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AUFBAU/325: Internationale Klassensolidarität aufbauen


aufbau Nr. 69, mai/juni 2012
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Internationale Klassensolidarität aufbauen

KONFERENZ An der jährlich stattfindenden Zwischenkonferenz der Roten Hilfe International (RHI) steht die Praxis im Zentrum. Kampagnenpläne werden entwickelt und lokale oder internationale, also gemeinsame Praxis für das kommende Jahr festgelegt



(rhi) Diese Kampagnenpläne widerspiegeln die objektiven Bedingungen und subjektiven Notwendigkeiten internationaler revolutionärer Solidaritätsarbeit. So unterschiedlich die objektiven Bedingungen des Klassenkampfes und revolutionärer Organisierungsprozesse in den verschiedenen Ländern auch sein mögen, der Aufbau der internationalen Klassensolidarität ist notwendiger denn je, um den zunehmend international organisierten Repressionsapparaten mit ihren Strategien und Taktiken eine gemeinsame Waffe entgegensetzen zu können.

Seit jeher gehört zum Widerstand gegen die kontinuierlichen Angriffe auf soziale und ökonomische Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung, der Errungenschaften der Befreiungsbewegungen, gegen die imperialistischen Kriege oder die Rechtsentwicklung, die Konfrontation mit der Repression dazu. In Deutschland werden militante, organisierte AntifaschistInnen mittels des unsäglichen Paragraphen 129 als kriminelle Organisation verfolgt, wenn sie zum Beispiel in Dresden den Nazi-Aufmarsch verhindern wollen. In Italien versucht der Staat mittels des Paragraphen 270bis die NO-TAV-Widerständischen in Val Susa als subversive Vereinigung in den Griff zu kriegen. Diese Widerstandsbewegung ist Jahrzehnte alt und wehrt sich bis heute erfolgreich dagegen, dass ihr Tal durch den Bau einer Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnlinie zerstört wird. Diesem langandauernden Widerstand der Bevölkerung des Tales haben sich breiteste Kreise politischen Widerstandes angeschlossen. Diese Beispiele sind zwei von vielen, die die Tendenz der Repression im Umgang mit derartigen Organisierungsformen zum Ausdruck bringen.

An der diesjährigen Zwischenkonferenz der RHI konnten wir eine verstärkte Tendenz in der Anwendung solcher Antiterrorgesetze feststellen. Ob der Paragraph 129a oder b (wie in Deutschland), 270bis (wie in Italien) oder organisierte Kriminalität (Art. 260Ff wie in der Schweiz) in Verbindung mit terroristisch eingestuften Organisationen (im konkreten Fall mit der Partito Comunista politico-militare - PC p-m, der Brigate Rosse für den Aufbau der Kämpfenden Kommunistischen Partei - BR-PCC und den Cellules Communistes Combattantes - CCC) heisst, ist letztlich unwichtig. Diese Paragraphen spielen in allen Ländern eine spezielle Rolle in der Überwachung und Kriminalisierung linker Strukturen. Sie entsprechen heute einer internationalen Tendenz. Dabei wird den jeweiligen nachrichtendienstlichen, staatsschützerischen und bundesanwaltschaftlichen Apparaten umfassende, grenzüberschreitende Möglichkeiten ermöglicht. Darunter fallen die illegale wie legale Überwachung, Ermittlung und Kriminalisierung.


Der Prozess in Bellinzona

Zu diesem internationalen Trend gehört also, dass all jene, die eine revolutionäre Perspektive und Praxis entwickeln und vorantreiben, sich zunehmend mit diesen Antiterrorgesetzen konfrontiert sehen. In der Schweiz steht seit einigen Wochen fest, was wir schon lange vermutet haben: Der Angriff gegen unsere Genossin Andi, der im Prozess von Bellinzona gipfelte, reduzierte sich nicht auf die am Bundesstrafgericht verhandelten pyrotechnischen Angriffe, welche jeweils mit "Für eine Revolutionäre Perspektive" unterzeichnet wurden. Die Schweizerische Bundesanwaltschaft führte ein "Ermittlungsverfahren gegen A ... wegen Verdachts der Zugehörigkeit und Unterstützung einer kriminellen Organisation ... in Verbindung mit den terroristisch eingestuften Organisationen PC p-m, BR-PCC und CCC" in enger Zusammenarbeit mit dem damaligen Inlandgeheimdienst Dienst für Analyse und Prävention, dem heutigen Nachrichtendienst des Bundes durch. Akten aus diesem Ermittlungsverfahren flossen in die Akten am Bundesstrafgericht Bellinzona ein.

Dieses Verfahren wegen organisierter Kriminalität wurde als Geheimverfahren geführt, so erfährt man erst im nachhinein, dass die Hausdurchsuchung 2008 nicht wegen den pyrotechnischen Anschlägen, sehr wohl aber wegen dieses Terrorermittlungsverfahrens stattfand. Dieses führte die schweizerische Bundesanwaltschaft in Zusammenarbeit mit den italienischen und belgischen Diensten und Staatsanwaltschaften durch und deren Akten fanden still und leise Eingang in die Gerichtsakten des Bundesstrafgerichtes, ohne dass die Angeklagte davon Kenntnis hatte. Tür und Tor für spezielle nachrichtendienstliche Schnüffeleien wurden geöffnet während gleichzeitig heimlich die Stimmung am Bundesstrafgericht angeheizt wurde.


Die Widersprüche der Klassenjustiz

Nun hat das Kassationsgericht von Rom im März dieses Jahres die Verurteilungen in Zusammenhang mit dem Tramonto-Verfahren gegen die PC p-m annuliert. Alle Verurteilungen im Zusammenhang mit den Vereinigungsverfahren (Banda Armata = bewaffnete Banden, Associazione Soversiva = subversive Vereinigung) wurden aufgehoben. Da diese Anklagepunkte Teil der internationalen Ermittlungen in der Schweiz und in Belgien sind, werden die Antiterrorermittlungen in der Schweiz und Belgien in Frage gestellt. Die Neuaufnahme des Prozesses gegen die kommunistischen GenossInnen, welche nunmehr seit mehr als 5 Jahren in Haft sitzen, beginnt am 15. Mai in Mailand. Der Termin wurde angesetzt, bevor die schriftliche Argumentation des Urteils von Rom vorhanden war und die Fristen zum Rekurs der Verteidiger haben wahrgenommen werden können. Die internationalen Staatsanwaltschaften fürchten sich eben vor Haftentlassungen ungebrochener politischer Gefangener...

Das Antiterrorverfahren, welches gegen die Genossen und Genossinnen der RH Belgien im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen die PC p-m geführt wird, bewegt sich immer noch zwischen Einstellung und Eröffnung des Prozesses. Es ist noch immer offen, ob die Aktenlage für einen Prozess ausreicht. Das Kassationsgericht von Rom stellt die belgische Klassenjustiz vor eine schwierige Aufgabe: Denn im Moment sind sie als Unterstützer von "Terroristen" angeklagt, die gemäss dem italienischen Kassationsgericht gar keine sind!


Der Repression entgegentreten

Entschlossen der international organisierten Repression entgegentreten und uns in der Frage revolutionärer Solidarität nicht von Linienkämpfen spalten zu lassen, sondern als internationale Einheit geschlossen dem Feind gegenüberzutreten. In diesem Sinne haben wir in unseren jährlichen Kampagnenplan u.a. ins Zentrum Prozessdelegationen nach Mailand, am 15 Mai, wo das PC p-m-Verfahren neu aufgerollt wird, nach Athen zum Prozess gegen den "Revolutionären Kampf", den Kampf von Marco Camenisch gegen die Ablehnung seiner 2/3 Entlassung, die Folter und Verurteilungen jugendlicher Militanter in der Türkei und Kurdistan, den Kampf der PCE(r) und Grapo Gefangenen gestellt.


KASTEN

Die Antiterrorverfahren

In Deutschland wurde der Paragraph 129 1878 als Ergänzung der damaligen Sozialistengesetze, mit dem Ziel der besseren Kriminalisierung "staatsfeindlicher Ziele", eingeführt. In der Weimarer Republik 1919 wurde er zur Grundlage der Verfolgung der KommunistInnen und anderer Linken eingesetzt. Es traf vorwiegend die legalen Tätigkeiten wie Spendengeldersammlungen oder sozialistische Literatur als Vorbereitungshandlungen zum Hochverrat. Der Artikel überlebte den deutschen Faschismus. Die KPD traf es mit 125.000 Ermittlungsverfahren und schliesslich 1956 mit dem Verbot.

1976 wurde der Paragraph 129 zum 129a (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung), dem Instrument der Aufstandsbekämpfung: Umfassende Ermittlungsmöglichkeiten im Vorfeld, gesetzliche Legitimierung der Isolationshaft, Kill-Fahndungen usw. Eingesetzt wurde er gegen Militante der bewaffneten Bewegung, also nicht nur gegen die bewaffnet kämpfenden Gruppen, sondern auch gegen die, die diese Ziele teilten, die politischen Gefangenen unterstützten und ihre Politik danach ausrichteten. Umso grösser der Widerstand in den sozialen und politischen Bewegungen wurde, umso mehr dehnte sich der Paragraph auch gegen sie aus.

Der Paragraph 129b (Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung) ist eine 2002 eingesetzte Erweiterung. Er stellt eine deutsche Antwort auf die sog. Internationalen Antiterrorgesetzgebung dar. Es trifft bis heute linke, revolutionäre Migrantinnen und revolutionäre Organisationen wie die türkische DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front).

In Italien wurde der Paragraph 270bis der "Subversiven Vereinigung" während des Faschismus' entwickelt. Während des Kampfzyklus' der 60er- und 70er-Jahre kam er praktisch nie zur Anwendung. Erst Ende der 70er-Jahre wurde er in etwas abgeänderter Form, der neuen Situation der sozialen und politischen Spannungen angepasst, wieder eingesetzt. Seit Jahren nun wird er gegen Widerstandsbewegungen aller Couleur und Formen auf Massenebene eingesetzt. Sein präventiver Charakter ermöglicht das ganze Instrumentarium des Einsatzes präventiver wie repressiver Mittel und ermöglicht mittels breit angelegter Hausarreste ganze Bewegungen damit zu überziehen: Von kämpfenden ProletarierInnen und MigrantInnen bis hin zu anarchistischen, antifaschistischen und kommunistischen Bewegungen.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Kulturredaktion (kur), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 69, mai/juni 2012, Seite 13
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Postfach 348, 4007 Basel
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2012