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INTERVIEW/034: Einwurf Kunst - Urbane Fronten ...    Benoît Tremsal im Gespräch (SB)


Rassistische Gewalt, Raubbau an Mensch und Natur, Klimaflüchtlinge ...

Interview am 13. Juni 2015 in Siegburg


Der deutsch-französische Künstler Benoît Tremsal kuratiert die Ausstellung SHOUT HIN! - Positionen politisch motivierter Kunst, die am 13. Juni 2015 im Pumpwerk Siegburg eröffnet wurde und noch bis zum 31. Juli zu sehen ist. Bei der Vernissage beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zu den dort präsentierten Arbeiten.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Benoît Tremsal
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Benoît, du bist Mitglied des hiesigen Kunstvereins, fungierst als Kurator und arbeitest selbst als bildender Künstler. Wie bist du dazu gekommen?

Benoît Tremsal (BT): Ich habe 13 Jahre in der Mühl-Kommune gelebt. Dort habe ich auch meine Ausbildung erhalten. Ich bin als Musiker eingezogen und als Künstler wieder ausgezogen. Seitdem arbeite ich als freischaffender Künstler.

SB: In deiner Ankündigung hast du dein Erstaunen darüber zum Ausdruck gebracht, daß eine Ausstellung über politische Kunst in einem Ort wie Siegburg und nicht in einer großen Metropole, was man eher erwarten würde, stattfindet. Wäre denn die Provinz nicht vielleicht sogar der geeignetere Ort, um politisch motivierte Kunst nach vorne zu bringen, etwa weil der Kunstbetrieb dort noch nicht so routiniert und kommerzialisiert ist?

BT: Politische Kunst muß überall hin. Es gibt überhaupt keinen Grund, daß sie nur in Berlin stattfindet.

SB: Gibt es denn Ausstellungen dieser Art in ausreichendem Maße in Berlin, Düsseldorf oder anderen deutschen Kunstmetropolen?

BT: Berlin hat die Biennale, die immer sehr politisch ist. In Düsseldorf ist es eigentlich viel zu wenig. Es gibt natürlich viel schöne Kunst, aber seit Beuys die Stadt für höhere Gefilde verlassen hat, ist politische Kunst nicht mehr so stark vertreten. Das gilt aber allgemein für die deutsche Kunstlandschaft und für kleine Städte wie Siegburg ohnehin, wo politische Kunst praktisch nicht vorhanden ist. Ein kleiner Kunstverein wie der unsrige oder auch das städtische Museum hier würden solche Ausstellungen üblicherweise nicht machen, schon aus Sorge darüber, was sich die Leute dabei denken würden. Der Bürgermeister war hier und hat sich ausgerechnet diese Ausstellung angeschaut, obwohl er sonst nie herkommt. Vielleicht wollte er sehen, ob hier Unruhe gestiftet wird, nehme ich einmal an (lacht).

SB: Oder er findet Gefallen daran und entdeckt eine neue kulturelle Qualität für Siegburg?

BT: Das wäre gut, weil er uns ansonsten sehr konsequent ignoriert. Von Amts wegen vertritt er die Stadt, wir aber werden vom Kreis finanziert und getragen.

SB: Wie bist du auf die Idee zu dieser Ausstellung und ihren Exponaten gekommen?

BT: Susanne Fasbender hatte mir Emanuel Mir empfohlen. Er ist wie ich Franzose und lebt in Düsseldorf als Kunsthistoriker und freier Kurator. Er hatte schon einige Ausstellungen dieser Art gemacht. Er hat mir zum Beispiel in Berlin ein Kunstprojekt empfohlen, das für meine Ausstellung interessant sein könnte. Ich bin dann nach Berlin gefahren und habe mir diesen Werkraum Bild und Sinn angeschaut. Es handelt sich nicht um eine Galerie, sondern um einen kleinen, einfachen, aber schicken Raum im Souterrain, wo ein künstlerisches Projekt nach dem anderen ausgestellt wird. Nachdem ich mit Christian Herrnbeck, einem der Betreiber des Werkraums, gesprochen hatte, war die Sache unter Dach und Fach. Seitdem ist der Kontakt immer reibungslos verlaufen.

SB: Hermann Josef Hack ist eine Art Kunstaktivist und macht Projekte im öffentlichen Raum. Ihr habt ein paar Exponate in eurer Ausstellung, die in seinen öffentlichen Interventionen entstanden sind. Wie paßt das zusammen, öffentliche Aktion und konventionelle Kunstschau?

BT: Hermann Josef Hack stellt seine Sachen auch aus, denn irgendwie ist es eine Art Malerei. Sie eignen sich zum Aufhängen an der Wand ebenso wie an einem Zelt im öffentlichen Raum. So gesehen ist das sehr praktisch. Wir wollten ganz bewußt Exponate von ihm ausstellen, um unterschiedliche Herangehensweisen an die Politik über Kunst zu dokumentieren. Auch Breitenstein ist ein Aktivist. Es gibt noch andere aktivistische Formen wie zum Beispiel Street Art, um die es einen echten Hype gibt, so daß wir mit unseren Mitteln nicht mehr an die Künstler herankommen. Das würde einfach zu viel Geld kosten, während die Künstler, die bei uns ausstellen, bis auf den Transport nichts kosten, und mehr können wir uns auch nicht leisten. Es ist immer eine Herausforderung, trotz unseres mageren Budgets Qualität zu bringen.

Um noch einmal auf Hack zurückzukommen: Er ist in der ganzen Welt unterwegs. Vor ein paar Wochen war er in einem Flüchtlingscamp im Libanon und hat die Menschen dort malen lassen. Ein paar Wochen davor war er in Chile, wo er eine Arbeit über Wassermangel gemacht hat. Er ist ein richtiger Aktivist. Er geht in die Armenviertel und informiert die Einwohner, damit sie mitmachen. Auf diese Weise sorgt er für die Beteiligung der Leute in seinem Projekt.

SB: Könnte man nicht sagen, daß der öffentliche Raum die eigentliche Bühne für Kunst mit politischem Anspruch ist, um die Bevölkerung im größeren Rahmen anzusprechen und Kunst aus den Museen heraus auf die Straße zu bringen?

BT: Auf jeden Fall ist das eine neben anderen Möglichkeiten. Der öffentliche Raum ist immer auch ein politischer Raum, und von daher ist es sinnvoll, dort künstlerische Projekte zu präsentieren, aber das tun nicht viele Künstler. Die Aktionen von Hermann Josef Hack sind sehr speziell, weswegen die Kunstwelt ihn sehr kritisch und mißtrauisch beäugt. Denn er macht nicht nur politische Kunst, sondern betreibt im wahrsten Sinne des Wortes Politik, wenn er zu den Leuten hingeht und sie aktiviert und die ganze Welt darüber informiert. Der Kunstmarkt sieht das mit großem Vorbehalt.

SB: Versteht man Kunst in einem ganz archaischen Sinne als Gegensatz zur Natur, dann bedarf der Mensch ihrer notwendig zur Vergewisserung seiner Selbstentwicklung und Reflexion. Kunst ohne emanzipatorischen Anspruch wäre demnach keine Kunst, weil sie nichts mit den Menschen zu tun hätte. Müßte demnach Kunst nicht immer politisch und fortschrittlich sein?

BT: Beuys war ganz klar der Ansicht, daß Kunst mit den Menschen und humanitären Fragen zu tun haben muß. So gesehen würde er das, was Hack macht, der sich auf Beuys beruft, auf jeden Fall unterstützen und für gut befinden.

SB: Susanne Fasbender hat eine Arbeit zum Rheinischen Braunkohlerevier zur Ausstellung beigesteuert. Vor dem Hintergrund der Energiewende und des Klimawandels ist das Thema in NRW durchaus im Fokus der aktuellen politischen Debatte. Kann Videokunst deiner Ansicht nach einen Beitrag zum Streitfall Braunkohle leisten?

BT: Ja, auf jeden Fall. Natürlich es ist schwer, mit einer solchen Arbeit die große Öffentlichkeit zu erreichen, weil in Ausstellungen wie dieser heute vielleicht 40 Leute da waren, die ohnehin davon überzeugt sind, daß Braunkohle unsere Zukunft gefährdet. Dennoch ist es unbedingt nötig, daß Leute so etwas machen und Energie und Kraft einsetzen, um die Folgen der Braunkohleverstromung präzise aufzuzeigen und auch formal aufzubereiten. Ich hoffe, daß diese Arbeit größere Verbreitung findet.

Ich habe selber zum Thema Braunkohle gearbeitet und 2002 bei der Grube Garzweiler I eine große Landschaftsarbeit fertiggestellt. Natürlich ist das eine ganz andere Herangehensweise an das Thema, aber ich habe mich damit genauso intensiv auseinandergesetzt wie Susanne Fasbender mit ihren Videos, Fotos und Dokumentationen.


'Entwicklungsfeld' bei Grevenbroich - Fotos: © 2015 by Schattenblick   'Entwicklungsfeld' bei Grevenbroich - Fotos: © 2015 by Schattenblick

Wildwuchs überholt Rekultivierung
Fotos: © 2015 by Schattenblick

SB: Könnte man das, was du gemacht hast, als Land Art bezeichnen?

BT: Die Bezeichnung Land Art gefällt mir generell nicht, ich sehe darin eher eine Landschafts-Skulptur. Meine Arbeit umfaßt ein Areal von ungefähr zwei Hektar in direkter Nähe zu Garzweiler I, und zwar an einer Stelle, die schon rekultiviert ist. Dort haben die Betreiber von RWE ein künstliches Tal wiederhergestellt, das bei oberflächlicher Betrachtung natürlich erscheint. Ich habe in dieses Tal eine Landschaft mit geometrischen Volumen und Formen hineingesetzt, die am Anfang total künstlich aussah, jetzt aber vollständig verwildert ist. Die Arbeit heißt Entwicklungsfeld. Alles dort entwickelt sich natürlich und ohne Einwirkung von Menschen. Das ist mein Beitrag zu der Thematik.


Schautafel am Rand des 'Entwicklungsfeldes' - Foto: © 2015 by Schattenblick

Als Beleg für gelungene Wiederherstellung zu subversiv? [1]
Foto: © 2015 by Schattenblick

Es ging mir darum zu zeigen, daß dort Erdschichtungen, die 65 Millionen Jahre alt sind, 120 Meter tief abgebaut werden und daß das gewaltige Loch dann innerhalb von wenigen Monaten wieder aufgefüllt und bepflanzt wurde. Man sieht von dem Eingriff nichts mehr und denkt, daß das alles normal sei.

SB: Oliver Breitensteins Beitrag zur Ausstellung reduziert sich auf einen Überweisungsbeleg. In deiner Ankündigung hast du das als Akt der Verweigerung dargestellt. An wen richtet sich die Verweigerung, an den Kunstbetrieb oder gesellschaftliche Instanzen?

BT: Die Verweigerung ist allgemein als Mittel und Medium der Kunst zu verstehen und wird in der politischen Kunst oft angewendet. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, etwas zu verweigern. In seinem Fall hat er sich geweigert, die Wände mit viel Material und Bildern vollzuhängen. Ihm ist das gesamte Treppenhaus mit hundert Quadratmeter Wandfläche zur Verfügung gestellt worden. Davon hat er nur 20 Quadratzentimeter als Ausdruck seiner Verweigerung genutzt.

SB: Manch einer würde vielleicht sagen, entweder hat er es sich leichtgemacht oder ist nicht in der Lage, die Wände mit interessanter Kunst zu behängen. Wie siehst du das?

BT: Ich kenne seine Arbeiten und weiß, daß er sehr wohl dazu in der Lage gewesen wäre. Anfangs wollte er das Treppenhaus mit einer wahren Materialschlacht in ein labyrinthisches Chaos verwandeln und daraus eine Filiale der Pop Bank machen, die seine Erfindung ist. Ich kenne auch andere seiner Installationen, bei denen mit sehr viel Material gearbeitet und gewissermaßen ein Durcheinander als Form der Verweigerung gegen jedes Ordnungsprinzip erzeugt wird. Er ist dann nach reiflicher Überlegung zu dem Schluß gekommen, es nicht zu machen, und hat statt dessen einen Überweisungsbeleg angebracht. Wenn man sich fragt, was dahinterstecken könnte, muß man verstehen, daß der Gedanke größer ist als jede Form von Installation, die man sich vorstellen kann. Das geht sehr weit und stellt eine zugespitzte Kritik am Kapitalismus dar - einfach großartig.


Benoît Tremsal im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

"... daß der Gedanke größer ist als jede Form von Installation, die man sich vorstellen kann"
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Der Begriff Kulturindustrie, früher eine spezielle Kritik von Adorno am Unterhaltungsbetrieb des Kapitalismus, wird heute kaum noch verwendet. Ist es nicht an der Zeit, das Ausmaß an Beschwichtigung und Opportunismus, das in der Kulturindustrie praktiziert wird, wieder stärker ins Visier der Kritik zu nehmen?

BT: Ich bin selber Künstler und gehe anders an die Sachen heran. Bestimmt müßte man sich viel mehr Gedanken darüber machen, wie die Kulturindustrie heutzutage funktioniert, weil sie völlig in die kapitalistische Maschinerie integriert ist. Darauf verweist die Arbeit von Breitenstein sehr exemplarisch, indem er den Spieß umdreht und als unvermögender Künstler sein letztes Geld zusammenrafft und als Dank, daß er ausstellen darf, überweist. Das ist in höchstem Maße ironisch und sagt alles über das Kultursystem, wie es im Moment ist.

SB: Benoît, vielen Dank für das Gespräch.


Beim Braunkohleabbau freigelegte Erdschichten, dahinter Kohlekraftwerke - Foto: © 2015 by Schattenblick

Verstromte Landschaft - Tagebau Garzweiler
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Landart hinterlässt einen verwahrlosten Eindruck
http://www.rp-online.de/nrw/staedte/grevenbroich/brikettfelder-sind-zu-staub-zerfallen-aid-1.118375

Beiträge zur Ausstellung SHOUT HIN! - Positionen politisch motivierter Kunst im Schattenblick unter
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BERICHT/046: Einwurf Kunst - Präsentative Rebellion ... (SB)
INTERVIEW/033: Einwurf Kunst - Anstoß ohne Gegenstand ...    Oliver Breitenstein im Gespräch (SB)

2. Juli 2015


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