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AUFBAU/256: Frauenbewegung zwischen PorNo und Anti-Zensur


aufbau Nr. 60, März/April 2010
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

FRAUENKAMPF
Frauenbewegung zwischen PorNo und Anti-Zensur

 Viele Gesichter einer Debatte gegen die ewig gleiche Darstellung des Sex: Pornographie bewegte die Frauenbewegungen schon immer. Foto: Aufbau

Viele Gesichter einer Debatte gegen die ewig gleiche Darstellung des Sex: Pornographie bewegte die Frauenbewegungen schon immer.
Foto: Aufbau

PORNOGRAPHIE TEIL 1 - Im ersten Teil der dreiteiligen Reihe soll es einen Streifzug durch die Pornogeschichte und die Frauenbewegungen ab 1950 geben. Im zweiten Teil wird nach der Bedeutung von Sexualität im Kapitalismus gefragt, um dann abschliessend die Frage aufzuwerfen, ob es so etwas wie feministische Pornographie geben könnte.


(az) Pornographie ist heute allgegenwärtig: als Bilderflut im Internet, als Milliardengeschäft mit krassester Ausbeutung, als prickelnde Aufregung in den bürgerlichen Medien. Wie lässt sich aus kommunistischer Perspektive und aus dem Blickwinkel von Frauenkämpfen Pornographie thematisieren? Worin liegt die Bedeutung, worin - falls überhaupt - die Sprengkraft von Pornographie? Und schliesslich: wie könnte eine befreite Darstellung von Lust aussehen? Es gibt keine einfachen Antworten auf diese Fragen. Der Artikel hier will denn auch nicht mehr als einige Grundlagen für eine Diskussion liefern, indem er einige Ausschnitte aus der Auseinandersetzung der Frauenbewegungen mit der Pornographie erzählt. In einem späteren Teil wird die Stellung von Sexualität im Kapitalismus, die Porno-Industrie und ihre Medien, vor allem das Internet, behandelt. In einem dritten Teil fragen wir danach, worin die Möglichkeiten einer frauenkämpferischen, sexuell expliziten Bildlichkeit liegen könnten. Zuerst aber der geschichtliche Rückblick.

Es gibt unterschiedliche Definitionen von Pornographie. Würde man die gesellschaftliche Dimension ausblenden und die Machtverhältnisse im Kapitalismus in die Definition nicht einbeziehen, dann könnte Porno so beschrieben werden: als explizite Darstellung sexueller Handlungen, mit Sicht auf die Geschlechtsorgane. Der konkrete Gebrauchswert für die KonsumentInnen liegt darin, Lust zu steigern und sexuelle Befriedigung zu verschaffen. So gesehen, könnten die sexuell erregenden Darstellungen der Pornographie mit anderen Genres verglichen werden, die ebenfalls darauf abzielen, direkte Gefühle hervorzurufen: etwa Thrillers, Horrorfilme, aber auch Rührstücke. Nun findet aber in unserer Gesellschaft Sexualität nie fernab von Machtverhältnissen statt - und die gesellschaftliche Brisanz der Pornographie ist viel höher als beim Melodrama oder dem Thriller.

Es gibt verschiedene Stilmittel und Arten von Pornographie. Neben Literatur und Fotografie ist der Film, ob mit oder ohne Geschichte, das wohl am häufigsten konsumierte Medium der Pornografie. Das liegt an der Bildlichkeit von Film: Ficken, Lecken, Blasen, das Gebot der "Sichtbarkeit" wie Linda Williams in ihren Buch "Hard Core" schreibt, regiert in jeder Art von Pornographie. Die Unterschiede im Bereich Gewalt- und Machtdarstellungen sind jedoch gross. Bei allen Unterschieden aber wird Pornographie stets als ein typisch männliches Genre bezeichnet, das hauptsächlich noch von Männern konsumiert wird.


Von der Schmuddelecke ins Schlafzimmer

Die gängige heterosexuelle Pornographie spiegelt die Ungleichheit in den Geschlechterverhältnissen auf krasse Weise. Die Frau kommt darin quasi ausschliesslich als sexuelles Objekt für die Lust des Mannes, des Betrachters, vor. In der kapitalistischen Gesellschaft kommen die herrschenden Geschlechterverhältnisse im Bereich der Sexualität besonders verdichtet zum Vorschein. Dadurch wird die Darstellung von Sex immer wieder zu einem politischen Brennpunkt. Welche Darstellungen vorkommen und wie diese Darstellungen wahrgenommen werden, ist gesellschaftlich bestimmt - und darum auch veränderbar. Ob die Thematisierung von Sexualität die Frauenunterdrückung und die Kleinfamilie, den Kern bürgerlicher Normen, aufbricht oder nicht, hängt von den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen ab. Im Kapitalismus heisst das: für den Profit werden die klischiertesten Sex-Nummern endlos wiederholt.

Im langen Wirtschaftsaufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Pornofilme gross auf den Markt, waren zuerst aber noch stark tabuisiert. Erst ab dem Punkt, als Pornographie durch den Besitz eines Videogerätes für die ganze Gesellschaft zugänglich wurde, gewann der Porno immer mehr Anerkennung. Pornographie bewegte sich in kleinen Schritten aus der Schmuddelecke raus, rein in die Schlafzimmer, wo das Verhandeln zwischen den Geschlechtern über die Lust innerhalb anerkannter Machtstrukturen möglich wurde. Die so genannte sexuelle Revolution und der gesellschaftliche Aufbruch in den 1960er Jahren, wirkten - häufig in widersprüchlicher Weise - auch auf die Ausweitung des Marktes für Pornografie ein.


Alice Schwarzer und reaktionäre Christen

Mit "Deep Throat" kam Anfang der 1970er Jahre in den USA der erste pornographische Film in die Mainstream-Kinos. Im prüden konservativen Amerika schlug dies ein wie eine Bombe der sexuellen Revolution. Das rechte Lager versuchte mit aller Kraft den Film zu verbieten und entsprechende Gesetze zu erlassen. Es begann eine Welle der Repression gegen alle Beteiligten.

Einerseits war die Zeit reif, die Pornographie in die bürgerlichen Schlafzimmer zu holen. Anderseits wurde vom Bürgertum dieser freiheitliche Umgang und die Enttabuisierung des Sexuellen stark bekämpft. Im feministischen Spektrum hat es immer sehr verschiedene Strategien zu Pornographie gegeben. Eine Stossrichtung davon war zusammen mit den Bürgerlichen für die Zensur. Zu ihnen gehörten die "Women against Violence in Pornography and Media", die sich 1975 in Kalifornien organisierten, um gegen die Gewaltdarstellung in Porno und Medien vorzugehen. Kurze Zeit später gründeten Frauen in New York die Gruppe "Women against Pornography". Eine der bekanntesten Frauen aus dieser Bewegung war Andrea Dworkin. Der Satz "Porno ist die Anleitung, Vergewaltigung die Praxis", wurde zum Leitspruch dieses Zweigs der Frauenbewegung. Pornographie wurde ausschliesslich als patriarchales Gewaltinstrument zur Unterdrückung der Frauen gesehen.

Ziel der Bewegung war es, ein öffentliches Bewusstsein für das Problem Porno zu wecken. Und auch auf strafrechtlicher Seite wollten die Frauen etwas bewirken. Zeitgleich mit den Entwicklungen in den USA gab es in Deutschland Proteste gegen sexistische Darstellungen von Frauen. 1978 wurde auf Initiative der Zeitschrift "Emma" unter der Leitung von Alice Schwarzer gegen Titelbilder der Magazine "Stern" und "Der Spiegel" geklagt. Die Forderung nach einem gesetzlichen Verbot aller sexistischen Darstellungen, die die Frau als Sexobjekt degradieren, wurde in erster Instanz abgelehnt. Unter Feministinnen war es umstritten, inwiefern sie sich an bürgerlichen Gesetzesentwürfen beteiligen sollten. 1987 kam es mit der grossangelegten PorNo Kampagne von Alice Schwarzer, zu einer verstärkten Hinwendung zum Juristischen.

Die Positionen polarisierten sich angesichts der Forderung mancher Feministinnen nach einem Verbot, die mit bürgerlichen Kräften ins selbe Horn der Zensur blies. Auf der anderen Seite entstand eine gleichfalls feministische Bewegung gegen die Zensurbestrebungen. In Deutschland richtete sich die Kritik an den PorNo-Aktivistinnen in erster Linie gegen die Verwendung des umstrittenen Meese-Report als Argumentationsgrundlage. Der Justizminister der USA, Meese, hatte eine mehrheitlich konservative Kommission berufen, welche die gesellschaftlichen Auswirkungen der Pornographie untersuchen sollte. Im 1985 erschienen Abschlussbericht wurde Pornographie als eindeutig gesellschaftsschädigend bewertet. Die "Emma"-Kampagne berief sich auf diese Ergebnisse, obwohl die Methode der Beweisaufnahme umstritten und die Kommission erzreaktionär war.


Die Diskussion in der Frauenbewegung in der Schweiz

Auch in der schweizerischen Frauenbewegung war Pornografie seit Mitte der 1960er Jahre immer wieder ein Thema. Sie richtete damals den Fokus auf Machtverhältnisse in privaten Beziehungen, was mit der Parole "Das Private ist Politisch" auf den Punkt gebracht wurde. In den 1970er Jahren lag der Schwerpunkt feministischer Kritik auf der Gesamtgesellschaft, auf dem Kapitalismus. Die Frauenbewegung betrieb Gesellschaftskritik und sah Sexualität als einen menschlichen Bereich, der durch den Kapitalismus geprägt ist. So wurde in den Kampagnen für die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs auch der Kapitalismus thematisiert. "Mein Bauch gehört mir" lautete eine Parole, die sich gegen patriarchale Strukturen richtete, die weibliche Selbstbestimmung unterdrückten. In diesem Zusammenhang bildete die Kommerzialisierung des Frauenkörpers eines der Hauptthemen der Frauenbewegung. Das Geschäft mit dem weiblichen Körper stand auf der kapitalistischen Tagesordnung und bedeutete das pure Gegenteil von Befreiung - auch wenn diese Behauptung immer wieder auftauchte, um Feministinnen als prüde anzugreifen.

Ende der 1970er Jahre behandelte die Frauenbewegung dann vermehrt das Thema Gewalt gegen Frauen, und diskutierte in diesem Zusammenhang auch Pornographie.

In der schweizerischen Diskussion zu den beiden PorNo-Kampagnen in den 1970er und 1980er Jahren gab es unterschiedliche Positionen. Die Haltung von "Emma", dass Sex-Darstellungen Gewalt gegen Frauen auslösen würden, wurde mehrheitlich abgelehnt. Stattdessen sahen viele Feministinnen die Pornographie als eine Darstellung bestehender Geschlechterverhältnisse, und schrieben ihr nicht die Macht zu, direkt handlungsanleitend zu sein, wie dies in Deutschland und den USA stärker vertreten wurde. Anfang der 80er Jahre gab es vermehrt Versuche von Frauen, eigene Pornographie zu entwerfen und zu produzieren. In Bern versuchte beispielsweise eine Frauengruppe durch Diskussionen und Experimentieren mit Fotos und Filmen, eine eigene Art von Porno zu finden. Sie kamen dabei zum Schluss, dass sie selbst beim bewussten Versuch nicht-sexistische Pornographie zu machen, als im Kapitalismus sozialisierte AkteurInnen, patriarchale Vorstellungen und Strukturen reproduzieren. Eine befreite Sexualität, so kann gefolgert werden, kann eben nur stattfinden, wenn die alten Geschlechterverhältnisse nicht mehr existieren.


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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafb), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkb), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Arbeitsgruppe Winterthur (agw), Rote Hilfe - AG Anti-Rep (rh-ar), Kulturredaktion (kur)


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Quelle:
aufbau Nr. 60, März/April 2010, S. 8
HerausgeberInnen:
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Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2010