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ANALYSE & KRITIK/299: Datensucht als Ersatz für Gesinnungskontrolle


ak - analyse & kritik - Ausgabe 539, 15.05.2009

Datensucht als Ersatz für Gesinnungskontrolle
Die Dimension der Überwachung, Kontrolle und Einschüchterung im Betrieb

Von Mag Wompel


Arbeitnehmerdatenschutz - oder besser gesagt dessen Fehlen - ist momentan ein großes Thema: E-Mail-Überwachung, Speicherung von Krankendaten, Ausspähen von Kontakten etc. Egal, ob unter dem Vorwand der Spionage- und Korruptionsabwehr (Airbus, Telekom, Bahn), als systematische Kontrolle aller Angestellten und vor allem der (potenziellen) Betriebsräte bis in das Privatleben (Lidl, Schlecker, Bahn, Siemens, Telekom) oder als vorsorgliches Sammeln von Kündigungsgründen selbst bei sensitiven Daten wie Krankheitsarten (Lidl, Daimler und Drogeriekette Müller) - die Skandale brechen nicht ab.

Die Unternehmen spionieren ihre Lohnabhängigen deutschlandweit aus. Die aufgeführten Beispiele stellen nur die Spitze des Eisberges dar, weil sie eindeutig belegbar an die Öffentlichkeit drangen und zugleich auf deren - launisches - Interesse stießen. Dass britische Firmen, wie der Guardian enthüllt, schwarze Listen über potenzielle Angestellte führen, kann in Zeiten, in denen jeder erstmal gegoogelt wird (und viele z.B. beim LabourNet deshalb ihre veröffentlichten Unterschriften gegen Kriege oder Nazis entfernt haben wollen), nicht verwundern: Vorbeugen ist billiger als Entlassen.

Mit immer umfassenderem Zugriff auf das Arbeitsvermögen wird auch die Kontrolle umfassend und das Misstrauen offenbar flächendeckend. Auch dieses Problem besteht natürlich nicht nur in Deutschland (so z.B. auch bei Nokia in Finnland und bei dem Rüstungskonzern Honeywell weltweit). Und es machen alle - die Skandalisierung einzelner Unternehmensverfehlungen darf nicht darüber hinwegtäuschen, auch wenn genau dieses beabsichtigt ist.


Linke als Objekt der Überwachung und Kontrolle

Weit weniger Aufmerksamkeit erfahren in diesem Überwachungsalltag Maßnahmen, die sich vermeintlich gegen betriebliche Einzelfälle und Störenfriede richten, zumal wenn diese auch innerhalb der Belegschaft keine Solidarität genießen. Dabei wird übersehen, dass es um strukturelles Misstrauen geht, das sich gegen alle richtet, obwohl angeblich nur die vermeintlichen "schwarzen Schafe" gemeint sind.

Besonders deutlich wird dies im Zusammenhang mit den krankheitsbedingten Fehlzeiten und der Jagd auf kranke KollegInnen. An ihr beteiligen sich - um der heiligen Wettbewerbsfähigkeit willen - leider auch viele Betriebsräte. Aus detaillierter Datenanalyse der aus (über Betriebsvereinbarungen abgesegneten!) Krankenrückkehrgesprächen gewonnenen - oft illegalen - Informationen, gepaart mit der Umkehr der Unschuldsvermutung, wird Einstellungsspionage, die Gruppenmitglieder und KollegInnen aufeinander hetzt.

Jahrelang geduldet (niedriger Krankenstand muss ja gesund sein, meinen viele Betriebsräte, oft egal, wie dieser zustande kommt), lädt es die Konzerne geradezu ein, diese Einstellungsspionage über Krankenverfolgung hinaus bis auf die Verhaltensebene im Privatleben aller Beschäftigten zu treiben, wie z.B. mit der Verhaltensrichtlinie von DaimlerChrysler. Fortgeführt wird dies dann durch Sammlung von Informationen zur Kündigung potenzieller BetriebsratsgründerInnen ... Aber über den Lohn darf nicht untereinander geredet werden!

An sich ist all dies nichts Neues, wenn auch erleichtert durch die Möglichkeiten der EDV und der Beobachtung des privaten Verhaltens im Internet (so z.B. aktuell eine Kündigung in der Schweiz aufgrund eines Blogeintrags während der Erkrankung).

Kontrolle, Datenmissbrauch und Überwachung - soweit normal im Kapitalismus und leider ebenso wenig verwunderlich, dass die gesteigerte Lohnabhängigkeit auch hier alles zumutbar macht. Problematischer wird es, wenn sich diese Angriffe, meist vom Gros der Belegschaften unbeachtet, auf betriebliche und überbetriebliche Medien derjenigen Belegschaftsgruppen richten, die versuchen, sich gerade gegen solche kapitalistischen Zustände zu wehren.


Arbeitnehmerdatenschutz? Wie wär's mit Datenschutz?

Linke Menschen und Gruppen unter den Lohnabhängigen sind - als aufmüpfige Störenfriede - schon immer und besonders stark Repressalien und Schikanen ausgesetzt, ob im Betrieb, in der Arbeitsagentur oder durch die ganz "normalen" staatlichen SchnüfflerInnen. Oft genug handelt es sich bei den angegriffenen Medien und Kommunikationswegen um die - ökonomisch wie faktisch - einzige Möglichkeit der Informationsverbreitung und gegenseitigen Vernetzung, die nicht selten auch den Mehrheiten in Betriebsrat und Gewerkschaft ein Dorn im Auge sind.

Bezeichnend ist, dass solche Fälle leider selbst innerhalb der betrieblichen und der gewerkschaftlichen Linken kaum Beachtung und noch weniger Proteste sowie Solidarität finden. Dabei handelt es sich doch um Versuche, die testen sollen, wie weit die Unternehmen gehen können, um dann entspannt und mit juristischer, staatlicher Hilfe gegen alle zuschlagen zu können, die sich selbst in Zeiten hoher Massenarbeitslosigkeit erlauben, an alltäglichen kapitalistischen Zuständen Kritik zu üben oder gar Gegenwehr gegen diese zu organisieren.

Noch glauben die meisten der Lohnabhängigen, nichts zu verbergen und nichts zu befürchten zu haben. Und doch bedürfen die Linken, Störenfriede und Whistleblower (1) des Schutzes und der Solidarität der ganzen Belegschaften - auch um diese selbst zu schützen.

Eine Verbesserung beim Arbeitnehmerdatenschutz ist bereits seit der Entwicklung der Informationstechnologie erforderlich. Die private Nutzung von Dienstcomputern am Arbeitsplatz während der Arbeitszeit und die Zulässigkeit verdeckter Videoüberwachung beschäftigen die Arbeitsgerichte immer wieder. Dabei gibt es ausreichende Gerichtsurteile, wie z.B. das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Überwachung am Arbeitsplatz, wonach eine heimliche Überwachung der Beschäftigten grundsätzlich einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellt und daher unzulässig ist.

Doch wer kontrolliert das? Betriebliche Datenschutzbeauftragte nützen so viel wie Betriebsärzte, da beide vom Unternehmen angestellt und bezahlt werden ... Doch wer klagt schon gegen seinen "Arbeitgeber"? Wer traut sich, Überwachung zu skandalisieren? Zum Skandal wird betriebliche Überwachung daher nur, wenn es ein Unternehmen ist, das die Öffentlichkeit ohnehin auf dem Kieker hat oder in dem der Skandal von anderen Missständen ablenken soll. Ein Skandal ist es zudem ohnehin nur dann, wenn der Betriebsrat oder der/die Angestellte nichts davon wusste oder dem nicht zugestimmt hat. Alles andere ist kapitalistischer Alltag. Nicht umsonst ist die Aufregung größer, wenn es um Überwachung von KundInnen oder JournalistInnen geht.

Echtes Unrechtsbewusstsein fehlt meist dem Management der betreffenden Unternehmen, macht doch der Staat ihnen die Überwachung vor und auch leicht. Nicht umsonst kommt das Personal der Sicherheitsabteilungen und Detekteien überwiegend aus dem Bereich der staatlichen Spionage, wie z.B. die von der Bahn wie der Telekom beauftragte Firma Argen.

Die Detektei Argen könnte dabei in der Tat leicht verwechselt werden mit den staatlichen ARGEn und ihrem Umgang mit den Daten (und dem Privatleben) ihrer "Kunden": 30-seitige Antragszustellung, Kontoauszüge, Profiling, Stalking über Call-Center-AgentInnen der Bundesagentur für Arbeit, Hausbesuche, Sozialschnüffler und Prüfdienste ... Das bizarrste Beispiel für diese umfassendste Datensammlung seit der Volkszählung bietet bislang der Hartz-IV-Fragebogen der Hamburger Arbeitsagentur. Essgewohnheiten, Videovorlieben, sogar Einstellungen zur Liebe wollte die Behörde wissen.


Der Staat als Vorbild für betriebliche Überwachung

Der Parallelen zwischen staatlicher und betrieblicher Kontrolle gibt es noch mehr. Sei es die Videoüberwachung des öffentlichen Raums, die für Lohnabhängige im Kassen- oder Schalterdienst längst flächendeckende Realität darstellt, sei es die Vorratsdatenspeicherung jeglicher betrieblicher EDV-Nutzung und Bewegung etc. Die neuesten Initiativen, wie etwa Online-Razzia, die Schüler-Datei in Berlin oder die Internetzensur gegen Kinderpornografie, passen sich - mal andersrum - der betrieblichen Realität an.

Es wird derzeit viel nach schärferen oder neuen Gesetzen geschrien. Doch Gesetze helfen da auch nichts, zumindest nicht, wenn die Täter kaum belangt werden, aber selbst gegen die Veröffentlichung ihrer Taten klagen, wie oft in den aktuellen Fällen passiert. Natürlich sind Initiativen wie der AK Vorrat und Demos gegen Überwachung wichtig. Sie richten sich jedoch an die Gesetzgeber, die bekanntlich nichts Wirksames gegen die Wirtschaftsinteressen (und die eigenen Interessen) tun. Wehren sich Belegschaften, Erwerbslose und ihre Medien kollektiv gegen Unzumutbarkeiten, geraten meist sie selbst und ihre Informations- und Vernetzungswege unter Beobachtung sowie staatliche Repression.

Es handelt sich daher nicht um Affären oder Skandale, denn das wären Einzelfälle. Staat wie Wirtschaft fühlen sich einfach im Recht, vor allem solange sie umfassende Spionage mit TerroristInnen, Wirtschaftskriminellen oder der Gefahr für den Standort rechtfertigen können und damit auf das Verständnis der überwachten Bevölkerung treffen. Denn immer noch dürften die meisten Deutschen Verständnis dafür haben, dass Unternehmen ihre Internetnutzung am Arbeitsplatz kontrollieren - nur knapp ein Drittel lehnte solche Kontrollmaßnahmen in einer Emnid-Umfrage aus dem Jahre 2003 ab. Noch weniger Widerstand gibt es gegen alltägliche Taschenkontrollen, Bewegungsspeicherung im Betrieb etc. Das kommt daher, dass jeder glaubt, nicht zu verbergen zu haben und dies beweisen zu müssen, in dem nichts verborgen wird.

Diese breite gesellschaftliche Akzeptanz und das mangelnde Rechts-Selbstbewusstsein werden nicht besser durch die Tatsache, dass die potenziell Betroffenen - die Linken, die Störenfriede und die Ungehorsamen - oft genug selbst auch zugleich Subjekte der Datensammelwut und des Datenleichtsinns sind, wenn z.B. für gewerkschaftliche oder politische Korrespondenz ganze Soziogramme in offenen Verteilern versandt werden und dies womöglich auch noch mit der beruflichen E-Mail-Adresse geschieht.

Paradoxerweise (?) gilt bei betrieblichen Linken, Störenfrieden und Whistleblowern Kommunikation und Datenweitergabe als Subversion - überbetriebliche, gesellschaftliche Information über betriebliche Missstände ist ja gerade der Grund für Überwachung und Kontrolle. Angst vor dieser Subversion gilt es zu nutzen: Gezielte und mutige Informationsverbreitung gegen flächendeckende Überwachung!


Anmerkung:
1) Als Whistleblower werden InformantInnen bezeichnet, die etwas über Missstände, illegales Handeln (z.B. Korruption, Insiderhandel) oder allgemeine Gefahren an ihren Arbeitsplätzen erfahren und an die Öffentlichkeit bringen.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2009