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INTERVIEW/004: Katell Gélébart, Recycling-Künstlerin und KAIROS-Preisträgerin 2012 (SB)


Interview im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg am 29. Februar 2012

Katell Gélébart - Foto: © 2012 by Schattenblick

Katell Gélébart
Foto: © 2012 by Schattenblick

Im Vorfeld der Ausstellung "Was da ist", in der vom 4. März bis 6. Mai 2012 im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg das Recycling-Design der diesjährigen KAIROS-Preisträgerin präsentiert wird, hatte der Schattenblick Gelegenheit, der französischen Künstlerin einige Fragen zu stellen.

Austellungstitel, 4. März 2012 - Foto: © 2012 by Schattenblick

Kurzfristig organisierte Ausstellung zur Preisverleihung
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Das Recyceln von Material wird schon eine sehr lange Zeit von der Menschheit praktiziert - was hat dazu geführt, daß Sie seit Ihrer Kindheit gebrauchte Dinge und Materialien wiederverwerten?  

Katell Gélébart: Ich bin damit aufgewachsen und wurde auch so erzogen, alles in meiner Umgebung zu nutzen, auch unerwünschte Dinge. Stoffe, die schon weggeworfen wurden, stellen für mich eine große Quelle der Inspiration dar und fördern meine Kreativität. Ich kann mir gar nicht vorstellen, mit brandneuem Material kreativ zu sein, mit sauberen, fehlerfreien Dingen ohne Geschichte, Löcher und das kleinste bißchen Schmutz. Ich liebe es, mit diesen Einschränkungen zu arbeiten.  

SB: Nun ist Wiederverwertung augenblicklich ein sehr aktuelles Thema. Ist das auch Ihr Ansporn oder gibt es weitere Gründe für Ihr persönliches Engagement?  

KG: Ich habe seit meiner Kindheit ausschließlich mit gebrauchten Materialien kreativ gearbeitet. Vor 15 bis 20 Jahren ist dies dann, zumindest in Europa, auch in Mode gekommen.  

SB: Was genau treibt Sie an?

KG: Da ich den Menschen in meiner aktiven Zeit als Umweltschützerin viele Jahre lang gesagt habe, was sie tun sollen, dachte ich, es wäre vielleicht ganz hilfreich, ihnen konkrete Lösungen anzubieten. Wenn sie sich ein Notebook aus gebrauchten Materialien anschaffen möchten, können sie es tun. Man braucht dafür keine Kampagne. Der Gegenstand spricht für sich selbst. Er existiert, und die Leute können ihn kaufen. Es ist ihre eigene Entscheidung.  

SB: Sie greifen mit Ihrem Werk das bedrückende Gefühl auf, das uns beschleicht, wenn wir Dinge, die eigentlich wie neu sind und definitiv weiterverwendet werden könnten, einfach auf den Müll werfen. Inwiefern hoffen Sie mit Ihrer Kunst auf das Bewußtsein der Menschen einwirken zu können?  

KG: Ich glaube, wenn man Produkte herstellt, die haltbar, aber auch originell sind und ein humorvolles Design aufweisen, dann werden sie attraktiv und die Leute wollen es haben. Ist es einmal in ihrem Besitz, werden sie nicht so schnell den Drang verspüren, sich wieder etwas Neues anzuschaffen, auch wenn die Mode gerade auf rot oder grün wechselt. Verstehen Sie, diese Produkte werden Klassiker, und die Menschen behalten sie ihr Leben lang.  

Katell Gélébart zeigt Jacke aus Pasta-Tüten - Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Künstlerin präsentiert ein besonders markantes Exponat
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Der KAIROS-Preis würdigt Sie als "kreative Visionärin" und Ihre Kunst als richtungsweisend für ökologisches Design. Wie stehen Sie dazu?  

KG: Inzwischen gibt es viele Menschen, die mit gebrauchten Materialien arbeiten, aber kaum jemand verwendet dabei wie ich derart viele unterschiedliche Materialien. Das macht meine Arbeit ganzheitlich. Von Autoschläuchen über Lebensmittelverpackungen, alte Postsäcke und Fallschirme nutze ich das ganze textile Spektrum, selbst Jalousien. Und mit diesen gebrauchten Materialien stelle ich eine breite Palette unterschiedlicher Produkte her. Darüber hinaus beschränke ich mich nicht nur auf Modedesign, denn aus steifen Jalousiestoffen läßt sich keine Bekleidung anfertigen. So habe ich aus diesem Material eben Lampen hergestellt. Es passierte einfach. Eigentlich richte ich mich danach, wohin mich der Strom des Lebens treibt, und wo immer ich gerade bin, nutze ich die vorhandenen Ressourcen. Diese Jalousien beispielsweise stammen aus Indien.  

SB: Sind Sie zufällig darauf gestoßen?  

KG: Ich habe eine Zeitlang meine Künstlerresidenz in einem Öko-Resort aufgeschlagen. Das Hotel hatte gerade in allen Räumen die Jalousien erneuert. Die lagen einfach herum, und ich konnte 45 riesige Lampen daraus fertigen. Sie können sich also vorstellen, was für eine große Menge Jalousien das war. Aluminium stellt ein großes Problem dar, denn es ist nicht nur bei der Produktion, sondern auch beim Recyceln sehr umweltschädlich. Es ist also besser, ein zweites Leben dafür zu finden, bevor es auf dem Müll landet.  

SB: Verstehen Sie sich selbst als Visionärin?  

KG: Die Frage habe ich eigentlich schon damit beantwortet, daß ich soviele unterschiedliche Materialien benutze. Es sind vielmehr die anderen, die mich als Visionärin betrachten. Für mich ist es einfach das Leben.  

SB: Aber Sie können den Menschen zeigen, wie man die Dinge verwenden kann.  

KG: In dem Sinne bin ich visionär, daß ich für alles die Nähmaschine verwende. Ich nähe Sachen, auch wenn sie nicht dafür geschaffen sind. Ich erfinde also Techniken, um Dinge wie Autoschläuche, Lebensmittelverpackungen und ähnliches nähen zu können. Das sind durchaus Pionierarbeiten. Es sind mechanische Mittel, gewissermaßen das Lowtech im Gegensatz zum Hightech. Das läßt sich auch in Indien machen. Wenn der Strom abgestellt wird, kann man eine Nähmaschine mit Pedal-Antrieb benutzen. In der Ukraine, wo es oft zu Stromsperren kommt, können wir auf diese Weise trotzdem weiterproduzieren. Es handelt sich um keine große Investition. Ich möchte Menschen dazu inspirieren, sich ihre eigenen Dinge mit der Nähmaschine herzustellen.  

Nähmaschine - Foto: © 2012 by Schattenblick

Universalwerkzeug für Neuschöpfungen aller Art
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Müssen Sie die Maschinen auf irgendeine Weise umkonstruieren?  

KG: Nein, es ist nur eine Frage der Stichtechnik. Man ölt die Maschine ein bißchen oder tut ein wenig von diesem oder jenem drauf.  

SB: In der Do-It-Yourself-Bewegung (DIY) sind die Menschen davon überzeugt, daß man die Dinge, die man braucht, auch selbst herstellen kann, anstatt sie zu kaufen. Dabei geht es auch darum, die Nahrungsmittel zum Verzehr selbst anzubauen. Inwieweit werden Sie als Künstlerin von ökologischen Basisaktivisten wie Tierbefreiern oder Menschen aus der DIY-Bewegung inspiriert?  

KG: Es ist meine Art zu leben, soviel wie möglich selbst zu machen. In meinen Zwanzigern war ich sehr aktiv in Anti-Atomgruppen. Ich war ziemlich engagiert und bin auch in Protestzügen mitgelaufen. In meinen Dreißigern kam ich zur Meditation. Möglicherweise wird sich die Entwicklung des eigenen Bewußtseins auf lange Sicht als fruchtbarer herausstellen. Mahatma Gandhi hat gesagt: "Sei die Veränderung, die Du für die Welt sehen möchtest. Also nicht von einer besseren Welt träumen, sondern selbst seinen Beitrag leisten und nicht darauf warten, dass die anderen den Anfang machen." Wenn du also Frieden sehen willst, dann fängt es bei dir selbst an. Mein Meister Osho spricht von etwas anderem. Osho war ein großer Visionär, aber kein Ökologe, denn er sagte, daß man nichts falsch machen kann, wenn man "aware" und "conscious" ist. Es geht also in der Hauptsache darum, daß man einfach achtsam und bewußt wird. Das ist die Art und Weise, wie der Planet und die Menschheit ihre Probleme lösen können. Und es gibt viele Probleme, wie man sehen kann.  

Detailansicht einer Jacke aus Verpackungsmaterial - Foto: © 2012 by Schattenblick

Tierfutterverpackung modisch aufgewertet
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Wie haben Sie das Auroville Upasana kennengelernt, und was ist Ihr spirituelles Selbstverständnis? Ich habe auf Ihrer Facebook-Seite gelesen, daß Sie sich den Namen Samudra gegeben haben.  

KG: Ich landete in Auroville, als ich, inspiriert durch Yoga- und Meditationspraxis, beschloß, nach Indien zu gehen. Ich hatte über Indien gelesen. Auroville war der freundlichste Ort für eine Ankunft, denn Indien ist ein großer Kulturschock, auch wenn man meint, die Armut in der Welt schon gesehen zu haben. Mitten in der Nacht in Bombay anzukommen ist furchtbar. Auroville war jedoch ein internationaler Ort, wo man im Bereich der grünen Technologien viel Entwicklungsarbeit leistete. Ich war dort sehr willkommen. Uma vom Design-Studio war die erste, die sagte: Sieh' mal, wir müssen für dich einen Workshop für Modestudenten organisieren. Sie kam gerade aus einer Modeschule. Das war eine neue Sache, ein paar Schüler zu unterrichten und ihnen Tips zu geben. Auroville war so etwas wie ein Lebensstil, weil ich die Natur liebe und auf der Suche nach etwas war. Später wurde ich eine Sannyasin von Osho. Mein Name Samudra steht also mehr in Verbindung mit der Welt von Osho als mit Auroville.  

SB: Auf welche Weise bearbeiten Sie das entsorgte Rohmaterial, wenn Sie beispielsweise aus einer Plastiktüte einen Regenmantel machen wollen? Und ist es dann wirklich ein Stück für den alltäglichen Gebrauch oder doch eher eine Art Kunstwerk?  

KG: Das fragen mich nicht viele Leute, aber Plastiktüten habe ich nie verwendet, weil sie schrecklich zu nähen sind. Lebensmittelverpackungen behandle ich aber nicht vor. Ich nähe sie einfach so, wie die Maschine sie nimmt. Es ist reiner Abfall, nur gewaschen. Aber es stimmt, diese Stücke aus Lebensmittelverpackungen dienen eher der Kommunikation. Es sind keine Kleidungsstücke. Man kann sie anprobieren, aber nach einer Stunde sind sie furchtbar zu tragen. Es ist visuelles Material für die Kommunikation.  

Jacke aus Kaffeetüten - Foto: © 2012 by Schattenblick

Was äthiopischer Kaffee sonst noch alles hervorbringt ...
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Sie sind die erste Designerin, die den KAIROS-Preis erhält. Was war Ihrer Meinung nach der Grund dafür, daß man Sie ausgewählt hat, und was bedeutet der Preis für Sie persönlich?  

KG: Nach dem Grund müssen Sie die Jury fragen. Aber wir sollten besser den Begriff Öko-Designerin verwenden. Ich versuche es auch zu unterrichten. Da es sich um einen europäischen Kulturpreis handelt, liegt nahe, daß man Ökodesign in Europa jetzt als kulturelle Disziplin anerkennt. Warum sie auf mich gekommen sind, kann ich nicht sagen. Vielleicht, weil Hamburg letztes Jahr die grüne Hauptstadt Europas war, und möglicherweise hatten sie nach Menschen Ausschau gehalten, die diesen Bereich unterstützen können.  

SB: Wird sich für Sie etwas verändern, nachdem Sie diesen Preis verliehen bekommen haben?  

KG: Wir werden sehen. Im Moment bin ich viel in der Öffentlichkeit zu sehen und im Gespräch. Ich möchte dies nutzen, um Partner zu finden, mit denen ich zusammenarbeiten kann. Ich habe eine Idee für ein großes Projekt. So würde ich gern ein ganzes Haus als Demonstrationsprojekt gestalten, das nur aus gebrauchten Materialien hergestellt ist - nicht die Wände oder die tragende Struktur, aber alles, was sich in dem Haus befindet. Und ich möchte Produkte herstellen, die man auch vermarkten kann, nicht nur klassische Ausstellungsstücke, sondern einfach neue Dinge, die es so noch nicht gegeben hat. Deshalb suche ich für die Zusammenarbeit nach Schulen, Institutionen, Designschulen, Profis oder welchen gesellschaftlichen Partnern auch immer. Was ich mit dem Geldbetrag anfange, weiß ich noch nicht. Gleichzeitig wird es nichts an meinem Leben ändern. Ich werde, was ich tue, immer weiterverfolgen, weil ich es mit Freude und Leidenschaft tue, ganz unabhängig davon, ob ich Geld habe oder nicht. Im Moment stehen mir mehr Mittel zur Verfügung, und das ist großartig und vor allem bequemer.  

SB: Auf Ihrer Website weisen Sie darauf hin, daß Sie als Campaignerin in der Abholzung, im Abfallmanagement und in der Atomfrage aktiv waren, zudem bezeichnen Sie sich als Menschenrechtsaktivistin. Worin besteht Ihre Arbeit auf diesen Gebieten?  

KG: Das ist mein Hintergrund und die Basis, aufgrund derer ich zu dem gekommen bin, was ich heute tue. Das war vor zehn Jahren.  

Handtasche und Mehrzwecktüte  - Foto: © 2012 by Schattenblick

Katell Gélébart präsentiert Taschen
Foto: © 2012 by Schattenblick

Detailansicht einer Handtasche  - Foto: © 2012 by Schattenblick

Sinnvolle Zweitverwendung für Spiralkabel
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Seit einigen Jahren wird der Zweig der "Ethical Fashion" bzw. des "Social-Designs" immer bekannter und beliebter. Was sind Ihre Erfahrungen auf diesem Gebiet und welche Rolle spielt Ihr eigenes Modelabel "ART D'ECO" in der Branche?  

KG: Im Bereich der Mode war ich vor zehn, neun, acht Jahren noch viel präsenter. Jetzt habe ich die Produktion von Modekollektionen schon ein bißchen aufgegeben. Auch, weil ich keine Modedesignerin bin. Ich habe das nicht gelernt. Ich lerne durch Erfahrung. Daß jetzt viel mehr Menschen so etwas machen, finde ich wunderbar, weil es dadurch mehr Öffentlichkeit bekommt. So werden die Oasen auf Modemessen, die man der grünen oder der Ökomode einräumt, größer und größer. Die Öko-Entwicklungen im Modebereich nehmen stetig zu. Daraus ergibt sich eine größere Auswahl für die Menschen hinsichtlich der Qualitäten, Stilrichtungen und Preise. Für die Verbraucher ist das großartig.  

SB: War Ihr eigenes Label das erste, das Mode auf diese Weise hergestellt hat?  

KG: Es gibt inzwischen diese Marken, die Biobaumwolle produzieren und daraus Kleidung herstellen. Das gehört auch zur Nachhaltigkeit von Mode. Aber es stimmt, ich war anfangs die einzige auf den Messen in Barcelona und in Frankreich.  

Gut besuchte Ausstellung, 4. März 2012 - Foto: © 2012 by Schattenblick

Ausstellung am Sonntag der Preisverleihung
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Wie haben Sie Ihre Projektmitarbeiter in der Ukraine kennengelernt, und wie gestaltet sich Ihre Zusammenarbeit über die große Distanz?  

KG: Ich bin ihnen begegnet, als ich die Stadt Karkov im Osten der Ukraine besuchte. Ich traf dort Leute, die als Grafiker arbeiteten und an den Aufräumarbeiten in Tschernobyl beteiligt gewesen waren. Das war für sie ein so überwältigendes Erlebnis gewesen, daß sie beschlossen, etwas für das Umweltbewußtsein zu tun, allerdings nur durch Grafiken und Poster. Sie nannten es den "Vierten Block", weil der vierte Block jener Reaktor war, der in Tschernobyl explodiert ist. Diese Leute vom "Vierten Block" organisierten eine Triennale mit internationalen Postern. Aus aller Welt, aber hauptsächlich aus Japan, also Hiroshima und Nagasaki, schickten Menschen Poster. Dann lud man mich 2000 ein, auf der Triennale eine Modepräsentation zu veranstalten. Damals lebte ich in Amsterdam, aber ich sagte zu. Sie meinten allerdings, daß es keinen Sinn machen würde, der ukrainischen Öffentlichkeit Hosen mitzubringen, die aus französischen Postsäcken gefertigt seien, weil sie diese nicht als solche erkennen würden. Wenn Menschen den Abfall nicht erkennen, ist es sinnlos. Also entschied ich mich, Kleidungsstücke aus dem herzustellen, was ich vor Ort finden würde. Als ich dort ankam, gaben mir die Leute Fallschirme. Zu der Zeit gab es Millionen von Armeeuniformen, aber auch Decken und Vorhänge auf dem Markt. Ich brauchte noch einen Platz, wo ich an der Nähmaschine arbeiten konnte, und so wurde ich diesem Paar, Vitali und Varia, vorgestellt, die meine Kollegen wurden. Wir haben uns angefreundet und wollten zusammenarbeiten. Ich mußte Russisch lernen und fuhr immer wieder dort hin. Wenn ich nicht zur Produktion in die Ukraine fliegen mochte, kamen sie zu mir in den Westen. Für sie war es eine große Eröffnung, die Welt zu sehen. Jetzt sprechen sie Englisch. Das war vor zehn Jahren. Es ist wunderschön, zwischen Menschen Brücken zu bauen.  

Stofftiere, 4. März 2012  - Foto: © 2012 by Schattenblick

Ensemble für Kinderherzen
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Könnten Sie uns etwas über Ihre Zusammenarbeit mit der indischen Nichtregierungsorganisation DASTKAR erzählen?  

KG: DASTKAR ist eine sehr große, nationale Nichtregierungsorganisation in Indien. Es gibt dort 14 Millionen Kunsthandwerker. Die meisten von ihnen leben in Flußgebieten. Sie verlassen ihre Dörfer nie und kennen deshalb den urbanen Markt in den großen Städten nicht, geschweige denn die Exportmärkte. Als ich das erste Mal gebeten wurde, in ein Dorf mit Kunsthandwerkern zu gehen, um Dinge für sie zu entwerfen, sollte ich nur die Form entwickeln, weil sie sich in Blockdruck und Stickereien ausdrücken. Damit kenne ich mich nicht aus und wollte auch nicht daran rühren, weil es ihre eigene, starke Identität ist. Also machte ich nur Entwürfe. In diesem Jahr war ich dort und habe gesagt: Hey, IPads, ihr müßt IPads-Hüllen herstellen. Das klingt albern, aber sie kannten keine IPads und lesen natürlich auch nicht das Magazin Elle. Ich helfe ihnen nur, Artikel zu produzieren, die so einfach sind, daß sie sie auch dann herstellen können, wenn ich fort bin. Es ist kein kompliziertes oder Konzept-Design, aber besitzt die richtigen Proportionen wie zum Beispiel Taschen mit einem Reißverschluß oder mit einem Magneten als Verschluß. Es scheint sehr simpel zu sein, was ich ihnen empfehle, aber sie selbst benutzen keine Taschen. Wie sollen sie also wissen, wie man eine Tasche herstellt, nicht wahr? Es ist wirklich eine wundervolle Partnerschaft. Ich fahre regelmäßig dorthin und begleite die Projekte, an denen ich gearbeitet habe, weiter und überlege, wie wir sie verändern sollten, weil ein Feedback von den Leuten gekommen ist wie: 'So sollte es nicht sein.' oder 'Das gefällt mir'. So kann ich erleben - in meinem Fall handelt es sich um eine Frauenkooperative -, wie sie sich von Mal zu Mal mehr Fähigkeiten aneignen und für ihren eigenen Unterhalt besser sorgen können. Wissen Sie, eine Frau, die in Indien ihren eigenen Unterhalt verdienen kann, ist jemand. Sie gewinnt Würde und benutzt dann das Geld für ihre Kinder, für ihre Ausbildung oder um sich sterilisieren zu lassen und nicht 7 bis 10 Kinder zu gebären. Wenn sie nach 2 oder 3 Kindern genug hat, läßt sie sich operieren. Das ist ihr Recht. Sie muß nicht ihr ganzes Leben lang Kinder produzieren, nur weil sie eine Frau ist.  

Kulturtasche, 4. März - Foto: © 2012 by Schattenblick

Für den mobilen Einsatz ...
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Sie verstehen sich also als eine Befürworterin eines marktorientierten Nachhaltigkeitskonzepts?  

KG: Das sind Dinge, die ich mir noch nie überlegt habe. Als kreativer Mensch macht man Dinge mit Leidenschaft, und es sind dann die anderen, die nach einer Erklärung suchen. Ich denke, es ist der Esprit du Temps, wie wir in Frankreich sagen, der Zeitgeist. Meine Lebensweise und die Art, wie ich arbeite, passen zu den heutigen Strömungen. Ich gehe einfach mit diesem Fluß. Man könnte sagen, wenn man "Consciousness" und "Awareness" hat, dann versucht man, das zu benutzen, was um einen herum ist. Das ist gesunder Menschenverstand.  

SB: Auch auf antikapitalistische Weise?

KG: Sehen Sie, es liegt ein Paradoxon in dem, was ich tue, weil ich versuche, meinen Unterhalt zu verdienen, indem ich Ökodesign-Produkte verkaufe und mir gleichzeitig wünsche, daß die Menschen nicht soviel konsumieren und nur kaufen, was sie auch wirklich brauchen. Es ist also gegen die Regeln des Kapitalismus, die die Menschen drängen, sogar dann etwas zu kaufen, wenn sie es nicht brauchen. Ich denke, das sind feine Nuancen. Man kann Menschen nicht daran hindern, neue Dinge zu wollen, aber man kann ihnen neue Dinge geben, die alt sind, Produkte, die bei ihrer Herstellung keine Umweltverschmutzung verursacht haben.  

Lampe aus Restmaterialien, 4. März 2012  - Foto: © 2012 by Schattenblick

Erleuchtung inklusive ...
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Warum könnte es sich aus Ihrer Sicht für einen Menschen lohnen, sich die Mühe zu machen, Müll selbständig und eigenhändig zu recyceln, wiederzuverwenden und umzuändern?  

KG: Ich glaube, daß es auch für Menschen, die stets vorhalten, nicht kreativ zu sein, irgend etwas gibt, das sie abändern und anders verwenden könnten, als es ursprünglich konzipiert wurde. Es geht beileibe nicht darum, Designer zu sein. Kreativität dreht sich darum, wie man Dinge macht, nicht darum, was für Dinge man macht. Oft, wenn ich Leute nach vielen Jahren wieder treffe, die mir irgendwo einmal begegnet sind, sagen sie: "Weißt du, jedesmal, auch wenn es nur so etwas wie ein kleines Schokoladenpapier ist, das ich in der Hand halte, denke ich an Katell und frage mich: Was würde Katell damit machen?" Das ist großartig.

Man entwickelt einfach eine Idee. Ich denke, es geht um eine neue Art, die Dinge zu betrachten, daß man weiß, das hier ist nicht einfach ein Blatt Papier, auf dem man schreibt. Die meisten Menschen sind darauf konditioniert, daß man Papier recycelt, aber es gibt immer noch so viele Dinge, die wir nicht wiederverwenden, weil wir denken, daß sie nur für einen bestimmten Zweck zu gebrauchen sind. Wie bei einer Plastiktüte, bei der wir denken, okay, das ist eine Plastiktüte, aber es kann auch etwas anderes sein. Die Tausch-Partys zum Beispiel richten sich gegen die konventionelle Bedeutung von Geld und Wirtschaft, und auch dagegen, daß man mit 20 Euro soundsoviel bekommt und mit 100 Euro fünfmal mehr. Das ist so unfair. Wir alle wollen neue Sachen, aber sie müssen nicht zwangsläufig neu sein, beispielsweise wenn ich einen Pullover mit einer anderen Farbe für den Winter möchte. Die Idee der Tausch-Partys ist, daß jeder Kleidung, Schuhe, Bücher oder DVDs mitbringt. Das ist beliebig, beruht aber nicht auf dem Konzept, 'ich bringe zwei und kann mir dann zwei nehmen', weil sich dann dieselbe Ungleichheit wiederholt. Einige Leute haben viel zu geben und sagen: Okay, ich ziehe diese fünf Teile nicht mehr an. Du hast nichts anzuziehen und interessierst dich für meine Sachen. Du kannst sie nehmen, auch wenn du selbst nichts mitgebracht hast. Es ist nicht wie Geben und Nehmen, sondern basiert auf dem Bewußtsein, daß du nur das nimmst, was du selber brauchst. Es ist nicht so, daß man alles nimmt und dann draußen auf dem Markt verkauft. In der Regel triffst du dort also auf Menschen, die einen Schritt weiter sind in der Art und Weise, wie sie mit Waren in ihrem Leben umgehen.  

SB: Wie stellen Sie sich die Welt in Ihrer Vision vor?  

KG: Meditation ist die größte Revolution. Es ist die Wissenschaft des inneren Wandels.

Im Interview mit SB-Redakteurin - Foto: © 2012 by Schattenblick

Katell Gélébart mit SB-Redakteurin
Foto: © 2012 by Schattenblick

13. März 2012