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AUFBAU/367: Chancengleichheit im Kapitalismus? Absurd!


aufbau nr. 74, sept/okt 2013
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Chancengleichheit im Kapitalismus? Absurd!

PÄDAGOGIK Im Bildungsbereich prallt häufig schönfärberische Rethorik auf kapitalistisch-bittere Realität. Als Lernende in diesem Bereich stösst man sich daher nur zu oft am Gerede der Dozenten.




(agj) Bildung ist zentral. Sie ist ein Ort, an dem Wissen und Normen vermittelt werden. Und das alles geschieht keineswegs wertfrei. Die Bildung ist ein politisch hoch umkämpftes Feld. Ob nun Bildungsungleichheiten, die Integration von migrantischen SchülerInnen oder Budgetkürzungen auf der Tagesordnung stehen: Das öffentliche und politische Interesse ist gross.

Strukturelle Umwandlungen und kantonale Angleichungen des Schweizer Bildungssystems im Zuge von Harmos und Lehrplan 21 sind ein aktuelles Beispiel. Auch der Übergang von der Schule ins Erwerbsleben wird im Zuge der kapitalistischen Krise immer öfters aufgegriffen. In der Schweiz scheint die Problematik der Jugendarbeitslosigkeit nicht so weit fortgeschritten. Dennoch hängen auch hier die Bildungsmöglichkeiten stark von ökonomischen Faktoren ab. Jugendliche aus proletarischen Familien studieren deswegen weitaus seltener. Dass nun erneuerte Schulmodelle Versprechungen von Chancengleichheit im kapitalistischen System einlösen sollen, erscheint im praktischen Alltag absurd. Als MarxistInnen in Bildungsberufen setzen wir uns genau mit solchen Schlagworten auseinander und wollen die Widersprüche, die sich im Bildungssystem auftun, näher betrachten.


Die Volksschule entsteht...

Mit der Herausbildung der kapitalistischen Gesellschaft und ihrer Entwicklung hat sich auch das Bildungssystem entwickelt, das wir kennen. Um zu gewährleisten, dass die verschiedenen Bereiche der Lohnarbeit durch Arbeitskräfte gedeckt sind, gestanden die herrschenden Kapitalisten den ArbeiterInnen eine gewisse Bildung zu. Da dies für die Kapitalisten Kosten bedeutet, übertrugen sie die Aufgabe der Bildung dem Staat.

Die Schule wurde somit geschaffen, damit die Kinder auf das Berufsleben vorbereitet werden. Sie sollen das Nötigste erlernen, um dann in möglichst jeden Berufszweig einsteigen zu können. Zudem lernen die Kinder, wie man sich im jeweiligen System bewegen muss und wie sie sich in die Gesellschaft integrieren müssen. Das Bildungssystem im Kapitalismus dient also konsequenterweise dazu, eben diesen möglichst reibungsfrei zu reproduzieren.


Leistungsbegriff im Kapitalismus

An den Hochschulen für (sozial)pädagogische Berufe werden nun die Prinzipien vermittelt, nach denen sich das Bildungssystem richten soll.

An der PH wird beispielsweise gelehrt, dass die Schule nach dem Prinzip der Meritokratie(1) funktioniert. Das kann ganz plausibel erscheinen, zumindest wenn man die Tatsache ignoriert, dass die Bildungsinstitutionen im Auftrag des Staates und dieser im Auftrag der Wirtschaft und somit der Herrschenden wirkt. Das Prinzip, dass nicht jene bevorteilt werden, welche über die nötigen Mittel verfügen, sondern die besten Leistungen erbringen, klingt ja eigentlich ganz fair. Nun fragen wir uns aber, wer denn entscheidet, was gute Leistung ist oder noch viel grundsätzlicher: Was kümmern uns denn in der kapitalistischen Logik die Begriffe Leistung oder Fairness überhaupt? In einer bestehenden Klassengesellschaft mit ausbeutenden Produktionsverhältnissen sind diese Begriffe ein Witz.

Weiter werden im heutigen Bildungssystem Messlatten über geforderte Leistungen gesetzt, die nicht alle erbringen können oder wollen. Dies geschieht aus verschiedensten Gründen: Sei es, dass ein Kind die Sprache nicht so gut beherrscht, von der Familie nicht unterstützt werden kann, Konzentrationsschwierigkeiten hat, andere Fähigkeiten als die "notwendigen" besitzt oder sich bereits ab Kindheit in einen anders funktionierenden Apparat eingliedern will. Oder ist es nicht so, dass ein Kind von Eltern mit einer besseren schulischen Ausbildung andere Voraussetzungen hat, um gute Leistungen(2) zu erbringen? Finanzielle Förderung bekommen so einige Kinder in Form von Gymi-Vorbereitungskursen oder Nachhilfeunterricht. Doch auch genügend zeitliche Kapazitäten und anregendes Lernumfeld kann ein Kind fördern, was jedoch ressourcentechnisch nicht allen Eltern möglich ist.

Neben den Medien ist die Schule der Ort, an dem bereits Kinder und Jugendliche auf ganz bestimmte Denkweisen hingeführt werden. Das schon oben beschriebene Leistungsprinzip in der Schule legt weitaus mehr Wert auf die Resultate wie auf den Lernprozess. D.h. für die Kinder ist es zwangsläufig wichtiger, dass sie ein Zeugnis mit guten Noten haben, als dass sie z.B. mit einem guten Gefühl gelernt haben oder dass sie den Stoff am Ende wirklich begriffen haben. Die Noten sind im Endeffekt ein Mittel um die Konkurrenz zwischen den SchülerInnen zu fördern und nicht um das Gelernte zu überprüfen. Somit wird statt Kollektivität und gemeinsames Lernen eine individuelle Leistungsmentalität gefördert. Wer nicht gut genug war, ist halt faul. Dass aber eben viele Kinder und Jugendliche kein optimales Lernumfeld haben, wird nicht berücksichtigt. Bei dieser Leistungsbemessung ist es die Hauptsache, die Konkurrenz von Anfang an zu fördern, denn das kapitalistische System braucht GewinnerInnen und zwangsläufige VerliererInnen. Ein solidarisches Miteinander wird in der Schule (mit Ausnahme einzelner LehrerInnen) kaum beigebracht, denn so funktioniert die Arbeitswelt nun mal nicht.


Reproduktion der Klassen

Leistung wird also in den Bildungsstätten als oberstes Credo betrachtet, die Kinder werden lediglich nach der Quantität des Wissens des Schulstoffes benotet. Wie man sieht, werden die Kinder schon von klein auf auf Leistungsdruck und Konkurrenzdenken getrimmt. Die Schule hat somit die grundlegende Funktion, die Kinder in verschiedene Stufen einzugliedern, die mit Beendigung der obligatorischen Schulzeit die Berufschancen weisen. Schon nur durch die Aufteilung der Klassenniveaus, wie Gymnasium, Sekundar- und Realschule wird frühzeitig der Graben geschlagen, der sich später in der gesellschaftlichen Lage, der Klassenzugehörigkeit, widerspiegelt.

Es wird somit im frühen Alter selektiert, wer später welchen Beruf ausüben kann. Das wiederum führt in die Einteilung von verschiedenen Lohnklassen, gesellschaftlichen Funktionen und somit zur Reproduktion der Klassenverhältnisse. Überall wo sich die soziale Ungerechtigkeit am stärksten widerspiegelt, sei dies als Beispiel etwa in Stadtteilen mit hohem Migrationsanteil, schlägt sich dies auch im Bildungssektor nieder. So haben Schulen in ökonomisch schwächeren Orten oft eine schlechtere Qualität.

Um bei der Selektion nicht hinten anzustehen, werden Leistungen erfordert, die stark vom sozialen Lernumfeld geprägt sind. Dies wird theoretisch an den pädagogischen Hochschulen abgehandelt. Zwar wird immer wieder über Bildungsungleichheit geplappert, die eigentlichen Ursachen, nämlich die dafür verantwortlichen Bedingungen, also der Kapitalismus mit seiner Klassengesellschaft, werden aber nicht hinterfragt, sondern als gegeben betrachtet.


Scheinheilige Neutralität/Wertefreiheit

Ein weiteres Schlagwort, welches hinter diesem theoretischen-pseudokritischen Gerede steht und an den Ausbildungsschulen oftmals sehr bestimmt vertreten wird, ist die sogenannte Wertefreiheit mit der an den Volksschulen angeblich Wissen vermittelt werden soll. Es wird behauptet, dass das Wissen aus einem neutralen Standpunkt vermittelt wird und deswegen einzig so richtig sei. Das Prinzip der kapitalistischen Denkweise ist dabei die deterministische/metaphysische Denkweise in den Schulen. Nebst der Tatsache, dass grundsätzlich hinterfragendes Denken meist nur im kleinen Rahmen erlaubt ist, wird ein sehr linearer Geschichtsverlauf vermittelt, ohne auf Widersprüche aufmerksam zu machen. Die bürgerliche Denkweise versucht uns einzutrichtern, dass die menschliche Geschichte mechanistisch ist und dass der Mensch sich nicht verändern (z.B. vom sogenannten Egoismus loslösen) könne. Wissen wird in der Schule somit oftmals sehr starr vermittelt, was dazu führt, dass vielen SchülerInnen meist auch gar nicht klar ist, weswegen sie die Dinge so lernen müssen. Die Effizienz ist das Wichtigste. Deswegen basiert auch Vieles auf "Auswendig-Lernen".


Die Ungleichheit wurzelt im Kapitalismus selber

Eben durch diese Widersprüche verschleiernde Denkweise wird das kapitalistische System als Ende der Geschichte dargestellt und vermittelt. Und dabei ist es nunmal so, dass soziale Ungerechtigkeit mit diesen Produktionsverhältnissen, in diesem System der Konkurrenz, zwangsläufig ist. Das Bildungssystem kann also nicht losgelöst von den kapitalistischen Produktionsverhältnissen betrachtet und kritisiert werden, denn es reproduziert ja eigentlich nur die Interessen der Herrschenden, ist also nur Mittel zum Zweck, um das bestehende System zu erhalten. Unsere Kritik geht darüber hinaus, es ist die Kritik an der Ungleichheit in der Gesellschaft im Kapitalismus.


Anmerkungen

(1) Meritokratie bedeutet, dass die Statuszuweisung nach dem Leistungsprinzip geschieht und andere Faktoren wie Herkunft, Klasse, Geschlecht etc. ausser Acht gelassen werden sollen.
(2) Wenn wir hier von Leistung sprechen, meinen wir das kapitalistische Leistungsverständnis, da dieses nun mal vorherrscht.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau nr. 74, sept/okt 2013, Seite 14
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, Basel@aufbau.ch
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.ch
Redaktion und Vertrieb Schweiz
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Internet: www.aufbau.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. September 2013