ak - analyse & kritik - Ausgabe 546, 22.01.2010
Jenseits von Brutto und Netto
Mit Organizing aus der Krise?
Arme Gewerkschaften - was ist nur aus ihnen geworden? Es gab Zeiten, da waren sie echte Schwergewichte in der politischen Landschaft. Regierungen mussten sich mit ihnen arrangieren, Unternehmen auf ihre Forderungen eingehen. Und heute? Tarifbindung, Reallöhne, Mitglieder - alles läuft rückwärts statt vorwärts! Während die FDP für ihre Klientel munter mehr Netto vom Brutto verlangt und bereits verteilt, wären die Gewerkschaften schon froh, wenn es zur Abwechselung überhaupt mal etwas Brutto gäbe.
Doch in der Krisen-Tarifrunde 2010 ist nicht viel zu erwarten. Die IG Metall hat in ihrer großen Mitgliederbefragung ermittelt, dass Arbeitsplatzsicherheit oberste Priorität genießt; mehr Lohn ist demgegenüber zweitrangig. Verhandeln wird die Gewerkschaft diese "Forderung" ab Frühjahr in der Metall- und Elektroindustrie. Auch das Auftreten von ver.di ist bestenfalls verschämt zu nennen. Ihre mehr als berechtigte Fünf-Prozent-Forderung für den öffentlichen Dienst bringt die Dienstleistungsgewerkschaft ohne notwendige Verve und zu defensiv vor. Und sie muss sich nicht wundern, dass die kommunalen Arbeitgeber sie entsprechend als "maßlos" zerpflücken.
Bei der Lohnentwicklung ist Deutschland inzwischen Schlusslicht in Europa. Anders als in allen anderen europäischen Ländern gingen in Deutschland die Reallöhne zurück. Sollte man also die Entwicklung der Arbeitseinkommen der letzten Jahre mit einem Tanzschritt darstellen, käme wohl nur der Moonwalk in Frage. Das ist nicht zuletzt ein Ergebnis der neoliberalen Reformen unter Rot-Grün. Und der zahmen Politik der Gewerkschaften.
Im vergangenen Jahrzehnt wurde "die Klasse" gründlich neu zusammengesetzt, die alte soziale Basis der Gewerkschaften ist verschwunden. Unbefristet und Vollzeit, männlich und deutsch war gestern - Teilzeit, weiblich und migrantisch, mini, selbstständig und prekär ist heute. Für die Gewerkschaften wird es immer schwerer, diese Menschen zu organisieren - und zum Teil hat man in den Gewerkschaftsapparaten noch nicht einmal verstanden, dass der ausschließliche Fokus auf den männlichen deutschen Facharbeiter aufgegeben werden muss.
Die Folgen davon kann man an den Mitgliederzahlen ablesen: Nur noch rund 6,3 Millionen Mitglieder zählen die DGB-Organisationen. Vor zehn Jahren waren es noch acht Millionen. Kurzum: Die Gewerkschaften haben den Anschluss verloren. Sie sprechen nicht fürs Preka- und Proletariat von heute.
Sollen sie auch nicht! Das meinen zumindest jene, die seit einigen Jahren auf die Mobilisierung der betrieblichen Basis setzen. Sie fordern die Abkehr von den alten Verhandlungs- und Vertretungsroutinen. Erst einmal zuhören und dann dafür sorgen, dass sich die Beschäftigten selber helfen und für ihre Interessen einsetzen, empfehlen sie. Unter dem Schlagwort "Organizing" wird die Orientierung an den Interessen der (potenziellen) Mitglieder mittlerweile in der IG BAU, der IG Metall und bei ver.di erprobt. Von ersten Resultaten dieses Ansatzes berichten wir auf den Themen-Seiten 13-16 der Printausgabe.
ak 546 vom 22.1.2010
Inhaltsverzeichnis der Print-Ausgabe:
aktuell | |
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- | Jenseits von Brutto und Netto. Mit Organizing aus der Krise? |
- | Life in Limbo? Nach der Krise hängt die Welt in der Schwebe |
- | Die Saat für eine Klimagerechtigkeitsbewegung. Über unerfüllte Erwartungen, neue Hoffungen und die Frage nach Erfolgen |
- | Das war der Gipfel. Interview mit Tadzio Müller zu Repression und Strategien nach Kopenhagen |
- | Bestenfalls ein erster Schritt. Sechs Schlaglichter zu den Gipfelprotesten in Kopenhagen |
- | Der Gipfel des Scheiterns. Zaghafte Schritte einer dringend notwendigen Klimabewegung |
antimilitarismus
- Gegen die unteren Milliarden. Think Tanks planen die EU-Militärpolitik der Zukunft
antifa | |
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- | Nationales aus Neukölln. Neonazis machen im alten Westberlin mobil |
- | Entschlossen entgegentreten - gemeinsam blockieren! Interview zum Stand der Mobilisierung gegen den Naziaufmarsch in Dresden |
gender | |
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- | Feminismus ist passé? We don't think so! Seit einem Jahr präsentiert Missy Magzine nicht nur Popkultur für Frauen |
geschichte | |
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- | Tabuisiert und diffamiert. Sex-Zwangsarbeit in Häftlingsbordellen der NS-Konzentrationslager |
- | Spiel auf Zeit. Überlebende kämpfen immer noch für eine Ghetto-Rente |
internationales | |
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- | Israel blockiert den Wiederaufbau. Der Gaza-Streifen ein Jahr nach der Operation "Gegossenes Blei" |
- | Ich erwarte keine Gerechtigkeit. Interview zum Prozess gegen die baskische Tageszeitung Egunkaria |
- | Hoffnung in Kabul. Interview mit dem Theatermacher Hjalmar Jorge Joffre-Eichhorn |
- | Von der Stadtguerrilla zum Präsidenten. Der Tupamaro José "Pepe" Mujica wird Uruguay regieren |
- | Brief an Sebastian Piñera. Von Pedro Lemebel |
innenpolitik | |
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- | Der Druck ist immens. "Linke Gewalt" und Justiz. Interview mit zwei Berliner RechtsanwältInnen |
- | Feindbild Nr. 1 wiederbelebt. Polizei, Verfassungsschutz und Medien im Kampf gegen "Linksextremismus" |
- | Klassengewitter. Nachrichten für Drinnen und Draußen |
- | Die wilden Achtziger. Zum 30. Geburtstag der Grünen - ein Blick zurück in die Anfangsjahre |
kultur | |
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- | Kleines Einerseits, großes Aber. Eine Kunstaktion gegen den Geschichtsrelativismus in Wien |
- | Zuerst die Politik. Siebenundzwanzig Thesen für eine andere Krisenanalyse |
linke | |
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- | Zehn Jahre attac. Bilanz und Ausblicke aus vier Perspektiven |
- | Schon vorbei. Über historische Merkwürdigkeiten und wunderliche politische Wandlungen |
- | Kein toter Hund. Michael Schwandt plädiert für eine breite Rezeption der kritischen Theorie |
- | Pluralismus ertragen. Die Linkspartei zwischen den eigenen Stühlen |
- | Islamfeindlichkeit von links. Was die Aktion 3. Welt Saar unter "Multikulti" versteht |
das thema | |
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- | Schmetterlinge und Leuchttürme. Fragen ans gewerkschaftliche Organizing |
- | Jetzt helfen wir uns selbst! Organizing stellt auch das Selbstverständnis der Gewerkschaften in Frage |
- | Wir sind eine Kampforganisation, kein Serviceverein! Die österreichische Gewerkschaft Bau-Holz nutzt Organizing zur Selbstveränderung |
- | Vom Hype zum Hilfsmittel. Die Welt der gewerkschaftlichen Kampagnen |
umwelt | |
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- | Zur Wiederverzauberung der Linken durch die Natur. Das schwierige Verhältnis des ökologischen Diskurses zur Kapitalismuskritik |
wirtschaft & soziales | |
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- | Hey Boss, ich brauch mehr Geld. Die ersten Tarifrunden in der Krise laufen an |
- | Haarrisse im Putz. Nachrichten aus der Welt der bezahlten und nicht bezahlten Arbeit |
- | Papierlos heißt nicht rechtlos. Studie des Diakonischen Werks Hamburg zur Lebenssituation von Menschen ohne Papiere |
ohne rubrik | |
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- | Aktiv werden gegen NATO-Kriegspolitik! Kommt am 5./6. Februar nach München |
- | Editorial |
- | Aufgeblättert |
- | Kalender |
- | 15.000 ist nicht genug. Muss 20.000! |
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Quelle:
ak - analyse & kritik, Ausgabe 546, 22.01.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2010