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AUFBAU/243: Über Bologna und die Privatisierung der Bildung


aufbau Nr. 59, Dezember/Januar 2010
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Über Bologna und die Privatisierung der Bildung

BILDUNGSPOLITIK - Nicht nur private Bildungseinrichtungen wollen mit Bildung Geld verdienen, auch die Hochschulen richten sich im Bildungsmarkt ein. Das Stichwort dazu lautet Bolognareform. Vermehrt machen StudentInnen dagegen mobil.


(rabs) Struktur, Inhalt und Wirkung des bürgerlichen Bildungsbetriebs stellen für Linke immer schon Ausgangspunkte für Kritik und eigene Vorschläge dar; nicht zuletzt stammt der Ausspruch "Wissen ist Macht" von Wilhelm Liebknecht, dem Begründer der deutschen Sozialdemokratie. Bildung ist jedoch ein widersprüchlicher und keineswegs neutraler Begriff - sie kann befreien oder sie kann von einem unterdrückerischen Schulsystem gelehrt werden. So stand und steht das bürgerliche Schul- und Universitätssystem weder im Interesse der Kinder noch der ArbeiterInnen und der Mehrheit der Bevölkerung. Dies ist zwar keine grossartig neue Erkenntnis für eine klassengespaltene, auf Selektion beruhende Gesellschaft, muss bei Kämpfen gegen den verschärften kapitalistischen Zugriff auf Bildung aber betont werden. Schliesslich kann dieser Kampf, so er sich auf universitärer Ebene abspielt, auch durchaus einen lediglich elitären Anspruch verfolgen. Auch hier sind also die klassischen "Wer-Wen-Fragen" zu stellen, die die aktuellen Entwicklungen an den Hochschulen in eine generelle Tendenz einzuordnen helfen. Wem nützt die Universität, wem die Bolognareform, wem Gremien wie der Universitätsrat?


Education is not for sale - kein Ausverkauf von Bildung

Die Bolognareform mit dem Ziel eines einheitlichen europäischen Hochschulwesens findet im Rahmen der Privatisierungswelle statt, die das Kapital seit seiner nun schon etwas länger andauernden Generalkrise betreibt. Dass eine kapitalistische Ökonomie, die sich gerne als Wissensgesellschaft versteht, auch die Bildung zunehmend verschachert, erstaunt nicht allzu sehr. Aufschlussreich ist jedoch der Prozess, mit dem eine Öffnung der Bildung auf den kapitalistischen Markt betrieben wird. Sind die Weichen nämlich erst einmal auf ökonomische Orientierung gestellt, reden die Universitäten statt von Bildungsaufträgen von finanziellem Nutzen und Erfolg, Konkurrenz und Bildung als Standortfaktor. Institutionell ist dies häufig begleitet von einer Herauslösung der Verwaltung aus dem öffentlichen Dienst. So die Universität Basel, der von den Trägerkantonen ein "Globalbudget" zur Verfügung gestellt wird, die im Übrigen aber ihre Geschäfte seit 1996 "autonom" vom überwiegend aus Wirtschaftsvertretern bestückten Universitätsrat verwalten lässt. Jedes parlamentarischen Ballastes entledigt bedienen die Universitäten die heimische Wirtschaft gemäss den Vorstellungen der Liberalisierer nun noch effizienter, als sie dies ohnehin schon taten. Das selbstdeklarierte Motto der Bolognareform: Weg vom Studium als Erkenntnisgewinn hin zur Berufsqualifikation und damit zur Verwertbarkeit des Studiums im Sinn eines kapitalistischen Arbeitsmarktes. Mit modularisierten und durch Kreditpunkte miteinander vergleichbaren Studiengängen wird eine Quantifizierung von Bildung betrieben, die nicht nur StudentInnen und HochschullehrerInnen gängelt, sondern vor allem auch gleich lange Spiesse für private Bildungsanbieter schafft. Dies ist im Übrigen eine Entwicklung, die längst nicht bei den Universitäten Halt macht, sondern auch schon auf die Volksschulen übergegriffen hat. Was sich die "soziale Marktwirtschaft" einst als Recht auf die Fahnen geschrieben hatte, wird damit gründlich abgeschafft, um dann auch wieder die Spreu vom Weizen trennen zu können: Bachelorabschlüsse für die vielen, Master und weitere akademische Qualifikationen für die wenigen. So könnte man das administrative Desaster der Bolognareform leicht auch mit einem Hürdenparcours für StudentInnen aus ärmeren Verhältnissen verwechseln.


Kampf um Bildung

Widerstand gegen diese Entwicklungen ist dringend nötig: Aus den beschriebenen Gründen und auch weil zur Zeit soziales Lernen, kulturelle und ästhetische Bildung lediglich als ineffizienter Ballast gilt, der auf dem Arbeitsmarkt zu keiner Verwertung beiträgt. Dennoch hatte es der studentische Widerstand bislang nicht einfach, solche berechtigte Kritik massentauglich gegen aussen zu vermitteln. Es scheint, als liesse sich die Doppelfunktion von Bildung als verwertbare Qualifikation und als emanzipatorischer, gesellschaftlicher wie individueller Hebel nicht eben leicht in klare Positionen fassen, zumal auch das Verhältnis eines Teils der StudentInnen zu eigenen elitären Wünschen nicht immer geklärt sein dürfte. Im skizzierten Spannungsfeld ist an progressiven Positionen jedenfalls in der Tat noch weiter zu arbeiten, genauso wie an Konkretionen einer Klassen- und gesellschaftlich orientierten Perspektive. Einer solchen kann es nämlich nicht um ein Aufwärmen humanistischer Bildungsideale gehen, die im Kapitalismus zwangsläufig einer kleinen Minderheit vorbehalten bleiben. Wohl aber um ein Anknüpfen daran und um die Forderung nach ganzheitlicher Bildung, die Kopf und Hand umfasst, und insbesondere auch das Proletariat einschliesst. Dies bedingt auch künftig ein Anknüpfen an emanzipatorische Kritik, die über die Universitäten hinausweist und die Verbindung mit heutigen und zukünftigen Klassenkämpfen vollzieht.


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Arbeitsgruppe Winterthur (agw), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 59, Dezember/Januar 2010, Seite 11
HerausgeberInnen:
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Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2010