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BERICHT/041: Jean-Luc goes Vernissage (SB)


Jean-Luc goes Vernissage

Der Wetterfrosch des Schattenblick im Kulturcafé Komm du in Hamburg-Harburg



Zugegeben, ich bin bekennender Fan von Jean-Luc. Mein allmorgendliches Treffen mit dem baskenmützentragenden Wetterfrosch in seiner knallroten Badehose ist ein absolutes Muß, ohne das ich meinen Tag nicht beginnen möchte. Ja, ich empfinde eine Art Seelenverwandtschaft mit dem kleinen Kerl. Wie ich mag er montagmorgens nicht zur Arbeit gehen, schmeißt seine Aktentasche lieber hinter den nächsten Busch, um allen nur denkbaren Sumpf- und Flossenfreuden zu frönen und läßt sich auch an den anderen sechs Tagen der Woche lieber von seiner Lust leiten, als den Vorstellungen zu entsprechen, die der Mensch von einer Amphibie mit wetterprognostischen Kompetenzen landläufig hat.

Die lyrischen Cartoons, die seit vielen Jahren unterDienste → Wetter → Aussichtenden Schattenblickleser mit einem gereimten Vierzeiler und einem Ein-Bild-Abenteuer begleiten, kamen jetzt erstmals ganz groß raus. Bei der Ausstellungseröffnung am 10. Mai 2014 im Kulturcafé Komm du in Hamburg-Harburg konnte man den Frosch, den man bislang nur vom Computer-Bildschirm, Tablet oder Smartphone her kannte, erstmals in Überlebensgröße bewundern: Jean-Luc als Schlafgenießer, Gewichtheber, Gleitschirmflieger und mit seinen Freunden: dem wasserscheuen Wurm, dem griesgrämigen Igel, der Maus, die gerne zu Besuch und unter die Bettdecke kommt, dem blinden Schaf McBleff, den Froschkumpanen und nicht zuletzt seinen wechselnden Liebesbeziehungen - kurzum, in seinem Element.

'Gondoliere möcht' er sein, / Jean-Luc unter'm Regenbogen, / und im Regensonnenschein / wird sein Kahn durch's Gras gezogen' - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

Während bei Comics und Cartoons, die inzwischen als sogenannte 'Neunte Kunst' auch in etablierten Fachkreisen Anerkennung finden, üblicherweise in erster Linie das Bild zählt und ein Ein- oder Mehrzeiler eher die Funktion einer Bildunterschrift einnimmt, steht bei Jean-Luc beides gleichberechtigt und in spannungsreicher Symbiose zusammen. Die Aussteller haben diesem Umstand bei ihrer Präsentation Rechnung getragen und dafür gesorgt, daß von fast jedem Ort des Cafés nicht nur die von überbordender Lebenslust sprühenden Bilder in A1 und A2-Größe gut zu sehen sind, sondern man aus der Entfernung auch ganz bequem die dazugehörigen Verse lesen kann, die sich nicht selten durch treffsichere Wortneuschöpfungen und eine große Bandbreite dichterischer Möglichkeiten auszeichnen und die nicht nur eine Anekdote aus Jean-Lucs Lebenswirklichkeit wiedergeben, sondern das Wesentliche und Typische des Tageswetters oft genauer und nachvollziehbarer treffen als jede meteorologische Formulierung. Dabei tun sich in vier kurzen Zeilen bisweilen ganze Universen auf.

Jean Luc lehnt an einem riesigen Kürbis: 'Später Sommer alter Weiber / läßt Jean-Lucs Gedanken kreisen, / schwere Früchte, feiste Leiber / drängen, auf sich hinzuweisen.' - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

Der Betrachter vermag nicht zu entscheiden, ob der Reim das Bild erklärt oder dieses den Vers illustriert, die beide aus je unterschiedlicher Feder stammen. Auskunft dazu gab die Zeichnerin Iris Eller, die bei der Eröffnung vor Ort war: Erst gibt es den Vers, der beim Schattenblick Sache des Chefredakteurs Helmut Barthel ist, er liefert die Idee zu den Illustrationen. Diese werden täglich in einem Mix aus Filzstift, Buntstift, Weißhöhung und Wachs-Aquarellstiften von Hand gezeichnet, sagt die Künstlerin, nur so lasse sich diese optische Tiefe und Lebendigkeit erzeugen. Lediglich im ersten Jahr von Jean Lucs Erscheinen im Internet habe sie bei seiner Herstellung computergestützte Zeichenverfahren zu Hilfe genommen. Deren flächige, gleichmäßige Kolorierung springe einem zwar ins Auge, schränke aber die Ausdrucksmöglichkeiten sehr ein. "Jean-Luc ist ein Individualist. Auch im Computerzeitalter besteht er darauf, von Hand gefertigt zu werden. Nur den für seinen Internetauftritt unerläßlichen Scan- und Konvertierungsprozeß läßt er klaglos über sich ergehen", schmunzelt die Künstlerin.

Woher der Wetterfrosch seinen französischen Namen hat und welche Eigenschaften ihn sonst noch auszeichnen, konnten die Besucher aus der Eröffnungsrede des Schattenblick erfahren:

Tatsächlich hat der Frosch, um den es hier heute geht, mit Nationalismus nichts am Hut, er ist nicht mal ein Patriot, aber auch kein Anhänger Europas. Eher der zwanglose Verfechter eines lässig-lockeren Lebensstils, eines ganz speziellen "savoir vivre". Bisweilen reitet ihn eine so extraordinäre Kühnheit, daß man ihn gern in der Tradition der drei Musketiere verorten möchte.
Von seinem Wesen her ein Chevalier, liebt Jean den Adel und haßt alle Intellektuellen. Auch wenn er die Etiketten und Klischees seiner Umgebung vordergründig übernimmt, bleibt er ein Anarchist, ein Rauhbein und ein Draufgänger. Sein Knigge ist mehr als eine Weltanschauung und hat in seiner Ursprünglichkeit mit allem anderen, nur nichts mit Bildung und Kultur zu tun. Am liebsten hält sich Jean-Luc in der Gesellschaft von Außenseitern auf.
Jean-Luc ist launisch und cholerisch, aber gleichermaßen - und das ist absolut kein Widerspruch - ein Lebenskünstler und ein Genießer, Pfeifen- und Pompeselraucher aus Leidenschaft.
Jean-Luc raucht im Sonnenuntergang Pfeife: 'Das Unwohlsein steigern / kann Wetter wohl auch, / dem sich zu verweigern, / bläst Jean Pfeifenrauch.' - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

Ob Chillen im Bett, eine Grillparty am See, Windsurfen im Sturm oder Schauerlaufen am Nachmittag, eine Partie Fliegenschach im Gras, Bade- und Duschvergnügen aller Art, Tortenessen mit Freunden oder Sinnieren im Teich - der Wetterfrosch läßt nichts aus, was uneingeschränktes Vergnügen zu bereiten verspricht. Auch der Konservierung von Sonnenenergie, der Reparatur eines Wetterschalters, selbst dem Waschen seiner Socken oder gar der Arbeit am Fließband kann er etwas abgewinnen - und sei es, daß er sein Heil in der Philosophie des Faulenzens sucht. Er ist einer der überzeugtesten und überzeugendsten Faulenzer der Welt. Aber vor allem ist Jean eines: vom sogenannten guten Wetter gänzlich unabhängig.

Man brauchte gar nicht lange in die Runde zu blicken, um für jede der angesprochenen Eigenschaften ein Beispiel zu finden.

Zwei Bilder über einer Sofaecke: 1 - Jean Luc liegt in seinem Bett und genießt ein opulentes Mahl: 'Ein grieselgraues, kaltes Wetter / bestätigt Jean in seinem Streben, / zu fressen, was er kriegt und fetter / und mehr im Bett als sonst zu leben.' 2 - Jean Luc steht auf seiner Leiter im Glas und schwenkt eine Fahne mit der Aufschrift: 'Tolles Wetter': 'Mit viel Sonne kippt das Wetter / doch noch in den Sommer um / und Jean-Luc verkauft als Retter / dieses Tags die Welt für dumm' - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

"Wenn es Winter wird", fuhr die Rednerin fort,

und die Frösche in Starre versinken, beginnt Jean-Lucs zweites Leben. Dann frönt er seinem Faible für großgemusterte, bunte Bettwäsche ganz besonders - und träumt: von der Südsee, von Saufgelagen mit grünen Freunden, von Riesenstörchen und Gespenstern - und vom Fliegen.
Laßt Euch von dem grünen Freigeist verzaubern, unterhalten und anregen. Und wenn Ihr am Montag wieder zur Arbeit müßt oder Euch darüber ärgert, daß es wieder mal, wie der Engländer sagt, Cats and Dogs vom Himmel pißt, träumt wenigstens ein bißchen davon, daß es dazu auch Alternativen oder zumindest eine andere Sicht auf die Dinge gibt!
Die Vertreterin des Schattenblick bei ihrer Ansprache - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

Wenn es auch unmöglich war, alle der inzwischen mehreren tausend Abenteuer des Frosches im Rahmen einer räumlich begrenzten Ausstellung zu präsentieren, vermittelten die bunten Exponate doch einen Einblick in sein ungewöhnliches Leben. Wem das nicht ausreichte, der konnte sich in den ausliegenden Mappen, die Anlaß waren zu einem regen Meinungsaustausch über persönliche Favoriten, weiter informieren und unterhalten lassen. Und es war ganz offensichtlich, daß es für jede Lebenslage und jeden Gemütszustand einen Jean-Luc zu finden gab.

Besucher umringen die ausgelegten Mappen - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick

"Jean-Luc regt etwas Rebellisches in einem an, was man sich in seinem verplanten Alltag, in dem man funktionieren und effektiv sein muß, gerne bewahren möchte", meinte eine Besucherin. "Und das springt über, wenn man diese Bilder anschaut, die so etwas Kindliches haben, aber viel hintergründiger sind."

Von diesem Eindruck kann man sich noch bis zum 11. Juli 2014 im Kulturcafé Komm du in der Buxtehuder Straße 13 in Hamburg-Harburg selbst überzeugen. Und wer (s)einen Frosch mit nach Hause nehmen möchte, kann vor Ort ein Exponat, diverse Postkarten oder einen Motivbecher käuflich erwerben.


17. Mai 2014