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INTERVIEW/022: Biennale Worpswede - Alter Ruf zu neuen Wegen - Bürgermeister Schwenke im Gespräch (SB)


Interview am 28. April 2013 in Worpswede

anläßlich der ersten Kunst- und Filmbiennale vom 25. bis 28. April 2013



Stefan Schwenke ist Bürgermeister des im Landkreis Osterholz in Niedersachsen gelegenen Künstlerdorfes Worpswede. Unmittelbar nach der Verabschiedung der Delegation polnischer Künstlerinnen und Künstler, die als Abgesandte der polnischen Künstlerkolonien an der ersten Kunst- und Filmbiennale Worpswede teilnahmen, beantwortete der parteilose Kommunalpolitiker dem Schattenblick einige Fragen zum besonderen Charakter dieses weit über seine Grenzen hinaus bekannten Ortes.

Vor dem Rathaus - Foto: © 2013 by Schattenblick

Stefan Schwenke
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: Bei der feierlichen Verabschiedung der polnischen Delegation konnte man den Eindruck erhalten, daß die Biennale erfolgreich verlaufen ist. Ist das auch Ihre Meinung?

Stefan Schwenke: Die Kunst- und Film-Biennale geht ja noch ein paar Stunden, aber war bisher schon ein voller Erfolg. Und der Besuch der Künstler und die Kulturpartnerschaft mit den polnischen Künstlerkolonien Szklarska Poreba und Kazimierz Dolny ist eine wunderbare Sache.

SB: Was genau beinhalten diese Vereinbarungen?

BS: Die Vereinbarungen sind ein Signal dafür, daß Worpswede sich als Künstlerkolonie mit diesen beiden Künstlerkolonien austauscht, in Kontakt bleibt, Kontakte herstellt und Kulturaustausch unterstützt. Das ist unsere Vereinbarung, das haben wir vor und das alles im Rahmen Europas. Europa auch hier zu unterstützen, die Völkerverständigung zu unterstützen, und gerade auch den Austausch zwischen Deutschland und Polen, der ja von der Geschichte her sehr kompliziert war, so daß man möglicherweise Vorurteile abbaut, die auf der einen oder anderen Seite bestehen, ist die Absicht des Projekts. Was gibt es besseres als Kunst, um dies zu erreichen? Kunst kennt keine Grenzen, insofern ist es ein wichtiger Beitrag, den wir leisten wollen.

SB: Findet damit ein Zusammengehen der europäischen Bevölkerungen von unten her statt, im Gegensatz zu einer Politik, in der ganz andere Interessen im Spiel sind?

BS: Gerade in dieser Zeit der Krise, wo starke Kritik an der EU geübt wird, gilt es noch einmal ein Zeichen zu setzen über Kunst und Kultur, um mehr Verbindungen über die Grenzen hinweg zu schaffen und den Austausch zwischen den Menschen zu verbessern.

SB: Könnten Sie noch etwas zur Organisation euroArt sagen?

BS: Präsident von euroArt ist der Oberbürgermeister von Dachau, Peter Buergel, ich bin Vizepräsident. euroArt ist das Netzwerk europäischer Künstlerkolonien mit Sitz bei Brüssel, dazu gehören über 120 Künstlerkolonien aus annähernd 20 Ländern in Europa.

SB: Worpswede hat dabei eine eigene Tradition. Können Sie den Bogen historisch zurückschlagen und schildern, welche Bedeutung das über die Jahrzehnte hatte?

BS: Vor 124 Jahren ist die Künstlerkolonie Worpswede gegründet worden. Da haben sich Künstler wie Fritz Mackensen, Heinrich Vogler, Fritz Overbeck und Otto Modersohn entschlossen, in Worpswede zu bleiben. In Worpswede im Teufelsmoor, in dieser eigenartigen Landschaft um den Weyerberg. Ihre Devise war: Heraus aus den Akademien, zurück zur Natur, die Natur soll unser Lehrer sein. Das war damals etwas ganz Besonderes, das war etwas Avantgardistisches, und daraus ist diese Künstlerkolonie entstanden. Über weitere Jahrzehnte hat sich Worpswede immer wieder erneuert und ist bis zum heutigen Tage ein lebendiges Künstlerdorf geblieben. Hier leben und arbeiten 150 Künstlerinnen und Künstler, Kunsthandwerkerinnen und Kunsthandwerker, und das ist etwas ganz Besonderes.

SB: Was bedeutet Heinrich Vogeler für Worpswede?

BS: Heinrich Vogler war ein omnipotenter Künstler, denn er war nicht nur Maler, er war Architekt und sozusagen Innenausstatter, er hat Besteck und Möbel entworfen. Unser Trauzimmer im Rathaus ist mit Möbeln, die nach Entwürfen von Heinrich Vogler gefertigt wurden, ausgestattet. Heinrich Vogler ist, wie es Moritz Rinke in seinem Buch so schön formuliert hat, der Mann, der durch das Jahrhundert fiel. In Worpswede ist jede dritte Klinke, die man heruntergedrückt hat, eine Klinke von Heinrich Vogler gewesen. Er führte ein besonderes Leben, denn er war sehr von dem Glauben an das Gute im Menschen geprägt. Er war ein Utopist, das gilt auch für die Zeit, in der er den Jugendstil verbreitet hat, weil es ihm im Grunde auch dabei um den Menschen ging. Er wollte das Beste im Menschen, das Schöne für den Menschen, und dann kamen die Erlebnisse des Ersten Weltkrieges, die ihn dann letztendlich zum Kommunisten haben werden lassen. Auch als Kommunist hat er an das Gute im Menschen geglaubt. Auch da ist der Utopist geblieben und war immer ein Menschenfreund. Das hat ihn zum Teil von anderen Sozialisten und Kommunisten doch unterschieden. Und er hat es auch nicht einfach gehabt. 1942 ist er sehr verarmt in Kasachstan gestorben.

SB: Gibt es noch ein Fazit, mit dem Sie die künstlerischen Aspekte der Biennale würdigen wollen?

BS: Diese Kunst- und Film-Biennale Worpswede mit dem dazugehörigen, vorher stattgefundenen Kulturaustausch und der Unterschrift unter das Kulturabkommen ist ein großer Erfolg, der Worpswede in diesem Sinne weiter nach vorne bringt, seine Strahlkraft als Künstlerkolonie noch erhöht und verbessert. Den vielen Menschen, die vielleicht über Worpswede nicht ganz richtig informiert waren und die zu uns kommen, um sich die wunderbaren Museen, das Museum von Heinrich Vogler, den Barkenhoff, die Große Kunstsschau von Bernhard Hoetger, das Haus im Schluh, in dem Martha Vogler, die Frau von Heinrich Vogler, lebte, oder die Kunsthalle Friedrich Netzel, die über 90 Jahre alte erste Galerie hier in Worpswede, anschauen, können wir beweisen, daß man auch im ländlichen Raum ein großes Kulturangebot machen kann. Und dieses im Zusammenhang mit anderen Künstlerkolonien, die auf ähnliche Weise entstanden sind.

SB: Herr Schwenke, vielen Dank für das Gespräch.

Backsteinhaus im expressionistischen Stil - Foto: © 2013 by Schattenblick

Café Worpswede am Fuße des Weyerbergs
Foto: © 2013 by Schattenblick

14. Mai 2013