Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

ARBEITERSTIMME/225: Die Erschaffung einer rechten Dominanz in Chile - Teil 3


Arbeiterstimme, Herbst 2010, Nr. 169
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
- Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein! -

Die Erschaffung einer rechten Dominanz in Chile

Teil 3[*]: Der Kampf gegen die Diktatur


Die neoliberale Wirtschaftspolitik der Militärregierung führte Anfang der 80er Jahre zu einer Finanzkrise die einen massiven Einbruch der Wirtschaft nach sich zog. Es kam zu zahllosen Unternehmenszusammenbrüchen und die Arbeitslosigkeit erreichte Werte von bis zu 30 Prozent. Diese Entwicklung untergrub die soziale Basis der Diktatur. Laut dem chilenischen Standardwerk über diese Zeit, La Historia Oculta del Régimen Militar, war damals sogar ein gewisser León Vilarín, "der mythologische Anführer der Lastwagenfahrer" an Aktivitäten gegen die Regierungspolitik beteiligt. Das will etwas heißen. Gehörten die Lastwagenfahrer doch zur Speerspitze der Opposition gegen die sozialistische Regierung von Salvador Allende.

Diese Veränderungen im gesellschaftlichen Kräfteverhältnis waren ausschlaggebend für den, von allen Beteiligten so nicht erwarteten, Erfolg des nationalen Protesttages vom 11. Mai 1983. Er war von der Vereinigung der Kupferarbeiter initiiert worden, einer Organisation, die der Regierung der Unidad Popular auch schon Schwierigkeiten gemacht hatte. Nun wurde im Abstand von einem Monat zu weiteren Protesten aufgerufen. Während sich die Bewegung auf das ganze Land ausdehnte verlagerte sich das organisatorische Zentrum von den Gewerkschaftern zu den Parteien, und da vor allem zu den Christdemokraten.

Welche Bedeutung hatten diese Proteste? Kündigten sie etwa eine revolutionäre Situation an? Sollte jetzt, vier Jahre nach dem Sturz Somozas in Nicaragua, etwas Vergleichbares in Chile auf der Tagesordnung stehen? Nach Genaro Arriagada, einem christdemokratischen Politiker und Politikwissenschaftler, wurde damals "die Opposition von einer Welle der Hoffnung ergriffen. Das erste Mal seit dem Beginn des Regimes dachte man dass eine politische Niederlage Pinochets möglich wäre." Es ist klar, dass sich die Christdemokratie nur eine "politische Niederlage" wünschte. Die revolutionäre Linke hoffte natürlich auf eine Entwicklung wie in Nicaragua. Deshalb orientierte z.B. der MIR (Movimiento de la Izquierda Revolucionaria - Bewegung der Revolutionären Linken) und Teile der KP auf eine bewaffnete Erhebung.

Doch war das realistisch? Nach einem Lenin zugeschriebenen Satz gibt es dann eine revolutionäre Situation, "wenn die oben nicht mehr können und die unten nicht mehr wollen". In diesem Zitat werden zwei Voraussetzungen genannt die beide vorhanden sein müssen damit es zu einer tief greifenden Umgestaltung kommen kann. Lassen wir die Frage offen, ob damals auf Seiten der Beherrschten die Dinge Lenins Kriterium entsprachen.

Beschränken wir unsere Betrachtung auf die herrschende Klasse. Lässt sich sagen, dass sie im Sinne Lenins nicht mehr weiter regieren konnte? Leider muss man das verneinen. So hatte der ehemalige Vorsitzende des Partido Nacional (Nationalpartei), Sergio Onofre Jarpa, er war zu dieser Zeit Botschafter in Argentinien, schon vor dem ersten Protesttag begonnen ein Memorandum über den politischen Zustand des Landes zu erstellen. Er ließ es Pinochet zukommen und wurde daraufhin von diesem zu einer Erörterung der Situation eingeladen. Dabei wurde vereinbart, einen Plan auszuarbeiten mit dem auf die veränderte Lage reagiert werden soll.

Seine Wichtigsten Punkte waren:

• Das Ansehen von "Präsident" Pinochet zu schützen.
• Die Unterstützung durch Berufsverbände, Unternehmervereinigungen und der Politik wieder zu erlangen.
• Die Ausschaltung der Schlüsselpersonen des inneren Feindes.
• Die Schaffung einer einheitlichen politischen Leitung mit den Sektoren die zum Regime neigen.
• Die Schaffung einer sozialen Bewegung um die Unabhängigen an die eigene Basis anzugliedern.
• Es sollten Debatten über den Marxismus und die Zeit der Unidad Popular gefördert werden.
• Die Schaffung eines Expertengremiums um die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung zu leiten, mit klaren Vorgaben und langfristig angelegt.
• Die Propaganda sollte auf den sowjetischen Kommunismus zielen und nicht auf die lokalen Politiker.
• Die Einführung der neuen institutionellen Ordnung soll mit der Schaffung von Parteien- und Wahlgesetz beschleunigt werden.
• Die Schaffung einer von der Regierung unabhängigen politischen Bewegung die diese aber verteidigt.
• Die Festlegung eines Termins für Parlamentswahlen und die Organisierung einer politischen Bewegung um sie zu gewinnen.
• Und am wichtigsten, um die vorgenannten Ziele auch erreichen zu können, Wirtschaftshilfen für Not leidende Sektoren der Arbeit und der Produktion.

Die Autoren der Historia Oculta del Régimen Militar - diesem Buch sind auch die Punkte des Arbeitsplanes entnommen - fassen sein Ziel so zusammen:

"Die globale Absicht des Planes, wie ihn seine Autoren definierten, war die Sicherung der Rechtskraft der Verfassung von 1980, um sie als Rahmen der politischen Entwicklung zu fixieren. Zusätzlich würde er dem Regime eine politische Basis verschaffen um sein Werk zu verteidigen und auf die Zeit nach 1989 zu projizieren, dem vorgesehenen Zeitpunkt an dem sich die Regierung einem Wahlkampf zu stellen hat."

Heute kann man sagen, dass dieser Arbeitsplan erfolgreich umgesetzt wurde. Die Verfassung von 1980 ist, wenn auch an einigen Stellen geändert, weiterhin in Kraft. Doch nicht alle Anhänger dieser Strategie werden diese Aussage teilen. Für sie steht im Mittelpunkt, dass sie die Regierung Pinochet an der Wahlurne nicht haben verteidigen können. Andererseits teilten dieses Ziel nicht alle Rechten. Die klügeren unter ihnen sahen, dass sich eine Mehrheit der Gesellschaft nach demokratischer Mitsprache sehnte. Die wollte man ihr durchaus gewähren, wenn auch nur im beschränkten Rahmen der Verfassung von 1980. Die persönlichen Ambitionen Pinochets hatten für sie einen geringeren Stellenwert. Doch das behielten sie damals noch für sich. Einerseits, um beim Diktator nicht in Ungnade zu fallen. Andererseits, damit notwendig werdende Kompromisse mit der politischen Mitte von dieser auch als Erfolg verkauft werden können.

Für die Rechte war nun entscheidend wie sich die Christdemokraten für die Zukunft positionieren, ihrem alten Partner beim Sturz der Regierung Allende. Daher nahm Jarpa über einen Mittelsmann Kontakt zu ihnen auf. Er wollte wissen, ob sie bereit wären in den Kreis der die Verfassung tragenden Kräfte einzutreten. Als Reaktion auf dieses Gesprächsangebot beschlossen die Christdemokraten die Proteste fürs erste weiter zu führen und konkrete Schritte der Regierung abzuwarten. Später fuhren sie die soziale Mobilisierung zurück und vereinbarten mit einem Teil der traditionellen Rechten einen Acuerdo Nacional (Nationale Übereinkunft). Doch das hatte keine bleibenden Folgen weil diese Übereinkunft vom Regime abgelehnt wurde.


Die Christdemokratie

An dieser Stelle ist es notwendig die Democracia Cristiana (DC) etwas eingehender zu betrachten. Aufgrund ihres Namens wird man sie als die chilenische Version der entsprechenden deutschen Parteien betrachten. Hinsichtlich ihrer Nähe zum Christlichen Glauben ist das nicht verkehrt. Wirft man aber einen Blick auf ihre Programmatik und ihren historischen Platz in der politischen Landschaft erinnert sie mehr an die deutsche SPD. In den Programmen beider Parteien fanden sich soziale Forderungen die man als Linker sofort unterstützen wird. Zu den Konzepten der chilenischen Christdemokraten gehörte der Punkt, dass der "Kapitalismus zu überwinden" sei. Der tatsächliche Inhalt ihres Strebens war und ist aber der Kampf gegen die konsequente Linke, ist ein profunder Antikommunismus.

Ihren Offenbarungseid leistete die chilenische Christdemokratie während der Regierung Allende. Anstatt mit der Linken ihre sozialen Forderungen umzusetzen verbündete sie sich mit der Rechten und bereitete so den Boden für den Militärputsch. Das war eigentlich auch nicht überraschend, schließlich war eine der Gruppen die sich in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts zur Democracia Cristiana vereinten die Falange Nacional. Mit diesem Namen drückte man in den 30er und 40er Jahren seinen positiven Bezug auf die spanische Diktatur aus.

Laut Rafael Agustín Gumucio, ein späterer Anführer der IC (Izquierda Cristiana - Christliche Linke), war an der Gründung und Finanzierung der DC der US-Geheimdienst CIA und die internationale Christdemokratie beteiligt. Die Gelder kamen aber nur dem rechten Parteiflügel zugute. Die Folgen beschreibt er so: "Allmählich unterließ man die Anstrengungen damit alle Parteimitglieder regulären Beitrag zahlen, weil in Wirklichkeit das was sich unter diesem Titel sammeln lässt, unbedeutend war in Relation zu den Mitteln die aus dem Ausland kamen oder von vermögenden Leuten gespendet wurden."

Trotz dieser Geschichte haben zumindest Teile der DC keine Probleme sich mit sozialistischer Theorie zu beschäftigen. Es überrascht wenn man im Buch Por la razon o la fuerza (Als Titel hat der Autor den chilenischen Wappenspruch gewählt: Mit Verstand oder Kraft), des schon erwähnten Genaro Arriagada, eine sich auf Marx berufende Argumentation findet. Darin legt er dar, warum es für die Oppositionsbewegung unmöglich war, zu einem erfolgreichen Generalstreik aufzurufen. Das lag nicht an ihrer Unfähigkeit sondern an der hohen Arbeitslosigkeit. Die Zahl der Arbeitslosen war höher als die der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter. Daher hatte der linke Flügel der Opposition kein Mittel in der Hand das Regime unter Druck zu setzen.

Der bewaffnete Kampf zählte nicht. Die militärische Strategie des MIR war 1983 schon zum zweiten Mal gescheitert. Trotzdem kam es zu einer Radikalisierung eines Teils der Gesellschaft und damit auch der Linken. Getragen wurde sie von Bewohnern der poblaciones, der großstädtischen Elendsviertel. Hier lebten wenige Arbeiter dafür aber viele Arbeitslose, Unterbeschäftigte oder Hausangestellte. Als Anfang 1984 die Beteiligung an den Nationalen Protesttagen zurückging, galt das nicht für diese Viertel. Hier fanden vor allem Straßenkämpfe statt. Diese Auseinandersetzungen führten jedes Mal zu Todesopfern auch unter Unbeteiligten. Als Pinochet im November 1984 den Belagerungszustand ausrief, war daher die Zustimmung in den unteren Schichten der Gesellschaft größer als in der Mittelschicht. Und das obwohl hier eine große Mehrheit weiterhin auf Seiten der Opposition stand.

Die KP distanzierte sich nicht von diesen Auseinandersetzungen, die von den Christdemokraten als Ausdruck von zielloser spontaner Gewalt betrachtet wurden. Für die KP waren sie ein Bestandteil ihrer Losung von der Legitimität "aller Formen des Kampfes".

Möglicherweise war das auch eine Reaktion auf das Fehlen der Möglichkeit des Generalstreiks. Wenn man als Linker nicht als Teil einer breiten Arbeiterbewegung die Regierung stürzen kann, bleibt nur der bewaffnete Kampf. Er wurde nun von der KP, mit ihrem bewaffneten Arm FPMR (Frente Patriotico Manuel Rodriguez) aufgenommen. Eigentlich ist diese Formulierung nicht ganz richtig, da sich die KP nie offiziell dazu bekannt hat, aber in der chilenischen Öffentlichkeit zweifelt niemand an diesem Zusammenhang.


Die Spaltung der Opposition

Das gab der DC die Möglichkeit die KP aus den sich ab 1983 bildenden Bündnissen gegen die Diktatur herauszuhalten. Als Begründung diente die, aus Sicht der DC und der Mittelschicht, abenteuerliche Politik der Kommunisten, die nur den Militärs in die Hände arbeitete. Daher agierte die Opposition gespalten. Auf der einen Seite bildete sich die von den Christdemokraten geführte Alianza Democrática (AD - Demokratische Allianz) und auf der Anderen um KP und MIR der MDP (Movimiento Democrático Popular - Demokratische Volksbewegung). Die Sozialisten waren gespalten. Der von Carlos Altamirano geführte Flügel, der sich sozialdemokratische Positionen zu Eigen gemacht hatte, arbeitete bei der AD mit. Dagegen war die Almeyda-Fraktion, die noch den traditionellen Werten verbunden war, Bestandteil der MDP.

Mitte der 80er Jahre stellt sich die Situation folgendermaßen dar: Die Linke hat kein Mittel die Regierung in Bedrängnis zu bringen und die Formen des Kampfes, die von ihr eingesetzt werden, isolieren sie. Die wirtschaftliche Lage verbessert sich und damit sinkt die Unzufriedenheit mit der Regierung. In diesem Umfeld schreitet das Regime mit der Schaffung von neuen Institutionen voran.

Letzteres versucht die FPMR 1986 mit ihrem Anschlag auf Pinochet zu stören. Doch der Angriff scheitert. Als Rache für die bei dem Anschlag gefallenen Mitglieder der Leibwache töten Todesschwadrone in den nächsten 48 Stunden vier ehemalige oder aktive linke Aktivisten. Eines der Opfer war der bekannte Journalist und Mitglied des Zentralkomitees des MIR José Carrasco Tapia.

Die Christdemokraten befanden sich in einer komfortablen Lage. Sie mussten die harte Repression nicht fürchten. Auch wenn es zu keiner Vereinbarung mit der Regierung gekommen war, arbeitete die Zeit für sie. Eine Bewegung, die eine ungeliebte Regierung loswerden möchte, wird letztlich die vorhandenen Möglichkeiten nutzen, wenn sie keine wirksameren in den Händen hält. Das war im Falle Chiles die in der Verfassung von 1980 vorgesehene Volksabstimmung über die Regierung Pinochet. Diese musste 1988 durchgeführt werden und hatte als Alternativen "Ja" - ihre Fortsetzung, oder "Nein" - freie Präsidentschaftswahlen im folgenden Jahr.

Der Weg dahin führte über mehrere Stationen. Aus Sicht des bürgerlichen Widerstandes handelte es sich dabei um einzelne Kämpfe, die jeweils gewonnen werden mussten, um bei der nächsten Auseinandersetzung überhaupt eine Chance auf Erfolg zu haben. Dabei spielten die Wahlregister eine entscheidende Rolle. Die Diktatur hatte sie nach dem Putsch verbrennen lassen. Im Rahmen der Bildung der neuen Institutionen wurden sie wieder belebt. Jeder Wahlberechtigte konnte sich freiwillig eintragen lassen. Aber nur die Eingetragenen durften auch an den Abstimmungen teilnehmen. Das Kalkül der Regierung war, dass sich die Opposition an dieser Frage spalten werde. Ließen sich nur die bürgerlichen Gegner einschreiben, hätte das Regime eine Chance die Volksabstimmung zu gewinnen. Daher trug sich, im Rahmen eines offiziellen Aktes, Pinochet im Februar 1987 als Erster ein. Auf diese Weise wurde die Einschreibung zur staatstragenden Pflicht erhoben, durch die man der Regierung sein Vertrauen ausspricht.


Die Probleme der Linken

Die Christdemokraten riefen zur Einschreibung auf, achteten aber darauf, sich vom Regime abzugrenzen. Die KP lehnte dies ab weil sie sich nicht an der Schaffung von Illusionen über die Diktatur beteiligen mochte. Doch der gesellschaftliche Druck wuchs und hatte am Ende zur Folge, dass sie vom Comando Socialista por el No (Sozialistisches Kommando für das Nein), darunter enge Verbündete wie der Almeyda-Flügel der Sozialisten, im Oktober aufgefordert wurde, zu dieser Frage eindeutig Stellung zu beziehen. Nun gab sie ihren Widerstand auf und unterstützte die Eintragung.

Dieses Beispiel zeigt, wie sich die Kommunisten, aber auch der MIR, für die Gesellschaft überflüssig machten. Welche Existenzberechtigung hat eine politische Kraft, die nicht auf ihrer Seite der Barrikade an einer wichtigen Auseinandersetzung teilnehmen will? Die sich nur durch den Druck ihrer Verbündeten schließlich zur Teilnahme bereit erklärt?

Die Befürchtungen der Kommunisten waren allerdings nicht unbegründet. Schließlich hatte das Regime schon die Abstimmung über die Verfassung manipuliert. Doch in dieser Frage folgte die KP nicht wirklich ihrer Linie. Hatte Corvalán doch alle Formen des Kampfes für legitim erklärt. Die Eintragung in die Wählerverzeichnisse war doch eigentlich eine Form des Kampfes. Das hätte man so propagieren können, selbstverständlich mit dem Hinweis auf die zweifelhaften Erfolgsaussichten.

Doch das sind theoretische Überlegungen nach mehr als 20 Jahren. Kommunistische Parteien mögen eine noch so zentralistische Organisationsstruktur aufweisen, am Ende sind es demokratische Organisationen. Macht die Leitung nicht das, was die Basis erwartet, wird sie hinweg gefegt. Möglicherweise war das der tiefere Grund für das Agieren der KP.

Welcher Revolutionär schwenkt schon gern auf die Linie einer Partei ein, und sei sie noch so berechtigt, deren Ziel immer die Bekämpfung des revolutionären Lagers war und die dabei die Ermordung von Sozialisten und Kommunisten billigend in Kauf genommen hatte? Die auch weiterhin jede organisatorische Zusammenarbeit mit Kommunisten ablehnte? Gibt man seinen Gefühlen freie Bahn wird man dies nicht tun. Doch zu den wichtigen Aufgaben von Kommunisten gehört auch die Aussprache von schmerzlichen Wahrheiten.

Dass dies nicht, oder nicht in ausreichendem Maße, geschehen ist, hat die KP in eine Existenz bedrohende Krise gestürzt, allerdings darf der Gerechtigkeit halber nicht vergessen werden, dass diese Krise durch das Ende der UdSSR verschärft worden ist. Bei Genaro Arriagada kann man die christdemokratische Freude über die strategischen Fehler der Kommunisten nachlesen. Das folgende Zitat bezieht sich auf die Änderung der politischen Linie von 1980.

"Seit damals kostete es die KP drei Jahre in Chile ihren bewaffneten Apparat in Funktion zu setzen ... und 10 Jahre sich zu spalten. Die KP hatte sich auf den Weg zu ihrer taktischen Niederlage begeben, der militärischen von 1986 und der strategischen, welche 1990 ihre Spaltung sein würde. So begann die Krise und der endgültige Verfall dessen was, bezogen auf die Dimensionen des Landes, die größte Kommunistische Partei des Westens war, nur in der Bedeutung übertroffen durch ihre Artgenossen aus Italien und Frankreich."

Doch erst einmal spaltete sich die Basis der Diktatur. Hier hatte sich als Einheitspartei aller rechter Strömungen die Renovacion Nacional (Nationale Erneuerung, RN) gebildet. Streitpunkt war die Frage ob nicht Präsidentschaftswahlen mit mehreren Kandidaten für das Regime vorteilhafter wären. Ein von Onofre Jarpa geführter Flügel tendierte dazu. Er ahnte, dass die Volksabstimmung die gespaltene Opposition hinter dem "Nein" einigen wird. Demgegenüber hätte eine Präsidentschaftswahl den Vorteil, dass mehrere oppositionelle Kandidaten ins Rennen gehen würden. Diese könnten von der Rechten leichter besiegt werden. Dem widersetzte sich der treu zu Pinochet stehende Flügel unter Jaime Guzmán. Er verließ die RN und formte seine UDI (Unabhängige Demokratische Union) von einer Bewegung zur Partei um.

Die Überlegungen von Jarpa waren nicht falsch. So sollte aus der Concertación de los partidos del NO (Konzertierte Aktion der Parteien des NEIN) die Concertación hervorgehen, die in den nächsten 20 Jahren die Präsidenten stellen wird. Doch vorerst bestimmen noch die Militärs die Linie. Sie schickten Pinochet ins Rennen. Doch ihr Bewegungsspielraum schrumpfte.


Die internationale Einflussnahme

In den ersten Jahren nach dem Putsch wurde das Regime von den imperialistischen Ländern gestützt. Nach außen verurteilte man die Menschenrechtsverletzungen aber insgeheim billigte man sie. Schließlich hatte man den gleichen Feind, die sozialistische und kommunistische Bewegung. Unvergessen ist z.B. der Freundschaftsbesuch von Franz Josef Strauß bei Pinochet. Oder die Ausbildung von chilenischen Offizieren bei der Bundeswehr während der SPD-FDP Regierung.

Doch eine Alleinherrschaft beinhaltet auch Risiken. Das mussten die imperialistischen Länder schmerzlich in Nicaragua erfahren. Dort hatte 1979 ein Bündnis, das von der linken Guerrillaorganisation FSLN bis zum Unternehmerverband reichte, den Diktator Somoza gestürzt. Da die Kämpfe auf der Straße von den unteren Volksschichten getragen wurden hatte anschließend die FSLN die Regierungsgewalt in ihren Händen. Sie nutzte sie für eine Reihe von sozialen Veränderungen.

Diese Gefahr bestand auch in Chile. Daher kam es Ende der 70er Anfang der 80er Jahre zu einer Änderung im Umgang mit dem Regime. Möglicherweise wurde schon die Einführung der pinochetistischen Verfassung, mit ihrer Perspektive zu so etwas wie Demokratie, von diesen Kräften beschleunigt. Diese Einflussnahme verstärkte sich nach dem Aufkommen der Nationalen Protesttage. Auf Seiten der Opposition wurden die gemäßigten Kräfte finanziell, und wahrscheinlich auch mit Beratung in Fragen der Strategie, unterstützt. Es scheint, dass auch die Mehrheit der oppositionellen Presseorgane, die in den 80er Jahren entstanden waren, von diesen Zahlungen abhängig war. Zumindest verschwanden sie kurz nach dem Ende der Diktatur vom Markt.

Im Vorfeld des Plebiszits gab es die Befürchtung, dass es von den Militärs abgesagt wird. Auch lag eine Wahlfälschung im Bereich des Möglichen. Daher informierten kurz vor der Abstimmung die Regierungen in Washington und Bonn die chilenischen Botschafter von ihrer Besorgnis betreffend der Entwicklungen in Chile. In den Erinnerungen bürgerlicher Oppositioneller wie Arriagada werden diese Stellungnahmen als sehr wichtig für den Fortgang der Ereignisse angesehen.

Der Abend des Plebiszits war für die politischen Führer des Landes, Regierung wie Opposition, sehr spannend. Nach den vorliegenden Berichten wurde von den Vertretern der verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren, mit Ausnahme der Linken, untereinander ausgemacht, ob man die Zahlen des Innenministeriums oder die von unabhängigen Wahlbeobachter als verbindliches Ergebnis betrachtet.

Man einigte sich auf die realistischen Zahlen der Wahlbeobachter. Danach hatte Pinochet mit 43 zu 54,7 Prozent verloren. Wenn man Arriagada Glauben schenkt, hat die Regierung ihre Niederlage nur aufgrund des Druckes von Jarpa und anderen Politikern der RN anerkannt.


Der verhandelte Übergang

Nach seiner Niederlage hatte Pinochet erklärt, dass es an der Verfassung von 1980 keine Änderungen geben wird. Doch dabei blieb es nicht. Einige Bestimmungen waren so starr, dass sich damit nur schwer ein normales staatliches Leben organisieren ließ. Das betraf vor allem die Bestimmungen wie Änderungen an der Verfassung vorgenommen werden können. Schließlich einigte sich die Concertación mit dem Regime auf sechs Modifikationen. Für Linke ist dabei die Streichung des Inhalts von Artikel 8 von besonderer Bedeutung. Wurde damit doch das Verbot aller Gruppen, deren Ideologie im Klassenkampf gründet, aufgehoben.

Der linke Soziologe Tomás Moulian stellt fest, dass aus den Verfassungsänderungen auch die Concertación Vorteile zog. "Aber auf der Basis eines Preises: (Die Concertación) verlor Kraft um die radikale Negation in Angriff zu nehmen, (sie ist) verurteilt zu einer ineffizienten Regierung, von einer konstitutionellen Ordnung die Erzeuger von Unregierbarkeit ist. Damit verurteilten sie sich dazu, nicht mehr zu sein als Geschäftsführer einer sozialen Ordnung geerbt von Pinochet."

Im Vorfeld der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen des Jahres 1989 sorgten die Christdemokraten dafür, dass sich die Kommunisten nicht an der Concertación beteiligen konnten. Daraufhin bildete die KP mit einigen kleineren Parteien ein zweites oppositionelles Parteienbündnis. Es hatte aber aufgrund des Binominalen Wahlsystems keine Chance auf Mandate. Im Vorfeld dieses Urnenganges hatten sich auch die letzten Sozialisten auf sozialdemokratische Positionen begeben und wurden Teil der Concertacion. Bei der Präsidentschaftswahl verzichtete die verbliebene Linke auf einen eigenen Kandidaten. Hier setzte sich der Christdemokrat Patricio Aylwin gegen den Vertreter des Regimes durch.

Mit der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch Aylwin im März 1990 endete die Diktatur nach fast 17 Jahren. In dieser Zeit haben laut dem Informe Rettig (Ausgabe von 1999), dem Bericht der chilenischen Wahrheitskommission, 3196 Menschen aus politischen Gründen ihr Leben verloren oder zählen zu den Verschwundenen. Davon kann man in 2905 Fällen der Diktatur die Verantwortung nachweisen. Nur 152 Tote werden auf das Konto der Opposition gebucht. Von den Opfern dieser Zeit waren 1275 Mitglieder einer Partei. Den größten Blutzoll hatten naturgemäß die bedeutenden linken Parteien aufzubringen. Die Sozialisten hatten 401 Tote und Verschwundene zu beklagen, der MIR 393 und die Kommunisten 390. Diese Zahlen lassen erahnen was das für einen intellektuellen Verlust für die jeweilige Organisation bedeutet. Gerade bei den Kommunisten wurden gezielt Leitungsmitglieder umgebracht.

Mit dem Übergang zu einer beschränkten Demokratie änderte sich nichts an den sozialen und ökonomischen Verhältnissen im Land. Doch für die aktiven Linken, die sich nicht im Laufe der Zeit von ihren Zielen entfernt hatten, war es trotzdem ein wichtiges Ereignis. Mit dem Ende der Diktatur endete auch die direkte Bedrohung ihrer Leben durch Todesschwadrone.


[*] Anmerkung der Schattenblick-Redaktion:
Teil 1 + 2 sind zu finden unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Medien -> Alternativ-Presse ->
ARBEITERSTIMME/212: Die Erschaffung einer rechten Dominanz in Chile - Teil 1
ARBEITERSTIMME/222: Die Erschaffung einer rechten Dominanz in Chile - Teil 2


*


Quelle:
Arbeiterstimme, Nr. 169, Herbst 2010, S. 36-41
Verleger: Thomas Gradl, Postfach 910307, 90261 Nürnberg
E-Mail: redaktion@arbeiterstimme.org
Internet: www.arbeiterstimme.org

Die Arbeiterstimme erscheint viermal im Jahr.
Das Einzelheft kostet 3 Euro,
Abonnement und Geschenkabonnement kosten 13 Euro
(einschließlich Versandkosten).
Förderabonnement ab 20 Euro aufwärts.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2010