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ARBEITERSTIMME/218: Alternative BR-Listen - die richtige Taktik?


Arbeiterstimme, Sommer 2010, Nr. 168
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
- Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein! -

Alternative BR-Listen - die richtige Taktik?


Die Betriebsratswahlen 2010 sind Ende Mai abgeschlossen worden. Insgesamt verliefen sie für die DGB-Gewerkschaften erfolgreich. So meldet die IG Metall als größte Einzelgewerkschaft, dass nach Auswertung von einem Drittel der Ergebnisse (1,2 Millionen Beschäftigte in 3.765 Betrieben), der Trend klar nach oben zeigt. Die Wahlbeteiligung ist gegenüber dem Jahr 2006 von rund 72 Prozent auf 73,8 Prozent gestiegen und auch die Zahl der gewählten Metaller hat sich um 7,5 Prozent auf 80,7 Prozent der Mandate erhöht. Weiter wird gemeldet, gegnerische Listen hätten verloren, die CGM kommt auf gerade 0,4 Prozent Betriebsratsmitglieder.

Ein Zwischenergebnis also, das zeigt, dass die Politik der Gewerkschaft und der Betriebsräte, die ihr angehören, weitgehend akzeptiert wird. Das ist durchaus beachtlich und nicht selbstverständlich. Gerade die Metall- und Elektroindustrie wird von der Wirtschaftskrise mit am stärksten gebeutelt, mit der Folge, dass bei jenen Beschäftigten, die bislang noch nicht entlassen worden sind, sich die Einkommens- und Arbeitsbedingungen zum Teil beträchtlich verschlechtert haben. An den vielen Vereinbarungen, die in den Betrieben von den Betriebsräten zum angeblichen Erhalt der Arbeitsplätze getroffen wurden, hat oft die IG Metall aktiv, manchmal auch gezwungenermaßen, mitgewirkt. Damit wurden zwar Arbeitsplätze vorerst erhalten, aber immer sind diese "Bündnisse für Arbeit" mit materiellen Einbußen für die Beschäftigten verbunden. Trotzdem kam es bei den Betriebsratswahlen nicht zu einer umfassenden Abstrafung der IG Metall. Das gibt einen tiefen Einblick in die Bewußtseins- und Stimmungslage der abhängig Beschäftigten. Offensichtlich sehen sie im Augenblick keine Alternative zur meist erzwungenen Verzichtspolitik durch das Kapital und sie sehen im Moment auch keine Alternative zum kapitalistischen Chaos. Die Angst vor dem Arbeitplatzverlust dominiert deshalb das Denken und Handeln der Werktätigen. Unterstrichen wird diese Einschätzung auch durch den Fakt, dass seit Beginn der Krise die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften in den Betrieben weitgehend stabil geblieben sind, trotz anderer Behauptungen.


Krisenmanager

In den Führungsetagen der Gewerkschaften ist man der Auffassung, dass auch diese Krise durch eine richtige Regierungspolitik überwunden werden kann. So schreibt Berthold Huber in der Juniausgabe der "metallzeitung": "Jetzt ist entschlossene Politik gefragt". Darunter versteht Huber die Rezepte, die auch von der Sozialdemokratie vertreten werden, wie beispielsweise das konsequente Vorgehen gegen Spekulanten, oder, dass die Reichen verstärkt zur Kasse gebeten werden und auch die Banken endlich angemessen an der Bewältigung der Krise beteiligt werden müssen.

Diesen "neuen Kurs", hat Huber in einem Buch mit dem Titel "Kurswechsel für Deutschland" beschrieben. Er begründet das in der "metallzeitung" so: "Die Marktradikalen und Neoliberalen machen einfach so weiter. Und ich bin entsetzt darüber, dass die Öffentlichkeit das so hinnimmt. Das war der Antrieb, weshalb ich dieses Buch geschrieben habe". Huber ist also entsetzt und glaubt, dass die "Öffentlichkeit" nach der Verkündung seiner Weisheiten jetzt umschwenkt. Und er verspricht seiner Mitgliedschaft schließlich:

"Die IG Metall bleibt hartnäckig dran". Wer jetzt aber glaubt, dass die Mitgliedschaft mobilisiert wird gegen die Abwälzung der Krise auf die Schultern der Werktätigen, der irrt. Darauf orientiert die IG Metall-Spitze mit ihrem Führungsduo Huber/Wetzel nicht. Ihre Orientierung ist nach wie vor die Kooperation mit der Bundesregierung statt der Mobilisierung der Mitgliedschaft. Gleichzeitig liebäugeln sie mit der Abwahl von Schwarz-Gelb, wobei sie die Lösung der Probleme in der Regierungsbeteiligung der Sozialdemokratie sehen. Ansonsten ist für Huber und Wetzel aktuell Krisenmanagement angesagt, von der Gewerkschaftsspitze bis in die Verwaltungsstellen und Betriebsratsgremien hinein; aber natürlich kein konfliktorisches! Das bedeutet in der Praxis die Intensivierung der Sozialpartnerschaft mit dem Kapital durch Co-Management und Zusammenarbeit. Nichts bleibt so mehr übrig von der einstigen Losung "Unternehmermacht braucht Gegenmacht", unter der noch in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sich Vertrauensleutekonferenzen und Gewerkschaftstage formierten.


Paradigmenwechsel

Natürlich kooperierten und mauschelten in den Betrieben die Betriebsratsfürsten schon immer mit dem Kapital. Das stieß unter den Beschäftigten während der langen Konjunkturphase des "Wirtschaftswunders" jedoch auf wenig Kritik. Fiel doch durch diese Politik immer auch etwas für sie ab. Nach dem Konjunktureinbruch von 1968 aber und in der Folge der 68er-Bewegung kam es auch in den Gewerkschaften zu Veränderungen. Junge Vertrauensleute, nicht zuletzt durch die kapitalkritische Bildungsarbeit der IG Metall beeinflußt, hinterfragten kritischer die Rolle der eigenen Organisation und der Betriebsräte. Man kann in dem Zusammenhang durchaus von einer Demokratisierung der Gewerkschaften in jener Zeit sprechen, insbesondere bei der IG Metall. Dieser Prozess verlief allerdings nicht reibungslos. Vor allem in den Betrieben wurde das sichtbar. Oppositionelle Vertrauensleute, die gegen die sozialpartnerschaftliche Linie angingen, gab es in fast allen Großbetrieben und in nicht wenigen Fällen kam es bei den Betriebsratswahlen, dort, wo mit Verfahrenstricks die Opposition von der Wahlliste der IG Metall ferngehalten wurde, zu konkurrierenden Listen. Das Ganze endete dann in der Regel mit dem Ausschluss der Opposition aus der Gewerkschaft.

Mit der aktuellen Politik des "Krisenmanagement" der IG Metall wird heute Co-Management und Sozialpartnerschaft auf allen Ebenen offiziell sanktioniert. Das Ganze erfolgt ohne Beschlusslage der Organisation. Es begründet sich alleine aus der Notwendigkeit heraus, die Krise mit möglichst wenig negativen Folgen für die Beschäftigten zu überwinden. Faktisch aber ist das ein Paradigmenwechsel in der Betriebspolitik der IG Metall. Nicht mehr der Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit steht im Vordergrund, sondern die Kooperation mit dem Kapital. Mit dieser Politik werden die Gegensätze im Betrieb und in der Gesellschaft verwischt. Die Beschäftigten verinnerlichen die Ziele der Kapitalisten als ihre eigenen und sind dadurch auch bereit, sich der Logik dieser Ziele zu beugen. Als Beispiel mögen hier die Vorgänge bei Opel dienen, wo der GBR-Vorsitzende Franz sich der Belegschaft und Öffentlichkeit als der bessere Unternehmens-Manager präsentiert, Kosteneinsparungen durch Verschlechterung der Einkommensbedingungen durchsetzt und die Beschäftigten ihre Akzeptanz dazu dadurch zeigen, indem sie T-Shirts mit dem Slogan "Wir sind Opel" tragen.

Von den Kapitalisten wird diese Veränderung der IG Metall natürlich gerne gesehen. Sie begrüßen das Einschwenken der IG Metall auf die Linie der inzwischen handzahmen IGBCE; entsprechend hofiert werden die führenden Leute im Apparat und in den Betrieben. Von der bürgerlichen Presse wird Berthold Huber als der vernünftige, nachdenkliche und verantwortliche Gewerkschaftschef präsentiert, der mit den Großen in Bundesregierung und Wirtschaft gut kann. Und es darf dann auch einmal ein BR-Vorsitzender wie Uwe Hück von Porsche bei Anne Will im Fernsehen auftreten und seine Solidarität zu seinem geschaßten Vorstandsvorsitzenden Wendelin Wedeking zum Ausdruck bringen.


Desillusioniert, frustriert und verärgert

Natürlich bleibt eine solche Politik nicht ohne Widerspruch. Mit der Entwicklung in den Betrieben kann sich unter den Beschäftigten keine Zufriedenheit entwickeln. Deshalb ist die in den Betriebsratswahlen gezeigte Akzeptanz zur Gewerkschafts- und Betriebsratspolitik eine brüchige Angelegenheit. Die Waiblinger Kreiszeitung berichtete Anfang des Jahres über eine Veranstaltung, in der Tom Adler, Gewerkschaftslinker und oppositionelles BR-Mitglied bei Daimer-Untertürkheim, über die Situation im Betrieb sprach. Adler sagte: "Die Stimmung ist von Wut geprägt. Desillusioniert, frustriert und verärgert. Das alte 'Daimler-Bewusstsein', der einstige Stolz, 'beim Daimler zu schaffen', ist längst dahin. Seit Schrempp und Zetsche gelten 'die da oben' als Abzocker und Gangster".

Diese Stimmungslage wird mit Sicherheit in ähnlicher Form in vielen Betrieben vorliegen. Deshalb muss es zwangsläufig dort, wo es eine Gewerkschaftslinke gibt, zu politischen Differenzen zwischen der sozialpartnerschaftlichen und der kämpferischen Linie kommen. In wie vielen Betrieben solche Differenzen ausgetragen wurden und werden, läßt sich nur schwer ermitteln. Sichtbar wurden sie allerdings dort, wo die betriebliche Opposition mit eigenen Listen zur Betriebsratswahl antrat. Besonders in mehreren Betrieben des Daimlerkonzerns traten Metaller mit der Liste ALTERNATIVE konkurrierend gegen die Liste der IG Metall an und das mit mehr und weniger Erfolg. Besonders bei Daimler in Berlin Marienfelde führte die dortige ALTERNATIVE in der linken Szene zu heftigen Diskussionen und zu Schlagzeilen im Neuen Deutschland und in der Jungen Welt.


Der Konflikt in Marienfelde

Der Konflikt schwelte seit der Umsetzung des neuen Entgelt-Tarifvertrags (ERA) im Betrieb. Dieser Tarifvertrag bot den Kapitalisten überall dort, wo in den Zeiten der Hochkonjunktur bei den Eingruppierungen materielle Zugeständnisse gemacht worden sind, die Möglichkeit zu "legalen" Abgruppierungen. Das geschah auch in Marienfelde ohne den engagierten Widerstand des Betriebsrats. Die Enttäuschung in der Belegschaft war so groß, dass es zu Protestaktionen unter der Führung der heutigen Gruppe ALTERNATIVE kam. In der Folgezeit kam es zu einer weiteren Verschlechterung der materiellen- und allgemeinen Arbeitsbedingungen. So hatte die BR-Mehrheit für die Zusage, dass ein bestimmtes Produktionsniveau gehalten wird, Sonnabendarbeit und weit reichende Flexibilisierung akzeptiert. Alles geschah in einem "betrieblichen Bündnis" mit der Zielstellung der "Arbeitsplatzsicherung". So schaukelten sich die Differenzen zwischen Teilen der Gewerkschaftslinken und der sozialpartnerschaftlich orientierten BR-Mehrheit hoch. Zu den politischen Differenzen gesellten sich noch persönliche Anfeindungen, so dass die Gruppe um Mustafa Efe beschloss, mit einer Liste ALTERNATIVE gegen die IG Metall-Liste anzutreten.

Der Vorsitzende des Vertrauenskörpers, Detlef Fendt, Mitglied der DKP, wirft Mustafa Efe und seiner Gruppe Spalterpolitik vor. In der Berliner DKP-Parteizeitung "Anstoß", die sich in vollem Umfang nicht hinter ihren Genossen Fendt, sondern hinter die Gruppe ALTERNATIVE stellt, nahm Fendt zu den Vorgängen in Marienfelde Stellung: "Die Feststellung der 'Alternativen' in einer ihrer Publikationen, dass die Listenwahl demokratischer sei, weil dadurch der oppositionelle Teil der Belegschaft sichtbar würde, ist doch geradezu hanebüchen. Es mag ja sein, dass man mit der Politik der BR-Mehrheit nicht einverstanden ist. Aber dann kann man als 'linke Gruppe' auch koordiniert innerhalb der vorhandenen Interessenvertretung vorgehen. Es ist auch nicht verboten, wenn auch nicht besonders schön, einen eigenständigen Wahlkampf zu machen und sich als Person in den Betriebsversammlungen zu profilieren."

Fendt hatte konkret bis zuletzt der Gruppe angeboten, gemeinsam auf der Liste der IG Metall zu kandidieren, wobei in einem demokratischen Verfahren gemeinsam mit allen Vertrauensleuten die Listenplatzierung erfolgen sollte.

Das wurde von der Gruppe abgelehnt. Mit den unterschiedlichsten Argumenten versuchte sie, ihren Schritt vor allem in Richtung Belegschaft zu legitimieren. Das zum einen wohl wegen des Wissens, dass die KollegInnen in ihrer überwältigenden Mehrheit immer eine Personenwahl wollen und auf der anderen Seite, weil vor der Wahl nicht absehbar war, wie der Spaltervorwurf auf das Wahlverhalten der Belegschaft wirken würde. Deshalb wurde neben dem Argument, die "Listenwahl wäre demokratischer", vorgebracht, dass "in so einem großen Betrieb" wie Daimler sich die einzelnen Mitglieder der Gruppe nicht profilieren könnten. Auch in seiner Klage im DKP-"Anstoß" versucht Efe, sich in die Opferrolle zu bringen. Dort meint er: "Es gehört ja zur üblichen Ausgrenzungspolitik der jetzigen Betriebsratsmehrheit und auch der Gewerkschaftsbürokratie, dass du, sobald du eine andere Linie vertrittst, ein Spalter bist". Das ist natürlich Quatsch. Der Vorwurf des Spalters wurde erst erhoben, nachdem die eigene Betriebsratsliste auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Zuvor war es seiner Gruppe nicht verwehrt, sich mit eigenen Publikationen an die Belegschaft zu wenden. Dass das den Rechten in einem Betriebsrat nicht gefällt und sie versuchen, die Verfasser auszugrenzen, ist die logische Konsequenz. Aber darüber sollten Kommunisten und Sozialisten nicht jammern, da müssen sie einfach durch.

Auch das Argument des "sich nicht profilieren Könnens" ist nicht haltbar. Daimler in Berlin ist noch durchaus überschaubar. Bei einer solchen Betriebsgröße ist es jederzeit möglich, sich vor der Belegschaft zu profilieren. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass auch alle Kandidaten dazu in der Lage sind. Und das ist im vorliegenden Fall zu bezweifeln. Im "labournet" kann man das Kandidatenblatt der Gruppe finden. Die Positionen, die dort vertreten werden, sind sehr indifferent und illusionär, zum Teil auch schlicht einfältig.

So hat die ALTERNATIVE ein Sammelsurium an Forderungen und Vorstellungen unterschiedlichster Art aufgestellt. Natürlich sind auch Dinge dabei, die realistisch sind, die sich mit den Positionen der IG Metall decken und die sich auch durch eine konsequente Betriebsratspolitik durchsetzen lassen. Es gibt in dem Wahlprogramm jedoch Forderungen die darauf schließen lassen, dass bei der Gruppe eine realistische Lage-Einschätzung nur bedingt vorhanden ist.

Unter dem Stichwort "Schluss mit dem Verzicht" will sie beispielsweise, dass bei Kurzarbeit der volle Lohn bezahlt wird. Auch soll die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohn durchgesetzt werden. Das ist aber natürlich noch nicht alles. So soll in bestimmten Bereichen die Steinkühlerpause eingeführt werden (dabei handelt es sich um eine tägliche Arbeitszeitkürzung von 40 Minuten, die die IG Metall mit einem Streik in den 70er Jahren nur in einem einzigen Tarifgebiet, in Baden-Württemberg, durchsetzen konnte). Wenn die Gruppe Efe in ihrem Wahlprogramm solche unrealistischen Positionen vertritt, dann isoliert sie sich vom größten Teil der Belegschaft und hat damit keine Chance, die Mehrheit zu erringen. Die Durchsetzung dieser Forderungen, die zum Teil gar nicht in den Zuständigkeitsbereich der Betriebsräte fallen, hat aktuell keinerlei Chance, realisiert zu werden. Solche Forderungen im Zusammenhang mit einer BR-Wahl zu formulieren, kommt der Verdummung der KollegInnen gleich. Sie werden von ihnen mehrheitlich auch als eine solche aufgefaßt.

Aber das scheint von der Gruppe so nicht wahrgenommen worden zu sein. Im "Anstoß" nach dem Wahlziel der Gruppe gefragt, antwortet Efe: "Unser Ziel ist die Betriebsratsmehrheit, aber mit einer starken Opposition wären wir auch zufrieden".

Die Mehrheit im Betriebsrat war das Ziel. Die hätte aber nach Auffassung der ALTERNATIVE nur über eine Listenwahl, über die Polarisierung der Belegschaft, eine Chance gehabt. Eine Fehleinschätzung, wie das Wahlergebnis zeigt, die bei einer realistischen Analyse der Lage vermeidbar gewesen wäre. In dieser Fehleinschätzung liegt wohl das Motiv für die zweite Liste und nicht im demokratischen Schein.


Die Auswirkung der Wahl im Betrieb

Die ALTERNATIVE hat mit 25 Prozent der Stimmen im 21-köpfigen BR-Gremium 5 Sitze erhalten. Das sind zwei BR-Sitze mehr als zuvor. Der Preis dafür ist hoch. Inzwischen sind gewerkschaftliche Ordnungsverfahren eingeleitet worden und es wird Maßregelungen geben, wobei es allerdings unwahrscheinlich ist, dass es zum Ausschluss der Gruppe aus der IG Metall kommt. Der politische Schaden ist trotzdem groß. "Die Stimmung im Betrieb ist aufgeheizt", konnte man im "Anstoß" der Berliner DKP lesen. Das heißt, dass es zu einer hohen Polarisierung in der Belegschaft gekommen ist. In anderen Worten, die Belegschaft ist in mindestens zwei Lager gespalten. Dem solidarischen Handeln gegen das Kapital dient das nicht. Nützen wird die Situation, neben der Geschäftsführung, der sozialpartnerschaftlichen Mehrheit im Betriebsrat. Bei Daimler gibt es in Zukunft zwei Fraktionen. Das hat zur Folge, dass die (rechte) Betriebsratsspitze von der IGM-Fraktion Fraktionsdisziplin verlangen wird. Mit Sicherheit wird nun die Minderheitsfraktion weniger erreichen, als wenn sie mit 5 Kollegen (was sicherlich geschehen wäre) über eine gemeinsame Liste in den BR gekommen wäre. Jetzt wird wahrscheinlich alles - und sei es noch so sinnvoll - abgeblockt, nur weil es von der oppositionellen Fraktion kommt.

Die ALTERNATIVE wird in Zukunft mehr isoliert sein als je zuvor und sie hat sich somit mit ihrem Vorgehen einen Bärendienst erwiesen. Sie schadet damit nicht nur sich, sondern auch denen, die in der Mehrheitsgruppe für eine fortschrittliche und kämpferische Politik stehen. Von den Rechten in der BR-Mehrheit wird jetzt noch mehr als zuvor jede geäußerte Meinung darauf abgeklopft, ob sie freundlich oder feindlich ist. Das führt in der Mehrheitsfraktion mit Sicherheit zur Disziplinierung derjenigen, die ebenfalls eine andere Politik wollen.


Haltung der politischen Linken

Unverständlich ist der Gleichschritt, mit dem linke Organisationen und die Berliner DKP die Auseinandersetzung bei Daimler Marienfelde begleiten. Fast unisono wird in Publikationen mehr oder weniger alles, was als organisierte Opposition zur Gewerkschaftsbürokratie steht, begrüßt. Von einigen wird darin der Aufbruch in eine neue Phase des Klassenkampfes gesehen. Und es wird wenig differenziert und noch weniger die konkrete Lage analysiert. Zum Beispiel finden selten Einschätzungen zum Zustand der Klasse statt, die, auch in Marienfelde, das haben die Wahlen gezeigt, den sozialpartnerschaftlichen Kurs der Betriebsratsmehrheit akzeptiert, wenn nicht sogar unterstützt. Gerade deshalb dürfen sich klassenbewußte Kräfte nicht selbst isolieren. Sie müssen, wenn sie das Bewußtsein der Werktätigen beeinflussen wollen, sich in den Gewerkschaften bewegen und nicht außerhalb. Dort müssen sie Einfluss gewinnen. Die ALTERNATIVE wird aus eigener Kraft bei Daimler nichts verändern. Das hat in der Weimarer Zeit die RGO versucht, aber nicht geschafft. Zumindest kommunistische Organisationen müßten das inzwischen begriffen haben.


Auseinandersetzung in der DKP

Inzwischen hat die Auseinandersetzung bei Daimler einen Streit innerhalb der DKP ausgelöst. Die Berliner Landespartei unterstützt die ALTERNATIVE, während der Parteivorstand sich hinter die Position von Detlef Fendt stellt. So schreibt die "Junge Welt": "Der DKP-Parteivorstand bezeichnete die Kandidatur 'sich als kämpferisch verstehender Gewerkschafter auf eigenen Listen, gegen die von Gewerkschaftsgliederungen demokratisch aufgestellten Listen' in einer Stellungnahme am Donnerstag als 'schädlich'".

Unter der Überschrift: "Konkrete Analyse der konkreten Situation" legt der Vorsitzende der Berliner DKP, Rainer Perschewski, seine gewerkschaftspolitische Position dar. Das Hauptproblem sieht er in der Sozialpartnerschaft der Betriebsratsfürsten, die dafür sorgen, dass fortschrittliche und vorwärts drängende KollegInnen isoliert werden. In der betrieblichen Praxis bedeutet dies, dass die Bewältigung der täglichen Kleinarbeit im Vordergrund steht und der Blick "über den Tellerrand hinaus" nicht mehr vorhanden ist. Die Folge daraus wiederum ist, dass es zu einer Trennung von ökonomischem und politischem Kampf kommt und damit zu einer Einengung und Schwächung der Gewerkschaftsbewegung. Den wesentlichen Problemen wie Arbeitszeiten könne man aus diesen Gründen auf betrieblicher Ebene schlecht beikommen, zumal die Flächentarifverträge immer mehr unterhöhlt würden. Deshalb wäre das adäquate Kampffeld letztlich die politische Ebene und man müsse den Generalstreik als strategisches Ziel im Auge behalten. Und Perschewski schlussfolgert, dass mit der Verschärfung des Klassenkampfes von oben sich auch die innere Spaltung der Gewerkschaften und die Auseinandersetzung um den "richtigen" Kurs verschärft hätten. Alternative gewerkschaftliche Listen wären nur eine Reaktion darauf. Und an anderer Stelle meint er in dem Zusammenhang: "Wenn sich Widerspruch oder Widerstand (in der Form) gegen die sozialpartnerschaftlichen Methoden der Interessenvertretung regt, so sehe ich das positiv".

Sicher kann man dem Text in vielen Punkten zustimmen, aber um eine "konkrete Analyse der konkreten Situation" handelt es sich dabei nicht. Perschewskis - nicht formulierte - verkürzte Schlussfolgerung ist: von innen ist die kämpferische Tendenz wegen der Übermacht der Bürokratie im Apparat und in den Betrieben nicht durchsetzbar, weshalb alternative gewerkschaftliche Listen eine positive Entwicklung sind.

Solche Überlegungen bewegen sich in Richtung RGO. Ganz sicher aber bewegen sie sich auf dem Feld der These 37, mit der sich die KPD 1951 selbst aus wichtigen gewerkschaftlichen Funktionen und aus den Betrieben hinauskatapultierte. Es wird deshalb interessant sein, wie die Partei im Herbst auf ihrem Parteitag mit dieser Position umgeht.

Hätte Perschewski die konkrete Situation wirklich konkret analysiert, dann wäre ihm aufgefallen, dass es eine kämpferische Gewerkschaftslinke auch innerhalb der IG Metall gibt und dass der innergewerkschaftliche Zustand doch etwas komplizierter ist, als es ihm die eigene Schwarz-Weiß-Malerei vorgaukelt. Gerade in Berlin wurden in den vergangenen Jahren vorbildliche Auseinandersetzungen mit dem Kapital geführt. Es hätte sich für Perschewski die Frage stellen müssen, warum diese Klassenkämpfe möglich waren und in der Form so geführt werden konnten. Er hätte untersuchen müssen, worin die Ursache liegt, dass in manchen Betrieben Kämpfe geführt werden und in anderen nicht, so z. B. bei Qimonda in Dresden, wo ohne Widerstand mehr als 1.500 Arbeitsplätze sang- und klanglos über die Elbe gingen. Hätte er das getan, hätte er konkret festgestellt, dass es in den Betrieben nicht wenige KollegInnen und auch GenossInnen linker Organisationen gibt, die in gewerkschaftlichen Funktionen Tag für Tag antikapitalistische Politik betreiben und die Mühen der Ebenen nicht scheuen. Sie sind es, die solche Auseinandersetzungen möglich machen, weil sie die Widersprüche, die sich aus dem Klassengegensatz ergeben, aufgreifen und die Belegschaften dadurch zum kollektiven Handeln gegen den Kapitalisten bringen. Es stimmt also so nicht, dass die sozialpartnerschaftlichen Betriebsratsfürsten aufgrund ihrer Machtposition jede positive Entwicklung zu einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik blockieren können.

Es stellt sich auch die Frage, wer denn die Grundrichtung der Gewerkschaftspolitik ändern kann. Eine alternative Liste etwa, die nach der Wahl, selbst wenn sie nicht aus der IG Metall ausgeschlossen ist, so aber doch weitgehend ausgegrenzt und isoliert ist? Das kann Perschewski ja wohl selbst nicht glauben! Perspektivisch können das doch nur kritische und aktive Gewerkschaftslinke aus den Betrieben heraus sein. Voraussetzung dafür aber ist, dass sie in der Gewerkschaft arbeiten und nicht außerhalb und dass sie stärker werden und nicht, zum Beispiel durch die Spaltung der Belegschaft, schwächer.


Schlag nach bei Lenin

Die Versuchung, in den Linksradikalismus abzugleiten, ist in der kommunistischen Bewegung groß. Das belegen die historischen Beispiele. Die Konsequenzen aus diesem taktischen Fehler sind gewaltig. So war die RGO-Politik der KPD in der Weimarer Zeit, neben der Sozialfaschismustheorie, aus der sie resultierte, maßgeblich dafür verantwortlich, dass es nicht zur Einheitsfrontpolitik gegen den Faschismus kam. In der berüchtigten These 37, beschlossen auf dem Parteitag 1951, wurde die rechte Gewerkschaftsführung in einer Weise kritisiert, dass es dieser möglich war, die Gewerkschaften auf allen Ebenen "kommunistenfrei" zu machen. Dass das die Folge einer falschen Taktik war, hätten alle in der Partei wissen müssen. Lenin ist in seiner Schrift Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus (daraus stammen die folgenden Zitate) bereits im Jahre 1920 auf das Problem eingegangen. Er meint zu der Frage "Sollen Revolutionäre in den reaktionären Gewerkschaften arbeiten?": "Die deutschen 'Linken' betrachten es für sich entschieden, daß diese Frage unbedingt verneinend zu beantworten ist. ... Wie sehr die deutschen 'Linken' aber auch überzeugt sein mögen, daß diese Taktik revolutionär sei, in Wirklichkeit ist sie grundfalsch und enthält nichts als hohle Phrasen".

Lenin betont, dass man unbedingt dort arbeiten muss. "...wo die Massen sind. ... Und die Gewerkschaften...sind aber gerade Organisationen, die Massen erfassen". Und für die heutige Zeit ist anzumerken: die Einzigen! Nun sagen die KollegInnen der alternativen Listen, dass sie natürlich für die Einheitsgewerkschaft sind, dass sie mit ihrer Liste ja nicht, wie im Fall der ALTERNATIVE in Berlin, gegen die IG Metall sind, dass sie im Gegenteil für eine bessere Politik der Gewerkschaft im Betrieb stehen, "für eine kämpferische Betriebsrats- und Gewerkschaftsarbeit". Das mag ja sicher auch die subjektive Meinung in der Gruppe sein. Wenn man aber weiß, dass in Berlin die Initiierung einer zur IG Metall konkurrierenden Liste zumindest ein Funktionsverbot, wenn nicht sogar den Gewerkschaftsausschluss zur Folge hat und diesen Weg trotzdem geht, verhält man sich den KollegInnen gegenüber unverantwortlich.

Im Daimler-Konzern beziehen sich die alternativen Gruppen gerne auf die Plakat-Gruppe um die Kollegen Hoss, Mühleisen und D'Andrea. In den 1970er Jahren sind diese bei Daimler in Stuttgart-Untertürkheim mit einer eigenen Liste gegen die Liste der IG Metall angetreten, nachdem sie zuvor vergeblich versucht hatten, auf die Liste der IG Metall zu kommen. Mit undemokratischen, diktatorischen Mitteln wurden sie damals von der BR-Spitze und der Ortsverwaltung wegen ihrer kritischen Haltung zur Betriebsratsarbeit und zur Politik der IG Metall blockiert. Durch einen durch sie aufgedeckten Betriebsratswahl-Betrug wurden sie dann republikweit bekannt.

Doch lassen sich die Vorgänge um die Plakat-Gruppe und deren Liste in keinem Punkt mit denen um die ALTERNATIVE in Berlin vergleichen. Die Vertrauenskörperleitung dort wollte genau das Gegenteil von dem, was damals in Stuttgart praktiziert wurde. Efe und Kollegen wurde die Kandidatur auf der IG Metall-Liste angeboten. Aber darauf wollte die Gruppe, mit an den Haaren herbeigezogenen Argumenten, nicht eingehen. In ihrer selektiven Wahrnehmung gingen sie von einer Mehrheit in der Belegschaft aus. Davon sind sie aber, trotz des zweifellos beachtlichen Ergebnisses, weit entfernt. Was wird sich jetzt bei Daimler in Marienfelde im Grundsatz ändern? Für die kritischen und linken Gewerkschafter im Betrieb wird nichts besser - im Gegenteil. Im gewerkschaftlichen Vertrauenskörper wird es weniger kritische Stimmen geben und das heißt: Der Einfluss der Sozialklempner wird größer. Sie werden keinen Anlass sehen, ihre seitherige Politik zu ändern.

Bedenklich ist, dass die sektiererische Haltung der Gruppe um Efe von Teilen der politischen Linken, bis zur Berliner DKP, unterstützt wird.

Sollten sich deren Positionen in konkreten Beschlusslagen der Gesamt-Partei niederschlagen, ist mit der Neuauflage der schädlichen Unvereinbarkeitsbeschlüsse der Gewerkschaften und der damit verbundenen Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten linker Gewerkschafter zu rechnen. Es gibt in den Gewerkschaften genügend Leute, die darauf nur warten!

Notwendig wäre deshalb, dass man in linken Gruppen und Parteien mit mehr Kompetenz über die Arbeit in den Gewerkschaften diskutiert, sich über die richtige Strategie klar wird und in diesen Krisenzeiten wenigstens ab und zu einen Erfolg erzielt. Es muss schließlich nicht sein, dass jede Generation von Sozialisten und Kommunisten dieselben Fehler erneut macht und sich dadurch noch mehr schwächt, als sie schon ist. Schließlich ist der "linke Radikalismus" kein linkes Naturgesetz. Er kann überwunden werden.


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Quelle:
Arbeiterstimme, Nr. 168, Sommer 2010, S. 16-20
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2010