantesten Künstler dieser Epoche in Deutschland machen. Sehr sehenswerte Exponate seiner künstlerischen Arbeit unter anderem aus seiner Zeit in Kasachstan werden im Musem am Modersohn-Haus gezeigt, wo ein Teil des Bestandes der Alten Worpsweder Meister vorübergehend ausgelagert wurde, um die Ausstellung über die Geschichte der polnischen Künstlerkolonien möglich zu machen.

Öl auf Leinwand - Foto: ©Tomek Karkonosz Öl auf Leinwand - Foto: ©Tomek Karkonosz

Agnieszka Mitura - Die Weichsel I + II
Foto: © Tomek Karkonosz

Polens Künstlerkolonien im Spiegel kulturgeschichtlicher Umwälzungen

So heterogen sich die sozialen und künstlerischen Einstellungen der meist deutschen Gäste und Bewohner des ehemaligen Schreiberhau aus heutiger Sicht darstellen, so sehr waren auch die weiter östlich liegenden Künstlerkolonien Polens von teils divergenten Impulsen zwischen polnischem Nationalbewußtsein, ethnischer Folklore und metropolitaner Modernität bestimmt. Das in der Hohen Tatra gelegene Zakopane galt zeitweilig als geistige und kulturelle Hauptstadt, als Athen oder Piemont Polens. In einem entlegenen Winkel Österreich-Ungarns gelegen übte der Ort in der Vorkriegszeit eine starke Anziehungskraft auf Künstler und Intellektuelle aus, die dort auf staatlich weniger rigide kontrollierte Weise diskutieren und ihre Kunst in der kulturellen Vielfalt Galiziens entwickeln konnten. Der Maler, Architekt und Kunsttheoretiker Stanislaw Witkiewicz popularisierte den vom westslawischen Stamm der Goralen geprägten Architektur- und Trachtenstil. Der Schriftsteller Stefan Zeromski verfaßte dort den Roman "Die Heimatlosen", in dem er die Ideale einer Gesellschaft des demokratischen Sozialismus propagierte. 1918 wurde in Zakopane eine kurzlebige, der polnischen Eigenstaatlichkeit vorausgehende Republik ausgerufen, für die Zeromski als Präsident fungierte.

Ausstellung im Museum am Modersohn-Haus - Foto: 2013 by Schattenblick

Schautafel zur Topographie der Künstlerkolonien
Foto: 2013 by Schattenblick

Das bei Krakau gelegene Bronowice wurde zu einem Zentrum der Künstlerbewegung Junges Polen, die sich vom damals vorherrschenden, die offene Auflehnung gegen die Fremdherrschaft eher scheuenden Positivismus abwendete und sich in Reaktion auf diese bedrückende Situation neuen Einflüssen des Symbolismus und Jugendstils öffnete, ohne diese allerdings vollständig zu übernehmen. Einer ihrer zentralen Exponenten, der Schriftsteller Stanislaw Przybyszewski, stand dem Friedrichshagener Dichterkreis um Hille, Bölsche und den Brüdern Hart nahe. Stanislaw Wyspianski verfaßte dort das Drama "Hochzeit", das ihm aufgrund der intensiven Auseinandersetzung mit den Widersprüchen der Teilung des Landes den Ruf eines Nationaldichters einbrachte. Es wurde wegen seiner starken Wirkung auf das unterdrückte polnische Nationalbewußtsein von der preußischen Zensur verboten, während es im österreichischen Teilungsgebiet mit unwesentlichen Änderungen erlaubt blieb. Wyspianski war aber auch ein bekannter Maler, der sich in Frankreich von dem Künstlerkreis um Paul Gauguin inspirieren ließ, der in der bretonischen Künstlerkolonie Pont-Aven versuchte, ein ganzheitliches Zusammenwirken von Kunst und Leben zu entwickeln.

Der Maler Jan Stanislawski gilt als Begründer der Krakauer Schule der Landschaftsmalerei, die nicht den Weg des französischen Impressionismus nachvollzog, sondern die naturalistische Wiedergabe der ländlichen Umgebung bevorzugte. Das damals noch als Dorf von Krakau abgetrennte Bronowice wurde insbesondere durch den Dichter und Maler Wlodzimierz Tetmajer, der das Bauerntum zur urpolnischen Keimzelle der Bevölkerung verklärte und viele befreundete Künstler in den Ort einlud, als Idealtypus der polnischen Dorfidylle und des ländlichen Brauchtums inszeniert. So war auch diese Künstlerkolonie von heterogenen Strömungen der Kunst wie ihrer Akteure bestimmt - urbane Bohemiens, die mit langen Haaren und ausgefallener Bekleidung viel Aufsehen erregten, waren ebenso anzutreffen wie bodenständige Maler, die auf der Suche nach einer verläßlichen Verankerung der gesellschaftlichen Herkunft den Archetypus des Bauern entdeckten.

Öl auf Leinwand - Foto: © Tomek Karkonosz

Jan Michalak - Gestalt in grauer Uniform mit Rohr
Foto: © Tomek Karkonosz

Auch das in der Woiwodschaft Lublin gelegene Kazimierz Dolny war ein Zentrum der Landschaftsmalerei, die dort unter anderem von dem Maler Wladyslaw Slewinski betrieben wurde. Er war ein Freund Paul Gauguins und Mitglied der Künstlerkolonie Pont-Aven. Slewinski hielt 1909 in Kazimierz Dolny ein großes, auf die Kunstentwicklung in Polen einflußreiches Treffen für Freilichtmaler ab, bevor er 1910 nach Frankreich zurückkehrte. In der kleinen Stadt an der Weichsel hob zudem der Maler Tadeusz Pruszkowski, der wie Slewinski Mitglied der Bewegung Junges Polen war, eine vitale, in ihren Ausläufern bis heute lebendige Künstlertradition aus der Taufe. Pruszkowski gründete als Rektor an der Akademie der Bildenden Künste in Warschau die Bruderschaft des Heiligen Lukas, in der bis zum Überfall Deutschlands 1939 vierzehn bekannte Künstler organisiert waren, die sich vor allem an der holländischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts orientierten. Er veranstaltete Malseminare in Kazimierz Dolny und trug maßgeblich zum Ruf der Stadt als einem Zentrum für zeitgenössische Malerei bei.

Der Ort verfügt auch über eine bedeutsame jüdische Künstlertradition, die im Schtetl des südlich von Warschau gelegenen Ortes angesiedelt war. Die Maler Abraham Neumann und Maurycy Gottlieb, der Bildhauer Josef Mojzes Gabowic, die Schriftsteller Schalom Asch und Jizchok Leib gehörten einer jüdisch-polnischen Kunstszene an, die Warschau einst neben New York zum bedeutendsten Zentrum jüdischer Kultur machte. Da die drei Millionen Juden der Zwischenkriegszeit entweder ermordet wurden oder emigrierten, ist die Zahl der in Polen lebenden Juden heute auf rund 10.000 Bürger des Landes geschrumpft. Eindrücke aus dieser Zeit vermitteln die Werke des 1917 in Kazimierz Dolny geborenen Malers und Bildhauers Chaim Goldberg. Er hat der chassidistischen Geschichte der Stadt mit seiner Kunst ein Denkmal gesetzt, das den ebenfalls tief in dieser Tradition stehenden Marc Chagall so berührte, daß er 52 seiner Bilder erstand.

Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg bestand die Mehrheit der 4600 Einwohner der Stadt aus Juden, die 1940 von den deutschen Besatzern gezwungen wurden, in ein eigens für sie eingerichtetes Ghetto zu ziehen. Aufgrund mehrerer Umsiedlungsaktionen und einer hohen, durch Hunger, Krankheiten und Hinrichtungen bedingten Sterberate wurde die Zahl der in Kazimierz Dolny unter schwierigsten Bedingungen lebenden Juden auf tausend reduziert. Im März 1942 wurde das Ghetto geschlossen und der Rest seiner Einwohner in KZs deportiert. Die letzte Gruppe jüdischer Handwerker, die noch in einem Arbeitslager der Stadt verblieben waren, wurden im Herbst 1942 in einer einzigen Hinrichtungsaktion ermordet. Insgesamt 3000 Juden der Stadt fielen den Nazis zum Opfer, und das war nur einer der zahllosen Orte Polens, deren jüdische Einwohner und Tradition in dieser Zeit vernichtet wurden und fast spurlos verschwanden. [1]

Figuren auf Schachbrett aus Holz - Foto: © 2013 by Schattenblick

Marzin Rzasa - Bez tytulu / Ohne Titel
Foto: 2013 by Schattenblick

Die Katastrophe zwischen den Zeiten und Orten

Auch in einer bloß schlaglichtartigen Schilderung dieses kleinen Ausschnitts aus der Kulturgeschichte Polens sollte nicht unerwähnt bleiben, daß der Polen teils für das eigene Territorium annektierende, teils als "Generalgouvernement" besetzende NS-Staat die 1939 eroberten Gebiete zum Zwecke der "Ostkolonisation" einer umfassenden Politik der Umsiedlung, Vertreibung und Vernichtung aussetzte. Mehrere Zehntausend Mitglieder der polnischen Eliten wurden in den ersten Monaten der Besetzung umgebracht und durch deutsche Funktionäre und Beamte ersetzt. Im westlichen Teil Polens, der ins Reichsgebiet einverleibt werden sollte, verbot man die polnische Sprache, polnische Familien-, Straßen- und Ortsnamen wurden "germanisiert" und Kulturbestände und -denkmäler aller Art zerstört oder geraubt. Das polnische Kunst- und Geistesleben wurde systematisch unterdrückt und vernichtet, wobei jüdische Bürger bevorzugt, aber keineswegs ausschließlich umgebracht wurden. Wer sich nicht "eindeutschen" ließ, wurde ins Generalgouvernement vertrieben, das als eine Art Reservat für nichtassimilierbare Polen fungierte.

Dort schaffte es eine maßgeblich von der SS kontrollierte Kulturadministration innerhalb kurzer Zeit, praktisch den gesamten staatlichen, kirchlichen und privaten Kunstbesitz zu konfiszieren. In fünf Jahren deutscher Verwaltung gelang auch dort ein fast vollständiger Elitenwechsel in allen wichtigen gesellschaftlichen und administrativen Positionen. Die kulturelle Führungsschicht fiel verschiedenen "Säuberungswellen" zum Opfer, in denen die Ärzte, Wissenschaftler, Juristen, Künstler, Priester, Lehrer und Beamte, wenn nicht direkt erschossen, dann in KZs wie Auschwitz ermordet wurden oder an Entbehrungen starben. Bis zu einem Drittel der akademischen und pädagogischen Intelligenz ging dem Land dadurch verloren.

Zudem setzte im "Generalgouvernement" ein Kunstraub ohnegleichen ein, bei dem verschiedene NS-Organisationen darin wetteiferten, sich die wertvollsten Kulturgüter anzueignen. Dem "deutschen Kulturwillen", der Polen heimsuchte, wurde mit der Denkschrift des Reichsführers SS Heinrich Himmler, der als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums (RKF) an zentraler Stelle die Bedingungen deutscher Besatzungspolitik diktierte, vom Mai 1940 unter dem Titel "Einige Gedanken über die Behandlung der Fremdvölkischen im Osten" ein Denkmal gesetzt, das aus seiner rassistischen Raubabsicht kein Hehl macht.

Wer als "rassisch wertlos" abgestempelt wurde, sollte bis auf unentbehrliches Grundwissen nichts lernen, was eine eigene kulturelle Identität begründen könnte. Die Kinder der "minderwertigen Bevölkerung" sollten "zu Gehorsam, Fleiß, bedingungsloser Unterordnung und zu Ehrlichkeit gegenüber den deutschen Herren" erzogen werden, um schließlich als "führerloses Arbeitsvolk" der deutschen Wirtschaft und Verwaltung für die Ausbeutung und Vernichtung durch Arbeit zur Verfügung zu stehen. Um den Zynismus seiner Planung für Polen auf die Spitze zu treiben, behauptete Himmler, all dies sollte nur zum Besten der Betroffenen sein, werde die Bevölkerung des eroberten und besetzten Landes doch "selbst dabei mehr zu essen und zu leben haben als unter polnischer Herrschaft und bei eigener Kulturlosigkeit unter der strengen, konsequenten und gerechten Leitung des deutschen Volkes berufen sein, an dessen ewigen Kulturtaten und Bauwerken mitzuarbeiten und diese, was die Menge der groben Arbeit anlangt, vielleicht erst ermöglichen" [2].

Eine Ausstellung, in der unter dem Titel "Zwischen den POL(en)" der Bogen zwischen gestern und heute, zwischen historischem und zeitgenössischem Kunstschaffen geschlagen wird, wäre mit dem Anspruch, eine angemessene Darstellung der zeitgeschichtlichen Katastrophe in den polnisch-deutschen Beziehungen zu leisten, zweifellos überfordert. Diesen tiefen Bruch in der Entwicklung der polnischen Künstlerkolonien - zumindest außerhalb des Film- und Vortragsprogramms der Biennale - weitgehend auszuklammern, zumal die Geschichte des im Mittelpunkt stehenden Ortes Szklarska Poreba unmittelbar von den territorialen Veränderungen des Weltkriegs bestimmt ist, während Kazimierz Dolny über eine spezifisch jüdische Tradition verfügte, die durch die NS-Vernichtungspolitik ausgelöscht wurde, läßt inmitten der Zeit und Geschichte prägenden Antipoden jedoch eine große Lücke klaffen. So sehr der Versuch, abseits vom durchkommerzialisierten Kunstbetrieb der Metropolen auf regionaler Ebene neue internationale Formen der künstlerischen Zusammenarbeit zu erproben, zu begrüßen ist, so unvollständig muß sie bleiben, wenn die tieferliegenden Probleme dieses nach wie vor historisch belasteten Verhältnisses nicht angemessen gewürdigt und bearbeitet werden.

Dreidimensionales Bild aus mehreren Schichten - Foto: © Tomek Karkonosz

Karol Szostak-Gasienica - Akord 1
Foto: © Tomek Karkonosz

Vitales Kunstschaffen in Polens Künstlerkolonien heute

Bis auf Bronowice nehmen die in Worpswede präsentierten historischen Künstlerkolonien auch heute eine wichtige Rolle im polnischen Kunstleben ein. Während die historische Tradition des ehemaligen Schreiberhau im Museum Carl-und-Gerhart-Hauptmann-Haus, dem ehemaligen Wohnort der Brüder Hauptmann, gepflegt wird, haben sich seit den 1980er Jahren wieder polnische Künstlerinnen und Künstler im an der tschechischen Grenze gelegenen Sklarzka Poreba wie auch unweit davon in Kopaniec angesiedelt. Zu den ersten Mitgliedern der neuen Künstlerkolonie zählt der Bildhauer Zbigniew Fraczkiewicz, der mit neun seiner Plastiken "Menschen aus Eisen" in Worpswede vertreten war. Zu der im Riesengebirge (Karkonosze) beheimateten Künstlergruppe Nowy Mlyn (Neue Mühle) gehören auch die Malerin Urszula Broll, eine wichtige Exponentin der polnischen Underground-Bewegung der 1950er und 1960er Jahre, der Zeichner und Fotograf Krysztof Figielski, die Malerinnen Anna Jodzis, Teresa Kepowicz und Bogumila Twardowska-Rogacewicz, die Zeichnerin Beata Kornicka-Konecka, die Maler Janusz Konecki, Marian Wikiera und Pawel Trybalski oder die Bildhauerin Agnieszka Topolnicka-Mielecka, um nur einige der Mitgiederinnen und Mitglieder dieser Gruppe zu nennen. Wie deren Vertreter Jerz Kurowski im Ausstellungskatalog ausführt, knüpft sie lose an die Tradition der deutschen Künstlergruppe Sankt Lukas Mühle im ehemaligen Schreiberhau an und ist in ihren Arbeiten eher an den Idealen des natürlichen Lebens als an einer sozialkritischen Kunst orientiert. So verrät die an die psychedelischen Bildwelten des kalifornischen New Age gemahnende Ästhetik einiger Bilder, daß die Verankerung in idealistischen bis religiösen Werten zumindest bei einzelnen Vertreterinnen und Vertretern dieser im Riesengebierge angesiedelten Künstlergruppe von sinngebender Bedeutung ist.

Öl auf Leinwand - Foto: © Tomek Karkonosz

Krzysztof Raczynski - Black Road
Foto: © Tomek Karkonosz

In Kazimierz Dolny wurde nach dem Krieg die dort einst prägende Landschaftsmalerei wieder aufgenommen. Die Künstler der Stadt wandten sich schon in den 1950er Jahren vom Sozialistischen Realismus ab und schufen eigene Stilrichtungen. Der 1975 verstorbene Maler Antoni Michalak hatte den Krieg in der Stadt überlebt, heute gehört sein Enkel Jan Michalak zu den an der Weichsel aktiven Künstlern. Diese sind, wie die Malerinnen Halina Jagoda Kolodziejska und Agnieszka Mitura, die Maler Jacek Kwiatkowski, Michal Smolka, Krzyszof Raczynski und Zbigniew Strzynzski oder der Bildhauer Bogdan Markowski vorwiegend in der Künstlergruppe Kazimierska Konfraternia Sztuki (Künstlerbruderschaft von Kazimierz) zusammengeschlossen.

Plastik aus patinierter Bronze - Foto: 2013 by Schattenblick

Stanislaw Cukier - Tennisspielerin
Foto: 2013 by Schattenblick

Auch in Zakopane setzte das künstlerische Leben unmittelbar nach dem Krieg wieder ein, wobei insbesondere das Staatliche Lyzeum für Plastische Techniken unter seinem Leiter Antoni Kenar die Entwicklung kunsthandwerklicher und künstlerischer Fähigkeiten vorantrieb. Die kulturelle Avantgarde des Landes fand dort in den 1950er Jahren in den alljährlichen März-Salons ein Forum. Diese Ausstellungen wurden mit politisch bedingten Unterbrechungen bis heute weitergeführt. Der Maler Tadeusz Brzozowski und der Bildhauer und Bühnenbildner Wladyslaw Hasior gehörten zu den bedeutendsten unter den zahlreichen Künstlern, die nach dem Krieg in Zakopane gearbeitet haben.

Doch brachte der Ort auch in der Zwischenkriegszeit Künstler hervor wie den 1912 in Zakopane geborenen Bildhauer und Zeichner Franciszek Tadeusz Myszkowski, der ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert wurde und später nach Israel auswanderte, oder den 1908 in Zakopane geborenen Maler und Zeichner Bronislaw Czech, der als Widerstandskämpfer in Auschwitz inhaftiert wurde und dort starb. Unter den heute mit Zakopane assoziierten Künstlern zu nennen sind die Maler Ireneucz Bec und Stanislaw Stoch, die Fotografin Magdalena Ciszewska-Rzasa und die Bildhauer Stanislaw Cukier, Marcin Rzasa und Karol Szostak-Gasienica.

Öl auf Leinwand - Foto: 2013 by Schattenblick

Michal Smolka - Teller
Foto: 2013 by Schattenblick

Horizonte einer europäischen Kunst jenseits ideologischer Zwänge

Die in Worpswede gezeigte Kunst aus Polen beeindruckt bei aller Heterogenität ihrer Formen und Stile mit ästhetischer Kraft und schöpferischer Zuwendung. Dabei ist nicht zu vergessen, daß sie, wie die thematische Bindung der Ausstellungen an die polnischen Künstlerkolonien vorgibt, lediglich einen Ausschnitt des zeitgenössischen Kunstschaffens in diesem Land repräsentiert. Aus dem Eindruck, sie agiere relativ losgelöst von den sozialen und politischen Verhältnissen einer Gesellschaft, die in den letzten 30 Jahren erheblichen sozialen und politische Umwälzungen ausgesetzt war, lassen sich daher keine verallgemeinernden Schlußfolgerungen ziehen. So vermittelte etwa die von dem polnischen Video- und Aktionskünstler Artur Zmijewski kuratierte 7. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst im letzten Jahr ein den drängenden gesellschaftlichen Fragen sehr zugewandtes Interesse der dort vertretenen Künstlerinnen und Künstler aus Polen. Trotz der vielen politischen Verwerfungen und Katastrophen, die Polen als nach den USA zweite Republik der Welt über sich hat ergehen lassen müssen, haben seine Menschen stets über eine reichhaltige und mutige kulturelle Tradition verfügt. Heute, da sie mit den ökonomischen Imperativen der neoliberalen Marktwirtschaft wie den Angleichungsmechanismen der Europäischen Union konfrontiert sind, könnte die künstlerische Reflexion dieser Entwicklung ein kritisches Potential entfalten, das auf dieser Geschichte aufbaut und sie für eine bessere Zukunft fortschreibt.

Daß die für viele Menschen nicht nur in Polen, sondern der gesamten EU schwierigen sozialen Bedingungen allen Anlaß geben, in einer Kunst reflektiert zu werden, die sich nicht dem Wunsch nach gefälliger Ausstattung und dekorativer Verschönerung des Alltags unterwirft, steht außer Frage. Wie dies mit einem Kunstmarkt in Übereinstimmung zu bringen ist, dessen Objekte zusehends als Alternative für unsicher gewordene Formen der Kapitalanlage oder repräsentatives Distinktionsstreben wirtschaftlicher Akteure vermarktet werden, bleibt nicht zuletzt dem Kampf der Künstlerinnen und Künstler um Autonomie auch unter den harten Überlebensbedingungen der neoliberalen Gesellschaft überlassen. So verspricht der Verweis auf die übergreifende Klammer der europäischen Einigung nicht nur die Aussicht auf die Überwindung nationaler Ressentiments, er birgt auch die Gefahr einer kulturadministrativen Homogenisierung antagonistischer Strömungen wie Harmonisierung politischer Widersprüche in der Kunst. Dies gilt es auch für die Verwaltung des Kulturerbes zu bedenken, das die europäischen Künstlerkolonien darstellen. Die überbordende kreative Energie, die aus den Umwälzungen des Fin de siècle geschöpft wurde, war vor allem der vitalen Auseinandersetzung mit den Herausforderungen einer Moderne geschuldet, die in der Eigendynamik kapitalistischer Monopolbildung und imperialistischer Raubzüge das Entwickeln humanistischer und sozialistischer Gegenpositionen zur vordringlichen Aufgabe mitten im Leben stehender Künstlerinnen und Künstler machte. Dies nicht in den ideologischen Abwehrstellungen, die die Zurichtung des Individuums auf die Anforderungen der neoliberalen Marktwirtschaft und Arbeitsgesellschaft sichern sollen, untergehen zu lassen, wäre ein allemal wünschenswertes Ziel.

Der Künstler in Worpswede - Foto: 2013 by Schattenblick

Zbigniew Fraczkiewicz vor seinem Werk "Eiserne Menschen"
Foto: 2013 by Schattenblick

Zbigniew Fraczkiewicz beantwortete die Frage des Schattenblicks nach den sozialen Befindlichkeiten der polnischen Gesellschaft mit der Anmerkung, daß das Leben in der sogenannten kommunistischen Vergangenheit so schlecht nicht war, wie es heute dargestellt wird. Insbesondere der Zusammenhalt zwischen den Menschen wäre ein anderer gewesen als in einer Zeit, in der der einzelne mehr denn je darauf zurückgeworfen ist, sein Überleben allein und womöglich in Konkurrenz zu anderen zu bestreiten. Ähnliches kann man von in der DDR aufgewachsenen Bundesbürgern vernehmen, die sich heute mit jener Atomisierung der Gesellschaft konfrontiert sehen, die ihnen früher als bloßes Schreckensbild realsozialistischer Propaganda erschien. Indem das Gesellschaftssystem der BRD zur vermeintlich besten und freiesten aller in Frage kommenden Möglichkeiten überhöht und das der DDR bar jeder konstruktiven Aufarbeitung ihrer Mängel und Probleme als Ausbund totalitärer Unterdrückung verworfen wird, bleibt die Frage danach, in was für einer Welt der Mensch leben möchte, um kein erniedrigtes, geknechtetes, verlassenes und verächtliches Wesen zu sein, auf der Strecke ahistorischer ideologischer Dogmatik. In den Leerstellen und Fluchten doktrinärer Zurichtung eröffnen sich Künstlerinnen und Künstlern viele Möglichkeiten, diese Frage in aller Unbescheidenheit zu stellen.

Transparent zur Biennale Worpswede - Foto: © 2013 by Schattenblick

Foto: © 2013 by Schattenblick

Fußnoten:

[1] http://www.sztetl.org.pl/de/city/kazimierz-dolny/

[2] http://www.ns-archiv.de/krieg/untermenschen/himmler-fremdvolk.php

Informationen zur Kunst- und Filmbiennale Worpswede
http://www.biennale-worpswede.de/

15. Mai 2013