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AUFBAU/385: SVP-Initiative - Spaltung und entfesselte Ausbeutung


aufbau Nr. 77, mai / juni 2014
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

SVP-Initiative: Spaltung und entfesselte Ausbeutung



MIGRATIONSPOLITIK - Mit der "Masseneinwanderungs-Initiative" treibt die SVP die übrigen Parteien vor sich her. Die Botschaft der reaktionären Hetzer gegen ausländische ArbeiterInnen ist glasklar: ihr sollt malochen und das Maul halten. Aber was bedeutet es, wenn die grösste Ausbeuter-Partei auf einmal von einem begrenzten Arbeitsmarkt redet?


(az) "Würden Abstimmungen etwas ändern, wären sie verboten!", heisst eine Parole. Aber manchmal ändert eine Abstimmung durchaus etwas, meistens halt zum schlechteren. Ein Grund für uns, beim parlamentarischen Kleintheater nicht mitzumachen. Nur, was ändert denn wirklich nach der Annahme der SVP-Initiative vom 9. Februar? Unter dem Titel "Masseneinwanderung" hat die SVP auf den Punkt gebracht, wer der wirkliche Schrecken des Bürgertums sind: die Massen. Was bedeutet der Sieg der SVP für uns, die migrantischen Teile der Klasse und für die revolutionären Linken? Ist der Sieg der SVP Ausdruck einer Neuverteilung innerhalb des Bürgertums, belegt er den Durchmarsch der reaktionären Hetzer - oder bleibt alles beim alten?

Für definitive Antworten ist es zu früh. Eine Strategie, wie mit der neuen Lage umzugehen ist, hat offensichtlich von den Bürgerlichen inklusive der SP niemand. Aber vielleicht ändert sich für die Schweiz des Kapitals nicht viel. Gut möglich, dass die Geplänkel, die sich die schweizerischen Wirtschaftsführer mit der EU nun liefern, rasch wieder behoben sind. Gut möglich auch, dass die SVP von ihrem Erfolg selbst überrascht war. Immerhin war die Partei bei der letzten Abstimmung zur Personenfreizügigkeit im letzten Moment umgeschwenkt. Ein offener Arbeitsmarkt bedeutet mehr Konkurrenz und Lohndruck unter den ArbeiterInnen - das lag und liegt auch heute noch im ureigenen Interesse dieser Partei. Und vielleicht bleibt es auch dabei. Die Initiative war so schwammig formuliert, dass die Patrons ohne grosse Sorgen an Arbeitskräfte kommen werden. Anders sieht es mit der Ecopop-Initiative aus, die reale Zahlen zur Zuwanderung nennt. Dies ist für die Wirtschaftsbosse ein richtiges Problem - und deshalb verwendet die SVP die Ecopop-Initiative als Drohung. Sicher ist nur: auf einmal wollen die reaktionärsten Gewerbler und Bauern möglichst viele migrantischen ArbeiterInnen. Die FdP als Gegnerin der Initiative machte nicht zuletzt deshalb eine müde Figur, weil ihr heutiger Chef Philipp Müller einst selbst die so genannte "18-Prozent-Initiative" lanciert hatte: nicht sehr glaubwürdig, wenn man dann wenige Jahre später sich gegen Kontingente ausspricht. Die Economiesuisse, der Dachverband der Wirtschaftsbosse, wollte sich die Kampagne nicht viel kosten lassen - die Bourgeoisie schaut auf ihr Geld.

Die Devise der SVP ist simpel: Ausbeuten geht auch ohne die gesellschaftlich "liberalen" Elemente, mit denen sich der Wirtschaftsliberalismus gern ummantelt. Ausbeuten geht auch mit Kontingenten, mit Konkurrenz durch Kontrolle, solange die Bürokratie im Interesse der Wirtschaft spurt. Die Devise der SVP ist ein entfesselter Kapitalismus gepaart mit einem autoritären Staat.


Klassen und Parteien

Aber hat dieser Vorschlag Wirkungen, die über symbolische Politik hinausreichen? Und wie kommt es, dass die grösste Ausbeuter-Partei zumindest verbal gegen einen freien Arbeitsmarkt auftritt? Nach längerer Desorientierung hat die SVP auf ihrem eigenen Terrain, der reaktionären Hetze, gepunktet. Sie bearbeitet das Thema Migration seit den 90er Jahren, als die Partei mit rassistischer Scharfmacherei den rechten Rand aufsog und die Autopartei und sonstige Kleinparteien verdrängte. Ueli Maurer, damals Parteichef, hatte in dieser Zeit gesagt: "Rechts von uns ist die Wand" und damit den alten Übervater der deutschen CSU, den einstigen Nazi Franz-Joseph Strauss zitiert. Das war die Zeit, als Fascho-Skins begannen, an SVP-Mobilisierungen aufzutauchen. Die SVP bearbeitete die reaktionäre Hetze gegen MigrantInnen von den Rändern her, zuerst ging es gegen Minderheiten: Flüchtlinge, SozialhilfebezügerInnen, Minarette. Nun ist die SVP im Kern der Migrationspolitik angekommen: der Arbeitsmarktpolitik. Wie spielen hier ideologische Mobilisierungsmomente und ökonomische Interessen zusammen, wo ergänzen sie sich, wo widersprechen sie sich?

Ganz offensichtlich ist die SVP eine Partei, die das Spiel auf der ideologischen Klaviatur beherrscht. Unter Ideologie wird hier etwas verstanden, das ein Bewusstsein und eine Handlungsanleitung umfasst, die einer Klasse nützen. In dem Fall meint Ideologie die Mittel und Wege, mit denen die speziellen Interessen der herrschenden Klasse propagiert, durchgesetzt und verallgemeinert werden. Auf das Bewusstsein wirkt Ideologie so, dass Sonderinteressen der Herrschenden als allgemeine Interessen aufgefasst werden. Das ist der Fall, wenn rassistischer Chauvinismus die Klasse spaltet, weil die Teilnahme am ideologischen Gebilde der Nation vom schweizerischen Teil der ArbeiterInnen für wichtiger genommen wird als die gemeinsamen Interessen mit den migrantischen Teilen der Klasse. Ideologie bildet aber auch eine Handlungsanleitung, einen Kompass für die Herrschenden selbst. Ideologie ist dann ein Bindemittel, durch das Parteien und Klasseninteressen zusammenkommen. Parteien sind Vertretungen von Klasseninteressen, aber das Verhältnis zwischen Parteien und Klassen ist beweglich. Parteien sind die Vehikel, mit denen eine Fraktion einer Klasse andere Fraktionen an sich binden kann. Traditionell war die SVP eine Partei des national ausgerichteten Kapitals. Für den Autoimporteur Emil Frey war beispielsweise klar, dass er mit einer Annäherung des Schweizer Staats an die EU ein Monopol auf seine Toyotas verlieren würde. Mit Blocher kam der Boss eines international ausgerichteten Konzerns hinzu, der die ideologische Mobilisierungsfähigkeit der SVP zu nutzen und mit einigen Millionen seines Milliardenvermögens auszubauen begann.


Migrationspolitik ist Arbeitsmarktpolitik

Die SVP vermag die reaktionären Teile aller Klassen zu mobilisieren. Eine gesellschaftliche Basis hat die SVP nach wie vor bei den Bauern, Gewerblern und sonstige Teile des Kleinbürgertums. Für diese ersetzt das Bindemittel Sozialstaat durch Nationalismus. Das rassistische Potenzial in der Schweiz ist seit der Schwarzenbach-Initiative von 1970 gross. Stets haben solche Abstimmungen den Zulauf einer grossen Minderheit gehabt. nun ist es zu einer hauchdünnen Mehrheit gekippt. Insofern kann man sagen, dass das Resultat vom Februar keinen Erdrutsch bedeutet - dies nicht, um das Ergebnis zu verharmlosen, sondern um deutlich zu sehen, wie die SVP-Initiative an eine lange Geschichte ideologischer Mobilisierung anknüpft.

Für eine Einschätzung ist der vielleicht wichtigere, weil jüngere Punkt, wie die SVP ihren Einfluss in den Chefetagen ausgeweitet hat. Hier setzte sich die SVP als neues strategisches Projekt durch. Denn ihr Erfolg in den 90er Jahren gab der SVP recht. Teile der international ausgerichteten Bourgeoise wandten sich von der FdP ab und der SVP zu. Beispiele für Vertreter des international ausgerichteten Kapitals wären der Ex-UBS-Boss Marcel Ospel, der Fabrikant Spuhler oder der aufsteigende Banker Thomas Matter. In einem Moment, in dem das Kräfteverhältnis innerhalb der Bourgeoisie neu verteilt wird, hat die SVP einen strategischen Vorschlag. Auf einen kurzen Nenner gebracht, betreibt die Partei eine Politik der Konfrontation. Das bedeutet Sozialabbau gegen innen und eine selektivere Teilnahme an internationalen Abkommen des Kapitals gegen aussen. Dies bedeutet, gegenüber der EU höher und härter zu pokern. Auf die Politik des Sozialabbaus sind längst alle Parteien eingestiegen, einschliesslich der SP. Ob in der Aussenpolitik die Gangart gegenüber der EU für das schweizerische Kapital aufgeht, wird sich zeigen.

Hingegen ist jetzt schon klar, wie sich die Annahme der SVP-Initiative für die ArbeiterInnen auswirken wird. Ein Grossteil des Proletariats sind MigrantInnen, in den Städten hat die Mehrheit der Leute, wie es in Polizei- und Soziologen-Deutsch heisst, einen "Migrationshintergrund". Diesen Teilen der Klasse wird signalisiert, dass wer aufmuckt, rausfliegt. Aber die Wirkungen der rassistischen Politik gehen auch über diesen - grossen - Kreis der Betroffenen hinaus; Eines der ersten Statements nach der Abstimmung betraf die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit. Schutz vor Lohndumping sei nunmehr überflüssig, fanden die Partei-Oberen. Mit dem Spaltungssystem der Kontingente, wonach die Lohnabhängigen in verschiedene Gruppen aufgesplittert werden soll, werden letztlich die Löhne aller ArbeiterInnen gedrückt. Spaltung durch Rassismus hat nicht nur Folgen für die Arbeitssituation, sondern auch für den Sozialabbau. Was den schweizerischen Leuten als "Schutz" des Sozialsystems verkauft wird, ist in Wirklichkeit ein massiver Angriff auf dessen Grundlagen. Denn es wird verschärft die Frage aufgeworfen, wer sozialstaatliche Leistungen beziehen "darf" und wer "nicht darf", wer dazu gehört und wer nicht. Wenn unten ein Kampf Aller gegen Alle herrscht, schöpfen die oben ungestört Profit. Gerade zur Zeit der Wirtschaftskrise setzt die SVP diese Politik am rücksichtslosesten durch. Dagegen hilft nur die Solidarität als Weg, die gemeinsamen Interessen und Ziele der ArbeiterInnen zu finden, mit welchem Pass auch immer.

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 77, mai / juni 2014, Seite 5
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2014