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ARBEITERSTIMME/271: Lateinamerika nach Chavez


Arbeiterstimme Nr. 180 - Sommer 2013
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Lateinamerika nach Chavez

Zu einigen Aspekten der aktuellen Entwicklung auf dem Subkontinent



Der spanische Journalist, Ehrenpräsident von Attac und Mitorganisator des Weltsozialforums, Ignacio Ramonet, schrieb in seiner Jahresvorschau "So wird 2013" zu Lateinamerika:

"Auch für Lateinamerika wird 2013 ein Jahr voller Herausforderungen. Vor allem für Venezuela, das seit 1999 eine führende Rolle bei den fortschrittlichen Veränderungen auf dem gesamten Subkontinent spielt. Der unerwartete Krankheitsrückfall des Präsidenten Hugo Chávez - am 7. Oktober wieder gewählt - schafft eine gewisse Unsicherheit. Obwohl sich der Präsident von einer erneuten Krebsoperation erholt, können Neuwahlen im kommenden Februar nicht ausgeschlossen werden. Der von Chávez ernannte Kandidat der bolivarischen Revolution wird der aktuelle Vize Präsident Nicolás Maduro sein, ein sehr ernsthafter Politiker mit allen erforderlichen menschlichen und politischen Qualitäten, um sich durchzusetzen."

Die "gewisse Unsicherheit" endete am 5. März, als von Vizepräsident Maduro bekannt gegeben wurde, Chavez sei seinem Krebsleiden erlegen. Hugo Rafael Chavez Frias wurde gerade mal 58 Jahre alt.

Luiz Inacio Lula da Silva, von 2003 bis 2010 Präsident Brasiliens charakterisierte Chavez in einem Nachruf: "Die Geschichte wird berechtigterweise die Rolle bestätigen, die Hugo Chavez im Integrationsprozess Lateinamerikas gespielt hat. Ebenso wird sie die Bedeutung seiner 14-jährigen Amtszeit für die arme Bevölkerung Venezuelas bestätigen (...)" Dabei stand Lula da Silva durchaus in verschiedenen Fragen und Ansichten eher distanziert zu Chavez. Das brachte er im Nachruf, wenn auch vorsichtig, zum Ausdruck: "Ich muss zugeben, dass ich oft das Gefühl hatte, dass es für ihn vernünftiger gewesen wäre, nicht alles von dem zu sagen, was er gesagt hat. Aber dies war eine seiner persönlichen Eigenschaften, die seine Qualitäten nicht diskreditieren sollten, auch nicht aus der Ferne." Der Ende April im Alter von 90 Jahren verstorbene Präsident der Kommunistischen Partei Venezuelas, Jeronimo Carrera, sagte in einem Interview 2008 über Chavez: "Ich habe immer geglaubt, dass es nicht möglich wäre, dass eine Person zugleich Christ, Bolivariano und Marxist ist. Aber Hugo Chavez ist diese Mischung." (jW, 25.5.13)

Anlässlich eines Vortrags auf einer Konferenz im März in Caracas ging Boliviens Vizepräsident Alvaro Garcia Linera auf die Bedeutung des venezolanischen Präsidenten ein: "In Lateinamerika kann die Zeitrechnung in eine Ära vor Chavez und die Epoche nach Chavez eingeteilt werden." Als Frontmann der sog. Bolivarischen Revolution habe er weit über die Grenzen Venezuelas hinaus "mit der neoliberalen Privatisierungslogik und dem neokolonialen Einfluss der USA in der Region" gebrochen. Die Agonie der Linken sei mit dem bewaffneten Aufstand unter Führung von Hugo Chavez symbolisch beendet worden. Linera wies auf drei Charakteristika der neuen Linksregierungen hin. So habe die Bolivarische Revolution gezeigt, "dass das Wesen des Staates verändert werden kann, wenn der politische Prozess das Verhältnis der sozialen Akteure zueinander neu definiert". Das zweite Charakteristikum sei die Rückbesinnung auf die Verfassungsordnung. Nach Venezuela seien auch in Bolivien und Ecuador Verfassungsgebende Versammlungen durchgeführt worden, um das Wesen des Staates neu zu bestimmen. Das dritte Charakteristikum bezieht sich lt. Linera auf den Antiimperialismus, der seine Vorbilder länderübergreifend bei den antikolonialen Befreiungskriegen des 19. Jahrhunderts suche. Aber auch dieser Antiimperialismus brauche eine "materielle Grundlage" und die habe die Regierung Chavez geschaffen, indem sie die Gründung der Bündnisse ALBA, CELAC, Petrocaribe und die Buchwährung Sucre auf den Weg brachte.

Der in La Paz lebende marxistische Journalist Hugo Moldiz spricht von drei Sachverhalten, "welche die Erhebung Lateinamerikas" in den neunziger Jahren bestimmten: "1. Das Aufkommen und Anwachsen der Zapatisten in Mexiko im Jahre 1994. 2. Der Aufbruch der Bauern und Ureinwohner in Bolivien und Ecuador, die sich ihre eigenen politischen Werkzeuge schufen. 3. Der Sieg von Hugo Chavez 1998 in Venezuela."


Vor welchen Herausforderungen steht die neue venezolanische Regierung?

Die Präsidentschaftswahl am 14. April 2013 gewann der 51-jährige Vizepräsident Nicolas Maduro bei einer Wahlbeteiligung von 78,71 Prozent mit 50,66 Prozent der Stimmen gegen seinen Herausforderer, den Gouverneur des Bundesstaates Miranda, Henrique Capriles Radonski (49,06 %), einem Wirtschaftsjuristen aus wohlhabendem Hause und Günstling Washingtons, knapper als erwartet.

Die unterlegene bürgerliche Opposition sah im knappen Wahlausgang die Chance, die Legitimität des Wahlsiegers in Frage zu stellen und durch das Schüren von Unruhen, die zehn Leuten aus dem Lager Maduros das Leben kostete, eine Situation herbeizuführen, die das Land destabilisieren sollte. Das Wahlergebnis wurde von Capriles nicht anerkannt. Dabei kam selbst der Repräsentant der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), Eickhoff, in seinem Länderbericht vom 15. April eindeutig zu dem Ergebnis und bezog dabei die Erfahrungen mit den früheren Wahlen mit ein, dass die Wahlauszählung korrekt verlaufen sei. "Das Gesamtergebnis stimmte regelmäßig mit dem Inhalt der Wahlakten im einzelnen Wahllokal überein." Trotzdem bezeichnet er Maduro als "vorläufige(n) Wahlsieger" und will in Capriles den unbestrittenen Führer einer Opposition erkennen, "die mit großer Wahrscheinlichkeit mehr als die Hälfte der wahlberechtigten Bevölkerung umfasst". Der KAS-Vertreter, der in seinem Bericht keinen Zweifel darüber lässt, wem seine Sympathie gehört und was er von Chavez und seinem Nachfolger hält, bezweifelt die "künftige Legitimität der Amtsführung" Maduros. Das liest sich dann so: Da Chavez seinem Nachfolger "ein ruiniertes Land hinterlassen" habe, werde Nicolas Maduro "in den nächsten Monaten ansehen müssen, wie die Probleme wachsen und seine Umfragewerte weiter sinken". Und warum soll das so sein? Auch dafür hat Eickhoff eine Erklärung: "Die sozialistische Ideologie nach kubanischem Vorbild hat nur wenige Lösungen für die nationalen Probleme Venezuelas anzubieten." Das ist zwar platt und dümmlich, aber ein KAS-Vertreter kann sich dieses Niveau erlauben. Die Konrad-Adenauer-Stiftung ist in Caracas keine unbekannte Institution. Die Partnerpartei der KAS, Primero Justicia, war 2002 am Putschversuch gegen Chavez beteiligt. Unter anderen waren der jetzt unterlegene Präsidentschaftskandidat Capriles Rodonski und Leopoldo Lopez, beide Mitbegründer von Primero Justicia, während des Putsches an der Entführung des Innen- und Justizministers Ramon Rodriguez Chacin und der Plünderung seines Hauses beteiligt. In Staaten mit fortschrittlichen Regierungen sind diese gut beraten, auf Aktivitäten der CDU nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, der CSU nahen Hanns-Seidel-Stiftung und der FDP nahen Friedrich-Naumann-Stiftung mit besonderer Sorgfalt zu achten. Die neue Regierung Venezuelas hat ebenso wie die vorherige nicht nur mit einer Delegitimierungsstrategie a la Eickhoff und Freunde zu rechnen. Auch deutsche Medienvertreter - nicht nur aus dem rechtskonservativen Spektrum - lassen schon jetzt kein gutes Haar an Chavez' Nachfolger. Peter Burghardt kommentierte das Wahlergebnis am 16. April in der Süddeutschen Zeitung: "Erschöpft ist der Chavismus so oder so. Die Wirtschaft ist zu abhängig vom Ölpreis, und der Einfluss der Armee und Kubas geht selbst manchen Sympathisanten zu weit. Der Caudillo Chavez ist tot. Maduro wird sich schwertun, das Erbe nur mit Parolen und Heiligenverehrung zu verteidigen." Und dann die Prognose ähnlich wie bei Eickhoff: "Wenn er so weitermacht, dann erledigt sich die chavistische Herrschaft spätestens nach der nächsten Wahl." Hierzulande gibt die Journaille einer neuen Regierung wenigstens 100 Tage. Fairness für die venezolanische Regierung? Fehlanzeige! Wobei an einer kritischen Kommentierung der Entwicklung in Venezuela nichts auszusetzen wäre, ganz im Gegenteil. So z.B. Raul Zelik, der bei aller Kritik das Wesentliche nicht unerwähnt lässt: "Die Heftigkeit des Konflikts in Venezuela hat nicht zuletzt damit zu tun, dass dort, anders als in vielen Staaten Europas, nicht nur über das Regierungspersonal, sondern auch über die Inhalte der Politik abgestimmt wird." Er benennt diese in vier Punkten: "die Organisation der Wirtschaft, das Demokratiemodell, die außenpolitische Orientierung und die Verteilung des Landes." Es geht nach Zelik "um nichts weniger als die Frage: neoliberaler Kapitalismus oder lateinamerikanisch-sozialistischer Wohlfahrtsstaat". Dass die Wahlen für das Regierungslager so knapp ausgegangen sind, begründet er u.a. mit der "Entwicklung des Chavismus selbst". Seine Kritik ist bitter, hat aber einen anderen Charakter als die der Eickhoffs und Burghardts, wenn er schreibt: "Da Venezuelas Ölreichtum - nicht erst seit Chavez - vom Staatsapparat kontrolliert wird, wuchern Bürokratie und Korruption. Mit der 'Boli-Bourgeoisie' - benannt nach der Bolivarischen Revolution, dem von Chavez initiierten politisch-sozialen Prozess - ist eine neue aufstrebende Oberschicht entstanden, die von der einfachen Bevölkerung ähnlich weit entfernt ist wie die von der Opposition repräsentierten traditionellen Eliten." Chavez habe vielen VenezolanerInnen als Garant dafür gegolten, "dass diese aufstrebende Schicht nicht völlig die Oberhand gewinnt". (WOZ, 25.4.13)



Macht die neue Regierung ihre Hausaufgaben?

Die Regierung von Nicolas Maduro wird daran gemessen werden, wie sie mit den vorhandenen Problemen umgeht und in welchem Tempo sie den bolivarischen Prozess vorantreibt. Wer an Maduros Entschlossenheit Zweifel hegte, musste sich bereits am 1. Mai eines Besseren belehren lassen. Der Präsident, Mitbegründer der Gewerkschaft des Öffentlichen Personennahverkehrs von Caracas, SITRAMECA, unterzeichnete an diesem Tag ein Gesetz, mit dem ein neues Arbeitsrecht in Kraft trat. Vor mehr als 20.000 Beschäftigten der Metro Caracas erklärte er dazu: "Unsere Aufgabe ist es, seine Umsetzung durch Unternehmer sowie durch die Leitungen der öffentlichen und privaten Institutionen einzufordern." Das Arbeitsgesetz bringt wesentliche Verbesserungen für die venezolanische Arbeiterklasse. So wird die tägliche Arbeitszeit auf acht Stunden begrenzt und die wöchentliche von bislang 44 auf 40 Stunden herabgesetzt. Bei Nachtschicht beträgt sie 35 statt bisher 40 Stunden. Bei in Wechselschichten Beschäftigten wird sie von bisher 42 auf 37,5 Stunden reduziert. Zwei zusammenhängende freie Tage werden denen garantiert, die am Wochenende arbeiten müssen. Als weitere Verbesserungen sieht das neue Arbeitsrecht vor: Der Mutterschutz dauert künftig von sechs Wochen vor der Geburt bis 20 Wochen danach. Das "Outsourcing", also die Auftragsvergabe an Subunternehmen wird untersagt. Bereits bestehende Verträge müssen innerhalb von drei Jahren aufgelöst werden. Das Arbeitsministerium bekommt ein Einspruchsrecht, wenn ein Unternehmen Massenentlassungen plant. Bei der Schließung eines Unternehmens müssen Sozialabgaben und Gehälter vor allen anderen Verbindlichkeiten beglichen werden. Dafür haften Unternehmer auch mit ihrem Privatvermögen. Auch bei einer anderen Baustelle zeigt Maduro Entschlossenheit. Durch verschiedene wirtschaftspolitische Maßnahmen soll die Industrialisierung des Landes vorangetrieben und die Produktion erhöht werden. Dazu wird die Zusammenarbeit mit ALBA und Mercosur forciert. Vieles spricht dafür, dass die Opposition auf Engpässe in der Grundversorgung der Bevölkerung setzt, um Unzufriedenheit mit der Regierung zu schüren. Und wenn die Regierung im Kampf gegen die Armut Erfolge verzeichnen kann, steigt logischerweise der Verbrauch an. Das Problem darf in Venezuela wie auch in anderen Staaten Lateinamerikas mit fortschrittlichen Regierungen nicht unterschätzt werden.


Hat Chavez' Tod Auswirkungen auf den kolumbianischen Friedensprozess?

Hans Weber schrieb am 6. März in amerika 21: "Offen bleibt, welchen Einfluss Chavez' Tod auf die Fortführung des Friedensdialogs zwischen der Regierung Kolumbiens und den FARC-Rebellen haben wird. Lt. dem Nachrichtenportal La Silla Vacia sollte der verstorbene Präsident eine wichtige Rolle als Garant für den Fall übernehmen, dass die FARC-Kämpfer tatsächlich die Waffen niederlegen. Chavez hätte garantieren sollen, dass die möglichen Vereinbarungen eingehalten und die Rebellen beispielsweise nicht in die USA ausgeliefert werden, schreibt die Redakteurin Juanita Leon. Auch Präsident Santos ... sagte, dass die Friedensverhandlungen 'dank des Engagements und der grenzenlosen Hingabe von Präsident Chavez und der Regierung Venezuelas' fortgeschritten seien."

Ob sich jetzt die neue Situation negativ auf die weiteren Verhandlungen auswirken wird, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorausgesagt werden. Die Verhandlungen befinden sich in einem fortgeschrittenen Stadium, und jede der beiden Seiten, die einen Abbruch herbeiführte, müsste sich in der Öffentlichkeit rechtfertigen und dafür stichhaltige Gründe anführen können. Der Friedensprozess hat in weiten Teilen der Bevölkerung Kolumbiens, dem nach Brasilien bevölkerungsreichstem Land Südamerikas, eine deutlich wahrnehmbare Akzeptanz gefunden. So demonstrierten in der zweiten Aprilwoche weit über eine Million Menschen in der Hauptstadt Bogota für die Weiterführung und Vertiefung des Friedensdialoges in Havanna.

Menschen aus 2000 sozialen Organisationen waren aus den zum Teil entlegenen Gebieten angereist, um ihre Forderungen lautstark zum Ausdruck zu bringen. Initiatorin der Demonstration war die Bewegung Marcha Patriotica, die von regierungsnahen Kräften immer wieder als FARC-nah denunziert wird. Aber auch viele andere Organisationen hatten sich an der Mobilisierung beteiligt. Als schließlich selbst Präsident Santos zur Teilnahme aufgerufen hatte, musste er sich den Vorwurf des Opportunismus gefallen lassen. Andererseits soll es Hinweise aus dem Repressionsapparat geben, die auf Planungen für eine mögliche Ermordung des Präsidenten hinweisen. Schließlich bedroht ein Friedensschluss die weitere Existenz eines überdimensionierten Polizei- und Militärapparates, der sich großer Privilegien erfreut. Bereits eine Woche nach der Massendemonstration tagte ebenfalls in Bogota der "Nationalkongress für den Frieden". An ihm nahmen mehr als 20.000 Menschen aus 16 Ländern teil, um eine "soziale Agenda für den Frieden" zu entwerfen. In einer Schlusserklärung wurden die wichtigsten Forderungen zusammengetragen. "Hauptforderungen sind die Schaffung von regionalen und lokalen Räumen für den Dialog zwischen Regierung, Aufständischen und Gemeinden zur Lösung der Krise, sowie Förderung und Aufbau einer Wahrheitskommission." (B. Grasse, a21, 25.4.13)

In einer Videobotschaft an den Kongress rief Nicolas Rodriguez, einer der Anführer des ELN, der zweitgrößten Guerillaorganisation, zu einer großen nationalen Friedensanstrengung auf. Der ELN soll seit Mitte Mai ebenfalls an Verhandlungen mit der kolumbianischen Regierung beteiligt sein. Auch in diesem Fall ist der entscheidende Anstoß noch von Hugo Chavez gekommen. Die Gespräche sollen zum Teil andere Schwerpunkte, als die von Regierung und FARC-EP vereinbarten, beinhalten. So etwa die Themenbereiche Erdölindustrie, ausländische Direktinvestitionen, Arbeitsreform und Bildung.

Ungeachtet der Friedensbemühungen seitens der Guerilla und vieler sozialer Organisationen, wird der Krieg durch Polizei und Militär ständig intensiviert: In der zweiten Maiwoche ließ die Führung der FARC-EP folgende Meldung bekanntgeben: "Die kolumbianische Presse überschlug sich in den letzten Tagen mit der zynischen und freudigen Meldung, dass bei Militäroperationen (im Südwesten Kolumbiens) zwischen den Provinzen Cauca und Nariño der Kommandeur der mobilen Kolonne 'Jacobo Arenas' Jorge Eliécer Zambrano Cardoso alias 'Caliche' getötet worden ist. Er starb zusammen mit sieben weiteren Guerilleros bei einem Angriff des Militärs. (...) Mit dem Tod von Caliche ist einer der engsten Vertrauten von Pablo Catatumbo, der sich derzeit bei den Verhandlungen in Kuba aufhält, getroffen worden." Auf Catatumbo sind vom US-State Departement bis zu 2,5 Millionen US-Dollar ausgesetzt.

Die FARC-EP ließen in einem Artikel über "Kompromisse und revolutionäre Prinzipienfestigkeit" Bedenken aus der Organisation und dem Umfeld entkräften, "inwieweit eventuell abgeschlossene Kompromisse die Prinzipienfestigkeit der Organisation aufgeben würden". Interessant ist in dem Papier nicht zuletzt die Einschätzung des Kräfteverhältnisses. "Das Kräfteverhältnis liegt militärisch zugunsten der Regierung, auch wenn die FARC-EP militärisch nicht besiegt werden können." Die Zustimmung in der Bevölkerung sei "zwar in vielen Gegenden groß, ein politischer Umschwung aber unrealistisch, weil viele Menschen den Krieg satt haben und politisch nicht überzeugbar sind". Lenin wird häufiger bemüht, wenn es um Kompromissfähigkeit geht; "auch wenn man sie (die Kompromisse) mit teilweise unliebsamen 'Verbündeten' eingehen müsse". Sehr realistisch wird festgestellt: "Die FARC-EP hatten in den letzten zehn Jahren mit einer politischen Isolierung auf nationaler und internationaler Ebene zu kämpfen." Der Artikel schließt mit der Feststellung: "Frieden für Kolumbien ist dieses große Ziel, nach dem sich ein Großteil der Bevölkerung sehnt. Dafür müssen auch Kompromisse eingegangen werden. Revolutionäre Politik soll prinzipienfest sein, aber auch flexibel und kompromissfähig." Ein weiterer Beleg für die Ernsthaftigkeit, mit der die Friedensverhandlungen von der Delegation der FARC-EP geführt werden.


Sind linke Regierungen im Kampf gegen die Armut erfolgreich?

Während die peripheren Staaten der reichen EU immer mehr in Armut, Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit versinken, führen die von fortschrittlichen Kräften regierten Staaten Lateinamerikas einen offensiven Kampf gegen die verschiedenen Ausprägungen der Armut, die ihnen von IWF hörigen Vorgängerregierungen hinterlassen wurden.

Dazu der ecuadorianische Präsident Rafael Correa anlässlich seines Deutschlandbesuches im April: "Unser Hauptaugenmerk gilt der Armut. In der Verfassung haben wir den Grundsatz der andinen Völker verankert, dass wir den Menschen das 'Buen Vivir' ermöglichen wollen, ein gutes Leben. Das ist nicht erreicht, solange es auch nur einen Armen in Ecuador gibt. Wir haben die Armut um zehn Prozent verringert, aber es sind immer noch 26 Prozent." (SZ, 23.4.13) In Venezuela wurde seit der Regierungsübernahme durch Chavez die Armutsquote von weit über 50 auf ca. 30 Prozent reduziert, also in etwa halbiert. "Venezuela gilt mittlerweile als das Land Lateinamerikas, in dem die Ungleichverteilung der Einkommen am geringsten ist. (D. Boris/A. Wahl, 2013) Die Armutsbekämpfung hat in allen links regierten Staaten Lateinamerikas Priorität. In Uruguay beginnt die Regierung von Präsident Jose Mujica gerade mit dem Plan "Sieben Zonen". Ziel ist die Armut in besonders betroffenen Gebieten systematisch zu bekämpfen. Man setzt Schwerpunkte, was die Konzentration extremer Armut in Großstadtregionen betrifft. Mit einem Bündel von sozialen Maßnahmen soll die strukturelle Armut, die in den 60er Jahren entstanden ist, beseitigt werden. Der verantwortliche Minister für soziale Entwicklung, Daniel Olesker, kann auf gute Erfolge der Frente Amplio-Regierung verweisen. So betrage die extreme Armut, die 2004 bei 4,7 Prozent lag, heute nur noch 0,5 Prozent. Die Armut habe damals 39,9 Prozent betragen und sei bis 2012 auf 12,4 Prozent der Bevölkerung reduziert worden. Und das alles trotz der Weltwirtschaftskrise, die das Regieren auch in Uruguay nicht gerade erleichtert hat.

Der aktuelle Jahresbericht (Human Development Report, HDR) des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) bescheinigt den Staaten Lateinamerikas und der Karibik seit Beginn des 21. Jahrhunderts weltweit den größten Fortschritt bei der menschlichen Entwicklung gemacht zu haben. Während beim Ländervergleich der Weltbank nur National- und Pro-Kopf-Einkommen Berücksichtigung finden, werden hier auch Indikatoren wie Lebenserwartung, Alphabetisierung, Bildungsentwicklung und geschlechterspezifische Ungleichheit herangezogen. Unter den 187 in die Untersuchung einbezogenen Ländern liegt Kuba mit Platz 59 noch vor Mexiko, Brasilien und Kolumbien. Würde man das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen als Kriterium außer Acht lassen, wäre der Platz des sozialistischen Landes noch weiter vorne. So liegt etwa die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen auf Kuba mit 79,3 Jahren noch über der in den USA mit 78,7 Jahren. Venezuela, das sich ebenso wie Kuba in der Gruppe der hochentwickelten Länder befindet, konnte sich schon im Vorjahr von Platz 75 auf 73 vorarbeiten und befindet sich jetzt auf Platz 71. Weit abgeschlagen sind die von reaktionären Kräften zurückgeputschten Länder Paraguay (111) und Honduras (120).


Sind die bisher ökonomisch dominierenden Klassen bereits in der Defensive?

Dieter Boris und Achim Wahl, zwei überaus versierte Kenner der Entwicklungen in Lateinamerika, kommen in der Einschätzung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses zu einer sehr vorsichtigen Bewertung, die nähere Zukunft betreffend:

"Charakteristisch für die Politik der linksgerichteten Regierungen ist der vorherrschende Pragmatismus. Es fehlt aber offenbar für eine neue Etappe die erforderliche strategische Zielstellung, die über das bisher Erreichte hinausweist. So betrachtet, sind diese Entwicklungen nach vorne hin offen. Die internationale Krise und die Kräfte der Gegenreform schaffen eine Situation beständiger Unruhe und politischer Instabilität. (...)" Das wird - um nur ein Beispiel zu nennen - von bolivianischen Regierungsstellen ähnlich eingeschätzt. Man geht realistischer weise davon aus, dass "jene, die sich von der antiimperialistischen und antikolonialistischen Politik von Präsident Evo Morales bedroht fühlen, den Prozess in Bolivien verstärkt attackieren" werden. Bei Boris und Wahl heißt es dann weiter: "Die ökonomisch herrschenden Kräfte sind nirgendwo in der Defensive, auch in den Mitte-links regierten Ländern nicht, sondern nach einer fast zehnjährigen Prosperitätsperiode ökonomisch eher gestärkt. Sie warten bzw. bereiten sich darauf vor, ein Comeback auf der politischen Bühne zu realisieren. Jede Schwächung und jede Konflikteskalation innerhalb der aktuellen Linkskoalitionen ist für diese Kräfte ein ermunterndes Signal; im Streit um den sogenannten Neo-Extraktivismus(*) spielen sie sich neuerdings in Form von NGOs als Bündnispartner der eigentlichen 'Naturbewahrer' auf. Die jüngsten Äußerungen des US-Verteidigungsministers erinnern im übrigen daran, dass die USA ihre einstige 'Hinterhof'-Region noch keineswegs abgeschrieben haben; die Rechtsputsche in Honduras (2010) und in Paraguay (2012) sowie die Rechtsschwenks in Chile, Peru usw. signalisieren auch, dass das Voranschreiten und die Konsolidierung linker Regimes alles andere als gesichert ist." (jW, 26.2.13)

Auf den Rechtsputsch in Honduras 2010 reagierten Chavez und andere fortschrittliche Politiker mit der Gründung von CELAC, der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten.


Wie positioniert sich der Subkontinent im internationalen Kontext?

Nicht zufällig fand der Gipfel zur Gründung - verschoben wegen Chavez' Krebserkrankung - im Dezember 2011 in Caracas statt. CELAC versteht sich als Alternative zur Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die 1948 mit antikommunistischer Orientierung von den USA initiiert worden war. Der Gemeinschaft gehören alle Staaten des Kontinents an, außer den USA und Kanada. Mit einer Gesamtbevölkerung von über 550 Millionen Menschen wird sie zunehmend in der Lage sein, die gemeinsamen Interessen auch nach außen vernehmbar zu artikulieren.

Diese Erfahrung musste unlängst die EU machen, als im Januar beim ersten Gipfeltreffen zwischen der EU und CELAC in Santiago de Chile massive Meinungsverschiedenheiten zutage traten. Da saßen auf der einen Seite die Staatschefs der EU und drängten auf eine Öffnung der Märkte. Sie hatten bis zum Beginn der Konferenz auf Unterstützung durch die neoliberal orientierten Staaten der sog. Pazifik-Allianz (Mexiko, Kolumbien, Chile und Peru) gesetzt. Aber nicht einmal der Gastgeber, der konservative chilenische Präsident Pinera, wollte sich den EU-Positionen in der Handels- und Investitionspolitik anschließen. Die Lateinamerikaner, die auf eine Zunahme des Bruttoinlandsproduktes von 4,5 Prozent verweisen konnten, hatten keinen Grund, sich den Vorstellungen der krisengeschüttelten EU zu beugen. Sie wollten eine stärkere Kontrolle transnationaler Konzerne sowie soziale Schutzmechanismen für die Bevölkerung. Noch sind die lateinamerikanischen Staaten in ihren politischen Zielvorstellungen zu unterschiedlich, um einem Machtfaktor wie der EU geschlossen gegenüberzutreten. Deshalb konnte die EU unlängst ein Freihandelsabkommen mit Kolumbien und Peru, sowie ein Assoziierungsabkommen mit Zentralamerika, abschließen. Gleiche Bedingungen zwischen ungleichen Partnern? Für Ecuador und Bolivien war das nicht zu akzeptieren, deshalb waren beide Länder frühzeitig aus den Verhandlungen ausgestiegen.

Aus Bolivien kam Mitte Mai die Meldung von der Fertigstellung der ersten industriellen Gasraffinerie. Das Ereignis ist deswegen von großer Bedeutung für das Land, weil Bolivien das zweitgrößte Erdgasvorkommen Südamerikas besitzt, jetzt erstmals in der Geschichte in der Lage ist, den Binnenmarkt aus eigener Kraft zu versorgen und nicht mehr auf teure Reimporte angewiesen ist. Vorausgegangen war ab 2005 die Rückverstaatlichung von Gas und Öl, inklusive des Energietransports. Gleichzeitig waren die Förderverträge mit den Energiekonzernen im Interesse des Staates neu ausgehandelt worden. Den gleichen Weg hatte Ecuador beschritten. Die Abkehr von den Privatisierungsorgien der Vorgängerregierungen verschafft Staaten wie Bolivien, Ecuador und Venezuela im Rahmen des ALBA-Bündnisses längerfristig den Aufbau einer industriellen Basis und damit den Ausstieg aus der Abhängigkeit als Rohstofflieferanten. (Stichwort Extraktivismus *).

Mit ihrem gestärkten Selbstbewusstsein sind vor allem die fortschrittlich regierten Staaten Lateinamerikas in der Lage, neue politische und ökonomische Beziehungen auf Augenhöhe einzugehen. Einig ist man sich auch innerhalb der CELAC über die Notwendigkeit des Ausbaus der Beziehungen zu China, Indien und Russland, Staaten die jährliche Zuwachsraten der Wirtschaftsleistung von 5 bis 10 % aufweisen. Auch die Beziehungen zu ökonomisch weniger dynamischen Ländern Afrikas und Asiens sollen verstärkt werden. Langfristiges Ziel ist für die CELAC eine multipolare Welt und eine Vertiefung der strategischen Zusammenarbeit auf internationaler Ebene. Die US-Administration dürfte diese Bestrebungen mit zunehmender Sorge verfolgen. Es wäre illusionär zu glauben, die imperialistische Weltmacht Nr. 1 würde sich mit der Entwicklung auf dem Subkontinent abfinden und nicht wie bisher versuchen, Terrain zu halten und verlorenes mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zurückzugewinnen. US-Militärbasen auf dem Subkontinent, diverse in Mittelamerika, auf Kuba Guantanamo, in Kolumbien, in Paraguay und die 2008 reaktivierte 4. US-Flotte, sprechen eine unmissverständliche Sprache. Präsident Rafael Correa beendete seinen Vortrag an der TU Berlin vor 1200 Zuhörern mit einem Ratschlag für die von der Krise gebeutelten Menschen - und das sind nicht mehr nur die Lohnabhängigen - in Europa: "Die Machtverhältnisse stehen zugunsten des Kapitals - ideologisches Getöse ist festzustellen. Die Menschen glauben, dass 'es so sein muss.' So muss es aber NICHT sein. Bei aller Bescheidenheit: Das haben wir in Ecuador gezeigt. Es ist ein Problem der Politischen Ökonomie: Wer in der Gesellschaft entscheidet, die Menschen oder das Kapital. Die Herausforderung: Menschen sind wichtiger als das Kapital, Gesellschaften sind wichtiger als Märkte."


(*) Der Extraktivismus setzt auf maximale Ausbeutung von Rohstoffen und agrarischen Flächen für den Export. Als Neo-Extraktivismus wird eine Entwicklung bezeichnet, in der die Einnahmen aus dieser Ressourcenausbeute vermehrt für Sozialausgaben verwendet werden.



Stand: 01.06.2013 / Hd

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 180 - Sommer 2013, Seite 11 bis 16
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2013