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ARBEITERSTIMME/219: Krise des langjährigen Exportweltmeisters Deutschland


Arbeiterstimme, Sommer 2010, Nr. 168
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
- Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein! -

Stillleben mit Container
In den Seehäfen ist sie sichtbar, die Krise des langjährigen Exportweltmeisters Deutschland.

Von Gaston Kirsche


Nicht nur, dass China letztes Jahr erstmals mehr als die BRD exportiert hat - der Rückgang der globalisierten Handelsströme ermöglicht derzeit freie Sicht über riesige Stellflächen, auf denen früher haushoch Container gestapelt wurden. Die gesamte Logistikbranche leidet derzeit unter dem drastischen Verfall der Frachtraten für Container bei gleichzeitig wachsenden Kapazitäten. Denn nicht nur die privaten, auch die großen, mehrheitlich im Besitz der Städte befindlichen Hafenbetriebe sehen sich in Konkurrenz zueinander. Der Zwang zur Expansion zwecks Kapitalakkumulation führt dazu, dass derzeit vor Wilhelmshaven ein gigantischer Tiefwasserhafen komplett neu gebaut wird, mit dem sich die Konkurrenz der Häfen um die immer größeren Containerriesenfrachter noch verschärfen wird. Niemand kann heute sagen, ob die dortigen Kapazitäten wirklich gebraucht werden, wenn der Hafen Ende 2011 in Betrieb geht. Bremens Regierungschef Jens Böhrnsen, SPD, rief am 21. April 2010 bei der Eröffnung des Logistiktages in Bremerhaven dazu auf, am zügigen Aufbau des JadeWeserport genannten Gigaprojektes festzuhalten - mit dem Häfen wie Rotterdam oder Antwerpen Frachtraten abgejagt werden sollen: "Der JadeWeserPort ist und bleibt ein gemeinsames Zukunftsprojekt der Länder Bremen und Niedersachsen. Er soll eine richtige Erfolgsstory für den ganzen Nordwesten werden". Krise hin oder her. Der JadeWeserPort soll mit einer Wassertiefe von 18 Metern künftig auch für Frachtriesen zugänglich sein, die mehr als 10 000 Container laden können. An einem 1725 Meter langen Terminal mit 16 Containerbrücken und vier Liegeplätzen sollen jährlich 2,7 Millionen Standardcontainer umgeschlagen werden. Der nationale Zungenschlag, mit dem nicht nur Böhrnsen betont, damit endlich in Konkurrenz zum größten europäischen Hafen Rotterdam treten zu können, kann nicht verbergen, dass auch Bremerhaven und Hamburg vermutlich internationale Frachtlinien an den JadeWeserport abtreten müssen. Der "nationale Hafenplan" Deutschlands setzt keineswegs auf eine auch ökologisch sinnvolle Arbeitsteilung zwischen den Häfen und eine Verteilung der Arbeit auf alle HafenarbeiterInnen, sondern auf Expansion zulasten der Nachbarländer. Die einzelnen Städte versuchen jede für sich, sich als Hafenstandort zu optimieren. So setzen auch die kommunalen Hafenbetriebe auf Expansion und den Aufkauf von Häfen im Ausland - am eifrigsten ist hierbei die Hamburger Hafen und Logistik AG, HHLA, das größte Containerumschlagunternehmen im Hamburger Hafen, das sich zu 66 Prozent im Besitz der Stadt Hamburg befindet. Im Januar wurde bekannt, dass die HHLA mit dem staatlichen iranischen Hafenbetreiber Tidewater bei der Modernisierung des Hafens von Bandar-Abbas kooperieren wollte. International fiel der Hafen von Bandar-Abbas letztes Jahr auf, weil dort klandestin ein Schiff mit Waffen für die Hamas beladen wurde, das Israels Marine auf hoher See aufbrachte. Während Hamburgs Landesregierung, der Senat, dieses Geschäft nach Protesten des Zentralrates der Juden sofort stoppen ließ, geht die Expansion der HHLA ansonsten munter weiter.

Dabei ging der Güterumschlag etwa im Hamburger Hafen 2009 insgesamt um über 20 Prozent zurück, der Containerumsatz um über 30 Prozent. Entsprechend auch bei der HHLA, wie Gerd Müller, der dort Betriebsrat ist, weiß: Dort gingen die Umsatzerlöse um 24 Prozent auf 501 Millionen Euro zurück, rund 15 Prozent der insgesamt 3.600 Kolleginnen und Kollegen befinden sich derzeit in Kurzarbeit, viele weitere in Qualifizierungsmaßnahmen und langfristigen Weiterbildungen. Niemand im Hafen mache sich deshalb Illusionen darüber, dass die Probleme in absehbarer Zeit gelöst werden könnten. Dazu sei die Krise viel zu einschneidend und umfassend.

Bernt Kamin-Seggewies, Betriebsratsvorsitzender beim Gesamthafen Betriebsverein Hamburg E. V. (GHB) weiß, wie sich diese eklatanten Einbrüche auf die Arbeitsplätze niederschlagen. Der GHB wird als Verein von den Betrieben der Hafenwirtschaft und der Gewerkschaft ver.di getragen und deckt in Spitzenzeiten den Mehrbedarf an qualifizierten Hafen-Arbeitskräften, in schlechten Zeiten hingegen sichert er die nicht benötigten Arbeiter durch einen Rücklagenfonds ab. Angesichts der anhaltenden Krise ist die Nachfrage nach GHB-Personal um die Hälfte zurückgegangen. Befristete Verträge wurden nicht verlängert, die verbliebenen 1.040 KollegInnen in Kurzarbeit geschickt, was finanzielle Einbußen bedeutet. Bis an die 60.000 Euro verdient ein Hafenarbeiter im Containerbereich in guten Jahren, nun sind es etwa 30.000 Euro, oder weniger. Hart trifft es die externen Dienstleister, die im Auftrag der Betreiber der Containerterminals wie der HHLA das Be- und Entladen übernehmen. "Die weitaus größere Gruppe der Beschäftigten ist meist schlecht organisiert und besteht aus einer großen Anzahl von Leiharbeitern, die von Zeitarbeitsfirmen ausgeliehen werden", so Kamin-Seggewies. Diese Kollegen arbeiteten häufig zu Stundenlöhnen von unter acht Euro und dort gelte zum Teil noch das alte Hire and Fire-Prinzip - die Kehrseite der Erfolgsgeschichte des "Exportweltmeisters Deutschland" in den Hochseehäfen.

Die Rekordumschläge bei Gütern und zweistellige Zuwachsraten im Containerverkehr katapultierten Hamburg bis 2008 zum zweitgrößten Handelszentrum Europas nach Rotterdam. Alle Betriebe im Hafen stellten in den vergangenen Jahren viel Personal ein. Bernt Kamin-Seggewies bringt es auf eine Formel: "Wenn die Weltwirtschaft um ein Prozent wächst, dann nimmt der Welthandel um das Doppelte zu, der Containerumschlag sogar um das Dreifache. In den vergangenen Jahren betrug das Wachstum im Hafen fast durchgängig über fünf, zum Teil über zehn Prozent. Und alle Experten meinten, das würde so noch einige Jahre weitergehen, vor allem, weil sich die Riesenmärkte Indien und China so rasant entwickelten. Das war ein Trugschluss - und leider gilt die Faustformel auch umgekehrt." Und die enormen Gewinne der Hafenwirtschaft im letzten Jahrzehnt stehen nur zu einem Bruchteil dafür zur Verfügung, die HafenarbeiterInnen finanziell abzusichern, auch wenn sie nicht arbeiten: Wer nicht zu den Kernbelegschaften der großen Hafenbetriebe gehört, ist eh kaum abgesichert. Die Kernbelegschaft in Hamburg, rund 5000 Männer und Frauen im Umschlagsbereich des Hafens konnte für sich eine verhältnismäßig gute Bezahlung und soziale Absicherung durchsetzen: "Dieser Gruppe der Beschäftigten geht es relativ gut, sie sind vergleichsweise gut gestellt und auch organisiert", verdeutlichte Bernt Kamin-Seggewies.

Während im Hamburger Hafen Betriebsräte sowie gewerkschaftliche Vertrauensleute bei der HHLA und dem GHB eine offene Debatte in den Belegschaften führen über die Krise und der von den Hafenbetrieben versuchten Abwälzung der Kosten der Krise auf die Beschäftigten Protest entgegensetzen, ist die Situation im zweitgrößten Hafen Norddeutschlands anders - Beschäftigte werden von Gewerkschaftsfunktionären vor vollendete Tatsachen gestellt: Auch in Bremerhaven gibt es einen Gesamthafen Betriebsverein Bremen (GHB). Anders als in Hamburg wurde hier nicht erreicht, dass die weniger werdende Arbeit auf alle Beschäftigten, auch die vom GHB, verteilt wurde. Und während Gewerkschafter Kamin-Seggewies vorrechnet, dass die Rücklagen des Hamburger GHB wenigstens für die unbefristet Beschäftigten für vier Jahre reichen, hiess es in Bremerhaven schon im Sommer 2009: Ohne Entlassungen geht der GHB schnell pleite.

Die mehrheitlich im Besitz des Landes Bremen befindliche Bremer Lagerhaus Gesellschaft, BLG, und ihr Tochterunternehmen Eurogate entschieden, wegen der Krise an den GHB weniger Arbeit zu vergeben. Seit Anfang 2010 arbeitet die städtische Eurogate gar nicht mehr mit Beschäftigten des GHB. Anfang 2008 waren dort 2.700 HafenarbeiterInnen beschäftigt. Im April 2010 sind es nur noch knapp 1.100. Zuerst mussten Anfang 2009 die Aushilfskräfte gehen, darunter viele alleinerziehende Mütter. Vor einem Jahr wurden alle 800 befristeten Arbeitsverhältnisse beendet. Ausgehend von der Logik der Kapitalseite, wonach der GHB durch Einsparungen schnell wieder schwarze Zahlen schreiben solle - ohne dass die Hafenwirtschaft dem GHB etwas von ihren Gewinnen abgibt - stimmten ver.di und der Betriebsrat unter Federführung des Vorsitzenden Peter Frohn dem Geschäftsführer der GHB Hubertus Ritzke zu, dass es Entlassungen geben müsse. Ohne dass die Belegschaft informiert worden war, war beim GHB der paritätisch mit Funktionären von ver.di und Managern der Hafenbetriebe besetzte "Ausschuss für Personal und Arbeit" zusammengetreten. Harald Bethge, Fachsekretär bei ver.di Bremen für den Hafen, erklärte in Pressegesprächen, dass zur Rettung der Liquidität des GHB Entlassungen nötig seien - und es auch nur 2.000 Euro Abfindung pro Person geben könne - mehr könne sich der GHB einfach nicht leisten.

Einige Beschäftigte gründeten aus Protest das Komitee "Wir sind der GHB!". Raphael Roß vom Komitee erklärte rückblickend: "Wir sind von dem Sanierungsplan, dem Sozialplan und der Sozialauswahl völlig überrascht worden". Auch Roß wurde gekündigt. Zusammen mit 198 anderen Kollegen klagt er dagegen vor dem Arbeitsgericht. Neben den "normalen" Beendigungskündigungen gab es zahlreiche Änderungskündigungen, wonach die Betroffenen einen Arbeitsplatz in Bremen annehmen sollen - mit 60 Kilometer Anfahrtsweg und einer Lohnkürzung von bis zu 65 Prozent. Der bundesweite Tarifecklohn für Hafenarbeit von 15 Euro wird so unterlaufen. Auf einer Betriebsversammlung von Eurogate stellte sich der dortige Arbeitsdirektor Andreas Bergemann hin und erklärte: "Rein rechnerisch haben wir 25 Prozent zu viel Personal. Aber Personalabbau ist nicht die Politik von Eurogate." Dafür lässt das Eurogate-Management die Beschäftigten des GHB ohne Aufträge. Dass Arbeitsdirektor Bergemann diese Abwälzung der Krise auf die Beschäftigten des GHB gut verklären kann, liegt vielleicht auch an seiner vorherigen Arbeitsstelle - er war Gewerkschaftssekretär bei ver.di für den Hafen.

Das Komitee des GHB setzt auf Selbstorganisierung, von ihrer Gewerkschaft ver.di und dem Betriebsrat sind sie enttäuscht: "Die mauern; das ist für uns keine Arbeitnehmervertretung, das ist eher eine Arbeitgebervertretung (...) Die Gewerkschaft muss auf der richtigen Seite und muss auch ihren Mitgliedern zur Seite stehen", heißt es seitens einiger Aktiver. Und weiter: "Wir vom GHB sind die ersten, an denen getestet wird, ob man das mit den Leuten machen kann." In diesem Sinne rief das Komitee mehrfach zu Demonstrationen auf, zuletzt Ende Januar. Ihr Motto: "Massenentlassung beim GHB - der Anfang?" und "Dumpinglöhne beim GHB - wir sind erst der Anfang!". Fahnen von ver.di sind auf den Demos des Komitees nie zu sehen, dafür ein Transparent: "Danke ver.di - für nix!"


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Quelle:
Arbeiterstimme, Nr. 168, Sommer 2010, S. 21-22
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
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Internet: www.arbeiterstimme.org

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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2010