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AUFBAU/318: Die neue Partei mit alten Ideen


aufbau Nr. 69, mai/juni 2012
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Die neue Partei mit alten Ideen

PIRATENPARTEI - Ein Blick ins Programm zeigt, wie konservativ die Argumentation und oft auch die Ziele sind.



(rabs) In Basel kommt es bei den Protesten gegen ACTA (siehe Artikel S. 6) zu einer Zusammenarbeit von linken Kräften wie der Unia Jugend und der BfS (Bewegung für den Sozialismus) mit der Piratenpartei. Grund genug, sich mit ihr auseinander zu setzen und eine Einschätzung zu gewinnen, wie sie im Parteienspektrum einzuordnen ist. Die Piratenpartei der Schweiz, mit der sich dieser Artikel vor allem auseinander setzt, steht in engem Verhältnis zu denen in anderen Ländern. 2006 wurde in Schweden die erste Partei dieses Namens gegründet, seither folgten andere in vielen weiteren Ländern. In letzter Zeit machte die Piratenpartei Deutschland mit grossen Wahlerfolgen von sich reden.


Gegen den Überwachungsstaat

In der Schweiz gibt es seit Sommer 2009 eine Piratenpartei. Sie hat in einer Mehrheit der Kantone Sektionen und tritt zu verschiedenen Wahlen an, sieht sich aber auch als Teil einer Bewegung. Die Piratenpartei konzentriert sich auf die Gefährdung der Gesellschaft im Zuge der "digitalen Revolution"[1]. In diesem Bereich möchte sie neue Lösungen anbieten; andere Themen sollen der Effizienz wegen ausser Acht gelassen werden. Die Piratenpartei kämpft gegen die verschiedenen Ausdrucksweisen des Überwachungsstaats, wie biometrische Pässe, die Vorratsdatenspeicherung. die Online-Durchsuchung von Computern (z.B. mit Trojanern) und die Überwachung des öffentlichen Raumes mit Kameras. In diesem Bereich greift sie also traditionell linke Forderungen auf, allerdings ohne Einordnung der staatlichen Überwachung in einen gesellschaftlichen Kontext. Die zunehmende Überwachung der Menschen ist eine Folge der Zunahme sozialer Spannungen und der Versuch ihrer Kontrolle durch den Staat. Gemeinhin wird Überwachung mit dem Verweis auf die Gefahr gerechtfertigt, die vom internationalen Terrorismus ausgeht, insbesondere von religiösen FundamentalistInnen. Die Piratenpartei schliesst sich diesem Diskurs unreflektiert an, denn religiöser Fundamentalismus bedrohe die "Autonomie und die Freiheit des Individuums". Demgegenüber strebt sie eine auf den Werten der Aufklärung und den Menschenrechten aufgebaute, in ihren Worten "freiheitliche und demokratische" Ordnung[2] an. In der Argumentation für die an sich unterstützungswerte Forderung nach weniger staatlicher Überwachung greift die Piratenpartei auf Erklärungsmuster zurück, die die momentane gesellschaftliche Ordnung legitimieren.


Die Einschränkung des Urheberrechts

Im geltenden Recht ist es zum Teil illegal, für nicht-gewerblichen Gebrauch Kopien von Werken zu erstellen. Dies wird auf die Macht der Monopole im kulturellen Bereich zurückgeführt. Die Piratenpartei fordert, dass Werke rascher ins Allgemeingut übergehen sollen und somit mehr Menschen der Zugang zu Kultur, Wissen und Information ermöglicht werden soll. Eine Änderung des Urheberrechts in diese Richtung würde wirtschaftliche Akteure einschränken und käme der Gesellschaft als Ganzes zugute. Vor diesem Hintergrund setzt sich die Piratenpartei in vielen Ländern gegen das ACTA-Abkommen ein, unter anderem mit Mobilisierungen auf der Strasse. Ansonsten beschränkt sich die politische Praxis der hiesigen Piratenpartei auf die Teilnahme an Wahlen und die Mitarbeit in Kampagnen, zuletzt an derjenigen gegen die Wiedereinführung der Buchpreisbindung. Diese Initiative lag insbesondere im Interesse kleinerer Buchläden, die sonst vom Konkurs bedroht sind. Die Freiheit, Preise zu bestimmen, kann zur Durchsetzung des Rechts des Stärkeren verhelfen.


Die Vorzeigedemokratie

Sowieso ist die Forderung nach Freiheit nicht per se positiv. Um einer linken Perspektive zu entsprechen, ist sie mit der sozialen Frage zu verbinden. Alle gesellschaftlichen Bereiche können aus dem Blickwinkel der sozialen Ungleichheit betrachtet werden. Die Piratenpartei bezieht, ihrem neuen Politstil folgend, nur in ihren Kernbereichen eine politische Position. Es ist an sich schon problematisch, wenn etwa die deutsche Piratenpartei weder zur Schuldenkrise noch zum Afghanistan-Krieg Stellung bezieht. Doch auch in ihren Kerngebieten hängt die Piratenpartei der Illusion einer Gesellschaft an, in der einige wenige Korrekturen am Kapitalismus zufriedenstellend sind. So wird zum Beispiel der klassen-, geschlechts- und länderspezifisch unterschiedliche Zugang zur Informationstechnologie nicht thematisiert. Dazu passt die Verwendung des Begriffs "Bürger" im Parteiprogramm, der zwar heute nicht mehr automatisch den Ausschluss der ArbeiterInnen, Frauen und Nicht-Weissen bedeutet, wie das zur Zeit der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft der Fall war; er weist aber nebst Anderem darauf hin, dass die Piratenpartei nicht alle Menschen in ihrem Blick hat, AusländerInnen z.B. nicht. Die Partei formuliert keine gesellschaftliche Alternative, sondern akzeptiert den status quo. Die Schweiz solle eine "Vorzeigedemokratie" bleiben und die Welthandelsorganisation (WTO) wird wegen ihren "demokratischen Prinzipien"[3] als positives Gegenbeispiel zu ACTA angeführt. Der Ruf der FDP nach mehr Freiheit und weniger Staat wird aufgegriffen und auf die Entwicklungen von Internet und anderen Technologien angewendet. Einen emanzipatorischen Gehalt gewinnt die Parole dadurch nicht und kann im Konkreten einen negativen Einfluss auf das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen haben, etwa wenn die Ablehnung einer Initiative, die sechs Wochen Ferien für alle verlangt, empfohlen wird.


ANMERKUNGEN

[1] Wo nicht anders vermerkt, wird aus dem Programm der Piratenpartei Schweiz zitiert, abrufbar auf
http://piratenpartei.ch
[2] Franz Joseph Degenhardt nimmt den Begriff der "freiheitlich-demokratischen Grundordnung" im hörenswerten Lied "Befragung eines Kriegsdienstverweigerers" satirisch auseinander.
[3] http://stopp-acta.info

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 69, mai/juni 2012, Seite 8
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Mai 2012