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AUFBAU/448: Migrationspolitik ist Arbeitsmarktpolitik


aufbau Nr. 84, märz/april 2016
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

Migrationspolitik ist Arbeitsmarktpolitik


CABARET-STATUT Gesetze rund um die Prostitution drücken immer die herrschenden Produktions- und Geschlechterverhältnisse aus. Und sie sind eng verknüpft mit der Migrationspolitik, wie das Beispiel des Cabaret-Statuts zeigt.


(fk) Das Cabaret-Statut wurde 1995 mit der Begründung geschaffen, Tänzerinnen vor Ausbeutung zu schützen. Seit 2009 wird die Aufenthaltsbewilligung für Tänzerinnen "Arbeitsbestätigung" genannt, davor war sie eine L-Bewilligung. Viele der Frauen - rund 1200 monatlich - kamen aus Osteuropa, der Ukraine, Russland oder Bulgarien, aus Thailand, Brasilien oder der Dominikanischen Republik. Sie konnten mit dieser Kurzaufenthaltsbewilligung maximal acht Monate arbeiten. Das Statut von 1995 war in erster Linie eine gesetzliche Regelung auf die Nachfrage nach erotischen und sexuellen Dienstleistungen. Aber es war auch eine der wenigen Möglichkeiten für Frauen aus dem Trikont, in der Schweiz legal einer Arbeit nachzugehen. Das Statut ist seit dem 1.1.16 vom Bund abgeschafft. Begründung: "Zum Schutz der Frauen". Nun dürfen nur noch Frauen aus EU/EFTA-Staaten legal als Cabaret-Tänzerinnen arbeiten.


Schutzobjekt "Frau"

Ohne Migrantinnen wäre der boomende Wirtschaftszweig, die Sexindustrie, nicht denkbar. Der Erlös der Rotlichtbranche wird in der Schweiz auf jährlich 3,2 Milliarden Franken geschätzt. Doch nur der geringste Teil geht an die Sexarbeiterinnen selbst. Wenn das Bundesamt für Migration analysiert, dass die Schutzwirkung des Cabaret-Statuts zu wenig greift und Bundesrätin Sommaruga mit dessen Abschaffung jene Frauen schützen will, die in Clubs und Shows für Geld tanzend ihre Kleider ausziehen, dann ist diese Begründung reine Heuchelei. Wie sollen mit der Auflösung eines Statuts, welches Rechte und Pflichten festlegt und einen Musterarbeitsvertrag besitzt, Frauen geschützt werden? Wir wissen, dass für diese Frauen mit der scharfen Migrationspolitik der kapitalistischen Schweiz fast keine andere Möglichkeit besteht, einzureisen. Es ist eine der wenigen legalen Möglichkeiten, für sich und die Familien in den Herkunftsländern den Lebensunterhalt zu verdienen. Einmal mehr wird unter dem Motto "zum Schutz der Frau", die Frau zum Objekt und Opfer degradiert und die eigentlichen Gründe verdeckt: Die Schweizer Wirtschaft ist nicht mehr auf diese "Arbeitsbestätigungen" für Menschen aus der ganzen Welt angewiesen. Viele Cabaretbars werden nun durch Kontaktbars ersetzt werden, denn diese funktionieren nach einem anderen System: In Cabarets erhalten Frauen Löhne, in Kontakt-Bars bezahlen sie den Betreiber, um dort gegen Geld eine sexuelle Dienstleistung erbringen zu dürfen. Damit wird den Frauen genau jener Bereich genommen, in dem die Bedingungen am wenigsten prekär sind. Denn durch einen Wochen- oder Monatslohn ist das Cabaret-Statut ein Anstellungsverhältnis und durch Schutzklauseln und Vertrag geregelt. Das FIZ (Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration) war massgeblich an der Ausarbeitung des Musterarbeitsvertrags beteiligt, der seit 2003 für Cabaret-Tänzerinnen als Arbeitsbestätigung gilt. Er regelt die Arbeitsleistung, den Brutto-Monatslohn, Sozialleistungen und andere zugesicherte Leistungen wie Unterkunft, Mahlzeiten und Transportkosten. Er verbietet Prostitution im Cabaret-Bereich sowie die Animation zum Alkoholkonsum.

"Die Hälfte der Cabarets wird zugehen", meint der Sprecher des Verbands Schweizerischer Konzertlokale, Cabarets, Dancings und Discotheken (Asco). "Es ist schwieriger, Frauen aus EU-Ländern zu engagieren, denn die Frauen aus Europa arbeiten lieber in Kontaktbars und Bordellen in der besser bezahlten Sexarbeit". "Das Cabaret war die einzige Institution, wo es Kontakte zu Frauen gab, ohne dass es direkt zu Sex gekommen ist", führt Asco weiter aus.


"Willkommen" heisst Verwertbar

Mit der etappenweisen Erweiterung der Personenfreizügigkeit (ab Juni 2016 auch Menschen aus Rumänien und Bulgarien) können Menschen aus EG/EFTALändern in der Schweiz einer selbstständig erwerbenden Arbeit im Bereich sexueller Dienstleistungen nachgehen und eine 90-tägige Arbeitsbewilligung beantragen. Die Frauen müssen jedoch ein Meldeverfahren durchmachen, ein teils schikanöses Aufnahmeprozedere, bis ihre Bewilligung angenommen oder abgelehnt wird. Frauen aus dem Trikont haben, ausser der Heirat, keine Möglichkeit mehr, legal in der Schweiz zu arbeiten. Die restriktive Bewilligungspraxis führt dazu, dass Migrantinnen als Illegalisierte in geschlechtsspezifischen Dienstleistungssektoren als Sexarbeiterinnen, Hausangestellte oder Kinderbetreuerinnen arbeiten und eine offensichtlich vorhandene Nachfrage abdecken. Dass es sich bei der Abschaffung des Cabaret-Statuts klar um Regulierungen im Bereich Migration handelt, ist nicht zu übersehen. Es schränkt massiv die Arbeitsmöglichkeiten aller Nichteuropäerinnen ein - die Grenzen um das wirtschaftliche Europa werden geschlossen. Was militärisch an den europäischen Aussengrenzen die Frontex ist, ist wirtschaftlich das Kantonale Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Auch hier geht es um Ausgrenzung und Abschiebung des nicht verwertbaren Humankapitals und um das "Willkommen heissen" für jene Arbeitskräfte, die für die nationale Wirtschaft nötig sind und gewinnbringend ausgebeutet werden können. Noch dazu können Illegalisierte noch billiger ausgebeutet werden.


Stigmatisierung heisst Ausgrenzung

Unter dem Vorwand, Menschenhändler zu bekämpfen, wird in rassistischer Manier die Angst vor gewissen Menschengruppen und Kulturkreisen geschürt. Wie beispielsweise in Köln, wo die sexuellen Übergriffe benutzt werden, um ganze Personengruppen zu kriminalisieren und die Migrationspolitik zu verschärfen. So wird eine differenzierte Diskussion über die Ursachen die durch Gewalt strukturierten Geschlechterverhältnisse überall auf der Welt verhindert.

Auch mit der Abschaffung des Cabaret-Statuts wird etwas anderes eingeleitet, bzw. fortgesetzt, als vorgegeben. Beratungsstellen für Sexarbeiterinnen und das FIZ sagen folgende Entwicklung voraus: Die Frauen werden als Touristinnen einreisen und illegal in der Sexarbeit tätig sein. Illegalität bedeutet Erpressbarkeit, Abhängigkeit und keinerlei Druckmittel gegen ausbeuterische Arbeitsbedingungen oder Gewalt in der Hand zu haben. Durch die Kriminalisierung können die Frauen auch keine Arbeits- und Sozialversicherungsrechte einfordern. Dies verhindert eine minimale Selbstermächtigung und drängt die Frauen in äusserst prekäre und menschenverachtende Verhältnisse.

Bordelle brauchen seit Ende 2013 in Zürich eine Gewerbebewilligung. Um diese zu erlangen, müssen SalonbesitzerInnen beim kantonalen Amt für Wirtschaft gewisse Unterlagen einreichen: Etwa ein Strafregisterauszug, ein Betreibungsregisterauszug und eine rechtskräftige Baubewilligung. Die SalonbetreiberInnen verpflichten sich aber auch, dass nur geschützter Geschlechtsverkehr stattfindet und dass Prostituierte Aufklärungsmaterial zu sexuell übertragbaren Krankheiten erhalten. Angestellte sollen so besser geschützt werden. Was sehr gut klingt ist jedoch bei genauerer Betrachtung zweischneidig: Die Anforderungen für eine Betriebsbewilligung sind sehr hoch. Insbesondere für selbständig arbeitende Frauen, die nur wenig Deutsch können, wird es unmöglich, die Anforderungen zu erfüllen. Sexarbeiterinnen werden letztlich in die Sozialhilfe, in die Illegalität oder in die Abhängigkeit von Grossbordellen getrieben. Und den kleinen Salons droht das Ende.

Den neuen Prostitutionsgewerbeverordnungen in Zürich 2012 und 2013 folgten die Einschränkung der Strichzonen, die Auflösung des Sihlquais und die Abschaffung des Cabaret-Statuts. Von Sexarbeiterinnen und ihren Vertreterinnen werden arbeitsrechtliche Regelungen und Gesetze gefordert, die die Bedingungen der Sexarbeiterinnen verbessern, und nicht solche, die ihre Arbeit erschweren und kriminalisieren. Als KommunistInnen unterstützen wir diese Forderungen und kämpfen für die Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit und gegen die Stigmatisierung dieser Tätigkeit. Prostitutionsgesetze führen durch Repression, Kriminalisierung und Ausgrenzung bestimmter Personengruppen zu neuen Differenzierungen und Spaltungen unter den SexarbeiterInnen. So wie damals gibt es auch heute noch Zwangsuntersuchungen, Meldeauflagen, zeitliche und räumliche Begrenzungen sowie schikanöse polizeiliche Kontrollen bei der Arbeit. Die medizinischen Zwangsuntersuchungen sind schikanös und erniedrigend für die Frauen.

Schon immer mussten sich die Sexarbeitenden mehr Selbstbestimmung und Freiheiten hart erkämpfen. Heute kämpfen Hurenbewegungen in den USA, Indien und Europa für mehr Rechte und Selbstbestimmung. Errungenschaften der Frauen- und ArbeiterInnenbewegung werden heute verschärft von rechts angegriffen. Im Rahmen von städtischen Aufwertungsprozessen, wie der Bau der Europaallee in der Stadt Zürich, wird der Strassenstrich verdrängt. Die Auflösung des Strassenstrichs am Sihlquai, die Aufwertung rund um die Langstrasse und die Eingrenzung der Strassenprostitution überhaupt ist ganz klar eine staatliche Vertreibungs- und Säuberungsaktion die Verdrängung von allem was im Zürich der Banken und Bonzen stört. Wenn die Herrschenden von Sicherheit und Schutz für die Frauen schwafeln, dann meinen sie Verdrängung an den Stadtrand, Regulierung und Kontrolle des Strassenstrichs. Nicht die Sexboxen und die Abschaffung des Cabaret-Statuts schützen die Arbeiterinnen vor Übergriffen, sondern legale Arbeitsbedingungen, die den Frauen mehr Selbstbestimmung erlauben.

"Sexarbeiterinnen sind nicht vom Himmel gefallen oder aus dem Boden gewachsen. Sie entstehen durch die Gesellschaft. Sie sollten respektiert werden."
(Sexarbeiterin aus Maharashtra, Indien)

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Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis ArbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

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Quelle:
aufbau Nr. 84, märz/april 2016, Seite 12
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2016

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