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ANALYSE & KRITIK/437: Revolte mit begrenzter Reichweite


ak - analyse & kritik - Ausgabe 559, 18.03.2011

Revolte mit begrenzter Reichweite
Warum einige arabische Regime stabiler sind als andere

Von Ismail Küpeli


In Nordafrika überschlagen sich weiterhin die Ereignisse. Nachdem in Tunesien und Ägypten zwei langjährige autoritäre Herrscher von der Macht vertrieben wurden, ist derzeit noch unklar, ob in Libyen das gegenwärtige Regime den Aufstand niederschlagen kann. Ebenso schwer absehbar sind die weiteren Entwicklungen in zahlreichen anderen arabischen Ländern - so etwa Algerien, Jemen und Bahrain. Insofern sind eindeutige Analysen schwierig, von genauen Prognosen ganz zu schweigen. Allerdings lassen sich polit-ökonomische Zusammenhänge ausmachen, die erklären können, welche Grenzen die gegenwärtigen Revolten haben und warum in manchen arabischen Ländern größere Proteste bis jetzt ausgeblieben sind.

Während der "klassische" Staat sich über die Besteuerung der StaatsbürgerInnen finanziert, ist dies in Staaten wie Ägypten, Syrien und Saudi-Arabien weniger der Fall. Diese Staaten werden auch "Renten-" oder "Rentierstaaten" genannt: Sie finanzieren sich zum Teil durch Einnahmen aus dem Erdölsektor (z.B. Saudi-Arabien), durch Zahlungen von anderen Staaten (z.B. erhält Ägypten Zahlungen von den USA) oder durch eine Kombination von Erdöleinnahmen und internationalen Zahlungen (z.B. Syrien).

Welche Folgen hat jedoch die Herkunft der Staatseinnahmen? Erstens steht der Rentierstaat durch den weitgehenden Verzicht auf die Besteuerung der Staatsbürger weniger unter dem Druck, sich zu legitimieren. Statt der bürgerlichen Parole "no representation without taxation" gilt dann "no taxation, no representation". Der Staat kann Transferleistungen gezielt einsetzen, um gesellschaftliche Gruppen zu politisch opportunem Verhalten zu bewegen. So wird politische Loyalität (oder zumindest der Verzicht auf offene Opposition) belohnt, indem etwa Subventionen gewährt oder Jobs in der staatlichen Bürokratie geschaffen werden.

Solange die externen Zahlungen nicht sinken oder gar wegfallen, ist ein solches System recht stabil. Dies erklärt die lange Dauer autoritärer Regime in den arabischen Staaten - und warum viele Beobachter jetzt so überrascht waren.


Politische Loyalität wird mit Geld und Jobs belohnt

Das Ausbleiben größerer Veränderungen in vielen arabischen Ländern wurde mit dem Hinweis auf den Rentierstaat erklärt. Die Stabilität solcher Regime schien sicher zu sein. Ist dieser Ansatz durch die Revolten in Nordafrika widerlegt? Möglicherweise nicht völlig, denn es gibt nach wie vor Staaten, die recht stabil geblieben sind.

Während in Ägypten Mubarak von der Macht vertrieben wurde, ist in Syrien von größeren Protestbewegung wenig zu spüren. Beide Staaten finanzieren sich über Renten, jedoch aus unterschiedlichen Quellen und in unterschiedlicher Höhe. Dies wiederum hat Folgen für die politische Stabilität.

Ägypten erhält zwar politische Renten aus dem Westen und hat Zugang zu Erdöleinnahmen im begrenzten Umfang. Allerdings reichen diese Renten nicht einmal dazu, die staatlichen Repressionsorgane gänzlich zu finanzieren. Deswegen musste der ägyptische Staat stärker auf Steuereinnahmen von der eigenen Bevölkerung zurückgreifen. Ebenso war Ägypten wesentlich stärker in das kapitalistischen Weltsystem integriert und damit auch verwundbarer gegenüber den globalen Krisen. So konnte das Regime in Kairo kaum auf die Explosion der Lebensmittelpreise 2007/2008 reagieren. Die globale Wirtschaftskrise 2008 führte zu sinkenden Auslandsinvestitionen und schmälerte so die ökonomische Basis des Regimes weiter. Es konnte unter Mubarak die Nahrungsmittelsubventionen nicht so weit erhöhen, wie die Lebensmittelpreise stiegen. Dadurch verschlechterte sich die Versorgung der Bevölkerung.


Regime mit nennenswerten Renten überleben eher

Theoretisch hätte das Regime versuchen können, sich durch eine begrenzte politische Öffnung die Legitimation zurückzuholen. Allerdings wurde diese Karte schon bei den Parlamentswahlen 2006 ausgespielt, bei der die Muslimbruderschaft trotz Wahlfälschungen 20% der Sitze erhielt. Jede weitere Öffnung hätte die Hegemonie des Regimes dauerhaft untergraben können. Dies führte dazu, dass die Parlamentswahlen im November 2010 so massiv gefälscht wurden, dass die Muslimbruderschaft nur noch einen einzigen Sitz erhielt. Das Regime unter Mubarak konnte sich so weder durch staatliche Transferleistungen an die Bevölkerung noch durch politische Freiheiten legitimieren. Auch wenn noch nicht eindeutig feststeht, welche Faktoren Mubarak Anfang 2011 endgültig ins Wanken brachten - die polit-ökonomischen Grundlagen des Regimes waren unterminiert.

Die Lage in Syrien dagegen sieht deutlich anders aus. Die Einnahmen aus dem Erdölsektor tragen etwa 40 bis 50% des Staatshaushaltes. Weitere 10% des Staatsbudgets stammen von politischen Rentenzahlungen aus Saudi-Arabien. Gestützt auf die finanziellen Ressourcen kann das syrische Regime sowohl weiterhin die staatlichen Repressionsorgane finanzieren, als auch soziale Wohlfahrt für die eigene Bevölkerung bereitstellen. So werden weiterhin Lebensmittel subventioniert und auf umfassendere Privatisierungen und Entlassungen im staatlichen Sektor kann verzichtet werden. Zusätzlich kann sich Syrien, im Gegensatz zu Ägypten, glaubwürdiger als Verteidigerin der palästinensischen Sache darstellen, und erhält so weitere Legitimation.

Aus diesen Überlegungen lassen sich einige Besonderheiten und Grenzen der gegenwärtigen Revolten ableiten. Erstens ist zu erwarten, dass die Regime überleben werden, die über nennenswerte Renten verfügen. Neben Syrien trifft dies für Saudi Arabien und die meisten Golfstaaten zu. Zweitens führt die Dominanz des Staates über die Gesellschaft, einschließlich der einheimischen "privaten" Unternehmer, dazu, dass soziale Kämpfe schnell einen politischen Charakter erhalten. Drittens sind rentierstaatliche Strukturen sehr langlebig und anpassungsfähig. So wird auch die nächste Regierung in Kairo auf Zahlungen aus dem Westen angewiesen bleiben, um die hochgerüsteten und aufgeblähten Repressionsorgane zu finanzieren - mit der Folge, dass die bisherige US-freundliche Außenpolitik fortgeführt werden muss. Viertens scheint es für die Regime ratsamer zu sein, auf eine allzu aggressive neoliberale Politik zu verzichten.


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Quelle:
ak - analyse & kritik, Ausgabe 559, 18.03.2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. März 2011