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ARBEITERSTIMME/190: Die Krise - und was zu tun ist


Arbeiterstimme Nr. 163 - Frühjahr 2009
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Die Krise - und was zu tun ist


Die Dimensionen der Wirtschaftskrise nehmen immer größere Ausmaße an. Was als Immobilien- und Finanzkrise begann, hat nun auf die reale Produktion durch geschlagen. In gegenseitiger Wechselwirkung heizt die Annullierung fiktiven Kapitals im Finanzwesen die Entwertung von realem Kapital, d. h. von Produktionsmitteln, in großem Umfang an.


Die Vertreter der neoliberalen Ideologie haben sich nicht nur bis auf die Knochen blamiert, das wäre zu ertragen und ihnen zu gönnen, sondern die von ihnen durchgesetzte Deregulierung in Verbindung mit Globalisierung im neoliberalen Sinn, die Aufhebung der Kontrollrechte des Staates bei ihren Spekulationen und Verschleierungen von Geldbewegungen, erweist sich als Treibmittel für die immer weitergehende Verschärfung der Krise und die Verunsicherung an den Finanzmärkten. Neoliberale Methoden, vor allem die Umverteilung von unten nach oben, allerdings sind geblieben. Globalisierung und Deregulierung, das freie Spiel der Märkte, hat nicht etwa Wohlstand für alle gebracht, wie diese Wirtschafts"weisen" versprachen, sie führt für die Lohnabhängigen zu Arbeitslosigkeit, Lohnkürzungen, Gefährdung der Renten, in vielen Fällen zur Entwertung von Ersparnissen und auf jeden Fall zur Staatsverschuldung, deren Zinsen und Tilgungen überwiegend von den Steuern der Lohnarbeiter zu zahlen sein werden.

Auf ihrer Sitzung am 22. Februar 2009 in Berlin haben die wichtigsten Regierungschefs der EU zwar vereinbart, daß die Finanzwirtschaft stärker überwacht werden müsse, doch das sind unverbindliche Absichtserklärungen, solange keine Einigung innerhalb der EU - vor allem aber mit den wichtigen Nationen USA, China, Rußland u. a. - hergestellt werden kann. Es ist unwahrscheinlich, daß die Macht des Finanzkapitals - so sehr dessen Ansehen z. Zt. auch gesunken ist - so einfach durch Regierungsbeschlüsse eingedämmt werden kann, selbst wenn der Wille dazu vorhanden sein sollte.


Entwicklung des Finanzkapitals

Die Verluste bei Hypothekenkrediten haben auf alle wichtigen Formen des Kredits übergegriffen. Die Rahmen der Kreditkarten vor allem in den USA sind in vielen Fällen weit überzogen. Generell gelten Konsumentenkredite für z. B. Autokauf, Studiendarlehen usw. als unsicher. (vgl. Grafik 1) Kurzfristige Kredite (commercial papers) für das produktive Kapital die bis vor ca. einem halben Jahr meist problemlos und für geringe Zinsen erhältlich waren, werden nur noch an "erste Adressen", d. h. die wenigen kreditwürdigen Firmen, vergeben. Das sind Wechselwirkungen der Überproduktionskrise des produktiven Kapitals, vorwiegend noch der Konsumguterindustrie auf das Kreditwesen. Dafür lagern die Finanzinstitute das Geld lieber zinslos bzw. zu den billigen Zentralbankzinsen bei der Europäischen Zentralbank, der Bank of England oder der US-Fed bzw. dem US-Schatzamt. Es handelt sich nach glaubwürdigen Schätzungen um dreistellige Milliardenbeträge. Dort bringt es zwar kaum Profit, doch es ist wenigstens sicher.


Abdankung der Staaten als Finanzaufsicht

Der "Vertrauensverlust" der Banken untereinander ist kein psychologisches Problem oder eine Mode. Die Banken haben berechtigten Grund zu Mißtrauen. Weil die "Wirtschaft" durch staatliche Gesetze und Vorschriften (z. B. Bilanzrichtlinien) doch nur eingeengt und behindert würde, so die neoliberale Doktrin, schafften alle wichtigen Industrieländer (Frankreich noch am wenigsten) im Namen der Deregulierung und der Selbstheilungskräfte des Marktes diese Vorschriften weitgehend ab.

Die Folge: Die Bilanzen und Buchungsunterlagen der Finanzinstitute geben nur noch unvollkommen die tatsächlichen Vermögensverhältnisse und vor allem die Risiken wider. "Zweckgesellschaften" (poetisch "Schattenbanken" genannt), meist in "Offshore-Finanzplätzen", erscheinen nicht mehr in den Bilanzen der Banken, die sie gegründet hatten; ihre Verluste und Schulden müssen aber von diesen bezahlt werden. Da es sich dabei häufig um mehrstellige Milliardenbeträge (z. B. IKB, Hypo-Real-Estate u. a.) handelt, geraten auch die "Mutterinstitute" in Zahlungsschwierigkeiten. Die Masse der "toxischen" (giftigen) Papiere in ihren Bilanzen geraten durch die Übernahme von den Zweckgesellschaften unverhofft und für Außenstehende unvorhersehbar in noch höhere Größenordnungen. Deshalb werden auch Tagesgelder innerhalb des Bankensystems nicht mehr gewährt. Der Zahlungsverkehr zwischen Banken, Unternehmen und auch Privatleuten wird dadurch gefährdet.

Der Anreiz für die Ausgliederung riskanter Geldanlagen war groß. Wer Gewinnraten von 20 oder 25 % des eingesetzten Eigenkapitals für normal hielt (wie u. a. Herr Ackermann), der mußte Fremdkapital aufnehmen (Schulden machen) um z. B. mit geringem Eigenkapital- und hohem Fremdkapitaleinsatz "Wert"papiere zu kaufen oder andere Firmen zu übernehmen, auszuschlachten und dann zu verkaufen oder in Insolvenz gehen zu lassen (Investment Banking). Solche "Renditen" verleiteten auch Pensionsfonds, Kleinanleger aber auch Banken dazu, derartigen "Investoren" Geld zu leihen.


Geldmengen

Die Zentralbanken haben gewaltige Mengen von Geld in die Wirtschaft gepumpt. Die Staaten machen es ihnen nun mit den Konjunkturpaketen nach. Dabei handelt es sich nur um Geldzeichen, denen kein Wert, d. h. durch gesellschaftliche Arbeit produzierte Waren aller Art, gegenübersteht.

Die Goldwährung mit Banknoteneinlösungspflicht ist seit 1914 abgeschafft. Das Abkommen von Bretton Woods, das den Dollar als internationale Leitwährung festschrieb, aber auch eine zumindest teilweise Deckung zusätzlicher Dollars durch Gold (Wert) vorsah und damit Geldvermehrung in Grenzen hielt, wurde 1971 gekündigt. Damit gab es keine Dämme mehr gegen potentiell uferlose Geldvermehrung. Wenn Staaten in Verbindung mit ihren Zentralbanken heute Geld in die Märkte werfen, handelt es sich um reine Geldzeichen, die tendenziell inflationär wirken, weil das Verhältnis von Geld als Anspruch auf eine gleichwertige Menge an Waren zugunsten der Geldzeichen verschoben wird. Falls man makro-ökonomisch überhaupt noch von Geld als allgemeinem Äquivalent (Gleichwertigem) sprechen will, stehen immer mehr Geldzeichen immer weniger Gütern gegenüber. Noch besteht in den meisten Nationalstaaten, vor allem in den Industrieländern, genug Vertrauen in die jeweiligen Währungen, daß diese als allgemeines Äquivalent im normalen Zahlungsverkehr angenommen werden. Doch wie lange das noch anhalten wird, ist ungewiß.

Die Masse an neu in die Finanzwirtschaft gepreßten Geldzeichen macht das Entstehen neuer "Blasen" wahrscheinlich. Kreditkarten stehen jetzt schon im Verdacht unseriöser Kreditaufnahmen vor allem in den USA, wo Kreditkarten in noch weit stärkerem Maße als z. B. in Deutschland als Zahlungsmittel genutzt werden.


Geldmangel?

Es ist immer noch ein Überschuß an anlagesuchendem Geldkapital am Markt. Nur fehlt es an sicheren, d. h. als sicher und profitabel angesehenen, Anlagemöglichkeiten. Wo solche gesehen werden, gibt es auch Kredite. So hat der Siemens Konzern Anfang Februar 2009 eine langfristige Anleihe von immerhin 4 Mrd. Euro in 2 Tranchen problemlos an den Börsen absetzen können, obwohl die Zinsen für die erste Tranche nur wenig über 4 % liegen. Das Angebot soll sogar mehrfach überzeichnet gewesen sein.

Auch in den Ölländern wie etwa Saudi-Arabien, Libyen, Kuwait u. a. gibt es noch große Mengen Geldkapital. Die Gold- und Devisenreserven Chinas sind immer noch gewaltig. Nach den spektakulären Schieflagen wichtiger Banken, Hedge-Fonds und anderer "Investoren" trauen diese Besitzer von Geldkapital den üblichen Anlageformen (mit o. g. Ausnahmen) und deren Besitzern aber nicht mehr über den Weg (mit gutem Grund). Das beeinflußt auch den Reproduktionsprozeß des realen Kapitals.


Einbruch der Finanzkrise in die reale Produktion

"... bildet sich mit der kapitalistischen Produktion eine ganz neue Macht, das Kreditwesen, das in seinen Anfängen verstohlen, als bescheidne Beihilfe der Akkumulation sich einschleicht, durch unsichtbare Fäden die über die Oberfläche der Gesellschaft in größern oder kleinern Massen zersplitterten Geldmittel in die Hände individueller oder assoziierter Kapitalisten zieht, aber bald eine neue und furchtbare Waffe im Konkurrenzkampf wird und sich schließlich in einen ungeheuren sozialen Mechanismus zur Zentralisation der Kapitale verwandelt." (Marx, Kapital Bd. 1, Kap. 23)

Natürlich gab es Ansätze einer Überproduktionskrise schon vor dem Ausbruch der Immobilienkrise. Ich befasse mich im folgenden vor allem mit der Autoindustrie, einmal weil sie (einschließlich Zulieferern) den größten Markt an langlebigen Konsumgütern bedient; zum andern weil der Produktionsausbau dort am schnellsten vor sich ging.

Die großen Konzerne erwarben mit Hilfe von Kredit ihre kleineren Konkurrenten (Saab, Jaguar, Volvo, Vauxhall, Bentley, Dacia u. a.). Der Überakkumulation wurde dadurch Vorschub geleistet. Um der Konkurrenz Marktanteile abzujagen, wurden immer neue Modelle aufgelegt und die Kapazitäten ausgeweitet. Vor allem in der Produktion von PKW zeigten sich Absatzprobleme, zunächst vor allem da, wo die Industrie weiterhin große, luxuriöse und spritfressende Autos herstellte und technische Entwicklungen wie Hybridtechnik, Elektro- und Wasserstoffmotor zu wenig berücksichtigte.

Die Lücke zwischen Produktionsmöglichkeiten und Absatz wurde zunächst überbrückt. Auf Seiten des Kapitals durch Anleihen; auf Seiten der Käufer durch Konsumentenkredite, häufig "abgesichert" durch Hypotheken oder Kreditkarten. Die Unterkonsumtion wurde durch den Rückgang bzw. die Stagnation der Reallöhne angeschoben. In Deutschland gab es trotz des "Aufschwungs" einen - wenn auch geringen - Rückgang des Reallohns in den letzten Jahren. In anderen Industrieländern gab es zwar keinen Rückgang, doch nur so geringe Zunahmen, daß die Massenkaufkraft hinter dem Aufbau zusätzlicher Kapazitäten zurückblieb.

Die Lücke zwischen Überproduktion und realer Massenkaufkraft wurde vor allem in den USA, Großbritannien und Spanien durch leicht und ohne tatsächliche Sicherheiten erhältliche Konsumentenkredite zunächst überspielt. Mit dem Ausbruch der Immobilienkrise (siehe Anti Nr. 157, Herbst 2007, "Globalisierte Grundstückskrise") war es damit vorbei. Der Absatz, der ohnehin hinter den Kapazitäten der Autoindustrie zurücklag, brach noch weiter ein (siehe Grafik 2). Natürlich gab und gibt es Unterschiede innerhalb der Autobranche. Die Hersteller von Kleinwagen scheinen bis jetzt weniger betroffen.

Mit dem Übergreifen der Finanzkrise auf die Realwirtschaft mit den USA als Vorreiter verschärfte sich der Rückgang der Massenkaufkraft noch zusätzlich durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit bzw. Lohnabbau u. a. durch Kurzarbeit. Die anderen Industrieländer zogen und ziehen schnell nach.

In Deutschland hält sich die Konsumschwäche und der Anstieg der offiziellen Arbeitslosigkeit zwar - noch - in Grenzen. Im Februar 2009 war nach offizieller Statistik noch kein Rückgang des Konsums festzustellen. Wenn u. a. Arbeitslosigkeit für weitere Abnahme des real verfügbaren Einkommens sorgt, wird sich das ändern (Grafik 3). Bei dem bis jetzt geringen Anstieg der Arbeitslosigkeit ist zu beachten, daß das daran liegt, daß Leiharbeiter und befristet Beschäftigte als Puffer genutzt wurden und als erste "freigestellt" wurden. Schön für die Statistik. Das ändert aber nichts am Rückgang der Masseneinkommen und damit längerfristig der Massennachfrage nach Konsumgütern.

Der Mechanismus zur Zentralisierung der Kapitale (s. o.) hat seinen Dienst getan. Doch jetzt schlägt die reale Krise auf die Kreditwirtschaft zurück. Bisher als "erstklassig" geltende Kredite z. B. an General Motors wurden unsicher. Die Masse der "toxischen" Papiere in den Büchern von Banken, Hedge-Fonds und anderen Finanzinstituten nimmt rapide zu. Es geht längst nicht mehr "nur" um Derivate von Hypothekenkrediten. Das verstärkt die Notlage von Kreditinstituten und die Unsicherheiten im Finanzsektor.

Die Rating-Agenturen spielen weiter ihre Rolle als höchst unzuverlässige Gutachter für die Bonität von Krediten. Sie wirken als Verstärker - früher in die Richtung guter Beurteilung und damit als Anregung zur Vergabe von Kredit - jetzt umgekehrt.

Selbstverständlich können die Entwicklungen in Industrie und Finanzwirtschaft nur in globalen Zusammenhängen gesehen werden. Das macht das Eingreifen nationaler Regierungen, das ja nur im Rahmen der Nationalstaaten erfolgen kann, zusätzlich fragwürdig.

Die Entwicklung in der Realwirtschaft nähert sich immer mehr der klassischen Überproduktionskrise. Geringe Nachfrage relativ zu den Kapazitäten der Konsumgüterindustrie (Abteilung 2 des Kapitals nach Marx) bringt die Nachfrage nach Produktionsmitteln weitgehend zum Erliegen. Die Maschinen- und Ausrüstungsindustrie (Abteilung 1 des Kapitals) findet keine Abnehmer mehr. Welches Unternehmen mit Absatzschwierigkeiten z. B. in der PKW-Produktion wird noch zusätzliche Maschinen u. a. kaufen, wenn es die vorhandenen schon nicht ausnutzen kann?

Auch die Stahlproduktion geht zurück, wenn weniger Auto-Karosserien gebraucht werden. Die Abnahme der Handelsvolumina lastet die Containerschiffe weniger aus. Also nehmen auch die Aufträge an Werften ab. Die Rezession pflanzt sich entlang der Wertschöpfungskette durch die Realwirtschaft fort.

Für Deutschland, dessen Stellung als "Exportweltmeister" neben Autos zum guten Teil auf der Fertigung und dem Export von qualitativ hochwertigen Werkzeugmaschinen beruhte, wirkt sich das in besonderem Maße aus. Wichtige Abnehmerländer (China, Osteuropa) stornieren in großem Umfang ihre Bestellungen, weil die Konsumgüterindustrie dieser Länder Umsatzeinbrüche erleidet und daher auch nicht an Erweiterungsinvestitionen interessiert ist. Für Osteuropa kommt hinzu, daß deren Industrialisierung zum überwiegenden Teil mit Krediten westlicher Banken und Fonds finanziert war. Diese Kredite sind versiegt. Sie werden sogar massiv zurückgefordert, was von den osteuropäischen Kapitalen nur teilweise geleistet werden kann. Damit erhöht sich die Masse unsicherer Kredite. Diese tragen wiederum zur Verschärfung der Finanzkrise bei.

Bei einigen Ländern Osteuropas (Ungarn, Lettland), die besonders mit den zweifelhaften Segnungen üppig fließender Kredite westlicher Banken bedacht wurden, wächst die Tendenz zum Staatsbankrott. Das würde bedeuten, daß diese Länder keine Staatsanleihen mehr bekommen und gezwungen sein könnten, ihre Schulden ganz oder teilweise zu annullieren.

Früher waren Krisen zumindest schwerpunktmäßig auf bestimmte Regionen konzentriert (z. B. Mexiko-, Ostasien-, Südamerika-Krise). Andere Regionen wurden weniger betroffen, konnten Kredite geben oder Waren der Krisenregionen kaufen. Dem hat die "Globalisierung" ein Ende gemacht. Die gegenwärtige Krise hat alle Regionen entwickelter und unentwickelter Länder erfaßt. Auch die "unentwickelten", auf Rohstoffausfuhren angewiesenen Länder werden in den Strudel hineingezogen, weil durch die Rezession in den industrialisierten Ländern die Nachfrage nach Rohstoffen zurückgeht und die Preise deshalb sinken.


Der Staat als Retter?

Die Insolvenz (Zahlungsunfähigkeit), wichtiger Banken wird als Zusammenbruch des gesamten Kreditwesens und des Zahlungsverkehrs gesehen. Kredit wird auch als unentbehrlich für die erweiterte Reproduktion des Kapitals betrachtet. Die Staaten versuchen deshalb, überschuldete Kreditinstitute durch Bürgschaften und/oder Zufuhr von Geldkapital auf Kreditbasis oder Kapitalbeteiligung zu retten. Die USA waren auch hier Vorreiter - aber sehr inkonsequente. Die großen Immobilien-Finanzierer Fannie-Mae und Freddy-Mac wurden gestützt und gleichzeitig unter staatliche Verwaltung gestellt. Andere Geldkapitale gingen in Insolvenz. Nicht allein die Großbank Lehman-Brothers, die große Sparkasse Washington Mutual sondern hunderte kleiner Banken und Sparkassen (Save and Loan) gingen pleite. Diese inkonsequente Politik, deren rationale Grundlage (?) niemand verstand, trug nicht gerade zur Vertrauensbildung auf dem Finanzmarkt bei.

In Großbritannien übernimmt der Staat Teile des Aktienkapitals von Banken (z. B. Royal Bank of Scotland u. a.). In Deutschland wird diese Möglichkeit erwogen, doch scheut die Bundesregierung im besonders krassen Fall der Hypo Real Estate (HRE) bisher davor zurück. Ein Großinvestor, die Flowers-Gruppe, pokert bei HRE um die Übernahmepreise.

Eine Diskussion in den Medien um das schlimme Wort Enteignung ist entbrannt. Das sind aber nur ideologische Manöver. Die Bundesregierung will und kann laut Grundgesetz gar nicht enteignen. Falls dringendes gesellschaftliches Interesse vorliegt, muß der Staat "angemessene" Entschädigung leisten. Der Staat enteignet also nicht; er kauft den Banken, Fabrikanten oder Grundbesitzern Vermögensteile ab. Wenn Politiker der Konservativen oder Liberalen polemisch den Sozialismus an die Wand malen, dann ist das Ignoranz und/oder Propaganda.

Schwer begreiflich ist die ständige Zunahme riskanter Positionen bei den Finanzinstituten. So haben gerade (aber nicht nur) bei HRE die Notwendigkeiten für Bürgschaften und Zahlung von Krediten durch den Staat immer mehr bis auf jetzt (Ende Februar 2009) 102 Mrd. Euro zugenommen. Das kann teilweise dadurch erklärt werden, daß bisher als sicher geltende Kredite durch Überschuldung oder Insolvenz der Kreditnehmer unsicher werden, aber das reicht in dieser Höhe nicht als Entschuldigung aus. Bewußt falsche Angaben der "Bankster" werden zwar sicher eine Rolle gespielt haben. Doch die Risikorechnung derartiger Banken scheint tatsächlich aus dem Ruder gelaufen zu sein. Die Deregulierung, d. h. hier die Aufweichung der Bilanzrichtlinien täuscht die Täuscher selbst.

Viel diskutiert wird auch die Gründung einer oder mehrerer "Bad Banks". Darunter versteht man Banken, d. h. den Staat als zumindest überwiegenden Kapitalgeber, die den Banken, Fonds usw. ihre unsicheren "toxischen" Papiere bzw. Forderungen zum Bilanzwert abkaufen. Es geht also nicht um Abnehmen oder Übernehmen, Entlasten, wie häufig beschönigend in den Medien gesagt wird; es geht darum, daß der Bad-Bank-Gründer zu weit überhöhten Preisen "Wert"papiere aus Spekulationsverlusten der Banken kauft. Diese können nun "saubere" Bilanzen vorweisen und wollen damit sichere und gute Geschäfte machen - selbstverständlich auf Kosten der Bad Bank, also des Staates, d. h. der Steuerzahler und das sind weit überwiegend die Lohnabhängigen. Die Beschäftigten der Bad Bank können nun versuchen, aus den eingekauften schlechten Schuldverschreibungen u. a. noch reales Geldkapital herauszufinden und einzufordern. Ein Bruchteil des vom Staat bezahlten Geldkapitals mag da noch zu erlösen sein. Der weit überwiegende Teil wird vom Staat abgeschrieben.

Bad Banks sind also Rettungsanker für die Spekulationsverluste der Finanzkapitalisten auf Kosten der Staatsschuld und damit vor allem zu Lasten der Arbeiterklasse.


Konjunkturprogramme in Deutschland

Zur Stützung der Massennachfrage werden einige, geringfügige Entlastungen für Normal- oder Geringverdiener vorgenommen: Anhebung der Grundfreibeträge und Senkung des Eingangssteuersatzes um 1 % bei der Einkommensteuer, Verringerung des Krankenkassenbeitrags was aber erst später wirksam wird, Einmalzahlungen von 100,- Euro für Geringverdiener und geringe Anhebung des Kinderzuschlags für Hartz IV-Empfänger werden nicht viel ausmachen. Straßenbau und längst notwendige Sanierungen öffentlicher Einrichtungen (z. B. Schulen) geben der Bauindustrie und deren Beschäftigten Arbeit. Ob das Volumen ausreicht und ob die Aufträge schnell erteilt werden, bleibt abzuwarten.

Wirklich bedeutende Entlastungen der Lohnabhängigen, Rentner und Langzeitarbeitslosen wären Senkung der Mehrwertsteuer, Anhebung der Hartz IV-Sätze und der Renten, Einführung von flächendeckenden Mindestlöhnen in Höhe von mindestens 9-10,- Euro/Std. und in erster Linie Lohnerhöhungen.

Davon ist aber nicht die Rede. Die Subventionen für die Finanzwirtschaft machen ein Vielfaches der Entlastungen für die Arbeiterklasse aus (vgl. Grafik 4). Falls sich der Staat zu direkten Subventionen oder Kapitalbeteiligungen bei der Realwirtschaft entschließt, wie es die US-Regierung z. Zt. vormacht, wird sich das Mißverhältnis noch vergrößern. Opel und die Schaeffler-Gruppe sind die Vorreiter beim Einfordern von direkten Geldkapital-Zahlungen des Staates. Die Führung der IGM unterstützt das formal. Falls sich dies ausbreitet und der Staat nachgibt, sind zusätzliche Schulden bis hin zur Überschuldung auch des deutschen Staates abzusehen. Ökologische Gesichtspunkte spielen sowieso nur noch verbal aber nicht wirklich eine Rolle. Bis jetzt scheint die Entscheidung zur Subventionierung von Konzernen noch nicht gefallen zu sein.


Grafik 4

Kleckern ...

"Klassische" Subventionen des Bundes für das Jahr 2008

STEUERVERGÜNSTIGUNGEN (Beispiele)

Eigenheimzulage einschl. Kinderzulage
Absetzbarkeit von Renovierungsaufwand
Steuerbefreiung von Zuschlägen bei Sonntags-,
Feiertags- und Nachtarbeit
 2.8 Mrd. EUR
 0,9 Mrd. EUR

 0,9 Mrd. EUR
FINANZHILFEN (Beispiele)

Steinkohle
Agrarstruktur
Wohnungsbau-Prämien
 1,9 Mrd. EUR
 0,5 Mrd. EUR
 0,4 Mrd. EUR
laut Subventionsbericht der Bundesregierung
21,5 Mrd. EUR

...und_klotzen

Maßnahmen infolge der Finanzkrise

Konjunkturpakete u.a.:
 - Steuersenkung
 - Abwrackprämie
 - Infrastrukturinvestitionen
 - bessere Absetzbarkeit von Krankenkassenbeiträgen   
 61 Mrd. EUR




Bürgschaftsrahmen zur Absicherung von
Unternehmenskrediten
100 Mrd. EUR

Es läuft auf das abgedroschene Sprichwort hinaus: Privatisiert die Gewinne, sozialisiert die Verluste!

Wirkungsvoll scheint überraschend die Abwrackprämie zu sein. Allerdings profitieren davon in erster Linie die Hersteller von Kleinwagen (Peugeot, Mazda usw). Daß es vorwiegend Produkte "ausländischer" Firmen sind, sollte nicht irritieren. In einer globalen Wirtschaft kommen Beschäftigungssicherung in französischen oder koreanischen Fabriken auch deutschen Arbeitern zugute. Außerdem gibt es heute keine rein deutschen, französischen usw. Autos mehr. Jedes hat Komponenten aus anderen Ländern unter der Haube.

Doch die Wirkung der Abwrackprämie ist begrenzt. Sie nützt den "Premium"-Herstellern (Mercedes, Porsche, BMW) nicht viel und ihre Höhe ist gedeckelt. Ein Abbau der Überkapazitäten ist davon nicht zu erwarten.

Es wird also auf die Vernichtung (Entwertung) der Überkapazitäten in großem Umfang hinauslaufen und damit Arbeitsplätze abschaffen. Die anderen Branchen werden in größerem oder geringerem Ausmaß folgen.


Reaktion der Arbeiterklasse

Die Krise bringt nicht automatisch den Zusammenbruch des Kapitalismus wie manche Linke meinen - was wäre auch die Alternative. Den Sozialismus wird sich die Arbeiterklasse erkämpfen müssen. Was ist davon zu sehen?

Es gibt Demonstrationen und Streiks in vielen wichtigen Industrieländern. In Frankreich, Griechenland, Italien nehmen diese auch das quantitative Ausmaß von Massenkämpfen an. Doch die Mobilisierung und die Organisation, die hauptsächlich bei den Gewerkschaften lag, blieben auf reformistischer Ebene. Schwerpunkt war die Verteidigung von Löhnen im weitesten Sinn und Rechten von Lohnarbeitern und ihrer Gewerkschaften. Demonstrationen in den USA bleiben meines Wissens auf moralischer Ebene. Die Manager werden mit Recht beschimpft und das war es dann auch. Daß die Mitgliederentwicklung der IGM wieder positiv ist, freut mich. Klassenbewußtsein muß das nicht unbedingt sein.

Man mag jetzt einwenden, daß aus reformistischen Kämpfen auch unerwartet revolutionäre Auseinandersetzungen werden können. Es gibt Beispiele dafür in der Geschichte - aber wenige.

Von einer politischen marxistischen Organisation mit Masseneinfluß kann ich auch nichts erkennen.

Politische Streiks, wenn man das so nennen will, richteten sich wie in Island gegen Regierungen, denen mit Recht zu große Nachsicht gegen das ungezügelte Spekulieren der Banken vorgeworfen wurde. Doch wenn eine konservative Regierung durch eine sozialdemokratische Ministerpräsidentin ersetzt wird, dann ändert das an der Krise mit all ihren existenzgefährdenden Auswirkungen auf die Arbeiterklasse gar nichts.

In der öffentlichen Meinung Deutschlands wird die Betonung auf zu hohe Gehälter und Boni der Bankmanager gelegt. Doch die paar hundert Millionen oder meinetwegen einige Milliarden (in den USA) haben die Krise nicht verursacht und spielen deshalb kaum eine Rolle. Man muß diese Typen nicht lieben, doch systemkritisch oder gar -sprengend ist die Mißbilligung und Wut auf die "Bankster" auch wieder nicht. Das mag die Meinung vieler Kolleginnen und Kollegen wiedergeben, doch bis zu ernsthafter Kapitalismuskritik ist noch ein weiter Weg.

Die Aufregung über die Exzesse bei Gehältern und Boni von Bankvorständen soll den berechtigten Zorn der Bevölkerung und insbesondere der Lohnabhängigen davon ablenken, daß eigentlich ursächlich das ausbeuterische Kapitalverhältnis ist, das unabwendbar Krisen erzeugt.

In zumindest einigen Fällen sind nicht klassenbewußte sondern nationalistische, also reaktionäre Forderungen Thema von Streiks oder Kundgebungen.

Die Solidarisierung der Beschäftigten der Schaeffler-Gruppe mit ihrer Chefin mag ja berechtigter Sorge um den Arbeitsplatz entspringen, aber fortschrittlich oder gar revolutionär ist das nicht.

Ich bitte, das o. g. nicht als Beschimpfung oder Herabsetzung der Arbeiterklasse zu verstehen. Ich halte diese objektiv noch immer für das potentielle revolutionäre Subjekt. Doch wie auch schon früher von uns festgestellt, ist das Klassenbewußtsein durch die Aufschwungphase bis in die 1970er Jahre, durch den schmählichen, zu großen Teilen selbstverschuldeten Zusammenbruch der realsozialistischen Gesellschaften und den Druck der öffentlichen Meinung verschüttet.

Aber Resignation ist nicht angebracht. Noch immer gilt Luxemburgs Alternative: "Sozialismus oder Barbarei".

Die Krise hat aber immerhin das Vertrauen in das kapitalistische Wirtschaftssystem erschüttert. Es tauchen Fragen auf. Die Kolleginnen und Kollegen sind in einem Maße verunsichert, wie wohl noch nie in der Nachkriegszeit.

Es ist (noch?) nicht an der Zeit, den Sturz des Kapitalismus auszurufen. Aber es ist Zeit für ernsthafte Diskussion und geduldige Überzeugung der Kolleginnen und Kollegen durch die Linken.

Das ist jetzt zu tun.

Stand: 28.2.2009


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 3: Grafik 1: Kreditblase - Sparquote und Verschuldungsquote der Privathaushalte in den USA

Abb. S. 4: Grafik 2: Automarkt - Weltweiter Fahrzeug-Absatz

Abb. S. 5: Grafik 3: Ebbe im Portemonaie - Wie viel Geld es bei Kurzarbeit und bei Arbeitslosigkeit gibt


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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 163, Frühjahr 2009, Seite 1 u. 3 bis 7
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
E-Mail: redaktion@arbeiterstimme.org
Internet: www.arbeiterstimme.org

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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2009