Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


AUFBAU/511: "Die Revolution ist eine kollektive Baustelle"


aufbau Nr. 90, September/Oktober 2017
klassenkampf - frauenkampf - kommunismus

"Die Revolution ist eine kollektive Baustelle"


KUBA Ein Genosse unserer Arbeitsgruppe lebt seit 2016 in Kuba. Wir besuchten ihn in Havanna und sprachen mit ihm über seine und unsere Eindrücke des Landes.


(agj) Du lebst seit bald einem Jahr in Kuba, nachdem du in der Schweiz aufgewachsen bist. Was sind ein paar Beispiele dafür, worin sich dieses sozialistische Land von der Schweiz unterscheidet?

Die vorherrschende politische Haltung hier orientiert sich an den Werten und dem Konzept der Revolution. Altruismus, Solidarität, Internationalismus und der Glaube daran, dass eine bessere und gerechtere Welt möglich ist. Es ist für mich als Kommunist natürlich sehr angenehm, in einer Gesellschaft zu leben, in der meine politische Ansicht die Ansicht der Mehrheit ist, während wir in der Schweiz halt Opposition sind.

Die Gesellschaft ist nicht in 100 Stücke geteilt, es gibt eine Einheit unter den Menschen. Statt individuell nur am eigenen Erfolg zu arbeiten, merkt man hier stark, wie man zusammen versucht, Probleme zu lösen. Es ist normal, sich gegenseitig zu helfen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten. Das sieht man in verschiedenen Situationen im Alltag, wo es ganz normal ist, jemandem über die Strasse zu helfen oder gemeinsam ein Auto anzuschieben. Oder beim öffentlichen Raum: In meiner Nachbarschaft hatte es eine freie Fläche, wo die Nachbarschaft via das lokale Komitee zur Verteidigung der Revolution (CDR) Geld zusammenlegte und dann gemeinsam mit einem Künstler einen kleinen Park mit Spielplatz gebaut haben.

Als wir in Kuba waren, erzählten GenossInnen oft von Schwierigkeiten in der Verteidigung und im Ausbau des Sozialismus. Wie erlebst du das?

Kuba ist ein Land, welches sich weiterhin im Prozess des Aufbaus des Sozialismus verortet. Seit dem Sieg der Revolution im Jahr 1959 hat man diesbezüglich viele Fortschritte gemacht. Man hat die Bevölkerung alphabetisiert, freien Zugang zu Bildung, Gesundheit, Kultur und Sport gegeben. Finanziert hat man das durch die Verstaatlichung grosser Unternehmen, der Ressourcen und des Agrarlands. Auf die Errungenschaften ist man stolz, doch die KubanerInnen sind sehr selbstkritisch und geben sich mit dem Erreichten nicht zufrieden.

Dies gestaltet sich jedoch schwierig, wenn man international, vor allem wegen der Politik der USA, isoliert ist und permanent Steine in den Weg gelegt bekommt. Die Finanz-, Handel- und Wirtschaftsblockade der USA gegen Kuba, die seit 1982 exterritorial auf andere Länder ausgeweitet wurde und somit Firmen anderer Länder als der USA bestraft, ist nur ein Beispiel davon. Das ist ein grosser Grund dafür, dass es für Kuba eine grosse Herausforderung ist, seine Wirtschaft zu verbessern und dabei seine Prinzipien und den Sozialismus beizubehalten, was die Mehrheit der Bevölkerung ohne Zweifel will.

Es geht nicht nur darum, diese Prinzipien beizubehalten, sondern sie in gewissen Bereichen auch durchzusetzen. Es gibt in Kuba einen latenten Rassismus. Er ist weniger institutionalisiert als in vielen anderen Ländern, aber er ist bei einem Teil der Bevölkerung immer noch in den Köpfen. Klar, der Rassismus heute steht in keinem Verhältnis zu demjenigen vor der Revolution. Die Sklaverei wurde in Kuba erst 1886 abgeschafft und die schwarze Bevölkerung blieb bis zur Revolution sehr stark diskriminiert. Faktisch gab es eine rassistische Segregation, in vielen Quartieren durften Schwarze nicht rein. Das ist ein krasser Gegensatz zu Kuba heute, aber es bleibt noch viel Arbeit, um den Rassismus zu überwinden.

Es heisst, Havanna ist eine Metropole ganz nach lateinamerikanischem Beispiel, während in anderen Regionen das revolutionäre Bewusstsein stärker ist. Was steckt dahinter?

Es ist sicher so, Havanna ist kosmopolitischer und es ist die Stadt, die am meisten Touristen empfängt, während der Osten die Wiege der Revolution ist. Sowohl der kubanische Unabhängigkeitskampf gegen die Spanier als auch die Revolution gegen Batista hatten im rebellischen Osten ihren Ursprung. Man merkt immer noch, dass sich viele Menschen dort enorm stark mit der Revolution identifizieren, während es in Havanna viel mehr Einflüsse aus den USA gibt. Das hat mitunter damit zu tun, dass dort der Anteil BewohnerInnen mit Verwandten in Miami viel höher ist.

Aber ich glaube nicht, dass in Havanna weniger Menschen mit einem politischen Bewusstsein leben. Fidels grosse Hinterlassenschaft war es, eine Einheit in der Bevölkerung zu formen. Hinter den grundlegenden Prinzipien der Revolution steht die Mehrheit, sowohl in Havanna wie in den Provinzen. Diese Einheit in der Bevölkerung zeigt sich beispielhaft im Umgang mit Naturkatastrophen, bei denen jeweils alle zusammengestanden sind und sich unterstützten. Da gab es keine regionalen Unterschiede.

Die grösste Schwierigkeit und Herausforderung bezüglich politischem Bewusstsein ist, dass die jüngere Generation mit den Errungenschaften der Revolution aufgewachsen ist und diese als selbstverständlich betrachtet. Sie werden sie verteidigen müssen in einer Zukunft, die kaum einfacher wird als die Vergangenheit war. Natürlich spielt die eigene materielle Situation eine Rolle darin, wie man zur Revolution steht, und diese Generation hat den Vergleich mit der Batista-Ära nicht direkt selber erlebt. Um die Lebensbedingungen aller zu verbessern, muss die sozialistische Wirtschaft effizienter werden, heute existieren da noch viele Schwierigkeiten.

Die angestossenen ökonomischen Reformen sind wohl deshalb wichtig. Aber die Reformen schaffen neue und verändern alle Ungleichheiten. Wie geht man damit um?

Die Änderungen im wirtschaftlichen Sektor des Landes geschehen unter Leitung der Kommunistischen Partei Kuba und haben einen grossen Konsens unter der Bevölkerung. Sie sind das Resultat einer grossen Volksdebatte, die man durch tausende von Versammlungen in Quartieren, Universitäten und an Arbeitsplätzen über mehrere Monate durchführte. Das Ziel ist sehr klar: Man will das sozialistische System verbessern, sicher nicht den Kapitalismus einführen. Nebst staatlichen Unternehmen gibt es nun private Geschäfte und Kooperativen. Doch diese sind was ihren Anteil an der Wirtschaftsleistung betreffen marginal. Der private Sektor, der sich primär auf Dienstleistungen beschränkt, beschäftigt insgesamt rund 500.000 ArbeiterInnen bei einer Bevölkerung von 11 Millionen.

Die Regierung arbeitet daran, dass möglichst alle vom Wirtschaftswachstum profitieren. Gerade eben hat Raul Castro darüber gesprochen, dass es durch die Reformen zu einer Konzentration von Reichtum bei einzelnen Personen gekommen ist. Es sei nicht akzeptabel, dass Leute über Strohmänner mehrere Geschäfte besitzen, wenn man als Privater nur ein Geschäft betreiben darf, und dann genügend Geld hat, um pro Jahr 30 Mal ins Ausland zu reisen. Solche Probleme werden erkannt und diskutiert, die Reformen wurden wieder beschränkt und man arbeitet nun daran, das bestehende System zu überarbeiten. Erst wenn es gerechter funktioniert, wird man wieder Lizenzen für den Betrieb privater Firmen in gewissen Branchen vergeben. Das ist ein Zeichen dafür, dass man eben nicht den Kapitalismus durch die Hintertür einführen will.

Fidel ist tot. Entgegen dem Wunschdenken des US-Imperialismus ist dadurch aber kein Chaos ausgebrochen. Im Gegenteil, es wirkt sehr ruhig und abgeklärt. Kannst du mehr über den Umgang mit Fidels Tod erzählen?

Ohne Zweifel war der Tod des historischen Leaders der Revolution emotional ein Schlag. Ein junger Kubaner erzählte mir, dass Fidel für viele derjenige war, der jeweils den Weg vorausging, dann zurücksprang und ihn den anderen erklärte. Er war ein Visionär und Denker. Er stand permanent in Kontakt mit dem Volk und verstand es wie kein anderer, das Volk zu einen und den antiimperialistischen und sozialistischen Weg zu gehen, auch wenn man dafür Opfer bringen muss. Er hat das mit seinem eigenen bescheidenen Lebensstil vorgelebt.

Nur Stunden nach seinem Tod hatten sich Jugendliche spontan bei der Universität in Havanna versammelt. Es bildete sich ein Umzug, der weniger ein Trauermarsch als eine kämpferische Demo war, bei der sich viele sagten "Jetzt erst recht!" Danach gab es die offizielle Trauerfeier, den Aufruf mittels Unterschriften zu bezeugen, dass man sein Erbe weiterführen wird, oder die Karawane mit seiner Asche nach Santiago - immer beteiligten sich Millionen. Kuba wollte der Welt zeigen, dass sie hinter seinen Ideen stehen und sie weiterführen werden.

Die Revolution war schon immer eine kollektive Baustelle. Die politische Arbeit in Kuba wurde institutionalisiert und die verschiedenen Organisationen leisten dabei gute Arbeit in dem sie kollektiv arbeiten und so das Schicksal nicht von der physischen Präsenz einzelner Personen abhängt. In Kuba will man keine BerufspolitikerInnen, sondern dass alle die Gesellschaft mitgestalten. In der Praxis klappt das nicht immer, aber dieser Anspruch ist der Grund, warum es so gut funktioniert. Diese Gesellschaft reproduziert Menschen, die an den Sozialismus glauben, und das Experiment weiterführen.

*

Redaktion

Revolutionärer Aufbau Basel (rabs), Revolutionärer Aufbau Bern (rab), Revolutionärer Aufbau Winterthur (raw), Gruppe politischer Widerstand Zürich (gpw), Gruppe Arbeitskampf Zürich (az), Arbeitsgruppe Antifa Basel (agafbs), Arbeitsgruppe Antifa Zürich (agafz), Arbeitsgruppe Klassenkampf Basel (agkkbs), Arbeitsgruppe Klassenkampf Zürich (agkkz), Arbeitskreis AbeiterInnenkämpfe (akak), Arbeitskreis Frauenkampf (akfk), Frauen-Arbeitsgruppe (agf), Frauenkollektiv (fk), Rote Hilfe International (rhi), Arbeitsgruppe Jugend Zürich (agj)

*

Quelle:
aufbau Nr. 90, September/Oktober 2017, Seite 9
HerausgeberInnen:
Revolutionärer Aufbau Zürich, Postfach 8663, 8036 Zürich
Revolutionärer Aufbau Basel, basel@aufbau.org
Revolutionärer Aufbau Winterthur, winterthur@aufbau.org
Redaktion und Vertrieb Schweiz
aufbau, Postfach 8663, 8036 Zürich
E-Mail: info@aufbau.org
Internet: www.aufbau.org
 
Der aufbau erscheint dreimonatlich.
Einzelpreis: 2 Euro/3 SFr
Abo Inland: 30 Franken, Abo Ausland: 30 Euro,
Solidaritätsabo: ab 50 Franken


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. November 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang